Cover
Titel
Soziale Bürgerrechte im Museum. Die Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen


Autor(en)
Jäger, Wolfgang
Reihe
Edition Museum 50
Anzahl Seiten
261 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Ludwig, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Wolfgang Jägers Untersuchung „Soziale Bürgerrechte im Museum“ hat einen unmittelbar politischen Hintergrund: Angesichts der gravierenden Veränderungen der Arbeitswelt im vergangenen halben Jahrhundert und der damit einhergehenden Individualisierung der Gesellschaft1 wie auch in der Arbeitswelt wird nach einem „Mitbestimmungsgedächtnis“ (S. 235) gefragt, genauer: wie es sich in den Dauerausstellungen von Museen als Teil eines gesellschaftlichen Gedächtnisses findet. Damit erklärt sich zunächst der Titel dieses Bandes. „Soziale Bürgerrechte“ sind „vermeintlich selbstverständliche soziale Errungenschaften als Ergebnis harter Interessenkonflikte und mühevoller Kämpfe“ (S. 12) sowie Ausdruck einer sozialen Demokratie in der Arbeitswelt als Erweiterung der politischen Demokratie. Die Untersuchung, die im Rahmen des Projekts „Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie“ am Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum entstanden ist, adressiert damit sowohl die Debatten um Erinnerung und Gedächtnis als Teil der Geschichtspolitik als auch das Museum als Feld der Repräsentation von Geschichte. Die neun für die Untersuchung ausgewählten Museen sind innerhalb dieses Spannungsbogens angesiedelt.

In vier einleitenden Kapiteln über den Begriff der Geschichtskultur, die Entwicklung der Geschichtsausstellungen, die Industriekultur und den Begriff der sozialen Demokratie wird der Rahmen der Untersuchung abgesteckt. Geschichtskultur wird dabei im Wesentlichen im Anschluss an die Position Jörn Rüsens entwickelt, die Entwicklung der Geschichtsausstellungen folgt der Untersuchung von Mario Schulze und anderen2, und die Industriekultur wird vor allem am Beispiel des Ruhrgebiets erläutert. Die jeweils knappen Kapitel begründen die Position Jägers, dass das Interesse an und die Auseinandersetzung mit Geschichte geeignet sein kann, gesellschaftliche Veränderungen und die aus ihnen resultierenden Konflikte begleitend zu erklären und die Öffentlichkeit zu einer kritischen Positionierung zu ermächtigen. Hierfür benutzt Jäger den Begriff des „agonalen Museums“. Es sei, so Jäger, geeignet, über ein antagonistisches und ein kosmopolitisches Gedächtnis hinaus Konflikten auf den Grund zu gehen, ohne sie versöhnen zu wollen. Diese emanzipatorische Form der Auseinandersetzung mit historischen Entwicklungen sucht Jäger mit dem Fokus auf die „soziale Demokratie“ in den Dauerausstellungen von Museen.

Für die Untersuchung wurden neun Museen ausgewählt: das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig als aktuelle Formen von historischen Nationalmuseen, das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel als supranationales Museum, das Ruhr Museum in Essen als kultur- und naturgeschichtliches Regionalmuseum sowie aus dem Feld der Technik- und Arbeitsmuseen das Museum der Arbeit in Hamburg, das Deutsche Bergbau-Museum Bochum, das Technoseum – Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim sowie die Arbeitsweltausstellung der DASA in Dortmund. Untersucht wurde, ob, wie und in welchem Umfang soziale Demokratie und ihre Kontexte dort repräsentiert sind.

Mit der Auswahl dieser neun Museen sollte ein möglichst breites Spektrum musealer Gestaltung (sic!, S. 9) erschlossen werden. Um ein Ergebnis vorwegzunehmen: Der Verfasser erweist sich als dezidierter Anhänger von Szenographie in musealen Ausstellungen, denen er aufgrund ihrer intendierten dramatisierenden Wirkung ein hohes Maß an Nachvollziehbarkeit zuschreibt. Damit sind einige inhaltliche, methodische und theoretische Probleme verbunden, denen im Folgenden nachgegangen wird.

Zunächst überrascht die Auswahl der untersuchten Museen. Während die Wahl von Technik- und Arbeitsmuseen evident ist, wenn nach Auseinandersetzungen in der Arbeitswelt gesucht wird, überzeugt die Wahl von nationalen beziehungsweise supranationalen Geschichtsmuseen nicht. Hier kann es höchstens um die Frage gehen, ob und in welchem Maße das Thema in der jeweiligen Geschichtsnarration vorkommt. Auch wird man die untersuchten Museen, mit Ausnahme des Ruhr Museums, wohl kaum als kulturhistorische, wie im Titel dieses Bandes apostrophiert, definieren können. Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Verwendung dieser in der Museumsstatistik üblichen Kategorie begründet und eine auf das Untersuchungsthema zugeschnittene Definition angeboten worden wäre. Zudem fragt sich, warum eher kulturhistorisch orientierte Museen wie die Provinzialmuseen und volkskundlich ausgerichtete Museen in der vergleichenden Untersuchung nicht vorkommen, kann in ihnen doch eine stärkere Konkretion und Lokalisierung erwartet werden.

Es geht in dieser Untersuchung jedoch gar nicht um Museen als solche, sondern allein um deren Dauerausstellungen. Gemeint sind also gleichsam „gültige“ Darstellungen als Repräsentationen von Geschichte im Rahmen einer breiten Geschichtskultur. Die ausgewählten Museen sind als Repräsentationen von Geschichte nur insofern vergleichbar, als sie unterschiedliche Narrative von Geschichte bieten, ausgehend von den jeweiligen Quellwissenschaften und auf Grundlage höchst unterschiedlicher Objektsammlungen. In den Geschichtsmuseen in engerem Sinne in Berlin, Bonn und Leipzig, die alle durch den Deutschen Bundestag mit einem geschichtspolitischen Auftrag gegründet wurden, kann aufgrund ihrer historisch-narrativen Grundstruktur im Grunde nur nach dem Vorkommen von sozialer Demokratie gefragt werden. Gleiches gilt für das Haus der Europäischen Geschichte.

Die arbeits- und technikbezogenen Museen dagegen bieten die Möglichkeit einer detaillierten Analyse nicht nur der Präsentationen, sondern auch von deren musealen und wissenschaftlichen Voraussetzungen (finanzielle und personelle Bedingungen werden bei Jäger nicht thematisiert) und ihrer Einbettung in eine Entwicklung des Problembewusstseins der Institution. Hier wird die Untersuchung prägnant, indem die Präsentation in der Dauerausstellung auf die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Museen bezogen wird. Das Mannheimer Technoseum mit seiner Sammlung zur Esslinger Maschinenfabrik als Beispiel für die Musealisierung von Industriekultur, das Hamburger Museum der Arbeit als Beispiel für eine bürgerschaftlich getragene museale Darstellung von Hafen- und Industriearbeit sowie das Bergbau-Museum als Beispiel für den Wandel von einem reinen Bergbau-Industriemuseum zu einem breit aufgestellten industrie- und kulturgeschichtlichen Museum des Kohlezeitalters ermöglichen es, den Ort der Arbeit und der Arbeitsverhältnisse genauer in den Blick zu nehmen. Jägers Blick auf diese Museen ist dabei kritisch, da er eine nachholende und museale Schaffung einer „Ruhr-Identität“ (S. 140) vermutet.

An dieser Stelle gilt es, das methodische Vorgehen Jägers zu thematisieren. Im Zentrum seiner Untersuchung stehen die konsekutiven Beschreibungen der Dauerausstellungen, denen jeweils unter zehn Druckseiten inklusive der Abbildungen gewidmet sind. Die Kürze der Darstellungen ermöglicht zusammen mit den Fotografien einen ersten Eindruck in Präsentationsformen, erlaubt jedoch keine detaillierte und methodisch ausgearbeitete Analyse. Eine methodisch begründete Ausstellungsanalyse3 wird nicht stringent verfolgt, sondern ausstellungsbezogen variiert, sodass eine Vergleichbarkeit vor allem thematisch möglich ist. Hier fließen drei Ebenen ineinander: die sozialhistorische Perspektive, die Ebene der Darstellung von Arbeit und Arbeitswelt sowie die der sozialen Demokratie als Feld der Aushandlung von Arbeitnehmerrechten.

Das Augenmerk Jägers liegt daneben auf den Präsentationsformen, die teils abgelehnt werden (Objektzentriertheit, wie am Beispiel des Deutschen Historischen Museums), teils befürwortet (Szenografie), wobei das Kriterium der Beurteilung die leichte Zugänglichkeit der Ausstellungsinhalte für die Besucher zu sein scheint. Dies wird aber weder untermauert, noch wird die Tatsache diskutiert, dass es nicht das eine Publikum gibt, sondern die Besucherinteressen sehr unterschiedlich sein können. Objektzentriertheit oder Szenografie ist eine Wahl der Ausstellungsmittel, aber noch keine Entscheidung über Inhalte.

Die erkennbare Präferenz für Szenografie ist, wie wiederholt deutlich wird, auch ein Quellenproblem. Die Dokumente der sozialen Demokratie haben in der Regel nicht die Qualität anschaulicher, gar attraktiver Artefakte. Auch wenn Jäger mehrfach den Begriff des auratischen Objekts benutzt, steht es offenbar für die Darstellung der sozialen Demokratie nicht zur Verfügung und muss deshalb durch Inszenierung ersetzt werden. Das Problem leuchtet unmittelbar ein, wenn man die Unterscheidung zwischen Handlungen und Zuständen als Analysekriterium einbezieht. Handlungen, etwa Streiks oder Verhandlungen, erbringen selten „auratische“ Objekte, die die Dramatik und Mühsal etwa von Arbeitskämpfen verdeutlichen. Zustände wiederum verweisen auf die Kontextualisierung von Handlungen, also auf soziale Lagen, Lebensumstände und kulturelle Manifestationen – Themen, die immer auch Artefakte hervorbringen, die für eine museale Darstellung geeignet sind. Ob sie im Sinne Walter Benjamins immer „auratisch“ sind, sei dahingestellt, zumindest werden sie aber durch ihre Präsentation in der Ausstellung auratisiert. Umso mehr verwundert, dass volkskundliche, Landes- und Stadtmuseen, die über solche Objekte in ihren Sammlungen verfügen, hier nicht untersucht wurden.

Jäger greift in seiner Untersuchung viele Ansätze auf, die im Rahmen der Untersuchung von historischen Ausstellungen bereits ausgearbeitet wurden, wendet sie aber nur bedingt an. Dies gilt für die Methodik der Ausstellungsanalyse ebenso wie für die genauere Untersuchung der Museen jenseits ihrer Dauerausstellungen. So zeigt das Deutsche Historische Museum offenbar wenig zum Thema Arbeit und Arbeitskämpfe, kann aber auf den Objektfundus des Museums für Deutsche Geschichte zurückgreifen, dessen Auftrag bis zum Ende der DDR dezidiert das Sammeln von Objekten zur Geschichte der Arbeiterbewegung war. Die Frage, ob es einschlägige Objekte zur Geschichte der Arbeitskämpfe und Lebensumstände gibt und wenn ja, warum sie heute nicht in der Ausstellung zu sehen sind, hätte das hinter den Dauerausstellungen versteckte Geschichtsnarrativ der untersuchten Museen verdeutlicht. Ein Ergebnis hätte auch die Erkenntnis sein können, dass bestimmte Museen sich für eine Untersuchung schlicht nicht eignen und dass nach Alternativen gesucht werden muss. So ist das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig vielleicht der falsche Ort für die Fragestellung, dafür aber die Ausstellung „Alltag DDR“, getragen ebenfalls von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, sehr wohl. Dort findet sich eine breite und objektreiche Darstellung von Arbeit und Arbeitsplätzen sowie ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung.

Jägers Untersuchung verweist auf das strukturelle Problem der Unterrepräsentation musealer Darstellung von Arbeit, Arbeitskämpfen, Arbeitsumständen und ihrer Bedeutung in der Geschichte. Auch wenn das methodische Vorgehen und die Auswahl der Museen hier kritisch gesehen werden, ist in der Untersuchung doch ein Thema angesprochen, das einen Kern gesellschaftlichen und individuellen Selbstverständnisses berührt und das die in den vergangenen Jahren immer deutlicher werdende Dominanz kulturalisierender Perspektiven und von Politikgeschichte zu korrigieren sucht. Die Untersuchung Jägers ist dazu ein erster Aufschlag und die Anregung, sich mit den Möglichkeiten der Darstellung des Sozialen erneut und wieder intensiver auseinanderzusetzen.

Anmerkungen:
1 Andreas Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Frankfurt am Main 2017.
2 Anke te Heesen / Mario Schulze / Vincent Dold (Hrsg.), Museumskrise und Ausstellungerfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellungen in den Siebzigern, Berlin 2015.
3 Vgl. u.a. Roswitha Muttenthaler / Regina Wonisch, Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2006; Jana Scholze, Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltungen in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension