H. Plass: Zwischen Antisemitismus und Apartheid

Cover
Title
Zwischen Antisemitismus und Apartheid. Jüdinnen und Juden in Südafrika (1948–1990)


Author(s)
Plass, Hanno
Published
Extent
560 S.
Price
€ 24,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Mara Brede, Hamburg

Verglichen mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung engagierten sich während der Apartheid in Südafrika zwischen 1948 und 1990 überdurchschnittlich viele Jüdinnen und Juden im Kampf gegen die Apartheid. Diese Tatsache wurde bereits mehrfach festgestellt, ohne dabei auf die Bedeutung der Jüdischkeit einzugehen. In dem vorliegenden Buch widmet sich Hanno Plass daher explizit den jüdischen Akteurinnen und Akteuren im Befreiungskampf. Dabei betrachtet er das Thema unter drei Fragestellungen: Erstens wird nach einem gemeinsamen, spezifisch jüdischen Erfahrungsraum gefragt, der den Akteurinnen und Akteuren gemein und für ihre Entscheidung zum Widerstand verantwortlich war. Zweitens wird das Verhältnis zwischen den weißen jüdischen und den nichtweißen Aktivistinnen und Aktivisten betrachtet. Dabei wird gefragt, ob es ein gemeinsames Milieu gegeben hat und ob dadurch auch „eine Utopie einer zukünftigen egalitären, demokratischen Gesellschaft“ (S.16f.) ausgedrückt wurde. Drittens soll die Rolle der jüdischen Aktivistinnen und Aktivisten im Widerstand sowie ihr Einfluss auf die Exilorganisationen und das neue Südafrika betrachtet werden. Dabei stehen vor allem die Erfahrungen der jüdischen Akteurinnen und Akteure im Fokus.

Diese Fragen versucht Hanno Plass vor allem auf Grundlage von (auto-)biografischen Schriften der Aktivistinnen und Aktivisten sowie Dokumenten ihrer Organisationen zu beantworten. Allerdings gibt es kein umfangreiches Archiv der South African Communist Party (SACP) mehr und die Bestände im für die Erforschung des Widerstands gegen die Apartheid zentralen Mayibuye Archiv sind zumeist in die Bestände des African National Congress (ANC) integriert worden und dort nur noch lückenhaft vorhanden. Für das Buch wurden daher unter anderem die Interviewsammlungen von Hilda Bernstein im Mayibuye Archiv sowie von Julie Frederikse im South African History Archive (SAHA) verwendet. Für die Zeit des Exils wurden auch Quellen des Anti-Apartheid Movement (AAM) Archiv in der Bodleian Library in Oxford untersucht. Neben den Archivquellen wurden noch rund 30 autobiografische Schriften ehemaliger Aktivistinnen und Aktivisten verwendet, sowie weitere dokumentarische Interviews, die entweder noch in Archiven lagern oder unter anderem in einer von Immanuel Suttner1 herausgegebenen Interviewsammlung vorliegen.

Zunächst führt Plass ausführlich in die Geschichte des Widerstands in Südafrika ein. Dabei stehen die Entwicklung der Communist Party of South Africa (CPSA) und später der SACP im Vordergrund. Doch auch andere weiße Widerstandsformen und die Geschichte des ANC werden thematisiert. Im Fokus stehen aber die jüdischen Akteurinnen und Akteure an der Spitze der SACP. Auch die Situation im Exil beschreibt Plass mit dem Fokus auf London. Dabei geht er auch stark auf die privaten Netzwerke der Exilanten und ihre Integration in die Anti-Apartheid-Bewegung in London ein.

Im vierten Kapitel widmet sich Hanno Plass dann ausführlicher der Rolle von jüdischer und kommunistischer Identität. Dabei geht er klar davon aus, dass eine „Relevanz eines jüdischen Erfahrungsraumes [...] für die Gruppe der Aktivisten rekonstruiert werden“ kann (S. 317). Dieser werde durch die besondere Position der Juden und die anhaltende Debatte um ihren Status als „Weiße“ bzw. „Europäer“ begründet. Als Gruppe wurde ihre Zugehörigkeit immer wieder in Frage gestellt. Sowohl von der afrikanischen als auch von der jüdischen Community wurde ein besonderes Maß an Loyalität gegenüber Südafrika erwartet, sodass sich die jüdische Community selbst darum bemühte, dass Emigranten möglichst schnell Afrikaans oder Englisch sprachen und sich in die Gesellschaft integrierten. Allen Aktivisten sei daher in erster Linie eine Identifikation als Südafrikaner gemein (S. 378f.), während die Identität als Jüdinnen oder Juden sehr unterschiedliche Bedeutung haben konnte. Da alle Aktivisten bereits antisemitische Erfahrungen gemacht hatten, hätten sie, gerade im Kontext des erst kurz vor dem Wahlsieg der National Party (NP) beendeten Holocausts, im Rassismus der Apartheid auch immer eine Gefahr für die jüdische und alle anderen Minderheiten in Südafrika gesehen. Als Gemeinsamkeit erkennt Plass außerdem die Bedeutung der familiären Verhältnisse für die Entscheidung, sich dem Widerstand zu widmen. Wobei er hier die Aktivistinnen und Aktivisten in zwei Lager trennt: diejenigen, bei denen ein Bruch mit der Familie für die Hinwendung zum Widerstand entscheidend war, und diejenigen, die mit der Beteiligung am radikalen Widerstand im Grunde eine Familientradition weiterführten.

Zu dem Verhältnis zwischen den weißen jüdischen und den nichtweißen Akteurinnen und Akteuren stellt Plass fest, dass viele der jüdischen Aktivisten von ihren nichtweißen Kameraden nicht als weiß wahrgenommen wurden. In diesem Zusammenhang zitiert er unter anderem eine Begebenheit aus den Memoiren von Joe Slovo, dem späteren Vorsitzenden der CPSA. Dabei soll ein Vertreter des Pan Africanist Congress (PAC), auf ein gemeinsames Foto mit ihm angesprochen, geantwortet haben: „Dies sei kein Weißer, sondern es sei Joe Slovo.“ (S. 378) Durch das politische Engagement entstand ein enger, oft freundschaftlicher Kontakt zwischen Akteurinnen und Akteuren verschiedener Hautfarben. Allerdings stellt Plass fest: „Gleichheit wurde zwar in der Linken zelebriert, jedoch war dies eher eine programmatische zukunftsweisende Forderung: etwas, das noch verwirklicht werden musste.“ (S. 394) Später heißt es: „Politisches Arbeiten und freundschaftliches Verhalten waren nicht voneinander trennbar, denn das gemeinsame politische Interesse fungierte als Türöffner für alles, was folgen sollte …“ (S. 406) Für viele der weißen Aktivistinnen und Aktivisten seien politische Treffen entweder der CPSA oder des Left Book Clubs die ersten Veranstaltungen gemeinsam mit nichtweißen Südafrikanerinnen und Südafrikanern gewesen und hätten auch teilweise zunächst Befremden ausgelöst. Andere seien einen privaten Umgang mit Menschen aller Hautfarbe bereits durch ihre politischen Elternhäuser gewöhnt gewesen. Ende der 1960er-Jahre entschieden sich viele Aktivistinnen und Aktivisten dafür, Südafrika zu verlassen. Im Exil nahmen jüdische Exilanten gerade in den Anfangsjahren Schlüsselpositionen im Anti-Apartheid-Movement (AAM) ein und konnten sich ab 1969 auch direkt beim ANC engagieren, wo sie zum Teil ebenfalls in wichtige Positionen aufrückten und eine wichtige Rolle auch nach der Rückkehr nach Südafrika spielten. Als berühmtes Beispiel sei hier Denis Goldberg genannt, der als einziger weißer gemeinsam mit Mandela im Rivonia-Prozess verurteilt wurde. Nach seiner Freilassung schloss er sich im Londoner Exil dem ANC an und wurde dessen Vertreter bei den Vereinten Nationen. Zurück in Südafrika wurde er 2002 Sonderberater des Ministers für Wasser- und Forstwirtschaft.

Das Buch liefert insgesamt sehr spannende Einblicke in die Geschichte des Befreiungskampfes in Südafrika, insbesondere der SACP. Gerade der Blick auf die persönlichen Beweggründe der Aktivistinnen und Aktivisten, sich am Kampf zu beteiligen, ist eine interessante Perspektive. Hanno Plass schafft es dabei, die persönlichen und teilweise sehr individuellen Aussagen der Aktivistinnen und Aktivisten gut lesbar und anschaulich zu strukturieren, ohne abzuschweifen und die übergeordneten Fragen aus dem Blick zu verlieren. Das Buch schließt eine Lücke in der Erforschung der Akteurinnen und Akteure des Befreiungskampfs und ist überdies auch für all jene interessant, die sich mit der Situation von Jüdinnen und Juden in Südafrika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigen möchten, sowie für all jene, die sich mit Identitätsfragen auseinandersetzen.

Anmerkung:
1 Immanuel Suttner, Cutting Trough the Mountain. Interviews with South African Jewish Activists, London 1997.

Editors Information
Published on
Author(s)
Contributor
Edited by
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review