Bereits in den Anfängen des Zionismus und auf den bevorstehenden Ersten Zionistenkongress, der 1897 in München stattfinden sollte, reagierten liberale und orthodoxe deutsche Juden mit Ablehnung und Protest, was zur Verlegung des Kongresses führte. Innerjüdischer Widerspruch gehörte somit zu den ersten Reaktionen auf den Zionismus. Aber wie positionierten sich nichtjüdische Politiker, Publizisten und Gelehrte zum Zionismus? Und welche Vorstellungen, Ängste und Hoffnungen projizierten sie auf diesen?
Diesen Fragen widmet sich Fabian Weber in seiner 2020 veröffentlichten Dissertation. In seiner Einleitung macht er deutlich, dass anhand des Zionismus nicht nur innerjüdische Identitätskonflikte ausgetragen, sondern auch Fragen des Zusammenlebens zwischen Juden und Nichtjuden ausgehandelt wurden, die er in seiner Arbeit im Zeitraum von 1897 bis 1933 anhand dreier Akteursgruppen untersucht. Im ersten thematischen Kapitel erforscht Weber die Beziehung zwischen Zionisten und deutschen Regierungsbeamten als Bestandteil der deutschen Kolonialpublizistik (Kapitel 2), anschließend behandelt er antisemitische Agitatoren und deren Wahrnehmung des Zionismus (Kapitel 3), das letzte Kapitel analysiert die Zionismusrezeption von christlich-protestantischen Judenmissionaren (Kapitel 4). In seiner Arbeit untersucht Weber primär publizierte Quellen. Dazu gehören Bücher, Broschüren, Zeitungs- und Reiseberichte sowie gedruckte Interviews und Vorträge. Zudem arbeitet er mit unveröffentlichten Quellen, indem er interne diplomatische Berichte der deutschen Konsulate in Palästina, Materialien über Vortrags- und Propagandatätigkeiten antisemitischer Akteure, interne Korrespondenzen über die Pressearbeit der deutschen Zionisten sowie hinsichtlich des Zionismus zusammengestellte Mappen im Evangelischen Zentralarchiv berücksichtigt.
Im zweiten Kapitel erläutert Weber, wie jüdische Zionisten und nichtjüdische Akteure den Zionismus als Mittler zwischen Orient und Okzident und damit als nützliches Instrument zur Machtexpansion des Deutschen Reiches beurteilten. Beispielsweise sprach der von Weber porträtierte Pastor Otto Eberhard (1875–1966) von einer Modernisierung des Orients und einem daraus resultierenden wirtschaftspolitischen Nutzen. Zudem betonte er den humanitären Wert des Zionismus für das Judentum, da dieser “einen neuen Typus des Judentums“ (S. 77) repräsentiere. Eberhards Begeisterung für den Zionismus beinhaltete zugleich eine ablehnende Haltung gegenüber anderen Strömungen des Judentums. Eine solche Dichotomie wurde auch von Julius Löytved-Hardegg (1847–1917), Konsul von Haifa, konstatiert. Während er sich von der Ersten Palästinafahrt der national-jüdischen, deutschen Studentenverbindungen im Frühjahr 1913 beeindruckt zeigte1, begegnete er assimilierten Juden mit Geringschätzung. Auch “Ostjuden” erfuhren durch die geschaffene Zweiteilung Ablehnung. Im Falle der Letzteren durch antisemitische und völkische Stimmen, die während des Ersten Weltkriegs ihre sich in erster Linie gegen “Ostjuden” richtenden Stereotype mit einer Unterstützung des Zionismus verknüpften. Denn völkische Aktivisten sahen im Zionismus ein nützliches Mittel, um die Emigration osteuropäischer Juden und Jüdinnen nach Palästina umzulenken, deren Einwanderung in das Deutsche Reich sie auf diese Weise zu verhindern versuchten.
Prozionistische Unterstützung, die sich gegen eine antisemitische Vereinnahmung des Zionismus wandte, erhielt die Zionistische Bewegung durch liberale und sozialdemokratische Politiker und Publizisten. Sie engagierten sich für den Zionismus, indem sie positive Schilderungen über das Aufbauwerk in Palästina in den großen, deutschen Tageszeitungen veröffentlichten und als Mitglieder im Pro Palästina Komitee (PPK) versuchten, die deutsche Regierung zu einer aktiven Unterstützung des Zionismus zu bewegen. Zu dessen Mitgliedern gehörten Philipp Scheidemann (1865–1935), Max Weber (1864–1920) und Ernst Jäckh (1875–1959), in dessen Privatwohnung bereits 1915 führenden Zionisten ein Forum geboten wurde, um über die Motive und Ziele ihrer Bewegung zu referieren. Auf Basis dieser Zusammenarbeit hofften Zionisten, nicht nur die deutsche Außenpolitik im prozionistischen Sinne beeinflussen zu können, sondern auch mittels positiver Stellungnahmen nichtjüdischer Protagonisten neue Anhänger unter den deutschen Juden für den Zionismus gewinnen zu können, die ihrer Bewegung größtenteils kritisch gegenüberstanden, was sich beispielhaft an ihren Protesten gegen das PPK im Jahr 1927 zeigte.
Im dritten Kapitel untersucht Weber die antisemitischen Akteure, wobei er sich auf negative Zionismusrezeptionen konzentriert. Besonders aufschlussreich und argumentativ überzeugend gelingt es ihm, anhand seiner Quellenanalyse die These Francis R. Nicosias zu widerlegen, der in seiner 2012 erschienenen Studie den Zionismus in antisemitischen Rezeptionen als “nützliche[n] Feind” (S.241) interpretiert hatte.2 Weber schreibt hierzu: “Laut Nicosia war das Ziel eines Judenstaates nicht zwingend befürwortet und oft sogar abgelehnt worden, wobei die zionistische Bewegung aus der Sehnsucht nach Entfernung der Juden heraus in praktischer Hinsicht nahezu einhellig begrüßt worden sei.” (S. 241) Diese These lehnt Fabian Weber ab, indem er anhand der Zionismusrezeption Wilhelm Marrs (1819–1904) argumentiert, dass die antisemitische Forderung nach der Ausweisung der Juden nicht notwendigerweise mit einer Unterstützung des Zionismus einherging: Laut Marr sollte die Ausreise der Juden nicht als ein unter jüdischer Führung “geordneter Zug”3, wie es Herzl 1897 in seinem “Judenstaat” vorschwebte, erfolgen. Denn Marr, der die Ausweisung als Bestrafung der Juden ansah, plante – entgegen zionistischer Vorstellungen – keinen jüdischen Staat, sondern eine Art Strafkolonie in Palästina einzurichten. Aufgrund dieser Ausführungen besteht für Weber das einzige Zugeständnis seitens der antisemitischen Akteure an den Zionismus, dass sie diesen zur Bestätigung ihrer Kategorisierung der Juden als einer “fremde[n] und damit von nichtjüdischen Deutschen abzusondernde[n] Rasse” (S. 241) heranzogen.
Weber gelingt es durch die Untersuchung und Gegenüberstellung positiver und negativer Zionismusrezeptionen, dem Leser ein differenziertes Bild der Wahrnehmungsgeschichte antisemitischer Akteure vorzustellen. Neben Marr widmet er sich ausführlich dem Philosophen Eugen Dühring (1833–1921), dem Aristokraten Börries von Münchhausen (1874–1945) und dem Soziologen Werner Sombart (1863–1941). Im Unterschied zu Nicosia, der sich in seiner Studie auf den nationalsozialistischen Kreis um Alfred Rosenberg (1893–1946) fokussierte, untersucht Fabian Weber nicht nur einen größeren Rezipientenkreis, sondern verweist auch auf Entwicklungsstufen in der Rezeptionsgeschichte, indem er den Untersuchungszeitraum auf das Kaiserreich und die Weimarer Republik ausweitet. Beispielsweise radikalisierte sich die Einstellung vieler antisemitischer und völkischer Akteure in der Weimarer Republik mit der Verbreitung des antisemitischen Pamphlets der “Protokolle der Weisen von Zion”. Auf deren Grundlage wurden verschiedene Verschwörungsmythen und antisemitische Stereotype auf den Zionismus projiziert, sodass dieser in den 1920er-Jahren in stärkerem Maße als Bedrohung wahrgenommen wurde.
Neben den zionismusfeindlichen Rezeptionen verweist Weber am Beispiel Werner Sombarts auf positive Stellungnahmen. Sombart befürwortete die Gründung eines Judenstaates und sprach sich für den Zionismus aus. Seine zustimmende Haltung beinhaltete zugleich scharfe Kritik an der Mehrheit der deutschen, assimilierten Juden. Zudem vertrat er die Ansicht, besser als die Juden zu wissen, was der richtige Weg für sie sei. Eine Annahme, die den Leser/innen auch im abschließenden Kapitel des Buches begegnet, in dem die Positionen der christlich-protestantischen Judenmissionare in Bezug auf ihre auf den Zionismus projizierten Hoffnungen und Erwartungen untersucht werden. Die Unterstützung für den Zionismus wurde aus der heilsgeschichtlichen Bedeutung der Juden für die gesamte Menschheit hergeleitet, die verschiedene Theologen dem Zionismus attestierten. Zugleich verknüpften prozionistische Judenmissionare die Gründung eines Staates an die Forderung nach religiöser Erneuerung. Zeigten sich Zionisten nicht bereit, sich dem Christentum zuzuwenden und ihre säkulare Haltung abzulegen – grundlegende Voraussetzung für den von Missionaren imaginierten “göttliche[n] Staat” (S. 275) –, schlug die (anfängliche) Begeisterung für den Zionismus schnell in judenfeindliche Äußerungen um. Selbst der Theologe Carl Friedrich Heman (1839–1919), der sich öffentlich für den Zionismus engagierte und sich gegen direkte Missionsversuche aussprach, entwarf ein warnendes Szenario für den Fall, dass Juden (seinen) heilsgeschichtlichen Erwartungen nicht gerecht werden würden. Dieses Beispiel verdeutlicht erneut, wie stark Zionismusrezeptionen spezifischen, nichtjüdischen Erwartungen und Hoffnungen unterlagen, welche die Wahrnehmung und die Beurteilung des Zionismus beeinflussten.
In seiner Gesamtheit dokumentiert Webers Studie, wie nichtjüdische Protagonisten anhand des Zionismus über Fragen der Zugehörigkeit, Nationalität und Religion diskutierten, zum Teil im Dialog mit Zionisten, zum Teil als Bestandteil antisemitischer Angriffe. In jedem der drei Kapitel findet sich die fundierte Analyse eines breiten Quellenkorpus, in der sich positive und negative Zionismusrezeptionen der jeweiligen Akteursgruppe gegenüberstehen. Auch wenn die drei Kapitel in sich geschlossen sind, finden sich Anknüpfungspunkte, insbesondere durch die personelle Verbindung zu Theodor Herzl (1860–1904), der wiederholt thematisiert wird und in den Kapiteln 2 und 4 als gemeinsamer Aufhänger dient. Hinsichtlich dieser Zusammenhänge wäre ein abschließendes, die Kapitel verbindendes Fazit wünschenswert gewesen. Aber auch ohne dieses gelingt es Weber, eine überzeugende, argumentativ schlüssige Studie vorzulegen, an deren Ende der Gewinn neuer Erkenntnisse stehen, insbesondere über das bisher wenig erforschte PPK und über antisemitische Agitatoren und ihre mannigfaltigen Zionismusrezeptionen.
Anmerkungen:
1 Vgl. auch Miriam Rürup, Gefundene Heimat? Palästinafahrten national-jüdischer deutscher Studentenverbindungen 1913/1914, in: Leipziger Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur 2 (2004), S. 167–190.
2 Francis R. Nicosia, Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich, Göttingen 2012.
3 Theodor Herzl, Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen, Kronberg 1978, S. 205.