M. Klöppel: Revolution und Reichsende

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Titel
Revolution und Reichsende. Der Transformationsprozess von 1789 bis 1806 im Spiegel ausgewählter Leipziger Periodika


Autor(en)
Klöppel, Matthias
Reihe
Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte 23
Erschienen
Wiesbaden 2019: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XII, 370 S.
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Haug, Institut für Deutsche Philologie / Buchwissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die relativ kurze Zeitspanne von etwas mehr als 15 Jahren zwischen 1789 und 1806 bedeutete für Gesamteuropa eine politisch folgenreiche Zäsur und mündete in eine politische Neuordnung der europäischen Länder, an deren Ende die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation stand. Die Phase zwischen dem Ausbruch der Französischen Revolution und der sukzessiven Reichsauflösung war politisch dynamisch. Aus Sicht des Tagesjournalismus bot die Vielfalt an medialen Ereignissen, die dichte Abfolge von militärischen Schlachten, von Friedensabkommen und Vertragsabschlüssen nationaler Tragweite, Material genug für eine engmaschige Berichterstattung und Kommentierung für das facettenreiche Presseangebot, das die Handels- und Messestadt Leipzig um 1800 bot. Zeitungen und Zeitschriften, darunter etwa 220 Intelligenzblätter, allein zwischen 1790 und 1802 circa 60 Neugründungen, mit Auflagen bis zu 5.000 Exemplaren informierten die Leipziger Bevölkerung über die neu aufflammenden Feindseligkeiten zwischen dem revolutionären Frankreich und der Habsburgermonarchie oder über die Niederlage der österreichischen Armee am 14. Juni 1800 in der Schlacht bei Marengo. Geeignet für eine mediale Aufbereitung in der Presse waren der Friede von Campo Formio (1797), der Friede von Lunéville (1801) sowie der Rastatter Kongress (1797–1799). Ein Höhepunkt war schließlich der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803, der im Verlauf von insgesamt 50 Sitzungen über den Zeitraum von August 1802 bis Mai 1803 zustande kam und der in der Presse in all seinen Einzeletappen begleitet wurde.

Leipzig war im 18. Jahrhundert ein Handels- und Messezentrum mit internationalen Geschäftsbeziehungen, das Verlagsgewerbe profitierte von einem zunehmend professioneller organisierten Nachrichten- und Postsystem. Für das Pressegeschäft bot Leipzig ein ideales Arbeitsumfeld, eine Infrastruktur für die Entfaltung eines regen Handels mit Journalen. Die Stadt entwickelte eine Magnetwirkung auf Autoren und Gelehrte, Lohnschriftsteller und Tagesjournalisten. Die revolutionären Ereignisse in Paris wirkten nicht allein auf die Presseberichterstattung ein, auch im Buchprogramm von Leipziger Verlegern waren beispielsweise Revolutionsberichte aus Paris omnipräsent. Die Presseberichte über die politischen Entwicklungen in Frankreich, Kriegsberichte wie auch Reise- und Revolutionsberichte aus Paris wurden in Leipzig zudem im direkten Austausch diskutiert. Zeitungen und Zeitschriften standen in Kaffee- und Wirtshäusern ebenso zur Verfügung wie in Journal- und Lesegesellschaften; Bücher konnten in kommerziellen Leihbüchereien entliehen oder in Buchhandlungen erworben werden. Auf diese Weise war das Handels- und Messezentrum Leipzig um 1800 ein politisch und literarisch hochvirulenter Kommunikationsraum.

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Dissertationsschrift, die 2017 im Fach Geschichte an der Universität Leipzig eingereicht wurde. Ziel der Untersuchung ist es, die publizistische Resonanz auf den wohl bedeutendsten politischen Transformationsprozess um 1800 am Beispiel von ausgewählten Presseprodukten aus Leipzig zu rekonstruieren. Die stark quellenbasierte Studie unternimmt den ambitionierten Versuch, die publizistische Vermittlung des politischen Geschehens zwischen 1789 und 1806 in Leipzig zu erforschen, indem ein Korpus von Leipziger Zeitungen und Zeitschriften einer tiefgehenden Inhaltsanalyse unterzogen wird; flankiert wird dieses Unternehmen von sorgfältigen empirischen Erhebungen, die auf die Zeilenzahl exakt die Intensität der Berichterstattung eines Periodikums über die verschiedenen mediale Ereignisse regelrecht misst. Das Textkorpus setzt sich aus einer vom Verfasser vorab festgelegten Kriterien vorgenommenen Auswahl von zeitgenössischen Periodika zusammen, die in der kursächsischen Handels- und Messestadt Leipzig um 1800 im Markt zirkulierten. Die Materialsammlung besteht aus Intelligenzblättern, Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem Klio (1795–1796), Neue Klio (1796–1798), Beyträge zur Geschichte der französischen Revolution (1795–1796), Humaniora (1796–1798), Neues deutsches Museum (1789–1791) oder die Neue Leipziger Literaturzeitung (1803–1811), eine Mischung aus frühliberalen und konservativen Journalen. Im Anhang der Studie findet sich eine verdienstvolle Zusammenstellung aller zwischen 1789 und 1806 in Leipzig erschienenen Periodika, einschließlich der bio-bibliografischen Informationen. Der Verfasser bezeichnet seine Untersuchung als eine Lokalstudie, deren Hauptthese davon ausgehe, dass sich Leipzig in der späten Frühen Neuzeit als ein mediendurchdrungenes kommunikatives Zentrum in Europa exponierte, somit eine herausragende Brücken- und Mittlerfunktion im nationalen und transnationalen Wissenstransfer (S. 4) einnahm. Hier gelingt ihm eine fruchtbare Verbindung von einer Mikrostudie mit dem Kontext gesamteuropäischer politischer Umwälzungen, auf die immer wieder vergleichend zurückgegriffen wird.

Die Studie geht in drei Untersuchungsschritten vor: (1) Leipzig wird als führender Medienstandort des Alten Reichs mit seiner Vielzahl an Verlagen und Druckereien, mit seiner facettenreichen Buch- und Presseproduktion – zeitgenössische Kommentatoren sprachen von einer „Journalfabrik“ – präsentiert und in die Presselandschaft im deutschsprachigen Raum eingeordnet, unter anderem mit komparatistischen Ausgriffen nach Hamburg, Berlin und Weimar-Jena. (2) Ein zweiter Untersuchungsschritt widmet sich der Rezeption der Französischen Revolution und ihrer politisch-wirtschaftlichen Auswirkungen bis hin zur sukzessiven Reichsauflösung mit ihrem Höhe- und Schlusspunkt im Jahr 1806. Hier wird am Beispiel des Pressekorpus Intensität und Dichte der Berichterstattung über einzelne historische Ereignisse mit medialer Strahlkraft vermessen. Die Aufmerksamkeit gilt der Reaktionen auf das politische Geschehen innerhalb der Leipziger Bevölkerung je nach sozialer Zugehörigkeit, die Rezeption der revolutionären Ereignisse in der Studentenschaft, in Intellektuellenkreisen und im städtischen Bürgertum. (3) In einem dritten Untersuchungsschritt wird die journalistische Kommentierung und Einordnung des Reichsuntergangs in den Leipziger Periodika analysiert; im Fokus nun verstärkt die Berichterstattung über politisch entscheidende Schlachten (Schlacht von Austerlitz, Schlacht von Jena und Auerstedt). Die Leipziger Periodika rezipieren sehr genau den Prozess der etappenweisen Reichsauflösung. Die Nennung von wichtigen Korrespondenzorten, unter anderem Brüssel, Wien oder London, stieg in den Journalen ebenso an wie die Thematisierung von Regensburg, wo der Reichsdeputationshauptschluss verabschiedet wurde.

Bei der vorliegenden Dissertation handelt es sich um eine informativ-instruktive Untersuchung, die aus medien- und pressehistorischer Perspektivierung eine wichtige Forschungslücke zu schließen vermag. Dies geschieht auf einer soliden Materialbasis und flankiert von empirisch gewonnenen Erkenntnissen, die in übersichtlichen Tabellen ihre Darstellung finden. Zugleich weist die Studie noch immer wichtige Forschungsdesiderate im Bereich der Presseforschung und Verlagsgeschichtsschreibung aus, nicht zuletzt sollte dem Verleger Peter Philipp Wolf, der wenige Jahre sehr aktiv im Leipziger Pressegeschäft war, eigentlich aber seine Wirkkraft in München entwickelt hatte, deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

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