Cover
Titel
Macht und Gabe. Materielle Kultur am Hof Heinrichs II. von England


Autor(en)
Schröder, Sybille
Reihe
Historische Studien 481
Erschienen
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 51,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Schwarz, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim

Es fehle ihm, dem König von England, an nichts, er besitze „Männer, Pferde, Gold und Seide, Gemmen, Früchte, Tiere und alles“; er selber aber – der König von Frankreich – habe in seinem Land nichts außer „Brot, Wein und Vergnügen“. Der von dem britischen Weltkleriker und Dichter des 12. Jahrhunderts Walter Map überlieferte, dem französischen König Ludwig VII. zugeschriebene Ausspruch 1 gehört zu den beliebten Zitaten einschlägiger Handbücher und Überblickswerke zur hochmittelalterlichen Geschichte Westeuropas.2 Wie genau man aber diesen Satz – ob nun wahrhafter Ausspruch oder apokryphes Zitat – analysieren, ihn buchstäblich nach allen Seiten hin „abklopfen“ und zum Ausgangspunkt weit gespannter Forschungen und Untersuchungen machen kann, das wird nun eindringlich demonstriert durch Sybille Schröder in ihrem Buch über materielle Kultur am Hof Heinrichs II. von England.

Die an der Freien Universität Berlin entstandene Dissertation kann sich dazu einer für das 12. Jahrhundert einzigartigen Quellenlage bedienen, von der zum Beispiel ein über das hochmittelalterliche Reich arbeitender Historiker nur träumen kann. Hierbei sind vor allem die so genannten Pipe rolls, die Aufzeichnungen des königlichen Rechnungshofes (Exchequer), zu nennen, die in serieller Weise vielfache Auskünfte über Ankauf, Transport und Verwendung verschiedenster Gegenstände am königlichen Hof geben. Daneben bedient sich Schröder zur Lösung ihrer Aufgabe hauptsächlich der Historiografie (inklusive der Hagiografie) der Zeit. Es gelingt ihr dabei, indem sie immer wieder intensiv nach Verfasserschaft, Zielsetzung, Topik etc. fragt, diese Quellengattung einerseits einer ständigen Kritik zu unterziehen, andererseits sie aber dennoch als wichtigen Datenträger unseres historischen Wissens zu begreifen. Über das Einzelproblem hinaus scheint hier ganz grundsätzlich ein sinnvoller Umgang mit historiografischen Quellen, deren Einschätzung in der Mediävistik zuletzt oftmals von einer gewissen Ratlosigkeit begleitet war, gefunden zu sein (als exemplarisch für Schröders umsichtige Quellenbehandlung in diesem Punkt kann der Exkurs in Kapitel 3 über „Das misslungene Geschenk an das Kloster Whitham“ gelten, S. 70-75).

Die Arbeit ist klar gegliedert in zwei Hauptteile. Der erste Teil ist unter das Thema „Übergreifende Aspekte: Materielle Kultur und Herrschaft unter Heinrich II. von England“ gestellt. Gleich hier fällt eines auf: Schröder ist in ihrem Buch nicht nur Historikerin, sondern auch Semiotikerin. Und so geht der Leser mit ihr, geleitet wie Adson von Melk an der Seite eines William von Baskerville, auf eine regelrechte Spurensuche. Fast alles wird bei Schröder – programmatisch dargelegt in ihrer Einleitung 3 – zum Zeichen. Doch es sind keine „stummen“ Zeichen, die unbeachtet am Wegesrand liegen bleiben; es sind Zeichen, die mit den entsprechenden Dechiffrierungswerkzeugen auch gelesen werden können. Und Schröder besitzt diese Werkzeuge in umfangreichem Maße. Ob sie sich, ausgehend von der Bedeutung materieller Kultur für die Herrschaftsrepräsentation, der Kleidung Heinrichs II. (S. 29-41) zuwendet oder der königlichen Jagd im Rahmen materieller Repräsentation (S. 41-45), fast alles wird bei ihr (nach einem bekannten Wort von Hans Blumenberg) zu einem Plädoyer für die „Lesbarkeit der Welt“. Doch läuft das Buch hierbei nie Gefahr gleichsam zum Gefangenen der eigenen Methodik zu werden. Gegen offenkundige Abirrungen, entstanden aufgrund semiotischer Überinterpretationen, werden die mittelalterlichen Quellen dezidiert in Schutz genommen.4

Doch zu einigen Einzelproblemen der Arbeit: Schröder sieht die schwierige „Kleidungsfrage“ Heinrichs II. angesiedelt im Spannungsfeld zwischen dem Vorwurf der superbia, den eine luxuriöse Kleidung einbringen konnte, und gewissen Mindesterwartungen, die in dieser Hinsicht an den König einfach gestellt waren. Fast schon als eine Art „Rettungsanker“ mochte es hier erscheinen, dass andere Formen materieller Kultur – die Jagd, die Schaffung von Tierparks, einfache Kleidung – die Möglichkeit boten, eine effektive Herrschaftsausübung zu demonstrieren und dem Vorwurf von unnötigem Luxus entgegenzutreten (bes. S. 55f.).

Unter den „Gaben Heinrichs II. an weltliche Herrscher und Höfe“ kann von Schröder, die hier nahezu ganz Europa von Nord nach Süd und vom Westen bis zur Mitte durchmustert, ein weites Spektrum vielfältigster Geschenke ausgemacht werden (S. 80-98); Geschenke, die dann wiederum – kennzeichnend für den interpretatorischen Anspruch des Buches – nach den verschiedensten Richtungen hin ausgeleuchtet werden (S. 99-102): im Hinblick auf die situative Einbindung des Geschenkes, auf die personalen Vermittler sowie hinsichtlich ihrer Bewertung und Einschätzung, wobei hier der kulturgeschichtlich äußerst interessante Umstand ambivalenter Geschenke, die zurückgegeben worden sind, zu verzeichnen ist (S. 99).

Der zweite Teil der Arbeit bietet anhand von vier unterschiedlichen Sachgruppen „Exemplarische Studien zu ausgewählten Bereichen der materiellen Kultur“, wobei hier diverse Wildgattungen ebenso berücksichtigt werden wie Getränke, Textilien ebenso wie Prachtzelte. Das für das Jahr 1183 bezeugte Wildgeschenk Heinrichs II. an den französischen König Philipp II. Augustus – eine Anzahl Rothirschkälber, junge Damhirsche und Rehe – sei, so Schröder, ganz ähnlich einzuschätzen wie die Sendung von Hirschen und Rehen an den Grafen von Flandern (S. 172). Beide besäßen einen umfassenden „Zeichencharakter“, verwiesen sie doch nicht nur auf die zivilisatorischen, finanziellen, materiellen und infrastrukturellen Kapazitäten des Absenders, sondern dezidiert auch auf die Machtstellung in dessen Herrschaftsbereich. Sie hätten, so Schröder an dieser Stelle weiter, einen Status anzeigenden und materiellen Wert, wiesen eine herrscherliche Markierung auf und dienten dazu, feudale und herrschaftliche Bindungen zu stabilisieren. Ja, letzten Endes sei das Wildgeschenk an Philipp II. Augustus vermutlich deshalb für Heinrich besonders geeignet gewesen, weil er damit auf die unter seiner Herrschaft ausgeprägte Forstpolitik und die weit entwickelte Kultur der Wildparks in England 5 habe verweisen können (S. 172f.) – umfassender und differenzierter kann das Thema „Macht und Gabe“ wohl nicht entschlüsselt werden.

Und auch dass Wein und Bier (cervisia) keineswegs „nur“ Getränke waren, sondern dass deren Zuteilung und Konsum dezidiert mit sozialen Distinktionen, ja durchaus auch mit politischen Aussagen verknüpft war (vgl. bes. S. 204), versteht Schröder ebenso zu zeigen wie die Rolle, die im Umfeld von Herrschaftsrepräsentation und -wahrnehmung den verschiedensten Gattungen von Textilien zukam. Von qualifiziertem Personal an unterschiedlichen Orten eingekauft, sei man hier um die Erzeugung einer geradezu „ostentativen Repräsentation“ bemüht gewesen (bes. S. 243). Das kann für die berühmte Mathilde, die mit Herzog Heinrich dem Löwen verheiratete Tochter des englischen Königs, ebenso gezeigt werden wie für Margarethe, die Tochter des französischen Königs, die am englischen Hof „angemessen“ eingekleidet wurde, was, so Schröder, vermutlich wenigstens zur äußeren Integration beigetragen habe.

Einen besonderen Hinweis verdient der Abschnitt 9 in Schröders Buch („Prachtzelte in der Herrschaftsrepräsentation Heinrichs II.“). Ausgehend von Beobachtungen über „Zelte im Mittelalter“, deren Aussehen und Gestaltung, deren Gebrauch und Orte der Herstellung, steht im Mittelpunkt dieses Kapitels das berühmte Zeltgeschenk Heinrichs II. an Friedrich I. (S. 270-278). Es ist beim Würzburger Hoftag von 1157 Barbarossa von englischen Boten dargebracht worden. 6 Nicht zuletzt wegen des bei dieser Gelegenheit von eben diesen Boten an Barbarossa übergebenen Briefes des englischen Königs hat diese Szene, vor allem hinsichtlich einer so genannten ‚Vorrangstellung’ des Imperiums im Abendland, in der Forschung immer wieder Aufmerksamkeit gefunden. 7 Geschenk und Schenkungsakt werden von Schröder nach allen denkbaren Seiten hin untersucht, wobei nicht alle Fragen, die sich der Autorin dabei stellen, beantwortet werden können (S. 277). Doch eindeutig verweise das Zeltgeschenk, so die Zusammenfassung, auf vielfache „Kompetenzen“ des Schenkenden, vor allem solche kultureller Art. Dennoch habe es auch dazu gedient, die Beziehungen des Königs von England zum Kaiser zu stabilisieren, in einer Situation als – angesichts der Verweigerung einer wertvollen Reliquienrückgabe – eine solche Stabilisierung notwendig war (S. 278).

Schröders Buch führt sowohl hinsichtlich der Quellengrundlage als auch -ausschöpfung in mehrfacher Hinsicht zu den „Mikrostrukturen unseres Wissens“. 8 Der exempla wären viele, nur einige wurden hier angeführt. Was ist – jenseits der mustergültigen Erfassung und methodenreflektierten Interpretation der materiellen Kultur am Hof Heinrichs II. von England – der wahre Gewinn an diesem Buch? Am Ende dann doch wohl die nachdrückliche Bestätigung eines Satzes von Aby M. Warburg: „Der liebe Gott steckt im Detail.“9

Anmerkungen:
1 Zitiert von Schröder in ihrer Einleitung, S. 13.
2 Vgl. etwa Fuhrmann, Horst, Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter, von der Mitte des 11. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, Göttingen 2003, S. 165.
3 S. 14, 23.
4 Vgl. S. 277 in Auseinandersetzung mit Joseph P. Huffmans Interpretation des „leeren Zeltes“ vom Würzburger Hoftag 1157.
5 Vgl. hierzu bes. S. 149-157 sowie vor allem die nützliche Abbildung III: The King’s Houses 1154-1216 auf S. 151 (mit einer Karte der königlichen Forsten in England).
6 Rahewin, höchstwahrscheinlich ein Augenzeuge, hat die Szene überliefert; Gesta Frederici III, 7.
7 Vgl. nur Mayer, Hans Eberhard, Staufische Weltherrschaft? Zum Brief Heinrichs II. von England an Friedrich Barbarossa von 1157; zuletzt in: Wolf, Gunther (Hg.), Friedrich Barbarossa, Darmstadt 1975, S. 184-207.
8 So der Titel einer viertägigen Tagung im Jahr 2000, die sich mit der Rolle des Details in den Wissenschaften beschäftigte; vgl. www.benecke.com/einsteinforum.html
9 Vgl. Horstkemper, Gregor, The Warburg Institute Library Digital Collection, www.sfn.historicum.det/links/2005/liwi2005-03.htm [17. Januar 2005].

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