Seit dem Erscheinen von Friedrich Leos "Die griechisch-römische Biographie nach ihrer literarischen Form" im Jahre 1901 hat sich kein Autor mehr an eine Gesamtdarstellung der Entwicklung der antiken Biografie von ihren Anfängen im klassischen Griechenland bis in die Spätantike gewagt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Bereits in der Antike war man sich nicht über die Definition dieser literarischen Form einig, so dass schon die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes große Schwierigkeiten bereitet. Zudem stand die Gattung der Biografie immer ein wenig abseits des Interesses der Philologie und der Althistorie, da antike Viten zumeist als wenig qualitätsvoll galten. Schließlich ist die Vielzahl an Einzelpublikationen zu den relevanten antiken Autoren heute kaum noch überschaubar. Sonnabend ist jedoch dieses Wagnis eingegangen: Er legt eine Untersuchung zur Biografie der griechisch-römischen Antike vom 5. Jahrhundert v.Chr. bis zum späten 4. Jahrhundert n.Chr. vor, in der er sowohl den hohen Quellenwert dieser Gattung herausstreichen als auch der Biografie die ihr im Rahmen der antiken Literatur gebührende Aufmerksamkeit zukommen lassen möchte (S. V).
Sonnabend geht es vor allem um die Vermittlung eines Überblickes zur Entwicklung der literarischen Form. Die Darstellung ging aus einer Vorlesung hervor, was dem Stil durchaus noch anzumerken ist. In prägnanter Sprache werden leicht fasslich die einzelnen Autoren in chronologischer Reihenfolge vorgestellt. Durch zahlreiche Zitate aus den Quellen wird der Text aufgelockert und erhält ein hohes Maß an Anschaulichkeit. Sonnabend verfolgt in seiner Darstellung einen primär historischen Ansatz, stellt also die Autoren in den Kontext ihrer Zeit und sucht die politischen und sozialen Bedingungen für ihr Schaffen aufzuzeigen. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen treten dagegen in den Hintergrund. Sonnabend verzichtet weitgehend auf eine Diskussion unterschiedlicher Forschungspositionen und auf einen größeren Anmerkungsapparat mit Quellenbelegen und Forschungsliteratur. Werden im Text konkrete Quellenpassagen angesprochen oder zitiert, finden sich im Allgemeinen aber auch die entsprechenden Belege.1 Die 61 Endnoten (S. 223-225) geben nur wenige ausgesuchte Hinweise auf die Literatur.2
In einem langen Anhang (S. 226-239) führt Sonnabend dann die Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen sowie die wichtigsten Forschungsarbeiten zu den einzelnen Autoren an. Diese Lemmata bieten eine durchweg gute Auswahl, wobei sich Sonnabend bei vielen Autoren stark beschränkt hat.3 Allerdings werden einige der besprochenen Autoren in diesem Anhang nicht aufgeführt. Während etwa die nur kurz behandelten Autoren Ion, Stesimbrotos und Skylax (S. 59f.) einen eigenen Eintrag erhalten, fehlen Eunap (S. 199), der Verfasser der Epitome de Caesaribus (S. 201) sowie die nur kurz erwähnten Kaiserbiografen (S. 184) und die christlichen Autoren Sulpicius Severus, Paulinus und Hieronymus (S. 212). Eine kurze "allgemeine Bibliografie" mit den wichtigsten Arbeiten zur antiken Biografie (S. 240f.) 4 sowie ein Personen- und Stellenregister (S. 242-246) runden das Werk ab.
In der Einleitung (S. 1-16) gibt Sonnabend einen Überblick zur kritischen Wertung der antiken Biografie in der Forschung seit dem 19. Jahrhundert. Die Werke der meisten Biografen galten als stilistisch nicht gelungen und historisch ungenau. Sonnabend erörtert dann anhand der bekannten Passagen aus Polybios (10,21) und Plutarch (Alex. 1) den Unterschied von idealisierender Biografie und wahrheitsgetreuer Historiografie in der Antike: Die Biografie sollte den Charakter einer Person schildern, nicht geschichtliche Taten erzählen. Schließlich betont Sonnabend den hohen Quellenwert der Biografien, die zahlreiche Details zu den historischen Ereignissen sowie zur Alltags- und Kulturgeschichte bewahren, uns aber auch darüber informieren, wie eine Persönlichkeit von bestimmten sozialen Gruppen betrachtet wurde und welche Werte und Normen in einer Gesellschaft das Menschbild bestimmten.
Das nächste Kapitel widmet sich der umstrittenen Frage nach der Entstehung der antiken Biografie (S. 17-31). Wann man diese ansetzt, hängt in erster Linie von der Definition des Begriffes "Biografie" ab. Sonnabend nutzt für seine Darstellung die Definition Momiglianos, nach der die Biografie eine Darstellung des Lebens einer Person von der Geburt bis zum Tod ist (S. 18), weist aber auch auf weitere Charakteristika antiker Viten hin. Ihm geht es aber vor allem darum, die historischen Bedingungen aufzuzeigen, unter denen die Biografie sich ausformte. Nach Sonnabend entstand sie im 4. Jahrhundert v.Chr., in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche, in der die Einzelpersönlichkeit im öffentlichen Leben stärker hervortrat. Unter den Bedingungen der Polisgesellschaft des 5. Jahrhunderts v.Chr. sei die literarische Heraushebung einer Persönlichkeit noch weitgehend undenkbar gewesen. Im Prozess der Individualisierung im 4. Jahrhundert entstanden dann die ersten Dichter- und Gelehrtenbiografien. Biografische Exkurse bei Herodot und Thukydides seien dagegen als Vorformen der Vita zu werten: Herodot stellt das Leben des Kyros und des Kambyses dar, weil das Geschehen in Persien ganz auf die Person des Großkönigs ausgerichtet war und sich daher die biografische Form anbot.5 Einen Griechen hätte er zu dieser Zeit so nicht porträtieren können. Thukydides schildert das Schicksal des Themistokles und des Pausanias, um auf deren ungerechte Behandlung durch die Polis hinzuweisen. Er wollte also keine biografische Charakterstudie vorlegen, sondern den Konflikt zwischen Führungspersönlichkeit und Polisgemeinschaft illustrieren.
Sehr ausführlich werden nun die Anfänge der Biografie im 4. Jahrhundert v.Chr. in Gestalt des Euagoras-Enkomions von Isokrates und der Schriften Agesilaos und Kyropaideia von Xenophon erörtert (S. 32-59). Mit seinem Enkomion wurde Isokrates zum "Vorreiter der antiken Biographie" (S. 32), auch wenn sich hier noch nicht alle Merkmale einer Vita finden. Politische Intention der Schrift sei es gewesen, angesichts der Bedrohung durch die Perser die Griechen von der Notwendigkeit eines starken Monarchen als Anführer zu überzeugen. Auch Xenophon habe die Taten des Königs Agesilaos in der gleichnamigen Schrift eher in der Form eines Enkomions dargestellt, wie ein Vergleich mit den Schilderungen in den Hellenika erweist. Agesilaos sei von Xenophon als der perfekte Feldherr porträtiert worden. Die Kyropaideia deutet Sonnabend als ein Plädoyer "für einen starken, gerechten Alleinherrscher" (S. 59). Sonnabend richtet dann den Blick kurz auf die Vorformen der Autobiografie (S. 59-61), den 7. Brief Platons und die Antidosis-Rede des Isokrates, und argumentiert überzeugend gegen Momigliano, der bereits für das 5. Jahrhundert v.Chr. biografische und autobiografische Werke postuliert hatte.
Das nächste Kapitel erörtert die hellenistischen Biografien (S. 62-83). Die neuen politischen Rahmenbedingungen und die Tendenzen zum Individualismus führten zu einer Blüte der Biografie. Darstellung der Geschichte habe sich nun mit der Schilderung der Taten der Monarchen verbunden. Biografen hätten ihrem Publikum zudem vorbildhafte Individuen, zumeist Philosophen, als "Orientierungspunkte" (S. 83) vorgestellt. Interessant sei dabei vor allem das Individuelle, das Anekdotische gewesen. Die Bedeutung Alexanders des Großen und der Schriften über sein Leben wird von Sonnabend kurz angeschnitten (S. 62, 82), die Impulse für die Entwicklung der literarischen Gattung aus den Darstellungen seiner Taten, wie sie bald nach seinem Tod etwa von Kleitarch, Ptolemaios oder Aristobul verfasst wurden, kommen jedoch nicht zur Sprache. Viten im eigentlichen Sinne waren diese Alexanderschriften nicht, da sie wohl wie Arrians Anabasis erst mit seiner Regierungsübernahme begannen, doch verbanden sich hier biografische, historiografische und enkomiastische Momente.
Am Anfang des Kapitels streicht Sonnabend die Bedeutung der Charaktere Theophrasts für die peripatetische Biografie und ihre Erfassung des Individuums heraus. Danach stellt er Leben und Werk der peripatetischen Biografen Aristoxenos, Hermippos und Satyros sowie des Antigonos von Karystos dar. In diese Reihe hätte sicher auch der Peripatetiker Sotion gehört, der mit seinen Diadochai am Anfang des 2. Jahrhunderts v.Chr. eine einflussreiche Sammlung von Philosophenviten in der Reihenfolge der Schulhäupter verfasste.6 Sonnabend hebt insbesondere die Bedeutung des Aristoxenos hervor, des Begründers der literarischen Biografie im eigentlichen Sinne, in der nun nicht mehr nur gelobt, sondern durchaus auch polemisch kritisiert wurde. Da die Werke dieser Biographen allesamt nur fragmentarisch erhalten sind, wäre es lohnend gewesen, stärker auf die methodischen Probleme dieser Überlieferung und auf die Autoren, denen wir die Fragmente verdanken, einzugehen. Als Mittel der politischen Propaganda und der persönlichen Rechtfertigung charakterisiert Sonnabend die sich im Hellenismus herausbildende literarische Form der Autobiografie. Als Beispiel werden Aratos von Sikyon und Ptolemaios VIII. Euergetes II. genannt.7
In den folgenden beiden kurzen Kapiteln stellt Sonnabend die "Anfänge der Biographie bei den Römern" vor (S. 84-88) und untersucht die Entstehung der Autobiografie in der römischen Republik (S. 89-98). Bis zum 1. Jahrhundert v.Chr. habe es in Rom keine Biografie gegeben, da eine Heraushebung der Einzelpersönlichkeit den senatorischen Standesinteressen widersprochen hätte, die primär auf Homogenität des Standes und Gleichheit der Aristokraten gerichtet waren. Als Vorläufer der Biografie streicht Sonnabend die laudatio funebris heraus. Die Autobiografie bildete sich in Rom ebenfalls als ein Medium der Verteidigung gegen Kritik und der Rechtfertigung heraus. Als Beispiele erörtert Sonnabend unter anderem den Brief des älteren Scipio Africanus an Philipp V., des Q. Lutatius Catulus Schrift "Über sein Konsulat und seine Taten" sowie Sullas Hypomnemata. In der Krise der Republik habe die Bedeutung der einzelnen Persönlichkeiten zugenommen und so auch literarische Formen wie Biografie und Autobiografie ermöglicht.
Römische Biografien und Autobiografien im Übergang von der Republik zum Prinzipat untersucht Sonnabend im nächsten Kapitel (S. 99-124). Mit den biografischen Elementen in seinem Catilina trug Sallust den neuen politischen Verhältnissen Rechnung, ohne dass er dabei eine Biografie verfasst hätte. Erst mit Varros Imagines beginnt die Geschichte der römischen Biografie. Ausführlicher erörtert Sonnabend dann die Vitensammlung des Cornelius Nepos, der den Römern die Form der griechischen Biografie erschlossen habe. Der geringe Quellenwert seiner Viten hätte m.E. stärker betont werden können. Längere Abschnitte widmet Sonnabend auch der Autobiografie des Augustus und der Augustus-Biografie des Nikolaos von Damaskus, die Sonnabend treffend als "eine für die griechische Öffentlichkeit gedachte Werbeschrift" für Augustus interpretiert (S. 122), sollte sie doch das von Marc Anton im Orient vermittelte negative Bild durch ein positives ersetzen. Im folgenden Kapitel wendet sich Sonnabend dem biografischen Schaffen von drei kaiserzeitlichen Historikern zu (S. 125-145): Velleius Paterculus, der anhand der Darstellung Caesars den Übergang von der historiografischen zu einer biographischen Form vollzieht und somit die auf die Person des Kaisers konzentrierte Geschichtsschreibung einleitet, Flavius Josephus, der seine Autobiographie wiederum mit dem Ziel der Rechtfertigung verfasste, sowie Tacitus, der in seinem Agricola die Befreiung von Domitian feierte.8
Mit den "Klassiker(n) des Genres", Plutarch und Sueton, beschäftigt sich das anschließende Kapitel (S. 146-182). Etwas zu ausführlich stellt Sonnabend hier die Paare in Plutarchs Parallelbiografien vor und arbeitet dabei vor allem die Vergleichskriterien heraus. Mit der Gegenüberstellung großer Griechen und Römer habe Plutarch die Aufwertung des Griechentums "in einer Zeit relativer politischer Bedeutungslosigkeit" erreichen wollen (S. 162). Sueton etablierte die literarische Form der Kaiserbiografie, die Geschichte sei von ihm konsequent auf die Person des jeweiligen Augustus hin personalisiert worden. Er demonstriere damit auch den Wandel des Interesses des breiten Publikums in Rom: Er schrieb, was man in Rom über den Herrscher wissen wollte. Sonnabend unterstreicht schließlich seinen hohen Quellenwert, da er die kaiserlichen Archive nutzen konnte.
Das abschließende Kapitel spannt unter dem Titel "Die spätere Kaiserzeit" den Bogen von der Severerzeit bis ins späte 4. Jahrhundert (S. 183-221). Sonnabend betont eingangs, dass die Historiografie der späteren Kaiserzeit stark biografisch geprägt ist und führt zahlreiche Autoren an, die Geschichte in der Form der Kaiserbiografie schrieben (S. 212),9 und wendet sich dann ausführlicher Marius Maximus zu. Die von Sonnabend als Tatsache dargestellte Identität dieses Kaiserbiografen mit dem ordentlichen Konsul von 223, L. Marius Maximus Perpetuus Aurelianus, ist zwar durchaus wahrscheinlich, aber ein eindeutiger Beleg fehlt. Hier wäre also eine vorsichtigere Formulierung angebracht gewesen (S. 185). Zudem ist m.E. größere Vorsicht bei der Benutzung der "Zitate" aus Marius Maximus in der Historia Augusta nötig, die Sonnabend zur Charakterisierung von dessen Vitensammlung anführt, scheut doch der unbekannte Autor der Historia Augusta auch sonst nicht davor zurück, erfundene Schilderungen durch die Anführung fiktiver Referenzen zu belegen.10
Sonnabend streicht danach die große Bedeutung der Viten des Diogenes Laertios und des Philostrat für die Kultur- und Geistesgeschichte heraus. Er verweist auf die Unsicherheiten bezüglich der Person des Diogenes; wieso er ihn jedoch in die "erste Hälfte des 3. Jahrhunderts" (S. 191) datiert, erschließt sich dem Leser nicht. Die schwierigen Probleme im Zusammenhang mit der Familie Philostrats und der Zuweisung der unter seinem Namen überlieferten Schriften verschweigt Sonnabend. Philostrats Sophistenviten lassen sich auf Grund der Widmung an den Konsular M. Antonius Gordianus und der auch von Sonnabend erwähnten Notiz über diesen "hart arbeitenden" proconsul im Proömium (S. 197) mit einiger Sicherheit in die Zeit der Statthalterschaft Gordians in Africa (237/38) datieren.11 Sich wieder der Kaiserbiografie zuwendend stellt Sonnabend dann detailliert den Liber de Caesaribus des Aurelius Victor, seine Beurteilung der römischen Kaiser sowie seine Kritik an Militär und Senat vor.12
Ein wenig unvermittelt kommt Sonnabend vom paganen Autor Aurelius Victor zu Athanasius und seiner Vita des Antonius, wobei noch auf die umstrittene Verfasserfrage hätte hingewiesen werden können.13 Hier zeigt sich der Nachteil einer rein chronologischen Darstellung, die die Entwicklungszusammenhänge zuweilen auseinander reißt. Der Inhalt der Vita, ein "Prototyp der hagiographischen Literatur" (S. 211), wird kurz besprochen und auf die Nähe zu den Philosophenviten verwiesen. Die Spezifika christlicher Hagiografie sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Darstellung eines theios aner in paganen und christlichen Viten werden aber nicht weiter erörtert. Dabei wäre doch ein Vergleich der Merkmale des "pagan holy man" 14 in den zeitgenössischen Philosophenviten mit denen eines Heiligen in der christlichen Hagiographie reizvoll gewesen, um so die Wechselwirkungen zwischen christlicher und paganer Hagiografie aufzuzeigen. Der letzte Abschnitt ist der Historia Augusta gewidmet. Sonnabend erörtert die Probleme dieser Vitensammlung, urteilt aber sicherlich zu skeptisch über den erreichten Konsens in der Forschung zu den "Grundsatzfragen" (S. 216): Sieht man von den verdienstvollen Studien Lippolds ab, hat sich in der jüngeren Forschung doch weitgehend die communis opinio durchgesetzt, dass die Sammlung zwischen 395 und 400 verfasst wurde.15 Neben der paganen (S. 217) hätte noch die senatorische und die stadtrömische Tendenz des unbekannten Autors Erwähnung finden können.16
Verwunderlich sind die Lücken im Kapitel "Die spätere Kaiserzeit": Werden in den früheren Kapiteln auch Autoren recht ausführlich besprochen, deren Biografien gänzlich verloren sind oder in deren Werken sich nur einzelne biografische Passagen finden, bleiben hier wichtige Biografen der Zeit bis 400 n.Chr. gänzlich unerwähnt. Die große Bedeutung Plotins für die spätantike Philosophie wird kurz genannt (S. 190),17 doch über die nicht minder bedeutsame Vita dieses Philosophen aus der Feder seines Schülers Porphyrios verliert Sonnabend kein Wort. Auch die Pythagoras-Viten von Porphyrios und Iamblich werden nicht erwähnt.18 Während Sonnabend der Beschreibung der Genese der literarischen Form der Biografie im klassischen Griechenland sehr viel Platz einräumt, übergeht er die Herausbildung einer christlichen Biografie ganz. Mit dem Satz "Athanasios gilt als Begründer der griechischen Hagiographie" (S. 209) leitet er sein kurzes Kapitel zur "Heiligen-Biographie: Athanasios und die Vita des Antonios" ein. Doch konnte Athanasios bereits auf zahlreiche Vorgänger in der christlichen Biografik aufbauen: Schon die Evangelien stehen zumindest mit einem Bein in der Tradition der antiken Biografie.19 Auch in den Passionsberichten finden sich biografische Passagen. Schließlich verfasste Pontius kurz nach dem Martyrium Cyprians 258 eine Vita des Bischofs. Eusebios schrieb sowohl einen panegyrischen bios des Kaisers Constantin als auch eine stark von der Form der Philosophenvita beeinflusste Lebensbeschreibung des Origenes im Rahmen seiner Kirchengeschichte (Buch 6).20
Auch ist die (nicht weiter begründete) Eingrenzung der Darstellung bis zur Historia Augusta nicht unbedingt einsichtig, da man nicht von einer grundlegenden Zäsur in den biografischen Traditionslinien um 400 sprechen kann. Vielmehr erlebte die Biografie gerade im 4. und 5. Jahrhundert eine Blütezeit, nunmehr in der Form paganer oder christlicher Hagiografie. Lang ist daher die Liste wichtiger Biografien, die Sonnabend nicht mehr bespricht: etwa die paganen Philosophenviten des Marinos über Proklos, des Damaskios über Isidor und des Olympiodoros über Platon sowie die christlichen Viten dieser Zeit, so beispielsweise die von Sonnabend kurz erwähnten Viten des Martin von Sulpicius Severus, des Ambrosius von Paulinus und des Paulus von Hieronymus (S. 212) sowie die Viten des Gregor von Nyssa (Makrina, Gregor Thaumaturgos, Moses u.a.), die Historia Lausiaca des Palladius, die Augustinus-Vita des Possidius, die Melania-Vita oder Eugipps Severins-Vita. Auch den Abschluss und gleichsam den Höhepunkt der antiken Prosaautobiografie, die Confessiones des Augustinus, spart Sonnabend aus.
Auf einer Seite (S. 222) werden abschließend "einige Schlussfolgerungen" gezogen. Sonnabend betont, dass es in der Antike keine klar definierte Gattung "Biografie" gab, und streicht die Wechselwirkungen zwischen literarischer Produktion und politischen Verhältnissen heraus: Monarchische Herrschaftsverhältnisse förderten die Biografie. Sie finde sich in der Form der "Faktenbiografie" oder der "Charakterstudie". Diese wenigen Sätze bleiben als Fazit recht unbefriedigend: Man hätte hier eine breitere Behandlung der Charakteristika der antiken Vita und eine genauere Kategorisierung ihrer einzelnen Formen sowie eine abschließende literaturwissenschaftliche Einordnung der Biografie in das literarische Umfeld erwartet.
Trotz dieser Einschränkungen ist dem Autor eine gut lesbare, kurz gefasste Synthese des umfangreichen Stoffes gelungen. In treffenden Formulierungen fasst Sonnabend den Wissensstand zur antiken Biografie und Autobiografie zusammen. Er ermöglicht so einen schnellen und verlässlichen Überblick sowohl über die Herausbildung und Entwicklung der antiken Biografe als auch über Leben und Werk der wichtigsten Biografen.
Anmerkungen:
1 Nachzutragen wäre noch der Beleg für die erste Bezeugung des Wortes biographia aus Damaskios, v. Isid., Epit. Phot. 8 (p. 10,4 Zintzen).
2 In Anm. 54 fehlt der Haupttitel der Untersuchung von Ludwig Bieler ("theios aner").
3 Zu ergänzen wären aber u.a. zu Antigonos die Budé-Ausgabe der Fragmente von Tiziano Dorandi (1999); zu Aratos FGrHist 231; zu Diogenes Laertios die Teubner-Ausgabe von Miroslav Marcovich (1999-2002); zu Hermippos FGrHist 1026 (Bd. IV A, 3, hrsg. v. Jan Bollansée, 1999); zur Historia Augusta die seit 1992 erscheinende Budé-Ausgabe und die mit einer hervorragenden Einleitung versehene lateinisch-französische Ausgabe von André Chastagnol (1994); zu Nikolaos die griechisch-englische Ausgabe mit Kommentar von Jane Bellemore (1984) und nun die griechisch-deutsche Ausgabe mit Kommentar von Jürgen Malitz (2003), die Sonnabend nicht mehr aufnehmen konnte, sowie die Fortsetzung des Artikels von Schüler; Staffhorst, in: Jahresbericht des Bismarck-Gymnasiums Karlsruhe 1993/94, S. 75-83; zu Philostrat Billault, Alain, L'univers de Philostrate, Bruxelles 2000; De Lannoy, Ludo, Le problème des Philostrate. État de la question, ANRW II 34.3 (1997), S. 2362-2449; zu Satyros FHG III 159-166; zu Skylax FGrHist 1000; zu Stesimbrotos FGrHist 1002; zu Xanthos FGrHist 1001; zu Xenophon Due, Bodil, The cyropaedia, Aarhus 1989; Gera, Deborah L., Xenophon's Cyropaedia, Oxford 1993; Nadon, Christopher, Xenophon's prince. Republic and empire in the "Cyropaedia", Berkeley 2001.
4 Hinzufügen sollte man vielleicht noch Desclos, Marie-Laurence (Hg.), Biographie des hommes, biographie des dieux, Grenoble 2000; Frickenschmidt, Dirk, Evangelium als Biographie. Die vier Evangelien im Rahmen antiker Erzählkunst, Tübingen 1997; Van Uytfanghe, Marc, Art. "Biographie II (spirituelle)", in: RAC Suppl. 1 (2001), Sp. 1088-1364. Nicht mehr im Fokus von Sonnabends Buch stehen Werke zur Spätantike, die hier aber durchaus hätten Erwähnung finden können, so u.a. Berschin, Walter, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter 1. Von der Passio Perpetuae zu den Dialogi Gregors des Großen, Stuttgart 1986; Cox, Patricia, Biography in Late Antiquity, Berkeley 1983; Hägg, Tomas; Rousseau, Philip (Hgg.), Greek biography and panegyric in Late Antiquity, Berkeley 2000.
5 Ein Verweis auf die altorientalische Form der Autobiografie, den Tatenbericht des Monarchen, wäre hier vielleicht sinnvoll gewesen. Sie wird erst in den "Schlussfolgerungen" (S. 222) erwähnt.
6 Vgl. Wehrli, Fritz (Hg.), Die Schule des Aristoteles, Suppl. 2, Basel 1978.
7 Ergänzt werden könnten die Hypomnemata des Pyrrhos (FGrHist 229).
8 Domitian vertrieb die Philosophen aus Rom nicht nur einmal im Jahre 94 (S. 140), sondern zweimal (um 88/90 und 93), vgl. Hartmann, Udo, Griechische Philosophen in der Verbannung, in: Goltz, Andreas; Luther, Andreas; Schlange-Schöningen, Heinrich (Hgg.), Gelehrte in der Antike, Köln 2002, S. 59-86, hier S. 68f.
9 In diese Liste der Kaiserbiografen gehören wohl auch der Panegyriker Hadrians Aelius Sarapion (FGrHist 1087), Nikostratos von Makedonien mit seinem Enkomion auf Marc Aurel (FGrHist 1089), der jüngere Ephoros von Kyme, der 27 Bücher über Gallienus verfasste (FGrHist 212), und Eusebios mit seiner vita Constantini.
10 Zu den Fragmenten des Marius Maximus und zur Karriere des Konsulars vgl. Birley, Anthony R., Marius Maximus: the Consular Biographer, ANRW II 34.3 (1997), S. 2678-2757. Auch Birley gibt keine nähere Begründung für die Identität ("For several centuries there has been general agreement [...]" über sie, S. 2694), versucht dann aber Spuren der Karriere des Konsulars in den Fragmenten des Historikers aus der Historia Augusta aufzuzeigen (S. 2721ff.). Die Formulierung "Im Jahre 223 [...] erreichte er dann sogar das Konsulat." (S. 186) ist ein wenig missverständlich, da Maximus schon 198 bzw. 199 das Suffektkonsulat bekleidete und 223 als cos. II ord. amtierte (PIR² M 308).
11 Die Zitierung der Sophistenviten gerät ein wenig durcheinander (S. 197f.): Mal zitiert Sonnabend nach den Seiten der Ausgabe Kaysers von 1871 ("1,17f.", "1,7ff."), die im übrigen im Anhang nicht aufgeführt wird (S. 232, hier nur die Loeb-Ausgabe), mal nach Buch und Kapitel ("2,1", "2,8").
12 Die Epitome de Caesaribus ist nicht einfach nur eine Verkürzung des Liber de Caesaribus (S. 201), da der Autor für die Zeit vor 361 auch andere Quellen verwendet, vgl. Festy, Michel (Hg.), Pseudo-Aurélius Victor, Abrégé des Césars, Paris 1999.
13 So wendet sich Leslie W. Barnard (Did Athanasius know Antony?, Ancient Society 24, 1993, S. 139-149) mit gewichtigen Argumenten gegen die Verfasserschaft des Athanasius; ähnlich Barnes, Timothy D., Athanasius and Constantius, Cambridge 1993, S. 240, Anm. 64 (mit Lit.).
14 Vgl. Fowden, Garth, The pagan holy man in Late antique society, JHS 102 (1982), S. 33-59.
15 Vgl. Lippold, Adolf, Die Historia Augusta. Eine Sammlung römischer Kaiserbiographien aus der Zeit Konstantins, Stuttgart 1998; zum Forschungsstand vgl. noch Chastagnol (wie Anm. 3), S. XIIIff.
16 Als wichtige Quellen der Historia Augusta sind neben den S. 219 erwähnten Autoren noch Dexippos und für die Zeit ab 270 wahrscheinlich Nicomachus Flavianus zu nennen, vgl. z.B. Paschoud, François, L'Histoire Auguste et Dexippe, HAC Parisinum 1990 (1991), S. 217-269; Ders., Nicomaque Flavien et la connexion byzantine (Pierre le Patrice et Zonaras), AntTard 2 (1994), S. 71-82. Das Bonner Historia-Augusta-Colloquium (S. 214) wurde 1990 durch die Reihe der internationalen Historiae Augustae Colloquia - Nova series abgelöst.
17 Die Angabe der Lebensdaten Plotins "ca. 204-269" (S. 190) ist ungenau: Dank der Vita des Porphyrios können wir diese genau bestimmten: 204/05-270/71 (v. Plot. 2,9-10 Harder).
18 Reizvoll wäre sicher auch ein Blick in die Platon-Vita am Anfang von Apuleius' De Platone et eius dogmate, in Lukians Demonax und in die pseudoplutarchische Schrift "Über die Leben der 10 Redner" gewesen.
19 Vgl. Burridge, Richard A., What are the Gospels? A comparison with Graeco-Roman biography, Cambridge 1992; Frickenschmidt (wie Anm. 4); vgl. auch Van Uytfanghe (wie Anm. 4), S. 1154ff.
20 Vgl. Van Uytfanghe (wie Anm. 4), S. 1171ff.; Dihle, Albrecht, Die Entstehung der historischen Biographie, Heidelberg 1987, S. 76f.