Titel
Manly Arts. Masculinity and Nation in Early American Cinema


Autor(en)
Gerstner, David A.
Erschienen
Anzahl Seiten
316 S.
Preis
€ 18,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olaf Stieglitz, Historisches Seminar, Anglo-Amerikanische Abteilung, Universität Köln

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts formte sich das Kino als eine ihrem Wesen nach US-amerikanische Kunstform aus, und zwar nicht zuletzt außerhalb und jenseits Hollywoods und den dort in Szene gesetzten Ambitionen, Träumen und Idealen. So lautet die zentrale These David Gerstners in seinem Buch „Manly Arts“. Diesen Prozess macht er darüber hinaus an den Bemühungen und Anstrengungen von selbstbewussten und weitgehend unabhängigen Filmemachern fest, die sich an amerikanischen Traditionen und europäischen Einflüssen aus Literatur, Malerei und Fotografie abarbeiteten und denen eine spezifische Ästhetik des Kinos mindestens so bedeutsam war wie das Geschichtenerzählen. Und dieses Anliegen umfasste nach Gerstners Ansicht auch eine geschlechtlich codierte Dimension: Es ging den Filmemachern / Künstlern darum, im Film eine nationale, demokratische Ästhetik zu etablieren, die in ihren Augen aktiv, fordernd und aggressiv, mit einem anderen Wort: männlich daherkommen sollte.

Gerstner konzentriert sich bei seiner Argumentation auf die Persönlichkeiten der von ihm ausgewählten Filmemacher/Künstler sowie einzelner ihrer Werke; er verdeutlicht dabei ihre Verbindungen zu einer großen Breite künstlerischer und intellektueller Einflüsse sowohl aus den Vereinigten Staaten als auch aus Europa. „Manly Arts“ kann also vor allem als eine „intellectual history“ bedeutender nordamerikanischer, männlicher Filmemacher als Künstler charakterisiert werden. Als solche muss die Arbeit auch als sehr gelungen bezeichnet werden. Gerstner versteht es eindrucksvoll, die von ihm untersuchten Personen in ein Netz von Beziehungen einzuflechten, das von der Romantik über den Kubismus zu den „urban studies“ der 1920er- und 1930er-Jahre sowie von Walt Whitman über Alfred Stieglitz zu Max Nordau reicht, um hier nur eine Auswahl der herangezogenen Verweise zu nennen. Dabei entsteht indes keine Neue Kulturgeschichte in dem Sinne, dass Gerstner umfassend und zielgerichtet nach Bedeutung und Sinn dieser Filmkunst und ihrer Protagonisten für die Kultur der USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insgesamt fragt. Sein Interesse richtet sich auf einzelne Filmemacher und ihre Versuche, eine nationale und maskuline Ästhetik des Films zu schaffen; nur selten scheinen im Text Verbindungen zu gesellschaftlichen Strömungen oder Entwicklungen durch, die jenseits eines Begriffs von Hochkultur anzusiedeln wären.

Am ehesten gelingt Gerstner dies noch im zweiten Kapitel von „Manly Arts“ (Kapitel eins ist ein Vorlauf und schildert die handgreifliche Auseinandersetzung zwischen zwei Shakespeare-Schauspielern im Jahre 1849 mit der Intention, in diesem Streit den Ursprung einer als männlich-aggressiv verstandenen US-Kunst zu etablieren). Hier widmet sich Gerstner dem interventionistischen Propagandafilm „Battle Cry of Peace“, den J. Stuart Blackton in enger Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodore Roosevelt, produziert und umgesetzt hat. Entstanden 1915, im gleichen Jahr in dem auch D.W. Griffiths „Birth of the Nation“ in die Kinos kam, beschreibt der Film die Invasion von New York City durch eine feindliche Macht und fordert nachdrücklich den Eintritt der USA in den Weltkrieg. An diesem Beispiel kann Gerstner gut zeigen, wie sich die aggressiven und bellikosen Männlichkeitsideale Roosevelts – vielleicht die Schlüsselfigur bei der historiografischen Beschäftigung mit Männlichkeitsvorstellungen in den USA zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg – mit Blacktons Konzepten einer demokratischen Filmkunst verbanden und „Battle Cry“ so zu einer wichtigen Stellungnahme in den Auseinandersetzungen dieser Epoche werden ließen.

Der Film „Within Our Gates“ (1920) des afroamerikanischen Filmemachers Oscar Micheaux enthält eine Einstellung, die ein ganzseitiges Portrait Theodore Roosevelts auf der Titelseite einer Zeitschrift zeigt; ein Brückenschlag zwischen anglo-amerikanischen Männlichkeitsvorstellungen und deren Einfluss bei Afroamerikanern. Gerstner wendet sich im zweiten Kapitel seines Buchs dem Begründer des „schwarzen“ Kinos in den USA zu und zeigt, wie sehr Micheaux dabei von Ideen geleitet war, sich als afroamerikanischer Mann sowohl affirmativ als auch distanzierend in die Geschlechterdiskurse seiner Zeit einzuschreiben. Gerstner ordnet Micheaux dabei in das Setting männlicher afroamerikanischer Führungspersonen ein, wie es von Hazel Carby vorgeschlagen und seitdem immer wieder verwandt wurde. 1 Doch beschreibt er Micheaux hier eben vor allem als Künstler, dessen Wirken er in einem Bezugsnetz mit anderen Intellektuellen diskutiert und nicht so sehr im Hinblick auf Konflikte und Überlagerungen zwischen hegemonial-weißen und marginalisierten „schwarzen“ Vorstellungen von Mann-Sein, die vor allem in weit weniger elitären Arenen ausgetragen wurden.

Kapitel drei beschäftigt sich mit einem der ambitioniertesten und bekanntesten Kunstfilme der amerikanischen Moderne, mit „Manhatta“, 1921 von Paul Strand und Charles Sheeler gedreht. Gerstners Argumentation fokussiert dabei vor allem die filmtechnischen und -ästhetischen Neuerungen der beiden Künstler, die sie seiner Ansicht nach in die Tradition des selbstbewussten und selbstständigen Handwerkers des 19. Jahrhunderts einordnet. In ihrem Projekt verknüpfen Strand und Sheeler diese Tradition mit dem Stil der Moderne, welchen die beiden eindrucksvoll in ihren Bildern von Manhattan Island umzusetzen verstanden.

Das letzte Großkapitel schließlich führt Leser und Leserin zum ersten Mal Richtung Hollywood und damit stärker in den Mainstream US-amerikanischen Filmemachens. Im Zentrum steht Vincente Minnellis Musical „Cabin in the Sky“ (1943), das Gerstner an der Schnittstelle zwischen „queerer“ Subkultur und afroamerikanischen Männlichkeitskonzepten verortet. Der Film „provides a view into this cultural mixing of sophisticated American modernism that resisted hetero-masculinist Anglo-Saxon nationalism“ (S. 174). Minnelli erweist sich als Künstler, der sich bewusst afroamerikanischen Geschlechterkonzeptionen öffnet, um seine eigene „otherness“ artikulieren zu können und somit zu verwirklichen.

Jede einzelne der vier zentralen Analysen Gerstners ist interessant und aufschlussreich; der Autor führt mit großer Detailfülle durch das Projekt einer entstehenden nationalen Filmästhetik und den einher gehenden Geschlechterimplikationen. Gerade die Einarbeitung von afroamerikanischen und „queeren“ Positionen erlaubt wertvolle Erweiterungen der Perspektive. Doch bleibt am Ende der Lektüre eine gewisse Enttäuschung oder das Gefühl einer ungenutzten Chance zurück. Welchen Einfluss hatten die künstlerischen Ambitionen der untersuchten Filmschaffenden auf kulturelle Konstellationen in den USA dieser Zeit insgesamt? Welche Wechselwirkungen machten sie wirksam im diskursiven Feld nationaler und geschlechtlicher Identitätspolitik? Wie positionierte sich Film als Kunst in einem Setting, das von der fantastischen Bilderproduktion Hollywoods und deren Aneignungsformen seitens eines heterogen nationalen wie internationalen Publikums geprägt war. David Gerstner öffnet seine Betrachtungen nur punktuell diesen Fragen, hier hätte man sich eine stärkere Einbettung seiner Thesen in die kulturhistorische Forschung gewünscht.

Anmerkung:
1 Vgl. Hazel V. Carby, Race Men. Cambridge/London: Cambridge University Press 1998.

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