J. W. Koopmans (Hg.): News and Politics in Early Modern Europe

Cover
Title
News and Politics in Early Modern Europe (1500-1800).


Editor(s)
Koopmans, Joop W.
Series
Groningen Studies in Cultural Change 13
Published
Extent
270 S.
Price
€ 45,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Markus Friedrich, Historisches Seminar, Johann Wolfgang Goethe-Universität

Der Herausgeber hat in diesem Band eine in inhaltlicher und qualitativer Hinsicht kohärente Gruppe von Beiträgen versammelt. Jeremy Popkin behandelt das Thema im europäischen Überblick („New Perspectives on the Early Modern European Press“), Minou Schraven („The Representation of Court Ceremonies in Print. The Development and Distribution of the Funeral Book in Sixteenth-Century Italy“) und weitere Beiträge konzentrieren sich auf Italien. Der Rest der Aufsätze widmet sich England und insbesondere den spanischen bzw. der Republik der Niederlande. Eine thematische Sonderstellung nimmt der Beitrag von Henk Gras ein („The Elisabethan Theatre as Early Modern Television“). Dort wird, unter „heuristischer“ Verwendung der Fernseh-Metapher (S. 116), das Verhältnis der Dramenproduktion zu den vorhandenen Nachrichten („news“) thematisiert. Phänomene wie Kommerzialisierung, Sentimentalisierung, die erotische Aufladung von Nachrichten sowie Remakes oder „Sequels“ von erfolgreichen Themen waren bereits um 1600 bekannt.

Die Beiträge lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen. Die erste konzentriert sich auf die Netzwerke, die Praktiken und die Effizienz der Informationsbeschaffung, sei es für politische Zwecke, sei es für die journalistische Weitergabe. Brendan Dooley („Sources and Methods in Information History. The Case of Medici Florence, the Armada, and the Siege of Ostende“) illustriert das Funktionieren der Medici-Netzwerke recht anschaulich, auch wenn sein Beitrag entgegen dem im Titel geäußerten Anspruch keinerlei methodische Grundlegung einer „Informationsgeschichte“ liefert. Geert H. Janssen („Dutch Clientelism und News Networks in Public and Private Spheres. The Case of Stadholder William Frederick 1613-1664) eröffnet wichtige Perspektiven mit dem grundsätzlichen Nachweis, dass Klientelnetzwerke der Informationsbeschaffung dienten. Darüber hinaus kann er zeigen, dass verschiedene Typen von Klienten verschiedene Typen von Informationen lieferten. Am Ende steht die provozierende These, dass kommerzielle – darf man ergänzen: professionalisierte? – Informanten schlechter funktionierten als informelle (S. 165). Joop W. Koopmans („Supply and Speed of Foreign News to the Netherlands during the Eighteenth Century. A Comparison of Newspapers in Haarlem and Groningen“) wendet sich zunächst der Nachrichtenorganisation in den untersuchten Zeitungen zu, ehe er sich mit der Verteilungsgeschwindigkeit der Nachrichten und damit der Aktualität der Zeitungen befasst. Der vielleicht wichtigste Abschnitt seines Aufsatzes behandelt die Frage, inwiefern zum einen die Langsamkeit, zum anderen die Serialität der Nachrichtendistribution die zeitgenössische Wahrnehmung von Ereignissen und ihren Kausalzusammenhängen beeinflusste (S. 196ff.). Die Bemerkungen zur spezifisch frühneuzeitlichen Grenzziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit und zum Einfluss der Presse auf das Zeitbewusstsein geben Anregungen auf einem noch weitgehend unbestellten Feld (siehe dazu auch den Beitrag von Popkin, S. 20-23).

Eine zweite Gruppe von Beiträgen konzentriert sich auf die Inhalte gedruckter Nachrichtenmedien und erörtert deren Verhältnis zur zeitgenössischen Politik. Vincent van Zuilen („The Politics of Dividing the Nation? News Pamphlets as a Vehicle of Ideology and National Consciousness in the Habsburg Netherlands, 1585-1609“) geht der Frage nach, inwieweit südniederländische Pamphlete zur Spaltung der Niederlande beitrugen und inwieweit sie dieser Entwicklung gegensteuern wollten. Anders als van Zuilen (S. 67, 70) erscheint dem Rezensenten der Versuch der Habsburger allerdings nicht verwunderlich, „to unify the Netherlands by emphasising the moral differences“ zwischen ihnen und den „Rebellen“. Die Analyse der identitätspolitischen Funktion der Nachrichtenpublikation scheint hier noch ausbaufähig. Natasja Peeters („News, International Politics and Diplomatic Strategies. Reporting on the Visit of Don Louis William of Portugal [...] to the Southern Netherlands, May 1625“) gleicht die Berichterstattung über den Prinzenbesuch mit der politischen und sozialen Lage ab, in der sich Louis William damals befand. Leider bleibt dieser Beitrag bei der Rekapitulation der relevanten Fakten und einem schlichten Abgleich mit den Berichten stehen, ohne dass sich weitere Analysen anschließen würden.

In angemessen komplexer Weise wird das Verhältnis der Berichterstattung zur berichteten Realität dagegen thematisiert von Donald Haks („War, Government and the News. The Dutch Republic and the War of the Spanish Succession, 1702-1713“). An mehreren Beispielen zeigt Haks auf, wie die verschiedenen Medien mit wichtigen Kriegsneuigkeiten umgingen und inwieweit der Gestus ‚reiner Berichterstattung’ gegenüber der parteilichen Stellungnahme überwog. In Ergänzung zu Koopmans kann Haks belegen, dass verschiedene Zeitungen ähnlich schnell und umfassend informiert waren wie die Staatsmänner selbst. An Haks Schlussbemerkung zur eher zurückhaltenden Nutzung der entstehenden öffentlichen Sphäre für politische Debatten können andere Aufsätze anschließen. Paul Arblaster macht das Thema Öffentlichkeit und Geheimhaltung zum Schwerpunkt seines Beitrags („’Dat de boecken vrij sullen wesen’. Private Profit, Public Utility and Secrets of State in the Seventeenth-Century Habsburg Netherlands“). In aufschlussreicher Weise reflektiert er dabei die ambivalente Mischung von Publizität und Geheimhaltung, die die staatliche Politik umgab und folglich auch die Berichterstattung darüber prägte. Reputationsstreben und Propaganda machten eine gewisse Öffentlichkeit nötig, während diese doch durch Zensur eingehegt werden sollte. Entsprechend ambivalent wird die Freiheit der Presse in den Niederlanden bewertet: Bis zu einem gewissen Grad konnten sich Autoren und Buchhändler faktisch auf eine Freiheit verlassen, ohne dass sie dabei aber als uneingeschränkt gültiges Prinzip angesehen wurde. Ähnliches stellt auch Rietje van Vliet („Leiden and Censorship During the 1780s. The Overraam Affair and Elie Luzac on the Freedom of the Press“) für den Fall des Buchhändlers Elie Luzac fest. Eine gewisse „Kultur der Offenheit“ sei in Praxis und Theoriebildung zu konstatieren, ohne dass dies uneingeschränkte Pressefreiheit bedeutete (S. 214-217).

Explizit mit dem Einfluss von Nachrichtenmedien auf die öffentliche Meinung beschäftigen sich schließlich Angela McShane Jones („The Gazet in Metre or the Rhiming Newsmonger. The English Broadside Ballad as Intelligencer. A New Narrative“) und Marcel Broersma („Constructing Public Opinion. Dutch Newspaper on the Eve of a Revolution, 1780-1795“). McShane Jones provokativer Aufsatz kehrt das Verhältnis der Balladen zur Nachrichtenvermittlung um: Das Medium habe niemals zur Verbreitung, sondern vielmehr zur Kommentierung von bereits verbreiteten Neuigkeiten gedient. Insofern seien die Balladen auch nicht eigentlich in eine (Vor-)Geschichte der Zeitungen einzuordnen, wie die Forschung das mit sehr negativen Folgen für die Beurteilung der Balladen zumeist annehme. Broersma erörtert die Frage, welche verschiedenen Formen von Politisierung der öffentlichen Meinung denkbar sind und wie weit diese um 1795 fortgeschritten war. Als wesentliche Aussage kann dabei festgehalten werden, dass eine Politisierung auch dann stattfand, wenn ohne explizite Parteinahme, ‚neutral’, über Politik überhaupt berichtet wurde, etwa durch den Abdruck von Dokumenten. Nicht zuletzt in diesem Sinne sieht Broersma eine Politisierung der öffentlichen Meinung im Untersuchungszeitraum als gegeben an.

Vielleicht würde man sich von einem Band, der das Verhältnis von Nachrichtenwesen und Politik so prominent thematisiert, eine etwas stärkere Reflexion der Wahrnehmung von Politik und deren Veränderung durch die Berichterstattung erwarten. Hier wäre – in Fortsetzung von Koopmans Bemerkungen – vor allem auf den Einfluss der infrastrukturellen Rahmenbedingungen (zeitverzögerte Berichterstattung) und die narrative Struktur der Nachrichten (Konstruktion von ‚Evidenz’ durch Präsentation von Augenzeugen) stärker einzugehen. Auch wäre der Zusammenhang von Nachrichtenwesen und Politikverständnis weiterer Analysen wert. Trotzdem überzeugt der Band nicht nur durch die Qualität der meisten Beiträge, sondern auch dadurch, dass eine Reihe von Erkenntnissen wiederkehren, ohne dass dies künstlich veranlasst wirkt. So kommt mehrfach das oben angesprochene Problem zur Sprache, wie sich politische ‚Information’ und politische ‚Stellungnahme’ zueinander verhalten. Bemerkenswert ist dabei, dass wiederholt der Gestus ‚meinungslosen Informierens‘ angesprochen und von politischer Meinungsbildung unterschieden wird. Hier wäre zweifellos ein erster Ausgangspunkt für eine nach wie vor erst zu konzipierende ‚Informationsgeschichte’ zu sehen. Mehrfach erwähnt wird ferner das Verhältnis von ‚innenpolitischer’ zu ‚außenpolitischer’ Berichterstattung. Hier scheint ein Konsens darüber zu herrschen, dass die Presse eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den arcana der Innenpolitik wahrte (Haks, S. 169; Broersma, S. 222; siehe auch Koopmans, S. 199). Schließlich wird der Umfang der Meinungs- und Pressefreiheit an verschiedenen Stellen ähnlich beurteilt (neben den genannten Stellen auch Arblaster, S. 89-95). Dabei entsteht das Bild einer von Anfang an kontrollierten und gelegentlichen Übergriffen ausgesetzten, aber doch insgesamt weitgehend unbehelligten und selbstbewussten Presse, die vor diesem Hintergrund mit einer gewissen Selbstbeschränkung agierte.

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