H. Paul u.a. (Hg.): Amerikanische Populärkultur in Deutschland

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Titel
Amerikanische Populärkultur in Deutschland. Case Studies in Cultural Transfer Past and Present


Herausgeber
Paul, Heike; Katja Kanzler
Erschienen
Anzahl Seiten
198 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Waltraud Sennebogen, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Seit den 1960er Jahren vollzieht sich auch in Deutschland ein ‚cultural turn’ in den Geistes-, Literatur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften - trotz mitunter heftigen Widerspruchs. 1 Im Zuge dieses kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsels werden der Forschung Bereiche erschlossen, die bisher weitgehend unberücksichtigt blieben. 2 In besonderer Weise trifft dies für die Erforschung der Populärkultur zu - eines der ‚klassischen’ Felder anglo-amerikanischer Cultural Studies.

In diesem Zusammenhang thematisiert der am Institut für Amerikanistik der Universität Leipzig entstandene Sammelband den amerikanisch-deutschen Kulturtransfer als „Aneignung US-amerikanischer Populärkultur in Deutschland in unterschiedlichen historischen und zeitgenössischen Kontexten“ - so die beiden Herausgeberinnen Katja Kanzler und Heike Paul in ihrer Einleitung (S. 7-19, hier S. 7). 3

Allerdings werden in dieser Einleitung zentrale Begriffe, wie ‚Populärkultur’ oder ‚transatlantischer Kulturtransfer’ kaum problematisiert oder diskutiert. 4 Der Text beschränkt sich weitgehend auf eine knappe Vorstellung des Inhalts der einzelnen Beiträge, wobei die Reihenfolge nicht dem Arrangement des Sammelbandes entspricht. Während in der Einleitung offensichtlich themenbezogen vorgegangen wird, folgt das Inhaltsverzeichnis einer chronologischen Ordnung: von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Dies verleiht dem Band, dessen zehn Beiträge keinen weiteren Gliederungspunkten zugeordnet wurden, einen uneinheitlichen Charakter: Beiträge zur Rezeption amerikanischer Literatur in Deutschland, zur Amerikanisierung des Konsums, zur Produktgeschichte, zu Film- und Fernsehkultur sowie zur Übersetzungsproblematik wechseln einander munter ab. Diese mangelnde Strukturierung wiegt relativ schwer, da eine Zusammenführung der unterschiedlichen Forschungsfelder in einem Schlusskapitel unterbleibt und die Einleitung eine solche nur in beschränktem Umfang zu leisten im Stande ist.

Jedoch sollen diese kritischen Anmerkungen zur strukturellen Gestaltung keinesfalls den inhaltlichen Wert des Sammelbandes schmälern, dessen Stärken tendenziell in den Einzelbeiträgen liegen. Von den zehn Beiträgen des Sammelbandes wurden sieben in englischer (bzw. amerikanischer), drei in deutscher Sprache verfasst. Den Zugriff auf die einzelnen Beiträge erleichtert ein Abstract in der jeweils anderen Sprache; biographische Angaben zu den einzelnen Autorinnen und Autoren finden sich am Ende des Bandes.

Als Auftakt betrachtet die Mitherausgeberin Heike Paul die deutsche Rezeption von Harriet Beecher-Stowes Roman „Uncle Tom’s Cabin“ in den Jahren 1850-1852 (S. 21-39). Sie analysiert diese als „zentrales Beispiel für die Verbreitung amerikanischer Populärkultur im Deutschland des 19. Jahrhunderts“ (S. 21). Dabei fällt unter anderem auf, dass sich die Rezeption insbesondere auch als Transfer auf die eigenen sozialen Verhältnisse erweist: Ein zentrales Moment der Wahrnehmung bildet die „substitution of race with class matters“ (S. 23). An die Stelle des ursprünglichen Problemkontexts tritt die in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts evidente ‚Klassenfrage’.

Drei weitere Beiträge widmen sich ebenfalls der Rezeption bzw. Aneignung amerikanischer Literatur in Deutschland: „’Humanistischer Aufschrei’ oder ‚anarchistischer Protest?’: The East German Reception of Ernest Hemingway, J.D. Salinger, and Jack Kerouac“ von Anna-Christina Giovanopoulos (S. 87-109), „’Rettet die Brüder!’ - Uses of Science Fiction in 1950’s East Germany“ von Katja Kanzler (S. 111-125) sowie „Betrachtungen zur Rezeption amerikanischer Kriminalliteratur in Deutschland“ von Katja Schmieder (S. 143-165).

Während sich Katja Schmieder drei deutschen Kriminalromanen der Gegenwart widmet und deren Beziehungen zum amerikanisch geprägten Genre untersucht, berücksichtigen die Beiträge von Giovanopoulos und Kanzler mit ihrem Blick auf Ostdeutschland den bisher zumeist vernachlässigten Kulturtransfer im ‚Kalten Krieg’. So verdeutlicht Kanzler, wie in der DDR ein primär als „dekadent“ wahrgenommenes, „amerikanisches“ Genre unter dem Siegel ‚utopische’ bzw. ‚wissenschaftlich-phantastische Literatur’ zu einem das System stabilisierenden Element transformiert wird (S. 116-117): Die Popularisierung marxistischer Ideen und die Ästhetisierung der gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse sind das zentrale Anliegen der drei von ihr untersuchten, ostdeutschen Science fiction Romane (S. 117-124).

Von primär konsumgeschichtlichem Interesse sind dagegen zwei andere Beiträge des Sammelbandes geprägt:
Anne Koenen thematisiert in „Fear of Shopping in Germany: The Americanization of Consumption in Early Mail-Order Business“ die Anfänge des deutschen Versandhandels zwischen Kaiserreich und Zweitem Weltkrieg, vergleicht sie mit den Entwicklungen in den USA und ermittelt geografische, demografische sowie infrastrukturelle Bedingungen, die für den unterschiedlichen Erfolg des Konzepts „Mail-Order“ in den beiden Ländern verantwortlich waren (S. 51-72). Als Quellenbasis dienen Koenen Kataloge der Firmen Sears (USA) und Stubenbrok (Deutschland) - eine Quellengattung, die bislang kaum Beachtung fand (S. 55-65). Anders als in seinem Ursprungsland konnte sich der Versandhandel in Deutschland erst im Zuge des ‚Wirtschaftswunders’ etablieren. Koenens Analyse gewinnt angesichts der augenblicklichen Krise des Versandhandels in Deutschland eine ungewollte Aktualität.

Einen im kollektiven Bewusstsein kaum mehr vorhandenen Aspekt der Produktgeschichte eines ‚Kult(ur)gutes’ untersuchen Silke Horstkotte und Olaf Jürgen Schmidt in „Heil Coca Cola! - Zwischen Germanisierung und Re-Amerikanisierung: Coke im Dritten Reich“ (S. 73-86). Denn das in der Bundesrepublik Deutschland mitunter als ‚Besatzerbrause’ (S. 85) titulierte Getränk war schon vor seiner Zeit als „Ikone des Wohlstands und der Freiheit“ bzw. je nach Perspektive eben auch als „Sinnbild des amerikanischen (Kultur-)Imperialismus“ (S. 74) im Alltagsleben der Deutschen präsent. Horstkotte und Schmidt zeichnen die äußerst ambivalente ‚success story’ jener Zeit nach, in der Coca-Cola als ‚deutsches’ Produkt vermarktet und - im Namen des Profits - auch durchaus bewusst mit NS-Symbolen, prominenten Persönlichkeiten und Veranstaltungen wie den Olympischen Spielen 1936 verbunden wurde (S. 79-81).

Neben den bisher genannten literaturwissenschaftlichen und konsumgeschichtlichen Analysen enthält der Band vier weitere Beiträge: Holger Kersten gibt einen knappen Überblick über die frühe deutsche Rezeption amerikanischen Humors (S. 41-49); Anne-Kathrin Luchting präsentiert in „Serien-Leiden-Schaft“ ihre „Gedanken zu Sinnstiftungsprozessen bei ‚Daily Soaps’“ (S. 127-142) und Zoë Antonia Kusmierz widmet sich in „Areas of Uncertainty: Observations on the German Reception of Spike Lee and HipHop Culture“ speziell dem Umgang mit afro-amerikanischer Populärkultur (S. 167-180) bevor Änne Troester den Band mit ihrer aus der ‚Insider-Perspektive’ geschriebenen Schilderung „Translating Hollywood - The Challenge of Dubbing Films into German“ beschließt (S. 181-196).

Gerade dieser letzte Beitrag verdeutlicht noch einmal, dass Kulturtransfer keineswegs einer bloßen Übernahme des Anderen entspricht, sondern stets zu Adaptions- und Transformationsprozessen führt, die für sich selbst wiederum den Charakter von Eigenständigkeit beanspruchen können: Der ins Deutsche synchronisierte Hollywood-Film - von Troester als „a curious hermaphroditic creature“ bezeichnet (S. 195) ist mehr als reine Übersetzung. Allein schon durch technische Notwendigkeiten (Lippenbewegungen, Wort- und Satzlänge etc.; vgl. S. 184-187), darüber hinaus durch die Anpassung von Äußerungen an den jeweiligen kulturellen Kontext (S. 187-190) und nicht zuletzt durch Wegschneiden einzelner Filmszenen (S. 189f.) entsteht eine spezifisch deutsche Fassung, die mitunter erheblich vom Original abweicht. Aus diesen Gründen bezeichnet Troester die Synchronisation als „a form of cultural translation“ (S. 187), eine Formulierung die das komplexe Phänomen des Kulturtransfers auch insgesamt treffend charakterisieren kann.

Letztlich wird der Sammelband zwar dem Anspruch, anhand einzelner Fallstudien „Wirkungsweise und Funktion amerikanischer Alltagskultur in Deutschland in jeweils spezifischen Kontexten“ zu beleuchten und dabei auch bisherige „Leerstellen“ in der „gegenwärtigen Forschungslandschaft“ zu füllen, gerecht (vgl. Umschlagtext). Die allzu große Vielfalt der gewählten Themenbereiche, der sehr breite zeitliche Rahmen und vor allem die bereits angesprochenen strukturellen Mängel beeinträchtigen jedoch das Erscheinungsbild des Bandes als Gesamtleistung.
Auf die Ergebnisse der einzelnen, noch laufenden Forschungsprojekte, von denen etliche in diesem Sammelband erstmals einer breiteren, wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentiert werden, darf man dennoch gespannt sein.

Anmerkungen:
1 Zur Einführung in Entwicklung und Diskussion sei, speziell für den Bereich der Geschichtswissenschaften exemplarisch verwiesen auf: Daniel, Ute, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main 2001, S. 7-25 und S. 195-219 sowie Hübinger, Gangolf, Die „Rückkehr“ der Kulturgeschichte, in: Cornelißen, Christoph (Hg.), Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt am Main 2000, S. 162-177. Als repräsentativ für die Kritiker des ‚cultural turn’ mag Hans-Ulrich Wehler gelten. Vgl.: Wehler, Hans-Ulrich, Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhunderts 1945-2000, Göttingen 2001. Vgl. hierzu auch die Rezension von Claudia Althaus in: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3703.
2 Eine Auswahl aus dem gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Forschungsspektrum bietet: Nünning, Ansgar; Nünning Vera (Hgg.), Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen - Ansätze - Perspektiven, Stuttgart 2003. Vgl. hierzu auch die Rezension von Christopher Möllmann in: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-085.
3 Das Inhaltsverzeichnis des Bandes und der Umschlagtext können online eingesehen werden unter: http://www.uni-leipzig.de/~amerika/buch.htm {Zugriff am 15.10.04}.
4 Vgl. daher zu ‚Populärkultur’: Hügel, Hans-Otto (Hg.), Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen, Stuttgart 2003, bes. S. 1-22; zum Begriff des ‚Kulturtransfers’ allgemein: Lüsebrink, Hans-Jürgen, Kulturraumstudien und Interkulturelle Kommunikation, in: Nünning, Ansgar; Nünning, Vera (Hgg.), Konzepte der Kulturwissenschaften, Stuttgart 2003, S. 307-328, bes. S. 318-320.

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