Cover
Titel
Johannes Malkaw aus Preussen (ca. 1360-1416). Ein Kleriker im Spannungsfeld von Kanzel, Ketzerprozess und Kirchenspaltung


Autor(en)
Tönsing, Michael
Reihe
Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 10
Erschienen
Warendorf 2004: Fahlbusch Verlag
Anzahl Seiten
473 S.
Preis
€ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kathrin Utz Tremp, Staatsarchiv Freiburg

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um eine Dissertation, die im Sommersemester 1995 von der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz (Prof. A. Patschovsky) angenommen wurde. Ihr Gegenstand ist ein Mann mit einem recht auffälligen Lebenslauf: Johannes Malkaw, der wohl vor 1360 in Strasberg an der Drewenz geboren und zuerst einmal Weltpriester der Diözese Kulm wurde. Gegen den Willen seines Vaters und des Bistumsverwesers trat er dann in den Kartäuserorden ein, dessen strengen Regeln er jedoch nicht gewachsen war. Seit 1388 ist er im Rheingebiet bezeugt, wo er als Prediger die Anhänger des avignonesischen Papsttums und diejenigen Leute bekämpfte, die im Grossen abendländischen Schisma neutral zu bleiben versuchten. In Straßburg, wo Malkaw als Kaplan und Tischgenosse im Deutschordenshaus weilte und wo die Anhänger des römischen Papsttums erst seit kurzer Zeit die Oberhand gewonnen hatten, zog er sich 1390 wegen des Inhalts seiner Predigten einen Inquisitionsprozess zu, der überraschenderweise 1392 mit seinem Freispruch endete. Ein Jahr später wurde er von Papst Bonifaz IX. (1389-1404), dem Haupt der römischen Obödienz, zum päpstlichen Ehrenkaplan ernannt, was bedeutete, dass er nur mehr der päpstlichen Gerichtsbarkeit unterstand und von der Inquisition nicht mehr belangt werden konnte; 1394 wurde er von der Universität Heidelberg, die nur zwei Jahre zuvor gegen ihn Stellung bezogen hatte, rehabilitiert. Damit nicht genug: Vor 1396 wurde Malkaw außerdem zum Komtur des straßburgischen Deutschordenshauses ernannt, ein Amt, das er 1403 verlor, weil er an Pfingsten dieses Jahres gegen die weltliche und geistliche Obrigkeit gepredigt hatte. Malkaw wechselte abermals den Orden und erscheint 1411 als Benediktiner. Nach dem Konzil von Pisa (1409) hatte er seinen Kampf gegen die pisanische Obödienz wieder aufgenommen, was ihm 1411 erneut einen Inquisitionsprozess eintrug, diesmal in Köln. Malkaw flüchtete, wurde exkommuniziert und begab sich in den Dienst Papst Gregors XII. (1406-1415), der ihn von der Exkommunikation absolvierte. Malkaws Papst wurde zwar 1415 auf dem Konzil von Konstanz abgesetzt, aber auch Malkaws Prozess niedergeschlagen, wie alle Verfahren, die in den Obödienzen Papst Johannes XXIII. und Gregors XII. wegen des Schismas verfolgt worden waren. Es ist dies zugleich die letzte Nachricht, die man von Malkaw hat; seine Spuren verlieren sich im selben Moment, als die römische Obödienz zu existieren aufhörte.

Der Lebenslauf des ordenswechselnden Priesters wird in der vorliegenden Dissertation mit aller nötigen und möglichen Sorgfalt rekonstruiert und analysiert. Fast wie ein Kriminalroman liest sich die Analyse des Inquisitionsprozesses, der Malkaw 1390–1392 in Straßburg gemacht wurde. Zuerst einmal werden die Anklageartikel untersucht, die in drei verschiedenen Fassungen vorliegen: in der so genannten Straßburger Fassung, die vom zuständigen Inquisitor Nikolaus Böckeler aufgrund der Verhöre hergestellt worden war; in der Verteidigungsschrift, die Malkaw zu Händen der Stiftsherren von St. Peter in Basel verfasst hatte, und schließlich in der Fassung der begutachtenden Universität Heidelberg. Was auffällt ist, dass hier sehr unterschiedlich schwer zu Gewichtendes nebeneinander zu stehen kommt: I. Ausübung geistlicher Funktionen ohne Autorisierung; II. Irrtum über die Seitenwunde Jesu (Joh. 19,33-35); III. Unerlaubte Annahme von Gehorsamseiden und Versuch der Stiftung einer Sekte, usw. Der Vergleich ergibt „eine weitgehende Kongruenz zwischen den Artikelreihen des Straßburger und des Heidelberger Gutachtens hinsichtlich der Reihenfolge wie auch der materiellen Substanz der Artikel“ (S. 105). Die in der Verteidigungsschrift enthaltene Artikelserie weicht davon „in Anordnung und Wortlaut deutlich, bezüglich des Inhalts jedoch nur geringfügig ab“ (S. 106). Es ist bezeichnend, dass es vor allem der Straßburger Inquisitor Nikolaus Böckeler war, der Malkaw auf bekannte und vor allem bereits verurteilte Ketzereien festzulegen versuchte.

Tönsing gelingt es aber auch, den Kreis zu beschreiben, der hinter dem Inquisitor stand und der Malkaws Verurteilung als Häretiker zu erreichen versuchte. Es waren nicht einfach die Anhänger des avignonesischen Papsttums, obwohl nicht wenige Straßburger Geistliche damals eine klementistische Vergangenheit hatten, sondern die Bettelorden allgemein, deren sittliche Verfehlungen Malkaw angegriffen hatte. Insbesondere aber handelte es sich um Kleriker und Laien, die im Johanniterhaus am Grünen Wörth verkehrten, das 1367/1371 vom reichen Straßburger Bürger Rulman Merswin gegründet worden war, die so genannten Gottesfreunde. Malkaw hatte sich ihren Hass zugezogen, weil der avignonesisch gesinnte Komtur dieses Hauses, Heinrich von Wolfram, 1390 von einer durch Malkaw in der Predigt aufgehetzte Menge nach Freiburg im Uechtland hatte flüchten müssen. Malkaw wurde als stadtfremder Unruhestifter wahrgenommen, „der den vorhandenen, angesichts zahlreicher sozialer und äußerer Konflikte der Jahre um 1390 aber stets gefährdeten Konsens der städtischen Lebensgemeinschaft bedrohte“ (S. 160). Er wurde provoziert und anschließend nach allen Regeln der Kunst verketzert. Sicher bot er sich dazu an: Er war ein dezidierter, kämpferischer, polemischer, fanatischer und vor allem kompromissloser Anhänger des römischen Papsttums, sein Lebenslauf war unstet und wechselvoll, aber nichtsdestoweniger konnte er einen beachtlichen gesellschaftlichen Aufstieg vom Wanderprediger zum Ehrenkaplan und Gesandten eines Papstes verzeichnen, ein Aufstieg, wie er vielleicht nur in der wirren Zeit des Grossen abendländischen Schismas möglich war.

Tönsings Dissertation lässt nichts zu wünschen übrig. Auf die solide und quellennahe Rekonstruktion und Analyse von Malkaws Werdegang folgen eine Edition von Quellen, die nicht weniger als 65 Nummern zählt (S. 224-372), die Beschreibung der benützten Handschriften sowie eine Prosopografie der Handlungsträger in den beiden gegen Malkaw geführten Prozessen (Straßburg 1391-1394 und Köln 1411-1416). Das Thema und Malkaws wechselvoller Lebenslauf haben es mit sich gebracht, dass Micheal Tönsing sich in die unterschiedlichsten historischen Zusammenhänge einarbeiten musste: in das Grosse abendländische Schisma und das Konzil von Konstanz, in die rheinische Landes- und die Straßburger Stadtgeschichte, in die Geschichte des Deutschen Ordens sowie diejenige von Ketzerei und Ketzerverfolgung, und das hat er mit großem Einsatz und Erfolg getan. Die Biografien von problematischen Persönlichkeiten, die sich in der Zeit des Grossen abendländischen Schismas am Oberrhein bewegten, scheinen zu einem Markenzeichen der Konstanzer Mediävistenschule von Prof. Alexander Patschovsky zu werden: Nach der Biografie des observanten Dominikaners Johannes Mulberg (+ 1414) aus der Feder von Sabine von Heusinger 1 nun die Biografie von Johannes Malkaw.

Anmerkung:
1 Von Heusinger, Sabine, Johannes Mulberg (+ 1414). Ein Leben im Spannungsfeld von Dominikanerobservanz und Beginenstreit, Berlin 2000. Siehe auch meine Rezension in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 95 (2001), S. 213-215.

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