Die in Deutschland schon seit Längerem geführte Debatte rund um Flucht und Vertreibung im und vor allem kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hat, wie der hier vorzustellende Band belegt, mittlerweile auch Dänemark erreicht, allerdings mit einer Besonderheit: Aus Dänemark, das im südlichen Jütland eine kleine deutsche Minderheit beherbergte und beherbergt, wurde niemand vertrieben, wohl aber hat das Land in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs insgesamt rund eine Viertelmillion Deutsche aufgenommen bzw. aufnehmen müssen, bei denen es sich sowohl um verwundete Wehrmachtssoldaten als auch um aus den damaligen deutschen Ostgebieten geflüchtete oder evakuierte Zivilisten handelte. Diese Personen wurden von der Wehrmacht bzw. der Reichsregierung in das seit April 1940 von deutschen Truppen besetzte Dänemark gebracht, weil das Land bis dahin vom Krieg kaum betroffen war und daher noch über Aufnahmekapazitäten verfügte; obendrein war es auf dem Seeweg leicht erreichbar. Die dänische Regierung protestierte zwar gegen diese Einquartierungen der Besatzungsmacht und bezeichnete sie als völkerrechtswidrig, konnte sie aber nicht verhindern und stand nun vor der Frage, wie mit den ins Land gebrachten Deutschen staatlicherseits umzugehen sei.
Das Problem verschärfte sich nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 weiter, weil nun zum einen die im Land stationierten deutschen Truppen entwaffnet und festgesetzt werden mussten und zum anderen jene deutschen Einrichtungen großteils wegfielen, die sich bislang um die Flüchtlinge gekümmert hatten. Einige von ihnen, wie das Deutsche Rote Kreuz, arbeiteten zwar weiter und man konnte anfangs auch auf die erheblichen Lagerbestände der Wehrmacht zugreifen, doch war rasch klar, dass die Hauptlast der Flüchtlingsversorgung nach Kriegsende den dänischen Staat treffen würde. Dieser verstand sich als Teil der Koalition der Sieger und wurde auch als solcher akzeptiert, allerdings bestand kein Zweifel daran, dass die Dänen das Flüchtlingsproblem nur mithilfe der vier alliierten Hauptmächte würden lösen können. Großbritannien, die USA, die Sowjetunion und Frankreich hatten es aber in ihren Besatzungszonen im kriegszerstörten Deutschland selbst mit Millionen Vertriebenen, Flüchtlingen, Kriegsgefangenen und Displaced Persons zu tun, sodass die Wünsche Dänemarks, wo vergleichsweise idyllische Zustände zu herrschen schienen, alles andere als die oberste Priorität erhielten.
Wie der Buchtitel „Die Unerwünschten. Die deutschen Flüchtlinge in Dänemark 1945–1949“ treffend ausdrückt, waren die Flüchtlinge für die dänische Regierung und große Teile der Bevölkerung vor und erst recht nach Kriegsende schlichtweg unerwünschte Personen, die man so rasch als möglich loswerden wollte, aber nicht konnte. Obwohl es sich bei den Einquartierten großteils um Frauen, Kinder, Invalide und alte Männer handelte, personifizierten sie für viele Dänen NS-Deutschland und die verhasste fünfjährige Okkupation. Vor diesem Hintergrund möchte Thomas Harder darstellen, wie Dänemark als Staat, die dänische Bevölkerung und Öffentlichkeit sowie bestimmte, besonders betroffene Berufsgruppen wie etwa Ärzte mit den ungebetenen Gästen umgingen und wie es gelang, sie innerhalb von etwa vier Jahren nach und nach aus dem Land zu schaffen.
Harder hat für sein Vorhaben eine beeindruckende Sammlung unterschiedlichster Text- und Bildquellen ausgewertet: (teilweise in Editionen abgedruckte) Akten der mit der Flüchtlingsfürsorge befassten deutschen, dänischen und alliierten Stellen, Zeitzeugenberichte, Erinnerungen, Parlamentsdebatten, die dänische Presse und vieles mehr. Herausgekommen ist ein buntes und abwechslungsreiches Panorama, das divergierende Wahrnehmungen und Sichtweisen vom Flüchtlingskind bis zum dänischen Ministerpräsidenten kombiniert. Breiten Raum nehmen im ersten Teil ergreifende Schilderungen der Flucht der ostdeutschen Bevölkerung vor der unaufhaltsam vorrückenden Roten Armee und der oft gefährlichen Seetransporte von deutschen Ostseehäfen nach Dänemark ein. Zu diesem Thema liegen besonders viele Quellen vor, wenngleich nicht alle direkt mit Dänemark zu tun haben, etwa der lange Bericht über die Versenkung des Passagierdampfers „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945 (S. 46–52).
Ausführlich behandelt Harder die Monate vor der Kapitulation der Wehrmacht, als die deutschen Besatzungsbehörden bemüht waren, die dänische Regierung und Verwaltung zur Übernahme eines Teils der Verantwortung für die ins Land gebrachten Verwundeten und Zivilisten zu bewegen, was nur eingeschränkt gelang. Hochinteressant ist die ausführliche Wiedergabe der innerhalb der dänischen Ärzteschaft geführten Debatten, die sich zwischen den Polen strikter Ablehnung jeder Hilfe für den Okkupanten einerseits, humanitären, religiösen und medizin-ethischen Gesichtspunkten andererseits bewegten. Um das herrschende Klima zu veranschaulichen, zitiert Harder zahlreiche Quellen, aus denen blanker Hass auf die Besatzer und die mit ihnen gleichgesetzte deutsche Bevölkerung spricht. Solche, die These einer Kollektivschuld vertretenden, Stimmen blieben allerdings nicht unwidersprochen. Vielen Dänen und auch der Regierung war klar, dass ihr Umgang mit den hilfsbedürftigen Flüchtlingen sich langfristig auf das künftige Verhältnis zum großen Nachbarn im Süden auswirken würde. Daher lautete der Minimalkonsens, die Einquartierten menschlich, aber auf dem niedrigsten möglichen Niveau zu versorgen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Unterbringung, Verpflegung und Versorgung der ins Land gekommenen Deutschen in dem Buch breiten Raum einnehmen. Der Verfasser zeichnet sowohl die Erwägungen und getroffenen Maßnahmen der zuständigen dänischen Instanzen nach (unter Einschluss der um Mithilfe gebetenen Alliierten und deren Vertreter in Dänemark) als auch die Aufnahme der gesetzten Schritte bei den Betroffenen, aus deren Mund naturgemäß zahlreiche Klagen zu vernehmen waren, gerichtet insbesondere auf die quälende Ungewissheit des eigenen Schicksals. Die Regierung in Kopenhagen war bestrebt, die Flüchtlinge sukzessive in möglichst wenigen, großen Lagern außerhalb der Städte unterzubringen, wo sie (zumindest theoretisch) streng bewacht wurden, um jegliche Fraternisierung mit den Einheimischen sowie das Fußfassen der Deutschen in Dänemark zu verhindern (S. 288). Heftig umstritten war folglich, ob deutsche Internierte außerhalb der Lager arbeiten durften oder gar sollten.
Der letzte Teil des Bandes behandelt vor dem Hintergrund der langsamen Verbesserung der Lebensbedingungen in den Lagern die dänischen diplomatischen Bemühungen, die unerwünschten Gäste möglichst rasch und vollständig außer Landes zu bringen. Das Tauziehen mit den alliierten Hauptmächten erstreckte sich sehr zum Missfallen der Dänen, ungeachtet zahlreicher Teilrückführungen ab 1946, über beinahe vier Jahre; erst im Februar 1949 verließen die letzten 800 deutschen Flüchtlinge das Land. Knapp 15.000 von ihnen sowie etwas mehr als 10.000 deutsche Soldaten sind dort verstorben und begraben (S. 387, 400), wie ein letzter, der Erinnerungskultur rund um die Flüchtlinge gewidmeter Abschnitt darlegt. Erst in den letzten Jahren sind auf diesem Gebiet vermehrte Bemühungen bemerkbar, ohne dass die Thematik einen ihrer Dimension entsprechenden Platz in der Memorialkultur gefunden hat.
Die Lektüre dieses Bandes fällt selbst jenen, die wie der Rezensent über solide Kenntnisse der skandinavischen Sprachen verfügen, nicht ganz leicht. Dies liegt an Harders Vorliebe für lange Schachtelsätze und an dem Umstand, dass viele der oft seitenlangen Quellenzitate in der damaligen, mittlerweile erheblich modifizierten dänischen Orthographie verfasst sind. Gewöhnen muss man sich auch an Harders eigenwilliges System der Quellennachweise in den Endnoten, das reine Quellenbelege (Endnotenziffer) und weiterführende Erläuterungen (Sternchen) unterscheidet. Wer sich davon nicht abhalten lässt, findet eine reichhaltig und ansprechend bebilderte, gründliche, umfassende und objektive Darstellung eines oft im Schatten der Aufmerksamkeit stehenden Themas des Zweiten Weltkriegs, das der Autor sehr anschaulich und kenntnisreich auf allen Ebenen abhandelt – von den subjektiven Erlebnissen der vielfach jugendlichen Betroffenen bis hin zur Großmächtepolitik. Eine Übersetzung des Bandes ins Deutsche und/oder Englische wäre sehr wünschenswert.