A. v. Saldern (Hrsg.): Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen

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Titel
Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen Umbruchszeiten.


Herausgeber
Saldern, Adelheid von
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
393 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Betker, Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung, RWTH Aachen

Die moderne Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts ist auf vielfältige, ambivalente und widersprüchliche Weise mit Entgrenzungen und Auflösungserscheinungen konfrontiert, mit neuen Grenzziehungen und Differenzierungen, mit Revitalisierungen und immer wieder neuen Versuchen, auch sozial und kulturell zusammenzuhalten, was in einem räumlichen Kontext steht. Urbanität und Öffentlichkeit sind Schlüsselworte in den Diskursen, die sich um das Verständnis der modernen Stadt und ihrer Stadtentwicklungen bemühen.

Der von der Hannoveraner Historikerin Adelheid von Saldern herausgegebene Sammelband „Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen Umbruchzeiten“ leistet dazu einen Beitrag, indem er thematisch breit angelegt und multidisziplinär danach fragt, wie sich städtische Öffentlichkeiten und Urbanität gerade in Umbruchzeiten verändern und behaupten, wie gefährdet sie sind und mit welchen Impulsen sie den inneren Zusammenhalt der Stadt immer wieder auch stärken können.

Im Fokus der meisten Beiträge stehen die 1970er-Jahre als „Satteldekade“ (von Saldern, S. 14), in der sich die Städte zu Orten gesellschaftlicher Konflikte und Aushandlungsprozesse, neuer kultureller Praxisformen „von unten“ sowie neuer image- und ereignisorientierter Repräsentationsstrategien „von oben“ entwickeln. Gerade in dieser Zeit kippen klassische Vorstellungen von Modernität. Die nachlassende Fähigkeit des Fordismus, Modernität in Arbeitsleben, Sozial- und Raumstruktur zu konstituieren, hat sicher dazu beigetragen. Vor allem eröffnen sich neue kulturelle Spielräume, die teils jedoch wieder eingeengt werden, weil die ökonomische Krise ab 1973/74 die lange Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs vorerst beendet und ihren Tribut fordert. Schon im Zuge der Studentenbewegung der späten 1960er-Jahre, mit Gesellschafts-, Stadt- und Stadtplanungskritik, wurden sowohl restaurative politische und kulturelle Tendenzen als auch radikal moderne Strategien des funktionalistischen Stadtumbaus gegeißelt, Veränderungen eingefordert und initiiert – die teils bis heute nachwirken.

Die Herausgeberin leitet den Band souverän ein und erläutert die zentrale These vom „dynamischen Spannungsverhältnis“ zwischen Entgrenzung und Revitalisierung bzw. Kohäsion. Wichtig sind ihr vor allem Ereignisse sowie Räume und Orte der Kommunikation in der Stadt, die in den 1970er-Jahren vielfältiger und kommunikativer genutzt wurden als noch zuvor, sowie deren Potential für die „soziale Konstruktion von Urbanität“ (S. 18). Die stadtpolitische Dimension der Kommunikation kennzeichnet ein zweites Anliegen der Autorin. Ein offeneres Verhältnis zur Bürgerschaft, Imagepflege und symbolischen Repräsentationen sind kommunikative Instrumente einer um die Identität und das wirtschaftliche Wohl der Stadt bemühten Stadtpolitik. Gleichzeitig organisieren Bürgerschaften eigene Öffentlichkeiten, um Interessen gegenüber kommunalen Institutionen durchzusetzen. Und drittens ist es von Saldern wichtig, zwischen verschiedenen Dimensionen von Entgrenzung und Kohäsion zu unterscheiden, auf die mit je eigenen Kommunikationsstrategien zu reagieren ist. Auf der „sozialräumlichen Ebene“ markieren Funktionentrennung, Suburbanisierung und zunehmende Mobilität starke Trends, die teils bis heute mit „sozialer Desintegration“, „Verinselung in auseinanderdriftenden Lebenswelten“ und Entfremdung der Menschen von ihrer Stadt einhergehen. Nach wie vor gilt aber: Die Stadt der Begegnung, die Stadt der kollektiven Erinnerung, die Stadt der vertrauten Orte bleibt wichtig im Leben der Menschen (S. 44).

Die Ethnologin Beate Binder knüpft in ihrem Beitrag an den Stadtentwicklungsdebatten der 1960er- und 1970er-Jahre an. Ins Zentrum rückt sie den Begriff der Urbanität, der in der Diktion Edgar Salins auf dem Deutschen Städtetag 1960 als „fruchtbare Mitwirkung des Menschen am Poliswesen“ den Auftakt einer kritischen Stadt- und Stadtplanungsdiskussion bis in die 1970er-Jahre hinein bildete (S. 49). Sie kontrastiert Salins Gedankengänge mit den stadträumlichen Programmatiken der 1970er-Jahre, ohne jedoch hinreichend zu reflektieren, dass zuvor, ebenfalls in der Folge Salins noch in den 1960er-Jahren unter dem Motto „Urbanität durch Dichte“, gigantische Stadtumbauten und -erweiterungen stattgefunden haben, die aus heutiger Perspektive geradezu antiurban anmuten.

Der Oldenburger Stadtsoziologe Walter Siebel fragt danach, inwieweit die vor allem in jüngster Zeit gebauten Malls urbane Qualitäten steigern oder gefährden können und sich hier ein neues Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit zeigt. Der empirische Vergleich mit den traditionellen Geschäftsstraßen in der Innenstadt zeigt demnach, dass die modernen Betriebsformen des Einzelhandels und der Freizeitindustrie nicht nur ein Stück des öffentlichen Raums privatisieren, sie machen sich auch unabhängig von einer urbanen Umgebung. Das bringt zweifellos neue, auch als urban zu bezeichnende Qualitäten mit sich. Entscheidend ist aber die private Produktion des Raums in der Mall, in der der Eigentümer nach ökonomischem Kalkül über Gestaltung und Nutzung entscheidet und letztlich das Verhalten der Menschen stark normiert: Die Mall ist ein Ort des „Dazwischen“, weder öffentlich noch privat (S. 81).

Mit einer Konkurrentin der Malls, den ab 1953 nach und nach in allen Städten eingerichteten Fußgängerzonen, beschäftigt sich der Historiker Jan Logemann. Fußgängerzonen machten Karriere als Vehikel des Massenkonsums, die sich flexibel an die jeweiligen stadträumlichen Bedürfnisse anpassten und zur Entflechtung der Verkehrsflächen in der Stadt beitrugen. Monofunktional auf das Einkaufen ausgerichtet, stellten sie zunächst keinen Kommunikationsraum dar, was sich allerdings ab den 1970er-Jahren änderte. Fußgängerzonen treten, so Logemann, der Dezentralisierung des städtischen Lebens entgegen und erwehren sich bis heute der Konkurrenz am Stadtrand.

Eine Reihe von Beiträgen behandelt eben jenen Stadtrand, den suburbanen Raum, der vielleicht mehr als andere Phänomene der Stadtentwicklung ab den 1970er-Jahren für Entgrenzung und Auflösung des Städtischen steht. Deutlich wird, dass es kaum möglich ist, diesen Räumen urbanes Leben einzuhauchen, in ihnen öffentliche und private Sphären zu gestalten. Die Historikerin Martina Heßler belegt dies am Beispiel zweier suburbaner Wissenschaftsparks am Stadtrand Münchens (Garching und Martinsried). Das Leitbild der Autonomie der Wissenschaft hat hier eine „funktionalistische Einöde“ hervorgebracht, die sich vom städtischen Leben entfremdete. Die räumlichen Strukturen erwiesen sich als so starr, die städtebaulichen Mittel als so unzureichend, dass auch das Motto „Urbanisierung der Wissenschaft“ kaum weiterhalf (S. 99). Nicht weniger instruktiv ist das von dem Historiker Meik Woyke ausgebreitete Beispiel der Mobilität im suburbanen Raum. Woyke spürte dem Leben am Hamburger Stadtrand anhand von Zeitzeugeninterviews mit Bewohnern nach und verarbeitete individuelle Wahrnehmungen und Erfahrungen gerade in jener Phase (1960er-Jahre), in der sich das Leitbild der „autogerechten Stadt“ durchsetzt.

Der Kulturwissenschaftler Gottfried Korff sowie die Historiker und Historikerinnen Lu Seegers, Georg Wagner-Kyora und Uta Schmidt wenden sich wieder der Innenstadt zu und beschäftigen sich auf je eigene Weise mit Fragen der Stadtrepräsentation. Alle hier beschriebenen Ansätze der Imagepolitik ab den 1970er-Jahren knüpfen an der Stadt- und Stadtplanungskritik der 1960er-Jahre an und versuchen Identität, Urbanität und Öffentlichkeit zu stiften. Anhand des Beispiels München im Olympia-Boom vor und nach 1972 beschreibt Korff Strategien der Groß- und Kleinfestivalisierung, die noch heute Stadtwahrnehmung und Strategien der Stadtrepräsentation beeinflussen (S. 175ff.). Das trifft prinzipiell auch auf Hannover zu, eine Stadt, die in den Augen ihrer Bewohner zum Ende der 1960er-Jahre zu verkümmern drohte. Lu Seegers rekonstruiert in ihrem überzeugenden Beitrag, mit welchen Strategien die Stadt auf die ernüchternden Ergebnisse einer 1969 durchgeführten Imagestudie reagiert. Das Resümee fällt ambivalent aus: Das Altstadtfest wurde zwar kommerzieller, die partizipatorische Stadtkultur blieb aber im urbanen Leben verankert (S. 206f.). Gerade die im II. Weltkrieg stark zerstörten und vom Wiederaufbau geprägten Städte hatten in den 1970er-Jahren Identitäts- und Imageprobleme. Wagner-Kyora wählte die „postmodernen“ (historisierenden) Wiederaufbauprojekte Dortmunder Rathaus und Braunschweiger Alte Waage als Beispiele, um Motive, Sinnstiftungen und kommunalpolitische Konfliktlinien zu rekonstruieren. Noch schwerer hatten es die meisten Ruhrgebietsstädte, denen jede vormoderne stadtbürgerliche Tradition fehlte, so Schmidt.

Der letzte Abschnitt des Bandes enthält unter der Überschrift „Herausforderungen und Aushandlungen“ eine heterogene Sammlung von Beiträgen. Gemeinsam mit der Stadtplanerin Barbara Zibell reflektiert von Saldern zentrale Anliegen und Reformziele der Frauenbewegung in der Aufbruch-Zeit der 1970er-Jahre. Auch hier fällt das Resümee ambivalent aus, denn ernüchtert stellen die Autorinnen fest, dass trotz aller Aufbrüche Frauenfragen etwa in der Stadtplanung „noch keinen selbstverständlichen Rang einnehmen“ (S. 388). Den gegenkulturellen Strömungen der Alternativkultur und der neuen Jugendkultur spüren Detlef Siegfried und Christian Heppner nach. Bei Heppner klingt schon an, dass zum Ende der 1970er-Jahre zunehmend ausländische Jugendliche die städtische Bühne betreten. Ansonsten fehlt in dem Band ein Beitrag, der sich mit der zweifellos marginalisierten Rolle der Zuwanderer in der Stadtgesellschaft der 1970er-Jahre beschäftigt. Der interessante Beitrag des Soziologen Jörg Hüttermann über den Konflikt um ein Minarettbauvorhaben in Halle/Westfalen in den Jahren 2001/02 kann diese Lücke nicht ganz füllen.

Auf zwei Defizite sei noch hingewiesen: Ein Beitrag zu den ökonomischen Krisen und Umbrüchen jener Zeit, der nicht nur die räumlichen, sozialen und kulturellen, auch die stadtökonomischen Folgen reflektiert, fehlt. Auch werden Stadt und Kommunikation in den Umbruchzeiten der DDR bewusst ausgeblendet. Das ist schade und hätte den insgesamt gelungenen und in vieler Hinsicht aufschlussreichen Band sicherlich noch bereichert, denn Städte, Kommunikation, Identitätsprobleme und Repräsentationsstrategien gab es auch in der DDR. Interessierte Leser/innen können hier allerdings auf zwei Publikationen der Herausgeberin zurückgreifen, in denen Kommunikation und Repräsentation im Zentrum stehen.1

Anmerkung:
1 Saldern, Adelheid von (Hrsg.), Inszenierte Einigkeit. Herrschaftsrepräsentationen in DDR-Städten, Stuttgart 2003; dies. (Hrsg.), Inszenierter Stolz. Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften (1935–1975), Stuttgart 2005; vgl. dazu die Rezensionen von Thomas Wolfes in: H-Soz-u-Kult, 29.04.2004, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-071 und von Philipp Springer in: H-Soz-u-Kult, 30.11.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-4-132.

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