Wenigstens die Naturschutzgeschichte scheint in Deutschland derzeit Konjunktur zu haben: Gerade in den letzten Jahren erschienen eine Reihe wichtiger Veröffentlichungen zu diesem noch vergleichsweise jungen Zweig der mittlerweile etablierten Umweltgeschichte 1, dem es weniger um die materiale Realität der Umwelt selbst als um die kulturellen Bemühungen zu ihrem Schutz zu tun ist. Gleich mehrere Veröffentlichungen thematisierten das komplexe Verhältnis von Naturschutz und Nationalsozialismus zwischen ideologischer Übereinstimmung und politischer Indienstnahme, ohne dass allerdings hierbei schon von einem abschließenden Befund die Rede sein könnte. 2 Andere in jüngster Zeit erstmals umfassend untersuchte Themenfelder betreffen etwa die Geschichte des (west-)deutschen Naturschutzes nach 1945 3 oder die so historisch nahe liegende wie politisch heikle Frage, ob zwischen Naturschutz und Demokratie ein genuin normatives oder nur mehr instrumentelles Verhältnis besteht.4
In diesem Forschungszusammenhang stellt die Tübinger Habilitationsschrift von Friedemann Schmoll zum Naturschutz im deutschen Kaiserreich eine willkommene Ergänzung und Bereicherung dar. Denn sie lenkt zum einem den Blick auf eine bisher nicht hinreichend untersuchte Epoche der deutschen Naturschutzgeschichte und verbindet zum anderen in vorbildlicher Weise theoretisch innovative Fragestellungen mit umfangreichem und aussagekräftigem Quellenmaterial. Gemäß Schmolls titelgebender These von der Erinnerung an die Natur wird der Schutz der Natur zu exakt dem geschichtlichen Moment eine gesellschaftliche Bewegung, zu dem die durch Industrialisierung und Urbanisierung gekennzeichnete Moderne ebenjene Natur bereits weitgehend unterworfen oder sogar unwiederbringlich zerstört hat. Demzufolge ging es den Vereinen, welche sich unter dem 1888 von Ernst Rudorff geprägten Schlagwort des Naturschutzes ab der Jahrhundertwende verstärkt gründeten, weniger um konkreten Umweltschutz im modernen Sinne als vielmehr um die symbolische Bewahrung von „Museumsnatur“ (S. 232f.) inmitten der sich ausbreitenden Kulturlandschaften der industriellen Moderne. Dieser These folgend versucht Schmoll dann, anhand der drei Tätigkeitsfelder von Naturdenkmalpflege, Vogelschutz und Heimatschutz den „kultur- und sozialgeschichtlichen Ort der Naturschutzes“ (S. 31) im deutschen Kaiserreich zu bestimmen.
Im Bereich der Naturdenkmalpflege gelang es den Vereinen durch intensive Kontakte mit Ministerialbeamten, bereits 1906 eine Institutionalisierung ihres Anliegens in der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen zu erreichen. Ihr Ziel war es, die als Sinnverlust erfahrene allumfassende Entzauberung der Natur abzumildern durch deren partielle „Wiederverzauberung“ (S. 104). Anknüpfend an ältere Traditionen aus dem Umfeld der Romantik und in Analogie zur Denkmalpflege wurden der Deutsche Wald oder die Heiligen Bäume, aber auch vermeintlich urzeitliche Steine in ihrer erratischen Gestalt als „Memorialinseln“ (S. 96) zu bewahrenswerten Überresten der Naturgeschichte erklärt. Die daraus resultierenden idealisierten Sehnsuchtslandschaften waren den Naturdenkmalpflegern materieller und symbolischer Lebensraum zugleich, hatten aber mit der zu dieser Zeit real existierenden Natur nur noch wenig gemein. Vielmehr orientierten sich diese imaginierten Idealnaturen an der vorindustriell-agrarischen Verfasstheit von Landschaft und Gesellschaft, welche in ihrer behaupteten Harmonie zur „Gegenwelt“ (S. 231) der disparat aufgefassten Moderne stilisiert wurde. Der vermeintlichen Geschichts- und Gesichtslosigkeit jener Moderne mit all ihren entfremdenden Zumutungen wurde damit ein Kult von Ursprünglichkeit und Eigenart entgegengesetzt.
Der Vogelschutz als zweites untersuchtes Teilgebiet hatte von allen Bestrebungen aus dem Umfeld des Naturschutzes im deutschen Kaiserreich die größte Massenbasis, so dass der 1899 gegründete Bund für Vogelschutz bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges knapp 40.000 Mitglieder verzeichnen konnte. Anliegen dieser Verbände war, das Interesse an der Vogelwelt zu einem der ganzen deutschen Gesellschaft zu machen. In diesem Zusammenhang gelingt Schmoll der Nachvollzug eines erstaunlichen Wandlungsprozesses im Verhältnis des Menschen zu den Vögeln: die „Wanderung aus dem Kochtopf mitten in die Herzen“ (S. 294). Während die Vogelwelt in weiten Teilen Deutschlands über Jahrhunderte eine willkommene Ergänzung der Speisekarte gewesen war, wurde sie bereits im frühen 19. Jahrhundert – und damit wesentlich früher als alle anderen Tierarten – vom Nutzobjekt zum Schutzsubjekt erklärt. Zurückzuführen war dies, so argumentiert Schmoll überzeugend, auf zwei sich ergänzende Ideenstränge: Einerseits boten gerade die Singvögel eine „Projektionsfläche für den Entwurf einer idealen bürgerlichen Wertewelt“ (S. 250) von Heimattreue, Familiensinn und Kinderliebe, andererseits geriet auch die Vogelliebe in der Zeit der aufkommenden deutschen Nationalbewegung zum Identitäts- und Exklusionskriterium. Die zeitgenössische Agitation gegen den Massenfang von Vögeln während ihrer Überwinterungszüge beispielweise kontrastierte nationalstereotypisch die vogelliebenden und damit gefühlvollen Deutschen mit den herzlosen „italienischen Vogelmörder[n]“ (zit. nach S. 360).
Im Feld des Heimatschutzes schließlich versuchte der 1904 gegründete Bund Heimatschutz, Aspekte des Naturschutzes im engeren Sinne einzubinden in seinen Kampf um den Schutz einer genuin deutsch verstandenen Heimat. Auslösendes Moment dieser Bewegung war die Erfahrung der rasanten Veränderung scheinbar althergebrachter Landschaftsbilder durch die vordringende Industrie- und Verkehrsinfrastruktur, woraus ein weit mehr ästhetisch als ökologisch geprägtes Verständnis von Landschaft resultierte. Als „bildungsbürgerliche Fluchtwelt“ (S. 425) sollte die Natur verschont bleiben von den Gefährdungen der modernen Industriegesellschaft, die im sexualisierten Vokabular von der Schändung oder Prostituierung der Landschaft wortreiche Beschwörung fanden. Dagegen setzte man „Bewahrpraxen“ (S. 388) wie den Erhalt von urwüchsigen Landschaften, ländlicher Bauweise oder traditioneller Volkskunst, um die postulierte Einheit von Natur und Kultur, von Land und Leuten zu re-konstruieren. Allerdings stand auch in der Eigensicht des Heimatschutzes mitnichten die Natur selbst im Mittelpunkt des Interesses, sondern der „deutsche Mensch“ (zit. nach S. 396). Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Kapitel dem heimatschützerischen Kampf gegen die Landschaftsreklame, in welchem eine oberflächlich bleibende Kapitalismuskritik sich partiell bereits mit antiamerikanischen und antisemitischen Topoi verband.
Letztendlich, so bilanziert Schmoll, waren alle geschilderten Bemühungen um den Schutz der Natur im Kaiserreich kaum mehr als ein „symbolisches Korrektiv“ (S. 13) angesichts der scheinbar unaufhaltsam fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung. Unter Verweis auf solche kompensatorischen Schutzbestrebungen für einzelne Bäume, Tierarten oder Landschaften konnte darüber hinaus eine umso schonungslosere Vernutzung der Restnatur legitimiert werden. Das „Doppelgesicht der Moderne“ (S. 463) zeigte sich somit auch in der Dialektik der Naturverhältnisse zwischen Nutz- und Schutzinteressen. Daneben gelingen Schmoll aber auch interessante und erfreulich differenzierte Einblicke in die Geschichte des Mittelschicht-Milieus im Kaiserreich, dessen Vereine und Bünde im Umfeld der Reformbewegungen die ganz überwiegende Trägerschicht des Naturschutzes darstellten: Anliegen des Naturschutzes sei nicht generell die rückwärtsgewandte Ablehnung jedweder Moderne gewesen, sondern die je spezifisch akzentuierte „andere Gestaltung der modernen Welt“ (S. 462). Für dieses Ziel kamen auch erstmals modern anmutende Organisations- und Mobilisierungsformen wie Aktionsbündnisse, Massendemonstrationen, Werbepostkarten oder Wanderausstellungen zur Anwendung, was Schmoll als „Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft“ (S. 180) würdigt. Gleichwohl werden aber auch die gegenläufigen Tendenzen nicht ausgespart, durch welche der Naturschutz in die weltanschauliche Nähe zu Konstrukten wie Heimat, Nation, Volk oder Rasse geraten konnte. Schmoll zufolge muss der Naturschutz aber zumindest bis 1914 als „potentiell offene Suchbewegung“ (S. 14) bewertet werden, innerhalb derer auf ein geteiltes Bedrohungsszenario unterschiedliche Antworten versucht wurden. In dieser heterogenen Bewegung stellten die konservativ-bürgerlichen Kräfte zwar die deutliche Mehrheit, es existierten aber auch Strömungen etwa sozialistisch-proletarischer Naturschützer. 5
Erst der Erste Weltkrieg führte auch innerhalb der Naturschutzbewegung zu „völkischen Verengungen“ (S. 467), in deren Verlauf der im Vergleich zu anderen Reformbewegungen noch marginale Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus immer mehr ideologischen Raum gewann. Auf Grund der weltanschaulichen Radikalisierung des deutschen Naturschutzes schon in den Jahren der Weimarer Republik konnte dann 1933 seine Integration in die nationalsozialistische Ideologie „ohne nennenswerte Widerstände“ (S. 178) von Seiten der Naturschützer erfolgen.
Friedmann Schmolls gewichtige wie anregende, klar gegliederte und darüber hinaus auch noch gut lesbare Studie endet mit dem historiografischen Postulat, Geschichte nicht deterministisch aus der post-nationalsozialistischen Perspektive heraus zu erzählen. Denn auch die Geschichte des Naturschutzes im deutschen Kaiserreich war doch „offener und vielgesichtiger, als es der historische Rückblick suggeriert“ (S. 467).
Anmerkungen:
1 Vgl. als Überblick zur Umweltgeschichte etwa Bayerl, Günter; Fuchsloch, Norman;
Meyer, Torsten (Hgg.), Umweltgeschichte. Methoden, Themen, Potentiale, Tagung des Hamburger Arbeitskreises für Umweltgeschichte Hamburg 1994 (Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt 1), Münster 1996.
2 Vgl. dafür etwa Klein, Manfred, Naturschutz im Dritten Reich, Univ. Diss. Mainz 2000, und den Tagungsband Radkau, Joachim; Uekötter, Frank (Hgg.), Naturschutz und Nationalsozialismus (Geschichte des Natur- und Umweltschutzes 1), Frankfurt am Main 2003 (zur Tagung vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=1049 (15.12.2004)).
3 Vgl. Uekoetter, Frank, Naturschutz im Aufbruch. Eine Geschichte des Naturschutzes in Nordrhein-Westfalen 1945-1980 (Geschichte des Natur- und Umweltschutzes 3), Frankfurt am Main 2004.
4 Vgl. den jüngst von der Stiftung Naturschutzgeschichte Königswinter und dem Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur der Universität Hannover gemeinsam ausgerichteten Workshop „Naturschutz und Demokratie!?“ (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=2850 (15.12.2004))
5 Schmoll verweist hierzu beispielhaft auf den Verein Naturschutzpark, dessen Petition von 1910 breiteste Unterstützung quer durch die politischen Lager fand: vom Alldeutschen Verband über Burschenschaften bis hin zu den Naturfreunden (vgl. S. 213, Fußnote 258).