E.O. Bérat u.a. (Hrsg.): Relations of Power

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Title
Relations of Power. Women’s Networks in the Middle Ages


Editor(s)
Bérat, Emma O.; Hardie, Rebecca; Dumitrescu, Irina
Series
Studien zu Macht und Herrschaft (5)
Published
Göttingen 2021: V&R unipress
Extent
199 S.
Price
€ 40,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Anne Diekjobst, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Emma O. Bérat, Rebecca Hardie und Irina Dumitrescu haben in dem von ihnen herausgegebenen Band Relations of Power. Women’s Networks in the Middle Ages acht Beiträge versammelt, die der Fragestellung nachgehen, wie Netzwerke von Frauen Macht und Herrschaft während der Zeit zwischen 300 und 1700 konstituierten und ausformten. In ihrer Einleitung zum Sammelband, der sich dem institutionellen Kontext des an der Universität Bonn angesiedelten Sonderforschungsbereichs 1167 „Macht und Herrschaft - Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive" verdankt, verzichten Bérat und Hardie darauf, die erkenntnisleitenden Begriffe von Macht bzw. Herrschaft und Netzwerk näher zu bestimmen. Es bleibt den Beitragenden überlassen, aus losen Rahmenvorgaben analytische Zurichtungen zu formulieren und umzusetzen. Dieses Verfahren entbehrt nicht eines gewissen Charmes, der auch dem Ergebnis zukommt, werden die Leser:innen doch mit ganz unterschiedlichen machtvollen und herrschaftsformierenden und -abbildenden Netzwerken von Frauen konfrontiert. Dieser Charme hat jedoch einen Preis, der sich über den eingangs unterlassenen Zwang zur Fokussierung ausbildet und mit den daraus resultierenden Schwierigkeiten eines konzeptionell angelegten Vergleichs der Beiträge bezahlt wird.

Der Schwerpunkt der Beiträge liegt auf Phänomenen innerhalb des mittelalterlichen Europa. Lediglich Alyssa Gabbay richtet ihren Blick auf eine außereuropäische Kultur. Sie thematisiert Aspekte sozialer Identifikationen im frühen Islam, die, folgt man einer verbreiteten Ansicht, ganz wesentlich patrilinear verläuft. Am Beispiel des ersten umayyadischen Kalifen, Mu'awiya, kann Gabbay zeigen, dass das gewöhnlich vorgetragene Narrativ um die Dimension der Matrilinearität ergänzt werden muss. Mu'awiya, der 680 verstarb, wird in der späteren islamischen Überlieferung, etwa in Chroniken zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert n. Chr., vor allem mit Hilfe von Zuschreibungen auf seine Mutter Gestalt verliehen. Mu'awiya stellt hier den prominentesten Fall dar, dem aber zahlreiche andere Beispiele matrilinearer Zuschreibungen im frühen Islam an die Seite gestellt werden können. Gabbay schlussfolgert, Frauen sei durchaus machtvoller Einfluss zuzurechnen, der falsche Einordnungen von Frauen als bloße Objekte in den frühislamischen Gesellschaften herausfordert. Ein weiterer Beitrag zu außereuropäischen Kulturen, der noch Teil eines 2018 veranstalteten Workshops war, fand leider keine Aufnahme in den Sammelband, so dass die Ausführungen Alyssa Gabbays allein den anderen sieben Beiträgen zur Seite stehen, die sich, wenngleich mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten, Phänomenen europäischer Netzwerke widmen. Die Aufmerksamkeit gilt dabei sowohl Personen, die miteinander in Verbindung standen, als auch materiellen Objekten, mit denen Verbindungen gestiftet, geformt oder erneuert wurden.

Julia Hillner und Mairfn MacCarron untersuchen die Einbindungen von Frauen in Netzwerke, die sich in Erzählungen über die exilierten Bischöfe Liberius von Rom und Wilfried von York in der Spätantike und im frühen Mittelalter etabliert haben. Ihre Darstellungen lassen sich als Medien der Kritik verstehen, denen subversives Potential zukommt, wenn weibliches Verhalten betont wird, um männliches Verhalten zu hinterfragen, oder darüber hinaus ganz grundsätzlich mit Blick auf die Bischöfe im Exil Fragen rechtmäßigen Glaubens und zur Legitimität des Amtes in den Exilgeschichten aufgegriffen werden. Die Antworten und die Darstellungsweisen, dies zeigt das Beispiel der Texte über Wilfried von York, fielen ganz unterschiedlich aus. Demnach konnten machtvolle Frauen als Protagonisten des Schlechten oder als wertvolle Unterstützerin des exilierten Bischofs wahrgenommen werden, deren Handlungsweisen als gerecht galten.

Karen Dempsey beleuchtet das Leben der Gundrada, einer gebürtigen Flämin des 11. Jahrhunderts, die vor 1070 die Frau des normannischen Barons William von Warenne wurde und mit ihm in England lebte. Dempsey bringt über archäologische Befunde den Leser:innen die zeitgenössische materielle Kultur näher, in die Gundrada und ihr Mann eingebunden waren. Sichtbar wird eine Frau, die Teil eines elitären Netzwerkes war, das sich nicht zuletzt in der architektonischen Ausgestaltung von Burgen, der Gestaltung von Grabsteinen oder über kostbare, fromme Schriftproduktion ein Gesicht zu geben versuchte.

Abigail S. Armstrong analysiert die Beziehungen zwischen dem englischen König Edward I. und seinen bretonischen Nichten schwesterlicherseits, Marie und Eleanor. Beide lebten in unterschiedlicher Nähe zum königlichen Hof. Während Marie ein fester Bestandteil der Hofgesellschaft war, führte Eleanor ein religiöses Leben fern vom König in Amesbury. Nähe und Distanz blieben bestimmend für die Austauschbeziehungen des Königs mit seinen Nichten, als diese während des Konflikts zwischen England und Frankreich England verließen und auf das europäische Festland übersiedelten. Obschon Marie und Edward verfeindeten Lagern angehörten, blieb die persönliche Nähe gewahrt, wie sie über den Tausch von Gaben auch in der schwierigen Zeit sichtbar wird. Eleanors Verhältnis zu Edward hingegen zeichnet sich weniger durch emotionale Nähe als zweckmäßiges Handeln aus. Verhandelt wurden zwischen beiden Fragen herrschaftlicher Rechte. Eleanor suchte zuweilen Edwards Unterstützung für ihre persönlichen Rechte als Nonne oder später als Äbtissin in Amesbury oder Fontevraud. Andererseits verteidigte sie entschieden die Rechte einer religiösen Institution, die durch königliche Ansprüche bedroht war.

Stephanie Hollis beschreibt ein Netzwerk von Frauen zwischen Immanenz und Transzendenz, indem sie das Nachleben der heiligen Erneuerinnen der Abteien Wilton und Barking im Kontext visionärer Beschreibungen ihrer Nachfolgerinnen im 11. Jahrhundert analysiert. Ablesbar wird ein weibliches Imaginär, das die klösterlichen Generationen in der Abfolge von Müttern und Töchtern zusammenbindet. Mercedes Perez Vidal widmet sich ebenfalls Phänomenen, die in einem gewissen Sinn als Neugründungen gelten können. Sie beleuchtet an Beispielen des spätmittelalterlichen monastischen Lebens in Kastilien Prozesse von Klosterreformen, an denen Frauen einen bedeutenden Anteil hatten. Sie hatten dies nicht nur ad personam, sondern auch über die Verbreitung liturgischer Bücher, mit denen sie nicht nur die Reforminitiativen abzusichern suchten, sondern über die Medien, mit denen eine liturgische Praxis festgeschrieben werden sollte, zugleich ihren herrschaftlichen Anspruch auf klösterliche Institutionen beanspruchten.

Jitske Jasperse ist materiellen Artefakte auf der Spur, über die sich die Angehörigen des Geschlechts der Plantagenet im 12. Jahrhundert ihrer Zugehörigkeit versicherten. Es waren unter anderem Ringe, die Vergemeinschaftung auszuformen halfen. Frauen kam im Distributionsnetzwerk die Rolle der Übermittlerin zu, die ansichtig macht, wie sehr sie in das sich stets erneuernde soziale Gefüge Plantagenet eingebunden waren. Die Geschichte der Dynastie ließe sich demnach nicht mehr als exklusive männliche Geschichte erzählen. Frauen hatten entscheidenden Anteil an der Etablierung sozialer Beziehungen, die sowohl persönlicher Nähe, zugleich aber auch politischen Interessenlagen folgte.

Ebenfalls mit einem traditionell männlichen Narrativ bricht Lucy K. Pick. Sie zeigt an zwei Beispielen, einer Urkunde des 11. Jahrhunderts und einem Gemälde des 17. Jahrhunderts, in welchem Maß königliche Herrschaft im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spanien nicht ohne die Einbindung von Frauen in herrschaftlichen, sich überschneidenden Netzwerken auskommt. Neben der Darstellung spannender Beispiele gelingt es Pick sowohl die Aspekte von Macht und Herrschaft als auch von Netzwerken als kommunikatives Geschehen konzeptionell zu schärfen und empirisch anschaulich zu machen.

So spannend sich alle Beiträge lesen, so sehr offenbart sich hier ein Potential, das von den Herausgeberinnen stärker hätte genutzt werden können. Die Leser:innen erhalten ganz unterschiedliche Einblicke in die Kultur historischer Netzwerke, an denen Frauen entscheidend und machtvoll beteiligt waren und deren Rolle dringend explizit aufgezeigt gehörte. Diese Tatsache verdankt sich zweifellos der Entscheidung der Herausgeberinnen, auf Einzelfälle statt auf rigorose theoretische Vorgaben zu setzen. Gewonnen hätte das Projekt gleichwohl noch mehr über die Herausforderung an die Autorinnen, die erkenntnisleitenden Begriffe des Bandes je für sich auszuschärfen und eine explizitere Verortung der Rolle der Frauen in den jeweiligen Netzwerken zusammenzufassen. Das Buch überzeugt vor allem durch seinen interdisziplinären Zuschnitt, der sowohl unterschiedliche historische Sachverhalte als auch unterschiedliche Zugriffsweisen in den jeweiligen Disziplinen konzise präsentiert. Die unterschiedlichen und zahlreichen sozialen Rollen von Frauen in (ihren) Netzwerken, ihre Beziehungen zu Menschen und Objekten werden in allen Beiträgen des Bandes durchgehend anschaulich und präzise dargestellt, so dass die Beiträgerinnen und Herausgeberinnen einen Band zusammengebracht haben, der trotz und wegen methodischer Freiheiten gleichzeitig ein Panorama von Möglichkeiten und ein gelungenes Ganzes darstellt.

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