Diese Veröffentlichung ist ein Ärgernis und ein Skandal zugleich. Die Darstellung bietet anderes als angekündigt. Der Skandal liegt in der ungebrochenen Bewertung erstens am positiven Maßstab der Habsburger Dynastie und der katholischen Kirche, zweitens am negativen Maßstab von Verschwörungen dagegen.
Das Ärgernis
Der Reihe nach: auf dem Klappentext der Darstellung von Elisabeth Kovács ist die Rede von einer „wissenschaftlich stichhältige[n] Biographie Karls I.(IV.) des letzten Kaisers von Österreich und Apostolischen Königs von Ungarn“. Die Verfasserin, Jahrgang 1930 und Professorin i. R. am Institut für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien sowie tit. a.O. Universitätsprofessorin für Neuere Geschichte an der Universität Wien, beklagt einleitend das Fehlen einer solchen, will aber selbst primär die vernachlässigte Diplomatiegeschichte in der Zeit von der Thronbesteigung Karls als Großneffe von Kaiser Franz Joseph 1916 bis zum frühen Tod im Exil auf Madeira abhandeln. Sie war Mitarbeiterin in der Kommission zur Heiligsprechung Karls und hat ihr weitgespanntes Material aus internationalen Archiven in diesem Rahmen gewonnen.
Glücklicherweise kommt gerade dieser Anspruch auf Prüfung der Frömmigkeit im allgemeinen Text kaum vor, wohl aber eine personenzentrierte Sicht auf die Politik der Donaumonarchie im Krieg und ihrer Nachfolger im Frieden. Besucht wurden einige Dutzend Archive in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und vor allem im Vatikan sowie private Nachlässe. Auch jüngere Forschung ist zum Teil erfasst, aber längst nicht in der erwünschten Breite. Positiv ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass zum Teil neue Archivalien beigebracht werden, manche Facette der Koalitionspolitik gegenüber dem Deutschen Reich, aber vor allem der Friedensbemühungen gegenüber den Westmächten und zumal durch den Vatikan ermittelt werden. Die Sixtus-Affäre und ihre Folgen sind besonders hervorstechend.
Kaiser Karl, als Militär erzogen und erst nach der Ermordung Franz Ferdinands in die Rolle des Thronfolgers hineingewachsen, wird als bemühter Mann, zwei Generationen jünger als sein Vorgänger, angemessen portraitiert. Er suchte mit zum Teil neuem Personal auch eine neue Politik zum möglichst baldigen Kriegsausstieg zu praktizieren, für die weder er selbst, noch seine Mitarbeiter Handlungsspielraum fanden. Er trat in Österreich am 12. November 1919 zurück, glaubte jedoch nur einen temporären Verzicht bis zum Widererstarken der Monarchie à la 1848 zu leisten. Daraufhin musste er ins Schweizer Exil gehen, versuchte aber noch 1921 und 1922 zwei Restaurationsversuche in Ungarn, wo ja unter Horthy, der als Reichsverweser fungierte, die Monarchie nicht grundsätzlich abgeschafft wurde.
Der Skandal
Was den Leser eher an einen gescheiterten Operettenputsch mit Mantel- und Degenszenerien erscheint, wird von Kovács bitter ernst genommen. So lebte der Kaiser nach der Abdankung „mit kleinster Suite“ in einem Jagdschloss (das auf einem der 316 [!] beigegebenen Fotos ganz stattlich wirkt) als „Gefangener auf seinem Privatbesitz“, „Aufgeregtes hungriges Volk, demobilisierte Soldaten, Volkswehrleute, Terroristen wilderten in seiner Jagd“ usf. Karl forderte am 28. März 1921 von Horthy seine Wiedereinsetzung als König, die jener – klugerweise – verweigerte. „Es gibt in der ganzen Geschichte der Habsburger keinen einzigen Statthalter, der sich als ‚alter ego’ mit dem Herrscher gleichgesetzt und sich über ihn erhoben hätte.“ Wenn man Gutes über die Darstellung von Kovács sagen will, kann man hervorheben, dass sie auf dem persönlichen Lebens- und Hofhorizont Befindlichkeiten und Politik lebensnah, aber nicht analytisch vorführt. Dennoch raunt sie wiederholt, die Forschung stehe noch ganz in den Anfängen. Das hängt mit ihrer eigenen Perspektive und der Sichtweise im Großen zusammen und führt zu dem Skandal der Einbettungen.
Bei der Lektüre des Buches habe ich mich mehrfach gewundert, dass die Zugehörigkeit dieses oder jenes Politikers zu den Freimaurern genannt wurde (s.u.). Auch fand ich die Darstellung von zentrifugalen Zügen vor allem tschechischer, aber auch polnischer sowie später südslawischer Politik im Kriege merkwürdig (Kapitel XV „Tschechischer Hochverrat“). Wenn sie besonders kritisch sein wollte, stützte sie sich seitenweise auf problematische Memoiren – etwa Prinz Max von Baden, der von der Steuerung der deutschen Revolution durch die Bolschewiki, v.a. durch Botschafter Joffe, überzeugt war. Bei solchen haarsträubenden Passagen ist von moderner Forschung nicht mehr die Rede.
Aber erst im Schlussteil macht die Autorin deutlich, worauf sie letztlich selbst hinaus will („Die Zerstörung des Kaisers“): Die Revolution von 1918 war für sie eine bolschewistische Neuauflage von 1789. „Die den Bolschewismus tragenden jüdischen Elemente verfügten über Empfinden für die Benachteiligten und Armen, auch über genügend finanzielles Potential, die Bewerbung im großen Stil auszubreiten. Das deutsche Kaiserreich hatte den Bolschewismus gefördert [...], die USA bezahlten zur Vernichtung des Zarismus die Revolutionäre.“ So etwas muss man zweimal lesen, um die Unterstellungen zu verstehen. „Der Atheismus, vielgesichtig in verschiedenen Bewegungen organisiert, erfasste die christlichen Völker im Umbildungsprozeß der Massengesellschaft. Ihm musste der Papst in Rom widerstehen.“ Hinzu kam nach Kovács der moderne zerstörende Nationalismus. Das klingt in manchem nach Weltverschwörungen, aber der Kapiteltitel für die letzten Monate des Krieges „Austria esse delendam! [sic!]“ besagt eben dies. (Karl in seinem Memoirenfragment vom September 1920, Bd. 2, S. 633: “Die Freimaurerei hatte seit dem eucharistischen Kongresse beschlossen, ‚Austria esse delendam.’ [sic!]“). Das Völkermanifest, vielleicht die bekannteste Quelle, die Kaiser Karl autorisierte, brachte das Gegenteil, eben den Zerfall, nicht die Wiedergeburt. Gerade hier hätte man sich ein Abwägen im Anschluss an ältere gute Forschungen vorstellen können. Die Bilanz von Kovács: „Kaiser Karl schwebte eine Wiedergeburt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vor, er war in großer Devotion vor dem Papst, als dessen treuer Sohn er sich unterschrieb, vom Bewusstsein des Gottesgnadentums erfüllt.“ (S. 645) Ist das noch im 21. Jahrhundert ein sinnvoller Ansatz für Geschichtsschreibung, der offiziös mit Staatsmitteln in Österreich gefördert wird? Glaubt man noch an Weltverschwörungen von Bolschewisten, Demokraten, Atheisten, Nationalisten und gar Freimaurern?
Bilanz
Die Quellenpublikation erschließt neue Funde, publiziert aber etwa zur Hälfte bereits gedruckte Stücke in englischer, französischer, italienischer, ungarischer und deutscher Sprache. Diese Edition ist nützlich, aber aufwändig. Die beiden Bände sind ebenso aufwändig und sorgfältig erschlossen.
Was wir jedoch nicht erhalten, ist eine Biografie des Kaisers, die seine Stärken und Schwächen zu erfassen und abzuwägen versuchte. Es gibt eine biedere, man ist versucht zu sagen: altbackene Diplomatiegeschichte, eine Hofgeschichte, die über weite Strecken Material der persönlichen Lebenswelten und -umstände ausbreitet. Sie bleibt weit hinter dem Stand der Forschung zurück, zumal wenn sie im Krieg und danach auch andere internationale Akteure einbezieht und Maßstäbe anlegt, die ganz der Sicht der damaligen Zeit verhaftet sind. Es könnte ja sein, dass der Aufwand zur kommissarischen Prüfung von Heiligsprechung nicht unbedingt mit dem harmoniert, was Geschichtswissenschaft leistet. Zu beklagen ist eine offenbar wenig durchdachte Buchbindersynthese mit fragwürdigem Ansatz.