In den letzten beiden Jahrzehnten haben vor dem Hintergrund der Klimakrise die Human-Animal-Studies wachsende Bedeutung in den Geisteswissenschaften erhalten.1 Samiparna Samantas Studie, die aus ihrer Doktorarbeit über die „Calcutta Society for the Prevention of Cruelty to Animals“ (CSPCA) hervorgeht2 und den Umgang mit Tieren im kolonialen Bengalen von der Mitte des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert untersucht, dürfte daher auch für ein Fachpublikum außerhalb der Südasienwissenschaften von Interesse sein. Samantas Untersuchung ist am Schnittpunkt von Kolonialgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Umweltgeschichte und Human-Animal Studies angesiedelt. Letztere beschäftigen sich oft damit, wie „Mensch“ und „Tier“ als scheinbar gegensätzliche, faktisch jedoch komplementäre Kategorien historisch konstruiert wurden. Grundthese des Buches ist entsprechend, dass sich in Debatten um den Umgang mit Tieren im kolonialen Bengalen „class distinctions and race anxieties of a colonial society“ (S. 5) zeigten.
Im ersten Kapitel untersucht Samanta den Wandel der Einstellungen zu Tieren infolge des Kolonialismus. Dabei geht sie zunächst auf gezielte Tötungen von Straßenhunden durch die kolonialen Autoritäten in Bombay ein. Obwohl die Briten oft versucht hätten, Tierliebe als etwas spezifisch Britisches darzustellen, hätten sie vor der Intensivierung britischer Herrschaft nach 1857 keine Skrupel gehabt, die Tötung von Straßenhunden anzuordnen. Doch auch im Hinduismus habe es keine unbedingte Tierliebe, sondern vielmehr eine strikte Hierarchie der Lebewesen gegeben – auch wenn diese im späten 19. Jahrhundert mit wachsender Kritik am Kastensystem zunehmend in Frage gestellt worden sei. Doch stellt Samanta nicht nur die unterschiedlichen Sichtweisen auf Tiere bei Briten und Bengalis dar, sondern zeigt auch, dass Briten und Bengalis kooperierten, nämlich in der 1861 gegründeten CSPCA. Sei es den britischen Schirmherren der Gesellschaft in erster Linie um eine Zivilisierungsmission gegangen, hätten die Bengalis für das Wohl der Tiere sorgen wollen und dabei auf das vermeintlich bereits in den Veden verankerte Gebot der Gewaltlosigkeit (ahimsa) verwiesen (dass dieses durchaus ambivalent war, zeigt Samanta im Folgenden). Beide Gruppen hätten sich allerdings in dem Bestreben getroffen, die unteren Gesellschaftsschichten im kolonialen Bengalen zu disziplinieren. Auch in der zeitgenössischen bengalischen Literatur habe es keine einheitliche Haltung zur Frage des Tierwohls gegeben, wo z. B. in der Kinderliteratur oft anthropomorphe Tiercharaktere aufgetreten seien, andererseits solche Erzählungen aber oft mit dem Tod des Tieres geendet hätten. In der bengalischen Mittelschicht habe man sich zusehends auf westliche Naturwissenschaft statt auf das Ahimsa-Konzept bezogen.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Entwicklung der Tiermedizin im kolonialen Bengalen. Entscheidend für diese war eine in den 1850er-Jahren erstmals grassierende Rinderpest-Epidemie, im Zuge derer 90 Prozent der Rinder in Bengalen umkamen. Da Rinder für die koloniale Wirtschaft essenziell waren, wurden Tierkrankheiten und ihre Bekämpfung zu einem zentralen Anliegen der Kolonialregierung. Während lokale Bauern die Rinderpest als importierte Krankheit sahen, deren Verbreitung durch Viehmärkte und landwirtschaftliche Ausstellungen begünstigt wurde, wiesen koloniale Autoritäten die Verantwortung von sich und konstatierten stattdessen einen Mangel an Hygiene und Wissenschaft im kolonialen Indien. Gleichzeitig, so argumentiert Samanta etwas widersprüchlich, konstruierten koloniale Autoritäten die Rinderpest als weltweit zirkulierende Pandemie, während bengalische Bauern der Krankheit lokale Namen gaben. Kolonialbeamte hingegen misstrauten lokalen Terminologien und Praktiken des Heilens. Rinderpest wurde mit Impfungen und Quarantäne bekämpft. Zeitgleich entstanden Veterinärschulen und Tierkrankenhäuser. Da der Tierarztberuf zunächst nur geringes Ansehen genoss, waren Tiermediziner in Bengalen darauf bedacht, sich von den lokalen Kuhheilern, den Go-Dagas, abzugrenzen. Anfangs zog der Beruf nur „Eurasians“ oder Brahmanen an, bald jedoch auch Angehörige anderer Kasten. Dennoch praktizierten auch die Go-Dagas weiter, wogegen sich indische wissenschaftliche Verbände wandten und ein stärkeres Eingreifen der Kolonialregierung forderten. Die Entstehung der Tiermedizin in Indien fasst Samanta somit als einen Prozess der Verdrängung lokalen Wissens.
Im dritten Kapitel widmet sich Samanta Debatten über Schlachthäuser und Fleischverzehr. Wie bereits Historikerinnen wie Mrinalini Sinha3 konstatiert haben, wurde im kolonialen Diskurs britische Herrschaft in Indien mit der vermeintlich defizitären Männlichkeit der dem Fleisch entsagenden, Reis essenden Bengalis legitimiert. Da die Briten in Indien viel Fleisch konsumierten, erhob sich bald die Forderung nach der Einrichtung öffentlicher Schlachthöfe, wie sie für die Urbanisierung in Europa und Nordamerika zentral waren. Damit einher ging die Disqualifizierung lokaler, vor allem muslimischer, Praktiken des Schlachtens. In die Kritik gerieten aber auch Orte, an denen für die hinduistische Göttin Kali Fleisch geopfert wurde. Vereinigungen wie die CSPCA forderten neue, vermeintlich humanere Praktiken des Schlachtens. Freilich entzogen sich viele Schlachter bald dem neuen Schlachthof Kalkuttas, da er ihnen nicht mehr den illegalen Handel mit Tierhäuten erlaubte, und begannen, illegale Schlachthöfe am Rand der Stadt zu errichten. Zugleich wandelten sich, so argumentiert Samanta, lokale Einstellungen zum Fleischverzehr. Hatten bengalische Autoren noch Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrten Konsum von tierischem Protein empfohlen, ergriffen sie gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend für fleischfreie Ernährung Partei, was zum Teil religiös, zum Teil mit der durch Fleischverzehr vermeintlich wachsenden Neigung zu Gewalt begründet wurde. Immer wichtiger wurde dabei auch der Bezug auf westliches Wissen, wie es etwa von britischen vegetarischen Vereinen produziert wurde. Auch hier sei es – durchaus unter aktiver Teilnahme der bengalischen Oberschicht (bhadralok) – zu einer Verdrängung lokaler Argumentationslogiken, die Fleischverzicht mit dem Gebot der Gewaltlosigkeit begründeten, gekommen.
Im vierten Kapitel untersucht Samanta Debatten über den Umgang mit Lasttieren, wobei sie erneut konstatiert, dass dieser bestehende Klassenhierarchien widerspiegelte. Während Pferde ausschließlich Briten und Angehörigen der Oberschicht zugänglich waren, da die natürlichen Bedingungen in Indien ihre Haltung erschwerten, waren Bullen und Ochsen gängige Lasttiere, die mit Menschen der unteren Kasten in Verbindung gebracht wurden. Pferdekarren signalisierten also Prestige, Ochsenkarren hingegen geringes soziales Ansehen. Die britische Kolonialregierung zog aus all diesen Transportmitteln Profit: sie waren mit Steuern und Gebühren belegt. Ihre Besitzer entzogen sich jedoch oft solchen Abgaben. Wenn sich Organisationen wie die CSPCA für vermehrten Schutz von Lasttieren einsetzten, waren es oft die Fuhrleute, die dadurch zu finanziellem Schaden kamen, denn auf sie wurden die Strafgebühren für durch Überlast verwundete Lasttiere abgewälzt. Um das Wohl der Tiere sei es in den Debatten um den Schutz von Lasttieren selten in erster Linie gegangen. Stattdessen habe man über die Regulierung von Tieren Menschen zu regulieren versucht. Letztlich hätten sich die Briten (ähnlich wie in kolonialen Debatten über die gesellschaftliche Stellung indischer Frauen) über den Schutz von Tieren in Indien als Boten der Moderne, als „sole carer[s] and lover[s] of animals“ (S. 238) dargestellt – eine Haltung, die ihren Anspruch auf Zivilisierungsmission verdeutlicht habe.
Samiparna Samantas Untersuchung leistet einen wichtigen Beitrag zur Forschung zur Geschichte des Kolonialismus, aber auch der Mensch-Tier-Geschichte. Die Studie schließt an die internationale Forschung zur Mensch-Tier-Geschichte an und basiert auf einem breiten Korpus an Quellen, darunter vielen bengalischen Texten, die zum Teil erstmals in der englischsprachigen Forschung analysiert werden. Es gelingt der Autorin, die zentrale Rolle von Debatten über Tierwohl in der kolonialen Zivilisierungsmission herauszustellen. Dabei hebt sie hervor, dass an diesen Debatten sowohl Brit:innen als auch Inder:innen beteiligt waren und dass beide Gruppen keineswegs homogen waren. Auch stellt ihre Untersuchung die vielschichtigen Haltungen zu Tieren im Hinduismus heraus, denen gemäß das Leben mancher Tiere nicht sonderlich viel galt, während andere, vor allem die Kuh, einen außerordentlich hohen Status genossen, und betont das Wechselspiel zwischen diesen Hierarchien und den Hierarchien des Kastensystems.
Gleichzeitig weist ihre Studie jedoch auch gewisse Mängel auf. Vor allem berührt Samantas Untersuchung nicht das damals virulente Thema des Kuhschutzes, obwohl es unter anderem um Rinder geht. Im späten 19. Jahrhundert entstanden im gesamten Subkontinent Vereinigungen zum Schutz der Kuh, die im entstehenden Hindu-Nationalismus zum Symbol der Nation in spe erhoben wurde.4 Debatten um den Kuhschutz hatten antikoloniale, aber auch anti-muslimische Untertöne, und es blieb nicht bei Debatten: bei Ausschreitungen gegen die vermeintlichen Feinde der Kuh wurden Menschen, zumeist Muslime, ermordet. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wie sich die CSPCA, der auch muslimische Mitglieder angehörten, zu diesen Debatten und den Ausschreitungen positionierte. Schließlich betont Samanta zwar den wesentlichen Einfluss des britischen Vegetarismus auf vergleichbare Debatten im kolonialen Indien, nicht aber die bedeutsame Zirkulation von Wissen über Vegetarismus von Indien nach Europa.
Andererseits ist das von Samanta behandelte Thema ein komplexes und bietet Stoff für mehr als eine Untersuchung. Für Forschende aus den Südasienwissenschaften und den Human-Animal Studies sowie Historiker:innen im Bereich der Neueren und Neuesten Geschichte ist Samantas Buch daher durchaus lesenswert.
Anmerkungen:
1 Für einen Überblick über neueste Tendenzen in den historischen Mensch-Tier-Studien siehe Mieke Roscher / André Krebber / Brett Mizelle (Hrsg.), Handbook of Historical Animal Studies, Berlin 2021.
2 Samiparna Samanta, Cruelty Contested. The British, Bengalis, and Animals in Colonial Bengal, 1850–1920, Florida State University, PhD thesis, 2012.
3 Mrinalini Sinha, Colonial Masculinity. The 'Manly Englishman' and the 'Effeminate Bengali' in the Late Nineteenth Century, Manchester 1995.
4 Sandria B. Freitag, Sacred Symbol as Mobilizing Ideology. The North Indian Search for a "Hindu" Community, in: Comparative Studies in Society and History 22 (1980), S. 597–625; Gyanendra Pandey, Rallying Around the Cow. Sectarian Strife in the Bhojpuri Region, c.1888−1917, in: Ranajit Guha (Hrsg.), Subaltern Studies II. Writings on South Asian History and Society, Delhi 1983, S. 60−129; Shabnum Tejani, Cow Protection, Hindu Identity and the Politics of Hurt in India, c.1890–2019, in: Emotions: History, Culture, Society 3 (2019), S. 136–157.