S. Schröder: Displaced Persons in Münster

Cover
Titel
Displaced Persons im Landkreis und in der Stadt Münster 1945-1951.


Autor(en)
Schröder, Stefan
Reihe
Geschichtliche Arbeiten zur Westfälischen Landesforschung 22
Erschienen
Münster 2005: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 29.-
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tillmann Tegeler, Südost-Institut München

Seit der zum Standardwerk gereiften Studie Wolfgang Jacobmeyers ist eine Vielzahl an Arbeiten zu Displaced Persons (DPs), den zumeist aus Osteuropa im Nachkriegsdeutschland Gestrandeten erschienen.1 Zum einen wurden darin Nationalitätengruppen untersucht, während andere den Blick auf einzelne Orte richteten, in denen DPs untergebracht waren. Stefan Schröder, ein Schüler Jacobmeyers, beschreitet in seiner Dissertation zu DPs in Münster und Umgebung den zweiten Weg. Wäre dies allein schon eine Untersuchung wert, so geht Schröder noch einen Schritt weiter und liefert – in Teilen – eine Ergänzung zu der Grundlagenstudie seines Lehrers. Hatte Jacobmeyer in erster Linie die Lage in der amerikanischen Besatzungszone untersucht, so arbeitet Schröder zusätzlich das Regime der Briten gegenüber den ehemaligen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen heraus.

In dieser Hinsicht ist vor allem das dritte Kapitel interessant, in dem die Zuständigkeiten der „Prisoners of War/Displaced Persons“-Division der britischen Kontrollkommission sowie der „United Nations Relief and Rehabilitation Administration“ (UNRRA) dargestellt werden. Dagegen sind Teile des Hauptteils im zweiten Kapitel eher mühsam zu lesen, da dort zahlreiche Statistiken ausgewertet werden – in dem 400 Seiten umfassenden Buch befinden sich nicht weniger als 53 Tabellen. Aber auch hierin liegt ein Wert: Die Lokalhistoriker/innen gewinnen einen Überblick über die Positionen der zahlreichen Lager, die von Kriegsende bis in die 1950er-Jahre bestanden. Ebenso kann sich der an dem Schicksal der DPs Interessierte ein Bild von dem ständigen Wechsel im Leben dieser Personengruppe machen. Schröders Arbeit stellt zugleich die DPs als Teil der Münsterischen Geschichte dar. Leider sind auf der einzigen Karte die im Text genannten Ortsnamen schlecht zu lesen und damit kaum zu identifizieren.

Schröder gelingt es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nachzuweisen, dass Münster in der DP-Geschichte des späteren Nordrhein-Westfalens eine Sonderstellung einnahm. Waren anfangs im Süden des Landkreises Münster auch die Amerikaner noch mit zuständig, so verantworteten ab Juni 1945 das Untersuchungsgebiet die Briten allein. Dass sich die DPs in Westfalen und nicht im Rheinland ballten, lag überwiegend an der so genannte Ausländerrückführung der Deutschen, die fürchteten, dass Zwangsarbeiter den Alliierten in die Hände fallen könnten. Damit war Münster von vorneherein prädestiniert, eine Hauptrolle für DPs zu spielen. Über die Jahre hinweg verlagerten die Briten immer mehr behördliche Stellen nach Münster, so dass Schröder zu Recht von der Stadt als einer „Drehscheibe“ (S. 327) sprechen kann. Nach der raschen Westbound-Repatriierung, die die betroffenen Westeuropäer teilweise selbst in die Hand nahmen, lebten im Juli 1946 noch etwa 8.000 DPs in Reckenfeld und Greven, die von einstmals zwanzig Lagern noch übriggeblieben waren.

Zu diesem Zeitpunkt mussten die Alliierten sich bereits Gedanken darüber machen, wie sie mit diesen Menschen weiter verfahren wollten. Die meisten DPs waren noch 1945 nach Hause zurückgekehrt oder, wie die Sowjets, zwangsrepatriiert worden. Trotz insgesamt breiter Literaturrezeption fehlt hier übrigens das einschlägige Werk von Nicholas Bethell.2 Die politischen Entwicklungen in Osteuropa erschwerten es den verbleibenden Menschen, in ihre Heimat zurückzukehren. Neben denjenigen Polen, die das neu installierte kommunistische Regime ablehnten, waren dies vor allem Ukrainer sowie Esten, Letten und Litauer. Ein Versuch der UNNRA, „mittels der ,policy of crowding’, einer nicht auf die Wohnverhältnisse im Lager, sondern auf größtmögliche Kapazitätsauslastung zielenden ,Lagerüberfüllung’, die dortigen Lebensbedingungen zu verschlechtern und dadurch die Repatriierung der verbliebenen DPs zu forcieren“ (S. 94), scheiterte. Viele DPs durchliefen ab April 1947 das Regional Processing Centre in Münster, um in einem der britischen Programme außerhalb Deutschlands Arbeit zu finden. Wenige Monate darauf nahm die „International Refugee Organisation“ (IRO) ihre Tätigkeit auf. Anders als die UNRRA war sie nicht mehr für die Repatriierung der DPs, sondern für das „Resettlement“, also die Neuansiedlung im Ausland, zuständig. Mit der Verlagerung ihres Sammelzentrums, dem „Embarkation Transit Camp“, von Paderborn nach Münster stärkte die IRO im Juli 1949 den Standort Münster noch einmal.

Auch nachdem die Verantwortlichkeit für die DPs in deutsche Hände übergegeben wurde, blieb Münster ein Zentrum der so genannten „heimatlosen Ausländer“. Schröder arbeitet überzeugend heraus, dass weniger das „Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer“ vom 25. April 1951 als Zäsur gelten kann, sondern vielmehr die endgültige Übergabe der Lager an die Deutschen zum 30. Juni 1950. In den folgenden Jahrzehnten etablierte sich in Münster eine große lettische Gemeinde, deren Schriften freilich noch einer Auswertung harren, da Schröder keine entsprechenden Sprachkenntnisse besitzt.

Der alltagsgeschichtliche Teil der Arbeit fördert eher wenig Neues zutage. Probleme der DPs bei der Beschaffung von Nahrung und Kleidung waren ein allgemeines Phänomen der Nachkriegszeit. Die hohen Kriminalitäts- und Geburtenraten ebenso. Da sich bei den meisten Deutschen jedoch die sogenannte „DP-Kriminalität“ im Bewusstsein festsetzte, thematisiert auch Schröder diesen Aspekt (S. 202ff.). Dabei stellt er die Positionen Jacobmeyers3, der die DP-Kriminalität nicht höher ansetzt als die der Deutschen, denjenigen Eckerts gegenüber, die ihm darin widerspricht.4 Schröder selbst legt sich nicht endgültig fest, sondern fordert dazu auf, neu an die Problematik heranzugehen und dabei auch die deutsche Beteiligung an den Verbrechen zu untersuchen, die den DPs angelastet wurden. Der ungesetzliche Raum war aber nicht der einzige Bereich, in dem sich DPs und Deutsche begegneten. Schröder weist neben Sport- und Kulturveranstaltungen vor allem auf Räume hin, die den Nachkriegsalltag insgesamt prägten, etwa die Trümmerbeseitigung. Die Kontakte blieben jedoch sporadisch. Am intensivsten analysiert Schröder die Berichterstattung in der „Münsterschen Zeitung“ sowie den „Westfälischen Nachrichten“ (S. 349ff.), die ein überwiegend negatives DP-Bild der Deutschen offenbar werden lässt. Für den Abschluss seiner Arbeit dienen Schröder die Akten der Inneren Mission/Evangelisches Hilfswerk, um die DP-Fürsorge in der Bundesrepublik darzustellen.

Die Arbeit beruht auf einer umfangreichen Basis an Quellen, die nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Archiven der drei ehemaligen Westalliierten erhoben wurden. Ohne Frage ist dies ein großer Vorzug, doch hat man gelegentlich den Eindruck, dass gewisse Paragrafen nur eingefügt wurden, um bestimmte Quellenbestände nicht unberücksichtigt zu lassen. Sprachlich fällt auf, dass häufig Quellenbezeichnungen übernommen wurden, für die ein deutsches Äquivalent durchaus vorhanden wäre, so etwa „Camp“ statt „Lager“. Auch lässt sich eine Unsicherheit bei der Verwendung osteuropäischer Namen festzustellen, die in unterschiedlichen Schreibweisen auftauchen. Der Wert der Arbeit überwiegt jedoch diese Kritik. Wer sich mit DPs in der britischen Zone beschäftigt, besitzt nun eine weitere quellengesättigte Rückgriffmöglichkeit.

Anmerkungen:
1 Jacobmeyer, Wolfgang, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945-1951, Göttingen 1985.
2 Bethell, Nicholas, Das letzte Geheimnis. Die Auslieferung russischer Flüchtlinge an die Sowjets durch die Alliierten 1944-47, Frankfurt am Main 1975.
3 Jacobmeyer (wie Anm. 1), S. 46ff.
4 Eckert, Gisela, Hilfs- und Rehabilitierungsmaßnahmen der Westalliierten des Zweiten Weltkrieges für Displaced Persons (DPs), dargestellt am Beispiel Niedersachsens 1945-1952, Braunschweig 1995, S. 273.

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