G. Engel u.a. (Hg.): Technik in der Frühen Neuzeit

Titel
Technik in der Frühen Neuzeit. Schrittmacher der europäischen Moderne


Autor(en)
Engel, Gisela; Karafyllis, Nicole C.
Reihe
Zeitsprünge 8
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Holtschoppen, Frankfurt

Der von Gisela Engel und Nicole C. Karafyllis herausgegebene Band "Technik in der Frühen Neuzeit – Schrittmacher der europäischen Moderne" beschäftigt sich mit verschiedenen kulturellen Manifestationen und Bedeutungen von ‚Technik’ im europäischen Raum und zeigt anhand zahlreicher Beispiele die Vielfalt von Deutungs- und Handlungszusammenhängen, in welche die unterschiedlichen Techniken und Technologien eingebettet sind. Dabei ging es den beiden Herausgeberinnen einerseits darum, die Technikentwicklung der Frühen Neuzeit in europäischer Perspektive zu beleuchten und – andererseits – damit die Ausgangsvermutung der Modernisierungstheorie, die Technik sei ein Schrittmacher der Modernisierung gewesen, neu aufzuwerfen. Die verschiedenen Beiträge widmen sich damit auch der Frage, ob "die Frühe Neuzeit unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzung von Modernität, von Modernisierung angemessen zu beschreiben und zu verstehen" (S. 237) ist. Denn ‚Technik’, sei es als Artefakt, Handlung, Medium oder Technologie, kann ohne Einbeziehung "der Entwicklung machtpolitischer und damit gesellschaftskonstituierender Verhältnisse" (S. 239) nicht adäquat verstanden werden, weshalb auch in allen Beiträgen die wechselseitige Bedingtheit kultureller, sozialer und technischer Entwicklungen unterstrichen wird.

Die beiden Beiträge von Petra Schaper-Rinkel und Martin Disselkamp eröffnen den Band und werfen einen Blick auf das Spannungsverhältnis von wissenschaftlich-technischen Veränderungen und die Sehnsucht nach Stabilität im 16. und 17. Jahrhundert. Schaper-Rinkel analysiert den Zusammenhang von "Technik, Wissen und Macht in Utopien und Zukunftsvorstellungen der Frühen Neuzeit" anhand von Morus’ "Utopia" (1516), Campanellas "Civitas Solis" (1602) und Bacons "Nova Atlantis" (1627), wobei sie eine zunehmende ‚Modernisierung’ feststellt. Obwohl alle drei Utopien kaum Raum für eine gesellschaftliche Entwicklung lassen und stattdessen auf Stabilität setzen, so Schaper-Rinkel, zeige sich eine wachsende Einbeziehung der Dynamiken wissenschaftlicher Wissensgenerierung, auch wenn die "Sprengkraft von Wissenschaft und Technik, die sich in den Modernisierungsprozessen der Neuzeit gezeigt" habe, hier "nicht vorhergesehen" (S. 259) werde. Disselkamps Aufsatz "Technik, römische Größe und antiquarische Gelehrsamkeit. Über Funktion und Begründung des Technischen in Justus Lipsius’ Schriften zum antiken Rom" geht der Frage nach, welche Ziele Lipsius mit der Darstellung militärischer und architektonischer Techniken in diesen Schriften verfolgt. Lipsius verbinde diese Darstellung mit einem Lob der ‚Selbsttechniken’ und koppele die technische Unterwerfung der äußeren mit einer Bändigung der inneren Natur im Sinne eines höheren Grades an Disziplin. Somit liefere Lipsius’ Version von Rom im "Vergleich mit den labilen frühneuzeitlichen Verhältnissen [...] ein Gegenmodell der Stabilität" (S. 274), welches zur Legitimation für "ordnungsbezogene Steuerungsmaßnahmen" (S. 275) herangezogen werden könne.

Um die "Theatertechnik im 17. Jahrhundert und ihr Verhältnis zum Großen Welttheater" geht es in Ralf Haekels Aufsatz, in welchem dieser den Zusammenhang von gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen am Beispiel der Bühnentechniken des barocken Theaters beleuchtet. Während auf der Bühne des Mittelalters ebenso wie auf der Shakespeare-Bühne des Globe Theatre "die Zuweisung des Schauplatzes symbolisch und per Wortkulisse" (S. 283) erfolgte, trennt die Guckkastenbühne des frühen Barock Bühnen- und Zuschauerraum voneinander und verwendet verschiedene Techniken, wie beispielsweise gemalte Hintergrundkulissen und ähnliches, um die Welt auf der Bühne zu repräsentieren. Damit geht zunächst eine perspektivische Ausrichtung einher, welche die vollständige Illusion einem einzigen Sitzplatz vorbehält, dem des absolutistischen Herrschers. Dieser nimmt somit den Platz ein, der bislang Gott reserviert war, welcher als einzig privilegierter Zuschauer das theatrum mundi verfolgen konnte. Haekel argumentiert anhand einiger Beispiele überzeugend, dass die Ausweitung des Illusionseffektes der Guckkastenbühne von diesem idealen Punkt auf immer größere Teile des Zuschauerraums durch die neuen Bühnentechniken des späten 17. Jahrhunderts eine "Demokratisierung des Theaters" (S. 293) bedeute, die "dem bürgerlichen Theater den Weg [bereitete], dessen illusionistische Guckkastenbühne [...] als moralische Anstalt das breite Publikum ansprechen wollte" (S. 293).

Die Biologin und Philosophin Nicole C. Karafyllis kritisiert in ihrem Beitrag "Bewegtes Leben in der Frühen Neuzeit: Automaten und ihre Antriebe als Medien des Lebens zwischen den Technikauffassungen von Aristoteles und Descartes" die in den gegenwärtigen Diskussionen um Cyborgs und Biotechnologien immer wieder anzutreffende Auffassung, dass der Lebensbegriff, welcher in diesen "Biofakten" aufscheint, in den Automaten der Frühen Neuzeit sein "Urbild" (S. 296) habe. Vor dem Hintergrund der aristotelischen Unterscheidung von Technik und Natur in durch externe Ursachen Bewegtes und Selbst-Bewegtes, verortet Karafyllis den Automaten an der "erkenntnistheoretisch sensiblen Stelle [...] zwischen den Sphären von Natur und Technik" (S. 299). Eindrucksvoll demonstriert sie an zahlreichen Beispielen präcartesianischer, zwischen 1500 und 1650 entstandener Automaten, die an und mit ihnen vollzogene "Auseinandersetzung mit dem Lebensbegriff" (S. 302), welche jedoch noch nicht in mechanistischen Erklärungszusammenhängen steht und in der wechselseitigen Übertragung biologische Körperfunktionen und -abläufe sichtbar und verständlich machen will, sondern den Automaten sinnbildhaft als medialen, distanzierenden Reflexionsspielraum über die gesellschaftlichen und transzendentalen Bedingungen des einzelnen Lebens zu nutzen versucht: „Der Automat dient hier als Medium der Simulation, indem er etwas in der Beobachterperspektive schauen läßt, an dem man sonst im leiblichen Erleben teilhat.“ (S. 307) Auch Descartes, so stellt Karafyllis nach einer differenzierten Betrachtung seiner Metaphorik fest, dachte "weit weniger mechanistisch [...] als seine Interpretatoren der Moderne glauben machen" (S. 323). Damit gelingt es ihr, ein in der heutigen Debatte perpetuiertes Denkraster in seiner Pauschalität und Eindimensionalität zu entlarven und die teleologisch auf moderne Cyborgs gerichtete Technikgeschichtsschreibung bezüglich der frühneuzeitlichen Automaten dahingehend zu korrigieren, dass diese zwar „den handwerklich-technischen Wissensschatz“ (S. 330), nicht jedoch die Vorbilder für die Menschenautomaten seit dem späten 18. Jahrhundert darstellten.

Es folgt der Beitrag "Neu, nützlich und erfindungsreich. Die Ingenieure der Renaissance als Schrittmacher der modernen Deutung von Technik", welcher die oftmals unhinterfragte Verwendung eines ahistorischen Technikbegriffes problematisiert, wenn es um die Haltung "vorindustrieller Epochen" (S. 354) gegenüber ‚der Technik’ geht. Ausgehend von der Frage, inwiefern "und von wem [...] in Mittelalter und Früher Neuzeit technische Artefakte überhaupt als einheitliches Sujet wahrgenommen" wurden (S. 339), wirft der Historiker Marcus Popplow hier einen Blick auf jene Schriften von Ingenieuren, in denen sich erstmals ein moderner Maschinenbegriff abzuzeichnen beginnt. Er zeigt, dass sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine neue verallgemeinernde Bedeutung von ‚Maschine’ herausbildet, und zwar "als öffentlichkeitswirksames Schlagwort im Kontext der gedruckten Maschinenbücher" (S. 350). Diese Bücher stellten, so Popplow weiter, einen Versuch der Ingenieure dar, ihre eigenen Leistungen und ihren Stand in ein besseres Licht zu rücken. Daher könne die Verwendung der titelgebenden Attribute "neu, nützlich und erfindungsreich" zur Bezeichnung von technischen Artefakten in den Maschinenbüchern keineswegs als Beleg für eine allgemeine Begeisterung gegenüber der Technik herangezogen werden, zumal ihr Ursprung in Patenturkunden sie als verfestigte juristische Formel ausweist. Sie seien als interessegeleitete Darstellungen zu lesen, die "Teil der Bemühungen technischer Experten um soziale Akzeptanz" (S. 354) waren. Die "mit dem gezeichneten Idealbild einhergehenden Ausblendungen" (S. 354) dürften dabei nicht aus dem Blick geraten.

Die beiden nächsten Beiträge werfen einen detaillierteren Blick auf die schon von Popplow erwähnten Patenturkunden. Daniela Lamberini nimmt die Formel des ‚allgemeinen Nutzens’ unter die Lupe und untersucht "Patents for machines in Grand Duscal Tuscany and the diffusion of technical knowledge in Europe, c. 1564-1640". Lamberinis Auswertung der in den Archiven von Florenz befindlichen Dokumente zeigt die Parallelen auf, die zwischen den außen- und innenpolitischen Interessen der jeweiligen Fürsten und der Gewährung von Patenten existieren. So bevorzugte beispielsweise Francesco I. einheimische Bewerber, während sein Nachfolger Ferdinando die bürokratische Prozedur zwar verkomplizierte, dafür jedoch weitaus mehr Petitionen von auswärts stattgab (S. 369). Lamberini gelingt es durch zahlreiche Beispiele zu demonstrieren, wie in der Vergabe der Patente mal fürstliche Willkür, ein andermal dagegen diplomatisches Geschick zum Ausdruck kommt, das angebliche Gemeinwohl dagegen in den Hintergrund tritt.

Christian Mathieu konzentriert sich unter dem Titel "»Fiat experientia!«" auf eben jene Gesuche, die vom venezianischen Patentverfahren der Frühen Neuzeit abgelehnt wurden. Es gelingt ihm dadurch eindrücklich vor Augen zu führen, dass die bisherige Konzentration ausschließlich auf erfolgreiche Petitionen ein verfälschtes Bild im Sinne einer "Technikgeschichte der Sieger" (S. 379) gezeichnet hat. Denn unter Einbeziehung der besonderen ökologischen Situation der Lagunenstadt und der Sorge vor einer "Verlandung der Lagune durch die angespülten Sandfrachten der vor Venedig mündenden Flüsse" (S. 378) wird deutlich, dass sich in der Zurückweisung von Neuerungen, die sich im Experiment als potentiell nachteilig für den Fortbestand der Stadt erwiesen, ein beginnendes Bewusstsein für Technikfolgen abzeichnet, auch wenn dieses "weniger als Ausdruck einer allgemeinen Technikskepsis oder gar Technikfeindlichkeit zu verstehen [sei] als vielmehr als Spiegel und Produkt situativer Kontexte" (S. 387).

Dem Status der Architektur wendet sich Matteo Burioni zu. In seinem Aufsatz "Die Architektur: Kunst, Handwerk oder Technik?" verfolgt er die verschiedenen Standpunkte in der Debatte um die Accademia del Disegno Mitte des 16. Jahrhunderts, die sich um die Zuordnung der Architektur zu einer dieser drei Sphären, an denen sie partizipiert, entzündet. Giorgio Vasaris Darstellungen von Cosimo I. als Architekten, das zeigen Borionis Ausführungen, lassen sich vor diesem Hintergrund gewinnbringend miteinbeziehen. Die sich abzeichnende Trennung von gestalterischer Kunst und ausführendem Handwerk bzw. Technik bringt Burioni mit einer spezifisch modernen Ausdifferenzierung von Kunst- und Wissenschaftsverständnis zusammen.

Romano Nannis Diskussion der Vorstellung von einer "Renaissance der Maschinen" folgen Torsten Meyers Ausführungen über "Die »Anleitung zur Technologie« (1777) von Johann Beckmann und ihr historischer Kontext." Meyer beginnt mit einigen Ausführungen zur Stellung des Textes im wirtschaftspolitischen Kontext des 18. Jahrhunderts und in Beckmanns Gesamtwerk. Nach einer kurzen biografischen Skizze untersucht Meyer die Analogien zwischen dem Klassifikationssystem, das Beckmanns in der "Anleitung zur Technologie" aufstellt, und dem des Botanikers Carl von Linné. Dabei stellt sich heraus, dass die epistemologische Privilegierung des informierten Blicks sich auch in Beckmanns Betrachtungen zur Technologie wiederfinden lässt, denn wie "die Methodologie der Naturgeschichte will Beckmanns Abhandlung nur zur Erkenntnis anleiten – und zwar zur technologischen" (S. 458). Zwar würden in Beckmanns Taxonomie die Linnéschen ‚Arten’ durch abstrakte technologische ‚Verfahren’ ersetzt, doch unterscheide sich die Intention insofern grundlegend, als das naturhistorische System zum Ziel hatte, "Neuentdecktes auf der Basis des Alten zu verorten" (S. 463), während die technologische Klassifikation durchaus "auch dazu führen kann, daß das Alte sich in das Neue einpassen muß" (S. 463). Denn die von Meyer vorgeschlagene Lesart von Beckmanns ‚Systema technologiae’ als "administrativ ausgerichtete[r] »Erfindungstheorie«" macht deutlich, dass bei struktureller Ähnlichkeit der Verfahren "die optimalere Technik eines »Verfahrens« auf ein anderes übertragen werden" kann (S. 463).

Den Band beschließt die Arbeit von Norman Fuchsloch über "Die Entstehung der Geologie im 18. Jahrhundert und ihr Beitrag zur europäischen Modernisierung". Fuchslochs wissenschaftshistorischer Abriss macht einerseits die Rolle deutlich, die die Geologie in der "(früh-)neuzeitlichen Binnenkolonisation" spielte, indem sie "ausgehend von der Erdoberfläche die dritte Dimension der Natur in die Tiefe erschloß" (S. 467), und zweitens, wie sie nach der "Aufgabe der Bibel als erkenntnisleitender Schrift" (S. 477) durch eine Neukalkulation des Erdalters zur Säkularisierung beitrug und somit zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Rahmen bildete, auf den Darwins Evolutionslehre aufbauen konnte.

Insgesamt zeigen die Beiträge dieses sehr gelungenen Bandes, dass sowohl die europäische Perspektivierung als auch die Fokussierung auf die Frühe Neuzeit viele liebgewonnene Theoreme über die Rolle der Technik im Modernisierungsprozess in einem neuen Licht erscheinen lassen und dass die technischen Neuerungen der Frühen Neuzeit nicht zu einseitig auf ihr innovatives Potential reduziert und Stabilität gewährleistende Momente dabei nicht unterschlagen werden dürfen. Der frische Blick, der hier auf die Modernisierungstheorie und ihre impliziten Teleologien geworfen wird, verleiht der Debatte um Technikeuphorie und Technikfolgen somit neue Impulse und erfüllt den von den Herausgeberinnen formulierten Anspruch, zu zeigen, "wie wenig ein eingleisig gedachtes Fortschrittsdenken den verwickelten Verhältnissen gerecht wird" (S. 239).

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