Titel
Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie 18. bis 20. Jahrhundert. Hannes Stekl zum 60. Geburtstag gewidmet von Ernst Bruckmüller, Franz Eder und Andrea Schnöller


Autor(en)
Stekl, Hannes
Reihe
Sozial- und Wirtschaftshistorische Studien 31
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Wienfort, Institut für Geschichte, Technische Universität Berlin

Der anlässlich des sechzigsten Geburtstages von Hannes Stekl herausgegebene Band macht zahlreiche Arbeiten des Jubilars zur österreichischen Sozialgeschichte von Adel und Bürgertum in der Moderne bequem zugänglich. Dabei fallen die methodische Nähe zur und die Ähnlichkeit mit der Problemstellung der deutschen Sozialgeschichte vielfach auf. Die Herausgeber haben die Aufsätze in eine systematisch-chronologische Reihenfolge gebracht, in der zunächst der Adel und dann das Bürgertum vorgestellt wird. Einem Überblick zur österreichischen Hocharistokratie vom 18. bis zum 20. Jahrhundert folgen Studien zum Wiener Hof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zum Adel in Nestroys Theaterstücken, eine Zusammenfassung der monografisch vorliegenden Geschichte des Fürstenhauses Windisch-Graetz im 19. Jahrhundert sowie eine substantielle Abhandlung zum österreichischen Adel im 20. Jahrhundert.

Wie die deutsche Adelsforschung orientiert sich Stekl an den Überlegungen Rudolf Brauns zur Frage des säkularen Niedergangs des Adels als Herrschaftsstand bzw. seinem Obenbleiben als kulturell distinkte Gruppe in der Massengesellschaft. Kennzeichen sämtlicher Arbeiten ist zunächst eine gründliche und tragfähige Verankerung der stets vorsichtig formulierten Schlussfolgerungen in einer sich auf hervorragende Kenntnis der Archive stützenden Empirie. Die Beschreibung des Wiener Hofes im Vormärz bezieht sich z.B. auf die Beobachtung des Hofzeremoniells und nimmt damit wichtige neuere Entwicklungen vor allem der Frühe-Neuzeit-Forschungen zur Frage der Struktur von Herrschaft und der Konstruktion politischer Räume auf. Dabei werden auch neue Argumente ins Spiel gebracht: Stekl kann zeigen, dass der Versuch einer Kodifizierung des gewohnheitsrechtlichen - und stets der Einwirkung des Monarchen offen stehenden - Hofzeremoniells nicht zuletzt an den Rivalitäten innerhalb der hohen Hofbürokratie scheiterte. Damit blieb die kennzeichnende Ambivalenz der Repräsentation - einerseits der Eindruck jahrhundertealter, feststehender Tradition, andererseits die Flexibilität in der jeweiligen Situation - auch im 19. Jahrhundert erhalten.

Stekls Forschungen zur Geschichte des Adels im 20. Jahrhundert bieten vielfältige Vergleichsgesichtspunkte zur Lage des Adels in Deutschland. Hier wie dort wurde die Revolution 1918/19 als einschneidende Zäsur empfunden, hier wie dort wurde vor allem der vergleichsweise arme Militär- und Beamtenadel mit einer ökonomisch ungewissen Zukunftsaussicht konfrontiert. Stekl beschäftigt sich dabei vor allem mit Strategien der Selbstbehauptung. In der Organisation der "Vereinigung katholischer Edelleute" dominierte der Hochadel, ein demonstrativer und eher kultureller Monarchismus blieb vielen Adligen wichtig, Bemühungen um eine Adelsmatrikel sowie heraldische und genealogische Studien sollten ein adliges Standesbewusstsein in der Republik erhalten. Im Lichte dieser Bemühungen wirkte der österreichische Adel der Zwischenkriegszeit einerseits weniger fraktioniert als im 19. Jahrhundert, andererseits erhielt die politische Lagerbildung größere Bedeutung. Im autoritären Ständestaat Dollfußscher Prägung lässt sich ein verstärktes Engagement des Adels feststellen, das mit dem Anschluss an Deutschland vielfach abrupt endete. Vergleichsweise arme Söhne hochadeliger Seitenlinien entschieden sich häufiger für den Nationalsozialismus als die Chefs adliger Häuser.

Die in diesen Sammelband aufgenommenen Aufsätze zur Geschichte des Bürgertums setzten deutliche Schwerpunkte im Bereich der kulturellen Identität von "Bürgertum", z.B. in städtischen Festen, in den "Ambivalenzen der Bürgerlichkeit" sowie in der Erziehung und Sozialisation der jungen BürgerInnen. "Bürgerlichkeit" als Habitus erscheint vielfach gebrochen. In diesem Zusammenhang ist besonders die umfangreiche Nobilitierungspraxis des 18. Jahrhunderts bedenkenswert. Den Beamten, Offizieren und Unternehmern, welche die Erhebung in den Adelsstand für sich erreichen konnten, blieb die "erste Gesellschaft" des österreichischen Hochadels verschlossen. In Wien bildete sich eine "zweite Gesellschaft" heraus, in der Bürgertum und niederer Adel eine spezifische Verbindung eingingen. Dies Faktum hatte eben nicht nur für den Adel, sondern auch für die österreichische Ausprägung des Bürgertums Bedeutung.

Der Beitrag über die Wiener Mäzene im 19. Jahrhundert stellt Erkenntnisse für Überlegungen zur Genese der Zivilgesellschaft zur Verfügung, die die traditionelle Bürgertumsforschung über Vereine und Feste, Wohltätigkeit und politisches Engagement unter neuen Gesichtspunkten zusammenfassen. Dabei ist der hohe Anteil von Bildungsbürgern und Freiberuflern sowie der hohe Frauenanteil (ein Viertel der Stifter in Wien im 19. Jahrhundert waren Frauen) bemerkenswert und lädt zu Vergleichen mit anderen europäischen Städten ein. Aber auch eine klassisch sozialgeschichtliche Perspektive kommt nicht zu kurz, etwa wenn die Vermögensstruktur des Bürgertums österreichischer Kleinstädte detailliert nachvollzogen und in Zusammenhang mit der politischen Orientierung der Bürger zwischen nationalem Liberalismus und christlich-sozialen Interessen gebracht wird.

Stekls Aufsätze zu Adel und Bürgertum liefern Bausteine zu einer europäischen Sozialgeschichte, die durch konsequent durchgeführte Vergleiche Gemeinsamkeiten und Unterschiede nationaler, aber auch regionaler und lokaler Entwicklung deutlich herausarbeiten kann. Die für Stekls Arbeiten charakteristische Verbindung zwischen sozialgeschichtlichen Fragestellungen und einer mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Perspektive ist auch für zukünftige Forschung vorbildlich.