Die Geschichte der Transfers und kulturellen Wechselbeziehungen zwischen Frankreich und den deutschen Staaten in der Frühneuzeit und im frühen 19. Jahrhundert stellte in den vergangenen Jahren ein besonders fruchtbares Arbeitsfeld für die Historiker beider Länder dar. Die in diesem Kontext entstandene Historiographie leistete einen nicht unwesentlichen Beitrag, um die klassische nationalgeschichtliche Fixierung der Geschichtswissenschaft aufzulösen. Gleichzeitig erlaubte sie es in ihrem privilegierten Forschungsfeld, der Epoche um 1800, noch stärker das Spannungsverhältnis zwischen den mehr und mehr an Boden gewinnenden nationalen Leitbildern und anderen, gegenläufigen Tendenzen aufzuzeigen. Universalistisch-aufklärerische Beziehungsgeflechte spielten dabei ebenso eine wesentliche Rolle wie der Austausch zwischen Regionen, der ebenfalls den Einfluss der nationalen Identifikationen und Beziehungen deutlich begrenzte.1
Im Zusammenhang dieser Forschung entstanden ist auch die eindrucksvolle Studie von Bénédicte Savoy über den Transfer von Kunstschätzen zwischen den deutschen Ländern und Frankreich während der Zeit der Revolutions- und napoleonischen Kriege. Die zu einer zweibändigen Publikation ausgeweitete Dissertation der Autorin greift weit über das im Titel genannte Thema des "Raubs" von Kunstgütern durch die französischen Kommissare in den besetzten oder verbündeten deutschen Territorien hinaus: Geschildert wird nicht nur die komplexe Vorgeschichte der verschiedenen "Beutezüge" in der Zeit der französischen Revolution und des Direktoriums, sondern auch in einem besonders spannenden Kapitel die nachträgliche Verhandlung der Aktionen in den Studien deutscher und französischer Historiker in der Zeit bis 1940.
Aus der minutiösen Rekonstruktionsarbeit der Autorin wird die Schwierigkeit, ja vielleicht sogar Unmöglichkeit deutlich, die Aktionen der französischen Kunstkommissare mit eindeutigen wertenden Kategorien wie "Kunstraub" zu belegen.
Denn bereits die Zeitgenossen waren sich in keiner Weise in der Einschätzung der Aktionen sicher. Die Anhänger- oder Gegnerschaft gegenüber Napoleon spielte für die Bewertung letztlich nur eine untergeordnete Rolle. Denn bereits in der Diskussion über die in den italienischen Feldzügen nach Frankreich gebrachten Kunstgüter wich, wie die Autorin aus der Analyse von Briefwechseln und Journalartikeln darlegen kann, unter den deutschen Intellektuellen die anfänglich nahezu einhellige Ablehnung des Transfers im Laufe der Zeit einer deutlich positiveren Einschätzung. Insbesondere die fachgerechte Behandlung und Restaurierung der Gemälde, antiken Statuen und anderen Kunstgegenstände wie auch ihr schnelles Zuschaustellen in Paris wurden von den zeitgenössischen Beobachtern positiv gewertet und schwächten schnell die ursprünglich kritischen Töne ab. Da die "wissenschaftliche" Behandlung der Objekte gewährleistet erschien, galt das gesamte Unternehmen nun nicht mehr als ein einfacher Beutezug der siegreichen französischen Truppen, sondern als ein positiver Schritt, um die Schmuckstücke der italienischen Meister noch besser der breiten kunstsinnigen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen: Das europäische Publikum konnte jetzt, anstatt wie früher mühsam die verschiedenen Orte Italiens bereisen und dort die zum Teil in Privatsammlungen versteckten Kunstwerke aufsuchen zu müssen, die verschiedenen Werke gesammelt im "Musée centrale des arts" im Pariser Louvre unter fachmännischer Aufsicht bewundern. Damit entfiel aber ein großer Teil des Aufwandes, der im 18. Jahrhundert die Italienreisen noch zu einem relativ kostspieligen Unternehmen und als Teil der sogenannten "Grand Tour" noch zu einer allein den wohlhabenden Kreisen der aufgeklärten Eliten vorbehaltene Praxis gemacht hatte.
Die schnell umgeschlagene Stimmung der kunstinteressierten Öffentlichkeit erlaubte es den französischen Kunstkommissaren, bei ihren Streifzügen durch die Kunstkammern und Sammlungen in den von den napoleonischen Truppen besetzten deutschen Staaten immer wieder auf die tatkräftige Mitarbeit der einheimischen Kunstkenner und –sammler zählen zu können. Alexander von Humboldt und andere deutsche Intellektuelle und Wissenschaftler sahen ihre Unterstützung der Franzosen bei der Auswahl von Beutestücken entsprechend als einen willkommenen Beitrag zu einem größeren Projekt der wissenschaftlichen Sammlung und Zurschaustellung einer universellen Weltkultur im intellektuellen Zentrum des neuen Europas. Dabei schätzten sie das Unternehmen zugleich als eine Möglichkeit, um die bislang eher unbeachtet gebliebene deutsche Malerei und Kunsttradition international noch weiter bekannt zu machen.
Der ambivalente Charakter der Aktion wurde von den französischen Verantwortlichen, allen voran dem Leiter des 1803 zum „Musée Napoléon“ erhobenen Louvre, Dominique-Vivant Denon, weidlich ausgenutzt, um sich der Unterstützung zumindest eines Teils der regionalen Eliten in den deutschen Staaten für das ehrgeizige Museumsprojekt in Paris zu sichern. Andere sahen jedoch im Abtransport der Kunstschätze eine unverzeihliche Schädigung der einheimischen Sammlungen und Museen durch die französischen Besatzer und versuchten, soweit das unter den Bedingungen der Besatzungsherrschaft überhaupt möglich war, sich den Anordnungen zu widersetzen oder zumindest die Zahl der Beutestücke relativ gering zu halten.
Wie sehr diese grundsätzliche Ambivalenz den ganzen Charakter des Unternehmens durchzog, kann die Autorin anhand von zwei wichtigen Momenten demonstrieren: Erstens zeigt sie auf, wie sehr die Pariser Ausstellung der aus den deutschen Staaten transferierten Kunstgegenstände beide Interpretationen bediente: Bilder, Statuen und andere Kunstwerke wurden einerseits als Trophäen der siegreichen französischen Armeen, andererseits aber auch gemäß dem zeitgenössischen Kunstideal als ästhetisch wie wissenschaftlich wertvolle Gegenstände präsentiert. Die Resonanz im französischen wie internationalen Publikum auf die Ausstellungen war entsprechend außerordentlich positiv. Zweitens macht Savoy mit dem Verweis auf die relativ verhaltenen Rückforderungen, die nach der ersten Niederlage Napoleons im Jahr 1813 erhoben wurden, deutlich, wie sehr man in Preußen und den anderen deutschen Staaten zunächst noch dem Gedanken einer für alle Seiten positiven Präsentation der Kunstschätze in der französischen Hauptstadt verhaftet war. Eingefordert wurden nämlich zunächst in aller Regel nur die nicht öffentlich ausgestellten Gegenstände, während die anderen Objekte weiterhin in den Pariser Museen verbleiben sollten. Erst die Hinhaltetaktik und wenig kooperative Reaktion der Franzosen auf das vergleichsweise bescheidene Auftreten der preußischen Gesandten führten 1815 nach der Niederschlagung der Hunderttageherrschaft und dem Einmarsch der preußischen Truppen in Paris zu einem massiveren Vorgehen bei der Rückführung der verschiedenen Kunstgegenstände.
Die feinsinnige Analyse, mit der Savoy ihren Untersuchungsgegenstand betrachtet, und ihre außerordentlich breite Perspektive auf die Aktivitäten der französischen Kunstkommissare in den verschiedenen deutschen Regionen (neben dem Rheinland, Norddeutschland, Berlin und Preußen geraten auch Bayern, Österreich und Süddeutschland in den Blick) geben der Studie einen exemplarischen Charakter im Rahmen der Historiographie zum deutsch-französischen Kulturtransfer um 1800. Angesichts der eindrucksvollen Forschungsleistung kann man sich nur wünschen, dass sich entweder sie oder ein anderer Autor in ähnlicher Weise auch noch jenen Punkten zuwendet, die das umfangreiche Werk notwendigerweise beiseite lassen musste. So stellt sich etwa die Frage nach dem Schicksal der wissenschaftlichen Sammlungen und Objekte, die entsprechend der umfassenden zeitgenössischen Definition von "Kunst" von den französischen Kommissaren vielerorts zusammen mit Gemälden und Statuen eingepackt und nach Paris verschickt wurden. Ihr Beitrag zu einer breiteren Zirkulation des Wissens zwischen den deutschen Ländern und Frankreich wäre ein ebenso spannendes weiteres Forschungsthema wie eine genauere Betrachtung der nicht-europäischen Kunstgegenstände, die ebenfalls mit den anderen „Beutestücken“ ihren Weg in die Sammlungen des Louvres fanden. Wie stets zeigt sich auch hier der große Wert einer Arbeit an den vielen neuartigen Perspektiven und Fragestellungen, die sie für die weitere Forschung eröffnet.
Anmerkungen
1 Siehe u.a. Espagne, Michel, Les transferts culturels franco-allemands, Paris 1999; Espagne, Michel; Middell, Matthias (Hg.), Von der Elbe bis an die Seine. Kulturtransfer zwischen Sachsen und Frankreich im 18. und 19. Jahrhundert, 2. Aufl., Leipzig 1999; Espagne, Michel; Werner, Werner (Hg.), Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIIIe-XIXe siècle), Paris 1988; François, Etienne u.a. (Hg.), Marianne - Germania. Deutsch- französischer Kulturtransfer im europäischen Kontext 1789-1914, Leipzig 1998; Höpel, Thomas (Hg.), Deutschlandbilder - Frankreichbilder 1700 - 1850. Rezeption und Abgrenzung zweier Kulturen, Leipzig 2001; Schönpflug, Daniel; Voss, Jürgen (Hg.), Révolutionnaires et Emigrés. Transfer und Migration zwischen Frankreich und Deutschland 1789-1806 (= Beihefte der Francia, Bd. 56), Stuttgart 2002; Gantet, Claire, Guerre, paix et construction des États, 1618-1714, (Nouvelle histoire des relations internationales, Bd. 2), Paris 2003.