Cover
Titel
Germanenideologie. Einer völkischen Weltanschauung auf der Spur


Herausgeber
Langebach, Martin
Reihe
Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 10589
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 4,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus Coesfeld, Bielefeld

Dieses Thema ist äußerst aktuell. Germanenbilder durchdringen weite Kreise der gegenwärtigen Geschichtskultur und sind präsent in den Medien. Auf Netflix etwa läuft die Serie „Barbaren“, in der es um die Varus-Schlacht geht. Diese haben allein in den ersten vier Wochen bereits über 37 Millionen Zuschauer gesehen.1 In Berlin präsentiert das Museum für Vor- und Frühgeschichte gerade die Sonderausstellung „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“. Da die Ausstellung in die Coronakrise fällt, lässt sich zurzeit zwar kaum anhand der Besucherzahlen ablesen, wie groß das Interesse in der Öffentlichkeit für das Thema ist, doch deutet sich dieses in einer großen medialen Präsenz an. Und während die Ausstellung nicht nur den aktuellen Forschungsstand über Germanen wiedergeben will, möchte sie eben auch mit falschen Vorstellungen über die Thematik aufräumen.2 Diese halten sich teilweise, wie im Band aufgezeigt wird, sehr hartnäckig.

Auf der Fachtagung „Odins Rückkehr – Ahnenkult und Rechtsextremismus“3 erläuterte Christian Meyer-Heidemann, Landesbeauftragter für politische Bildung in Schleswig-Holstein, dass die extreme Rechte Germanenbilder für zwei Zwecke missbrauche: Erstens nutze sie den ideologisch verfärbten Ahnenkult als positives Identifikationsmittel, zweitens bringe sie unter ihrem Deckmantel rechtsextremes Gedankengut in eine politische Mitte unter. Und genau hierin liegt eine präsente Gefahr.

Dass Germanen „ein geschichtspolitisches Paradebeispiel für die Indienstnahme der Vergangenheit für gegenwärtige oder zukünftige politische Ziele [sind], ohne dass es vielen überhaupt bewusst“ ist (S. 9), darauf macht auch Herausgeber Martin Langebach in seiner Einleitung aufmerksam. Die Fragestellungen des Bandes, so Langebach, zielen daher auf den Ursprung, die Entwicklung und gegenwärtige Formen der Germanenideologie. Und so stellt die Einleitung die folgenden sechs Aufsätze in Aufzeigung der Zusammenhänge vor.

Mischa Meier erläutert in seinem Beitrag zunächst die Frage, ob es überhaupt eine Volksgruppe gegeben hat, die sich als Germanen bezeichnete, und kommt auf die durchaus nicht neue Antwort: Wir wissen es nicht, denn die archäologischen Funde geben uns keinen Beleg hierfür. Viel mehr spitzt die These, Cäsar habe die Germanen „erfunden“, den Fakt zu, dass der Germanenbegriff von Anfang an eine römische Fremd- und Sammelbezeichnung für eine Vielzahl ethnischer Gruppen gewesen ist.

Aufgrund mangelhaften Wissens über „die Germanen“ dienen ebendiese seit jeher als Projektionsfläche eigener Vorstellungen seitens der Rezipienten. So war es schon bei den Römern zur Abgrenzung der eigenen Identität – und dies geschah, wie Ingo Wiwjorra aufzeigt, insbesondere seit dem 19. Jahrhundert, als man durch die Gleichsetzung der Germanen mit dem zur Nation werdenden Deutschland eine historische Kontinuität zur Identitätsstiftung konstruierte. Nationalistisch und rassistisch aufgeladen entstand hier die Germanenideologie, auf der die Völkische Bewegung fußen konnte.

Wie sich diese verbreitete, Netzwerke auf- und ausbaute und wie sie sich zunehmend radikalisierte, erläutert Uwe Puschner in seinem Beitrag. Auf dem Fundament eines teilweise rassistischen und antisemitischen Gedankenguts praktizierten einige Anhänger der unterschiedlichen völkischen Gruppierungen sogar eine neuheidnisch-religiöse Tiefe, die sich vornehmlich aus der nordischen Mythologie speiste und die der Politisierung und weiteren Radikalisierung im folgenden Nationalsozialismus den Weg bereitete.

Wie dann im „Dritten Reich“ viele Archäologen weitestgehend selbstständig ihre Forschungen ideologisierten und dem NS-Regime anpassten, zeigt Uta Halle kritisch auf. Die Archäologen des SS-Ahnenerbes und des Amtes Rosenberg verbreiteten ein Germanenbild, das eine rassische Überlegenheit der Deutschen gegenüber anderen Völkern propagierte. Um auch die Expansionsbestrebungen der Nazis zu legitimieren, erweiterten die Forscher den Germanenbegriff auf die Wikinger und setzten die beiden gleich.

Diese völkisch/nationalsozialistisch geprägten Germanenbilder sind medial so umfassend in die Gesellschaft eingeflossen, dass sie in Teilen bis heute nachwirken. Miriam Sénécheau spricht von einem „lebendigen Wissen“ (S. 167) über Germanen, das sich seit 1945 gehalten hat und ab der Milleniumwende in den populären Geschichtskulturen als „Germanenboom“ (S. 145) wieder stärker ablesen lässt. Dazu skizziert sie, wie teils stark veraltete, aber immer noch gängige Germanenbilder in Filmen, Wissensmagazinen und Schulbüchern transportiert werden.

Den Macherinnen und Machern in den Mainstream-Medien sei dies meist gar nicht bewusst. Sehr bewusst hingegen werden entsprechende Narrative in der extremen Rechten verbreitet. Wie und in welchen Organisationsformen dies geschieht, stellen schließlich Karl Banghard und Jan Raabe in ihrem Aufsatz dar. Obgleich schon die Nationalsozialisten Wikinger zu Germanen machten, wie Halle aufzeigt, und dieses Bild auch heute in den Medien zusammengelegt wird, wie Sénécheau erläutert, sind Wikinger heute immer noch weniger belastet als „Germanen“. Daher nutzt man im rechtsextremen Milieu tendenziell eher das Bild des Wikingers als das des Germanen.

Die Autoren des Bandes sind allesamt ausgewiesene Expertinnen und Experten auf ihren jeweiligen Gebieten. Ihre Aufsätze geben ihren Forschungsstand wieder und bieten daher nicht in erster Linie neue Erkenntnisse, sondern einen breit gefächerten Überblick über die Thematik. Sie bauen sinnvoll aufeinander auf und ergänzen sich dahingehend, dass sie unterschiedliche Episoden der Germanenrezeptionsgeschichte von der Römerzeit bis heute unter unterschiedlichen Gesichtspunkten beleuchten. Es wird herausgestellt, dass das Germanenbild seit jeher eine identitätsstiftende Ebene hatte – zur römischen Zeit zur Abgrenzung der Römer von den Völkern jenseits des Rheins, in der Neuzeit zur Konstruktion einer nationaldeutschen Kontinuität. Wissenslücken über die unter dem Sammelbegriff gefassten Völker wurden seit jeher durch ideologische Narrative aufgefüllt und so der eigenen Weltanschauung angepasst. Darum wäre vielleicht auch ein Aufsatz wünschenswert gewesen, der die jüngeren und gegenwärtigen Perspektive(n) außerhalb des deutschsprachigen Raums näher beleuchtet: Welches Germanenbild oder welche Germanenbilder entwickelten sich in den Geschichtskulturen der Länder, die sich nicht im gleichen Maße wie die Deutschen als Nachfolger der Germanen verstehen? Aber auch andere, etwa komparatistische oder medienpädagogische Ansätze hätten den Band bereichern können. Eine Aufzählung von Perspektiven, aus denen Germanenbilder noch untersucht werden müssten und teils ja auch werden, ist aber müßig. Das Thema ist groß und die Möglichkeiten sind vielfältig.

Insgesamt bietet der vorliegende Band nicht nur einen breiten Überblick über die Geschichte und aktuellen Tendenzen von Germanenbildern, sondern wird auch der Intention seines Herausgebers vollkommen gerecht, sich „auf die Spurensuche der Germanenideologie“ zu begeben und „entsprechende Bilder“ zu hinterfragen (S. 11). Dadurch sensibilisiert er in recht kompakter Weise dafür, welche politischen Dimensionen hinter scheinbar unpolitischen Narrativen stehen können.

Anmerkungen:
1 Vgl. Deutsche Serie "Barbaren" stellt Netflix-Rekord auf, in: Süddeutsche Zeitung, 20.11.2020, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/medien-deutsche-serie-barbaren-stellt-netflix-rekord-auf-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-201120-99-404452 (20.12.2020).
2 Vgl. Michael Schmauder / Matthias Wemhoff, Einleitung, in: Gabriele Uelsberg / Matthias Wemhoff (Hrsg.), Germanen. Eine archäologische Bestandaufnahme. Begleitband zur Ausstellung, Berlin 2020, S. 14.
3 Diese fand vom 14. bis 15. Dezember 2020 Corona-bedingt online statt, vgl. https://ahnenkult-und-rechtsextremismus.de (20.12.2020).

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