Oliver Schwarzkopf scheint mit den ersten beiden Büchern von Simone Tippach-Schneider zufrieden gewesen zu sein. Nach dem Bildband „Messemännchen und Minol-Pirol“ 1 und dem „Großen Lexikon der DDR-Werbung“ 2 ist bei Schwarzkopf & Schwarzkopf die Dissertation der Autorin erschienen. Die Arbeit, die an der Berliner Universität der Künste von Wolfgang Ruppert betreut und dort 2001 angenommen worden ist, passt eigentlich nicht in einen Verlag, dessen Sachbücher eher auf ein Publikum außerhalb der Wissenschaft zielen. Zufalls- und Verlegenheitsleser, die mit dem theoretischen Überbau unter dem Titel „Industrielle Massenkultur und Werbung“ (S. 9–28) oder mit der „Einführung in die Inhaltsanalyse“ (S. 198–201) wenig anfangen können, dürften allerdings allein durch die zahlreichen Abbildungen auf ihre Kosten kommen (fast keine Seite ohne Foto), und der DDR-Forschung wird neben einer aufwändigen und in weiten Teilen überzeugenden Promotionsschrift ein oppulent gestaltetes Buch geschenkt.
Tippach-Schneider (Jahrgang 1962) hat in der DDR unter anderem an der Berliner Fachschule für Werbung und Gestaltung studiert und anschließend in der Redaktion der Fachzeitschrift „Neue Werbung“ gearbeitet. Schon damals hat sie begonnen, ein Archiv zur Geschichte der Werbung in der DDR aufzubauen. Von den zusammengetragenen Schätzen profitiert nicht nur der Bildteil der Dissertation.
Tippach-Schneider zeichnet in einem ersten großen Teil ihres neuen Buches die Organisationsgeschichte des Werbefernsehens in der DDR nach und analysiert dann in einem zweiten Teil die dort gezeigten Filme. Neben den Überlieferungen im Bundesarchiv Berlin und im Deutschen Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg stützt sie sich dabei auf die Werbefachliteratur aus der DDR, auf die „Neue Werbung“, auf 150 Werbefilme und etwa 200 Drehbücher. Damit ist zwar nur ein kleiner Teil der 3.600 Filme in die Untersuchung eingegangen, die zwischen 1959 und 1976 bei der Hauptabteilung Werbefernsehen entstanden sind, Tippach-Schneider hat aber in allen nur denkbaren Archiven und Privatsammlungen recherchiert und vermutlich alles Material zusammengetragen, was nicht vernichtet worden ist.
Die erste Werbesendung des Deutschen Fernsehfunks lief am 1. Juni 1959 und hieß „Notizen für den Einkauf“. Regelmäßige Werbung gab es ab März 1960, jetzt unter dem Label „Tausend Tele-Tips“ (zunächst: „Tinas tausend Tele-Tips“). Zeitpunkt und Titel sind kein Zufall. Mit der Losung „Tausend kleine Dinge“ wurden alle Betriebe nach dem V. SED-Parteitag aufgefordert, Güter des täglichen Bedarfs zu produzieren – eine Reaktion auf den Unmut der Bevölkerung über fehlende Brotdosen, Reißverschlüsse oder Gartenscheren. „Überholen ohne einzuholen“ war das Gebot der Stunde. Das „Neue Deutschland“ schrieb 1959, dass „die Kapitalisten in Westdeutschland“ mit Hilfe des Werbefernsehens die „Illusion vom Wirtschaftswunder“ geschaffen hätten, „während wir freiwillig unser Licht unter den Scheffel stellen“ (S. 53). Für Tippach-Schneider ist „die Abgrenzung vom westdeutschen Markt“ das wichtigste Motiv für die Einführung des Werbefernsehens in der DDR. Die Umsetzung habe sich allerdings als beschwerlich erwiesen und sei vor allem am Anfang „von Zufällen, Improvisationen und Aktionismus gekennzeichnet“ gewesen (S. 53).
Die Details finden sich in ihrer Organisationsgeschichte: etwa das Desinteresse der DEFA, Werbespots zu machen, die Überlastung der Kopierwerke, die Werbemittelkürzungen nach dem Mauerbau. Die Gliederung in drei Zeitabschnitte (Gründung: 1959 bis 1962, Integration: 1963 bis 1971, Stagnation: 1972 bis 1976) scheint auf den ersten Blick sinnvoll, mindert dann aber die Übersichtlichkeit. Wer zum Beispiel wissen möchte, wie oft die „Tausend Tele-Tips“ gelaufen sind, wie lang die Sendung in einem bestimmten Zeitraum genau war und welche anderen Werbeformate es jeweils gab, muss sich die Angaben mühsam zusammensuchen und wird nicht immer fündig. Dafür entschädigt Tippach-Schneider mit ausführlichen Informationen zu den Strukturen der Auftragsvergabe, zu den einzelnen Produktionsfirmen und Filmstudios, zum Umsatz, zu den Werbekosten und vor allem zu den handelnden Personen (mit vielen biografischen Details) und liefert dazu im Anhang ein Register.
Für nicht ganz so gelungen halte ich den Abschnitt „Zuschauer und öffentliche Meinung“ (S. 153–174). Tippach-Schneider nutzt hier eine Studie der DDR-Zuschauerforschung von 1966 und schreibt, dass dies die „einzige in Quellen überlieferte direkte Untersuchung“ zum Thema sei (S. 155). Zum einen stimmt dies nicht (die „Tele-Tips“ waren bis zu ihrer Einstellung 1976 Gegenstand der regelmäßig erhobenen „Sofortresonanzen“ und wurden auch in den zusammenfassenden Berichten immer wieder thematisiert), und zum anderen ist gerade diese Studie mit Vorsicht zu interpretieren, weil die 1964 gegründete Zuschauerforschung erst Anfang der 1970er-Jahre alle methodischen Probleme gelöst hatte, die Befragungen zum Thema Fernsehen in der DDR mit sich brachten.3 Das von der Abteilung produzierte Material zeigt, dass die Werbesendungen von den Zuschauern deutlich schlechter bewertet wurden als zum Beispiel Ratgebermagazine. In den Wunschranglisten landeten die „Tips“ im hinteren Feld, nicht weit vor Opern und politischen Gesprächsrunden. Die „Akzeptanz bei den Zuschauern und in der Bevölkerung“ jedenfalls, von der in dem Buch für die Jahre zwischen 1963 und 1968 die Rede ist (S. 284), ist durch die Quellen nicht belegt.
Weit besser als den Umgang mit Meinungsforschungsresultaten beherrscht Tippach-Schneider die Filmanalyse. Mit Hilfe einer quantitativen Erhebung weist sie zunächst nach, dass auch im DDR-Fernsehen „für ein lustvolles Leben, für ein positives Lebensgefühl“ geworben wurde. Überwiegend sei ein Lebensstandard vorgeführt worden, der „mit Insignien der westlichen Konsumkultur übereinstimmt“ (S. 185). Auf dem Papier sollte Werbung in der DDR zwar anders sein als im Westen: Sie sollte über den Gebrauchswert der Objekte informieren, den Bedarf lenken und die „sozialistische Lebensweise“, das „sozialistische Menschenideal“ propagieren (S. 18, 173, 278). Tippach-Schneider aber hat vor allem „Bilder von genussvollem und modernem Konsum“ gefunden, vielleicht weil sich die Macher im Westen orientierten, vielleicht weil Werbung eine Eigendynamik besitzt und sich deshalb „nur sehr beschränkt für die politisch-ideologische Propaganda instrumentalisieren ließ“ (S. 279). Besonders spannend ist der Kern von Tippach-Schneiders Untersuchung: die Interpretation von fünf einzelnen Werbefilmen (unter anderem zum Radio „Autosuper Berlin“ und zur Waschlotion „Yvette intim“) sowie einer Serie. Mit Hilfe dichter Beschreibungen lebt die Orientierungswelt wieder auf, die das Werbefernsehen in der DDR kreierte. Simone Tippach-Schneider ergänzt hier in hervorragender Weise die Arbeit von Rainer Gries zur Produktkommunikation in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten.4 Es ist an der Zeit, dass die anderen Medieninhalte in der DDR genauso gründlich untersucht werden wie Anzeigen und Werbespots.
Anmerkungen:
1 Tippach-Schneider, Simone, Messemännchen und Minol-Pirol. Werbung in der DDR, Berlin 1999.
2 Tippach-Schneider, Simone, Das große Lexikon der DDR-Werbung. Kampagnen und Werbesprüche, Macher und Produkte, Marken und Warenzeichen, Berlin 2002.
3 Meyen, Michael, Kollektive Ausreise? Zur Reichweite ost- und westdeutscher Fernsehprogramme in der DDR, in: Publizistik 47 (2002), S. 200–220, hier S. 201–206.
4 Gries, Rainer, Produkte als Medien. Kulturgeschichte der Produktkommunikation in der Bundesrepublik und in der DDR, Leipzig 2002.