D.T. Cooks: The Moral Project of Childhood

Cover
Titel
The Moral Project of Childhood. Motherhood, Material Life, and Early Children's Consumer Culture


Autor(en)
Daniel Thomas Cook
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
$ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Winkler, Historisches Seminar, Abteilung Osteuropäische Geschichte, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Das neu erschienene Buch von Daniel Thomas Cook trägt zwar fast den gleichen Titel wie ein Editorial des gleichen Autors aus dem Jahr 20171, befasst sich aber doch mit einem ganz anderen Themenbereich. Cook untersucht die Geschichte des kindlichen Konsumenten. Dabei geht es allerdings weniger um das Konsumverhalten der Kinder selbst als vielmehr um Vorstellungen davon, ob es kindlichen Konsum geben kann und darf sowie um die Erziehung zum „guten“ Konsum. Die Akteur/innen des Buches sind somit fast ausschließlich Erwachsene: Eltern und Expert/innen (oder Autor/innen, die sich für Expert/innen halten).

Cook schaut dabei auf Diskurse weißer, protestantischer Mittelklassebürger/innen in den USA und nimmt einen breiten Zeitraum vom 17. bis ins 20. Jahrhundert in den Blick. Die von ihm entwickelte These bezieht zwei Aspekte ein: Erstens sei kindliches Konsumverhalten, so Cook, kein Phänomen des 20. Jahrhunderts, sondern sei bereits in den Wurzeln moderner Kindererziehung im frühneuzeitlichen Protestantismus zu erkennen. Und zweitens sei dieses Konsumverhalten keineswegs als ein grundlegendes pädagogisches Problem betrachtet worden; Konsum und Kind seien historisch gemeinsam entstanden und keineswegs als Gegensätze erschienen.

Diese These wird in fünf Kapiteln ausgestaltet. In einer Analyse protestantischer Vorstellungen von Entwicklung, Erziehung, Versuchung und Erlösung beschreibt Cook die nordamerikanischen protestantischen Diskurse als Basis für die Entstehung des kindlichen Konsumenten. Das ist nicht wirklich Max Weber für Kinder; vielmehr steht erst einmal die Lockesche Grundannahme von der Formbarkeit des Kindes im Zentrum der Analyse. Kinder galten als in höchstem Maße form-, aber eben auch beeinflussbar. Jedes Wort, jede Tat, jeder Gegenstand, mit denen sie konfrontiert waren, erhielt aus dieser Perspektive ein gewaltiges und in seinen Konsequenzen kaum einzuschätzendes Gewicht. Und da es im protestantischen Kontext letztlich um das Seelenheil des betreffenden Kindes ging, war Kindererziehung ein Projekt von schier unermesslicher Bedeutung – ein moral project eben.

In weiteren Kapiteln werden dann die bürgerliche weiße Familie und vor allem die ihr erteilten Ratschläge analysiert. Die der Mutter zugesprochene Verantwortung, verschiedene Konzepte des Strafens und Belohnens, die Erziehung zum „guten Geschmack“ sowie die Praxis der Taschengeldvergabe stehen dabei im Zentrum. Nicht ganz ohne Abschweifungen erklärt Cook damit, wie weiße Mittelschichtskinder zu „guten“ Konsument/innen erzogen werden sollten: Konsument/innen mit Weitsicht und vor allem Geschmack. Immer wieder taucht dabei die Idee der Formbarkeit (malleability) auf: Mit jeder gut gekochten Mahlzeit, jedem sorgfältig ausgewählten Spielzeug und jedem „geschmackvollen“ Möbelstück im Kinderzimmer wurde der Nachwuchs, so hofften zahlreiche Erziehungsexpert/innen und mit ihnen die Eltern, ein Stück mehr zum idealen Bürger. Konsum war somit nichts, von dem Kinder ferngehalten wurden, sondern etwas, zu dem sie behutsam und konsequent hingeführt werden mussten. Und dabei ging es nicht nur um gepflegte Kleidung und schöne Möbel: Vielmehr argumentiert Cook, die Erziehung zum richtigen Konsum sei auch eine Erziehung zum autonomen Menschen gewesen. Tatsächlich wird in vielen seiner Quellen deutlich, wie ernst Kinder von ihren Eltern genommen wurden, wie wichtig bereits im 19. Jahrhundert kindliche Individualität und ein kindlicher Wille waren.

Cook nimmt für seine These große Bedeutung in Anspruch. Sie widerspreche der weit verbreiteten Grundannahme, Kindheit werde als diametraler Gegensatz zum Konsum betrachtet. Sein eigenes Buch hingegen verfolge, wie sich der kindliche Konsument seit der frühen Neuzeit entwickelte und wie Konsum stets einen zentralen Bestandteil bürgerlicher Erziehungspraxen bildete. Das ist zweifellos interessant, jedoch scheint es zuweilen, als würde Cook bei der Darstellung der bisherigen Forschung ein wenig mit Strohmännern arbeiten. Immerhin hat schon Philippe Ariès die frühe „Erfindung“ der Kindheit an bestimmte Verbrauchsgegenstände wie Spielzeug, Kleidung, Möbel gekoppelt (wenn auch nicht ausdrücklich an Konsum). Zudem ist nicht weniges des hier Erzählten in durchaus ähnlicher Form auch anderswo zu finden: So hat bereits Gunilla Budde die Bedeutung bürgerlicher Kindererziehung und bürgerlichen Konsums als soziales Distinktionsmerkmal beschrieben.2 Und die Entwicklung von Liebe und Respekt gegenüber dem Nachwuchs bürgerlicher Familien wurde kürzlich bei Carola Groppe sehr eindrücklich analysiert.3 Freilich handelt es sich hier um Forschung zu deutschen Zusammenhängen – vielleicht ein Hinweis darauf, wie sehr historische Forschung zu den USA profitieren könnte, wenn sie öfter über die nationalen Grenzen hinausblickte.

Aber auch der von Cook so häufig betonte Gegensatz zu Viviana Zelizer4 erscheint ein wenig überzogen. Zelizer argumentiert in ihrem vielgelesenen Buch, Kinder hätten sich um die Wende zum 20. Jahrhundert von einem ökonomischen Risiko zu einem emotionalen Wert entwickelt. Cook interpretiert dies als Behauptung, Kindheit als Konzept sei komplett vom gesellschaftlichen Bereich des Ökonomischen und des Marktes abgekoppelt worden. Jedoch geht es bei Zelizer um die Wahrnehmung der Kindheit, um den Wert, der Kindern beigemessen wurde: Im 20. Jahrhundert, so Zelizer, sei ein Kinderleben nicht mehr mit Geld aufzuwiegen gewesen. Cook hingegen betrachtet das Verhalten, das Kindern ermöglicht wird: Sparen, Einkaufen, Konsumieren. Damit wurden Kinder klar als (werdender) Bestandteil des Marktes betrachtet – ein wirklicher Widerspruch zu Zelizer aber ist dies nicht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Vorstellung von der idealerweise konsumfreien Kindheit und der Erziehung zum Konsum wirklich so vollständig gegensätzlich sein müssen. Immerhin betrachten wir hier einen Erziehungs-Prozess, der auch von der Einsicht bestimmt ist, dass Kinder in eine kapitalistische Gesellschaft hineinwachsen werden. Hier könnte also die romantische Vorstellung von der unbefleckten Kindheit durchaus weitgehend unberührt neben der eher pragmatisch begründeten Notwendigkeit stehen, Kindern den Umgang mit Geld und Konsumgütern beizubringen.

Trotz dieser Bedenken angesichts des von Cook vorgenommenen „Framing“: Dies ist ein wichtiges Buch. Es bietet hochinteressante Einblicke in die Debatten und Werte der weißen Mittelschicht in den USA. Und es macht deutlich, wie eng Kindererziehung an soziale Distinktionsformen und Strukturen gebunden ist. Mit dem sehr detaillierten Blick auf ein konkretes Problem – Kinder und Konsum – und zugleich der Einbeziehung vieler verknüpfter Aspekte – Ideal der Mutter, Vorstellungen von Form- und Erziehbarkeit, das komplexe Verhältnis des Bürgertums zum Materiellen – werden zahlreiche Aspekte der aktuellen Debatten in der Kindheitsforschung aufgegriffen und auf höchst spannende Weise diskutiert.

Anmerkungen:
1 Daniel Thomas Cook, Childhood as a moral project, in: Childhood 24,1 (2017), S. 3–6.
2 Gunilla Budde, Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien 1840–1914, Göttingen 1994.
3 Carola Groppe, Im deutschen Kaiserreich. Eine Bildungsgeschichte des Bürgertums 1871–1918, Göttingen 2018.
4 Viviana A. Zelizer, Pricing the Priceless Child. The Changing Social Value of Children, Budapest 1985.

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