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Titel
Die Christus- und Engelweihe im Mittelalter. Texte, Bilder, Studien zu einem ekklesiologischen Erzählmotiv


Autor(en)
Tischler, Matthias M.
Reihe
Erudiri Sapientia 5
Erschienen
Berlin 2005: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
244 S.
Preis
€ 94,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric W. Steinhauer, Universitätsbibliothek, Technische Universität Ilmenau

Die vorliegende Publikation zur Christus- und Engelweihe im Mittelalter von Matthias M. Tischler behandelt ein wenig beachtetes Thema mittelalterlicher Liturgie und Frömmigkeit. Es geht um die legendarisch behauptete übernatürliche Weihe von Kirchen durch Christus und seine Engel. Den Begriff der Christus- oder Engelweihe sucht man in den gängigen Nachschlagewerken wie dem Lexikon des Mittelalters, dem Lexikon für Theologie und Kirche (alle Auflagen) oder auch dem als Fundgrube unerschöpflichen Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens vergebens.

Umso interessanter ist daher der vorliegende Band. Er gliedert sich in eine ausführliche, mit „Studien“ überschriebene Abhandlung (S. 13-78) zum Phänomen der Christus- und Engelweihe, eine Sammlung lateinischer Quellen mit entsprechenden Weihelegenden (S. 79-149) sowie einen Bildteil (S. 143-166). Der Band wird durch eine über 40-seitige Bibliografie und mehrere Register (Bibelstellen, Handschriften und Drucke, Personen, Orte sowie Sachen und Begriffe) beschlossen.

Die Intention des Verfassers ist es nicht so sehr, eine umfassende und gelehrte Studie zu den gebotenen Kirchweihlegenden zu schreiben, sondern durch die Sammlung des verstreut und unübersichtlich überlieferten Materials die Basis für entsprechende Forschungen zu schaffen. Gleichwohl ist die Einleitung, die Tischler seiner Sammlung vorausschickt, mehr als nur eine kurze Hinführung zum Thema. Nach einer Schilderung des biblischen und liturgischen Rahmens der Christus- und Engelweihe, bietet er eine Chronologie der Überlieferung der im Quellenteil gebotenen Weihelegenden und ihrer Kontexte. Neben Hagiografie werden auch kirchenrechtliche und ökonomischen Aspekte behandelt. So weist Tischler darauf hin, dass die Konsekration einer Kirche Jurisdiktionsansprüche des Konsekrators nach sich zieht. Will sich eine Kirche gegen entsprechende Ansprüche wehren, ist die Behauptung einer übernatürlichen Konsekration eine durchaus plausible Strategie. Auch können Weihelegenden fehlende Stiftungsurkunden ersetzen. Als weitere Motivation für eine Weihe durch Christus und seine Engel benennt Tischler schließlich den Wechsel des Patroziniums.

Für die Kirche in Einsiedeln, die der Legende nach durch Engel geweiht worden sein soll und Ausgangspunkt für Tischlers Beschäftigung mit dem Thema war, wird eine vertiefte Analyse der Weihelegende geboten (S. 50-59). Dabei zeichnet Tischler in ständiger Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur die Entstehung und Überlieferung der Einsiedler Engelweihe nach. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Engelweihe zunächst unter jurisdiktionellen Vorzeichen entstanden ist, später aber den Wechsel vom Salvator- zum Marienpatrozinium ermöglicht hat, was wiederum Voraussetzung für die spätmittelalterliche Marienwallfahrt war. 1

Im zweiten Teil werden alle heute bekannten mittelalterlichen Christus- und Engelweihetexte in der Textgestalt der einschlägigen Sammlungen mit kleinen Korrekturen abgedruckt. Aus dem deutschen Sprachraum sind zu nennen: Andechs, Augsburg, Bruckdorf, Einsiedeln, Waldsassen und Weih-Sankt-Peter bei Regensburg. Im Bildteil werden drei Motive in mehreren Abbildungen aufgeführt, nämlich die Engelweihe der Bartholomäuspassion sowie die Christus- und Engelweihe von Saint-Denis und Einsiedeln.

Tischlers Studie und die gebotenen Texte zeigen, vor allem im Falle Einsiedelns, dass es lohnend ist, den historischen und rechtlichen Kontext der Weihelegenden genau zu erheben, um ihren Aussagegehalt und ihre Funktion zu verstehen. Dabei wird deutlich dass Weihelegenden vor allem in Zeiten von Umbrüchen und Infragestellungen der kultischen Selbstvergewisserung einer kirchlichen Gemeinschaft dienen.

Diese Erkenntnis ist nicht nur für Mediävisten von Interesse. Auch Volkskundler sollten dem Motiv der übernatürlichen Kirchweihe und seinem Kontext Beachtung schenken. In der jüngsten Kirchengeschichte lassen sich vergleichbare Phänomene in Form diverser Marien-Erscheinungen (z.B. Lourdes oder Fatima) finden. Bei näherem Hinsehen können durchaus vorsichtige Parallelen zu den mittelalterlichen Kirchweihlegenden gezogen werden. Geht es bei den mittelalterlichen Texten um die Legitimation einer Kirche oder Wallfahrt als geistliches Zentrum, so steht bei den „modernen“ Marien-Erscheinungen eine bestimmte Frömmigkeitsform im Vordergrund, die von der Erscheinung und ihrer Botschaft eine besondere Legitimation ableitet.

Für die weitere Forschung, gleich in welche Richtung sie zielt, hat Tischler mit seiner Sammlung und kundigen Einleitung einen sehr nützlichen Ausgangspunkt geschaffen.

Anmerkung:
1 In diese Richtung geht auch E. Gilomen-Schenkel, Art. „Einsiedeln“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3 (1995) Sp. 1745, den Tischler, der ansonsten akribisch belegt, wohl übersehen hat.

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