Der Publizistikwissenschaftler an der Universität Mainz und Spezialist für historische Presseforschung Jürgen Wilke legt hier eine akribische empirische Untersuchung staatlicher „Maßnahmen“, in diesem Falle „Presseanweisungen“ in den drei politischen Systemen des Kaiserreichs (im Weltkrieg), des Nationalsozialismus und, deutlich knapper, der DDR vor. Sein ausdrücklicher Anspruch ist es, im Forschungsfeld erstmals eine vergleichende Perspektive zu etablieren. Wilke geht es um die Ziele, Mittel und Kommunikationsformen staatlicher Pressepolitik und -anweisungen in den jeweiligen Regimes. Die ermittelten Ergebnisse werden dann am Ende des Buches miteinander verglichen. Damit ist keine ununterbrochene Kontinuität der Ziele und Instrumentarien der Pressepolitik behauptet worden, vielmehr sollen durchaus Unterschiede der jeweiligen medialen Kontrollsysteme herausgearbeitet werden.
Durch die unermüdlichen Anstrengungen der bisherigen Propagandaforschung ist die Geschichte der Presseanweisungen und der Sprachregelungen im Nationalsozialismus schon gut bekannt. Es liegen Auswahleditionen vor, es finden sich wechselseitige Vorwürfe einschlägiger Autoren hinsichtlich jeweiliger Selektivität der Projekte der anderen. Allerdings blieb stets ungewiss, wie durchgängig die Weisungen befolgt wurden, die sich häufig überschnitten und öfters ausschlossen. Vor allem wurde deren journalistischer Gestaltung bis auf einige persönlich gefärbte Erlebnisberichte nicht nachgegangen. So wurde in der Forschung nicht geklärt, wie und mit welchen Folgen die durch die offizielle Pressepolitik entstehenden Leerstellen kompensiert und ob die oktroyierten sprachlichen Schablonen von den Lesern bemerkt wurden. Der Zusammenhang des NS-Zensurkomplexes zur Vorgeschichte im Ersten Weltkrieg wurde bislang selten thematisiert und Parallelen zu den expliziten Sprachregelungen in der DDR wurden kaum einmal gezogen, aus Gründen der politischen Beschönigung, wie der Verfasser kritisch anmerkt.
Die jeweils von staatlichen Akteuren (Militärs, Beamte, dienstverpflichtete Journalisten, Parteifunktionäre) formulierten „Anweisungen“, die auf Thematisierungsverbote und Kommentierungsgebote hinausliefen, sollten in der Praxis aller drei Regimes von den Journalisten verantwortlich beachtet und selbständig umgesetzt werden. Wilke verharrt zwar auf der Ebene der steuernden Apparate, möchte indes gegenüber der bisherigen Forschung über die inhaltsanalytische Auswertungsmethode (für Kaiserreich und Nationalsozialismus, nicht hingegen im Abschnitt zur DDR, wo das Material hierfür nicht ausreichte) zu einem besseren Standard gelangen. Der Autor will über die vergleichende Perspektive manches zurechtrücken und den Kommunikationsprozess zwischen staatlichen Akteuren und Journalisten schildern. Tatsächlich löst sich die Arbeit partiell von einer einseitigen normativen Perspektivierung von „oben“. Sie bezieht Verhaltensspielräume und Wertevorstellungen der Pressejournalisten ein, allerdings nur theoretisch. So geht es letztlich um die umfassende Dokumentation der einschlägigen Bestimmungen und Regelungen sowie um eine präzise Klassifizierung der Inhalte der Presseanweisungen.
Ihren eigenen Intentionen wird die Studie unterschiedlich gerecht. Kaum erstaunlich ist, dass die Berichterstattung über militärische Operationen im Ersten Weltkrieg, im Nationalsozialismus und der DDR die über Außen- und Innenpolitik besonders stark reglementiert war. Den kaiserlichen Militärs war der See- und U-Bootkrieg besonders angelegen (S. 60), obwohl dieser militärisch nicht von besonderem Nutzen war. Schon dieses Beispiel zeigt, wie verfehlt die Kontrollpolitik von Obrigkeiten sein konnte, die sich der Prämissen ihrer eigenen Nachrichtenauswahl nicht oder nicht vollständig bewusst waren. Rationaler war schon, dass das brisante Thema der Lebensmittelversorgung ein weiterer intensiv regulierter Bereich war. Allerdings wissen wir, dass die Bevölkerung die seit 1916 zunehmend schwierige Lage dennoch bemerkte und aktiv dagegen protestierte.
Neben seinem quantifizierenden Ansatz, bei dem in zahlreichen Schaubildern die Themen, Arten, Länge, Anzahl von Presseanweisungen mit deutlicher Lust am Auszählen ausgebreitet werden, widmet sich Jürgen Wilke den politischen Rahmenbedingungen und sprachtheoretischen Qualitäten der Anweisungen. Zum Ersten Weltkrieg wertet er circa 3000, zur NS-Zeit 5489 Quellenstücke aus, eine wahrlich beeindruckende Basis. Allerdings ist diese nicht, wie man meinen könnte, vollständig, denn man schätzt die Gesamtzahl einschlägiger Normen im Nationalsozialismus auf 80.000 bis 100.000. Die größten Zettelkästen reichten nicht aus, alles zu sammeln, und die Journalisten dürften froh gewesen sein, dass man gar nicht sammeln, sondern sich an der Aktualität orientieren sollte.
Bereits bekannt ist, dass sich im Nationalsozialismus mit seinem Perfektionsanspruch und der praktizierten Einschüchterung von Journalisten die Lage durch die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Propagandaministerium, Außenministerium und Partei, Reichspropagandaämtern und Gaupropagandaämtern verkomplizierte. „Der Aufwand des Presselenkungsapparates (stand) in keiner Relation mehr […] zu seinen Ergebnissen […] Intention und Resultat der Lenkungsmaßnahmen (liefen) immer weiter auseinander.“ So meinte schon 1991 Doris Kohlmann-Viand in ihrer einschlägigen Untersuchung der Pressepolitik. 1 An dieses Ergebnis knüpft Jürgen Wilke zwar nicht explizit an, aber er gelangt zu ähnlichen Einschätzungen. Er arbeitet heraus, dass Presseoffiziere und Offizielle, seien es die des wilhelminischen Militärs oder der sozialistischen Einheitspartei, bei ihren Anweisungen auf Konferenzen und auf schriftlichem, gedruckten oder telefonischem Wege stets riskierten, durch zu starke Reglementierung von Inhalten die Glaubwürdigkeit der gesamten Presse in Frage zu stellen. Ein solcher und letztlich unvermeidbarer Vertrauensverlust produzierte bei der Bevölkerung unweigerlich das Bedürfnis, sich über andere Quellen zu informieren. Je unglaubwürdiger die Presse hinsichtlich des wahren Verlaufs im Ersten und Zweiten Weltkrieg war, desto eher stieg die Bedeutung der schon in der Frühen Neuzeit thematisierten „Fama“ als Informationsquelle, sodass sich fragt, auf welchen Wegen sich alternativ zur Presse einschlägige Nachrichten und Stimmungsbilder ausbreiteten. Allerdings geht es in der Studie nicht um solche alternativen Informationspraktiken. In der DDR ergab sich im Übrigen diesbezüglich eine besondere Situation, denn es standen ja, wenn auch begrenzt, der Bevölkerung Westmedien zur Verfügung. So fragt man sich, wie weit die Anweisungen der Partei gegangen wären, wenn es diese Medien nicht gegeben hätte. Je perfekter jedenfalls die Pressegewaltigen agierten, desto eher verstrickten sie sich in den eigenen Wertigkeitskategorien. Solche kontraproduktive Dynamiken übersieht Wilke zwar nicht, aber er widmet ihnen nur wenig Aufmerksamkeit.
Im Bereich der Pressekonferenzen und der anderen maßgeblichen Institutionen, der Lenkungsabsichten und einschlägigen Formulierungen von perzipierten Problemlagen schafft der Autor eine solide Wissensgrundlage. Man weiß nun etwa, welchen quantitativen Stellenwert kulturelle Themen in der nationalsozialistischen Presselenkungspolitik hatten (S. 175). Überzeugend sind ebenso die Erkenntnisse über mangelnde Effektivität der Zensur im Ersten Weltkrieg, wenn die Amtsträger bei Konferenzen auf Einwände der Journalisten nicht spontan antworten konnten (S. 89) und diese, die mehrheitlich durchaus patriotisch gesinnt waren, sich wiederum nicht integriert fühlten (S. 95). Letztlich unterstreicht Jürgen Wilke die Gemeinsamkeiten bei Inhalten, Formen, Geheimhaltungspraktiken der Presseanweisungen und hinsichtlich der Sanktionen gegenüber Journalisten (S. 310-317). Doch damit wird das Potenzial eines vergleichenden Ansatzes bei weitem nicht ausgeschöpft. Dazu fehlt es an einem strukturellen Ansatz, der die systemische Vergleichbarkeit der Ergebnisse garantiert hätte. Zum Thema gehören beispielsweise auch die Frage der „Bildlichkeit“ und der Bild-Text-Zusammenhänge und somit die Praxis der Bilderzensur, die Berufsverständnisse der Journalisten, deren selektive Praxis in der Realität, deren Arbeitsbedingungen, Schreibweisen und Selbstzensur. Insofern ist es bedauerlich, dass sich die Arbeit von Jürgen Wilke nicht weiter vorgewagt hat.
Anmerkung:
1 Kohlmann-Viand, Doris, NS-Pressepolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1991, S. 140.