A. Mastrocinque u.a. (Hrsg.): Ancient Magic

Cover
Titel
Ancient Magic. Then and Now


Herausgeber
Mastrocinque, Attilio; Sanzo, Joseph E.; Scapini, Marianna
Reihe
Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge (74)
Erschienen
Stuttgart 2020: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
€ 82,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Erdtmann, Forschungszentrum Europa, Universität Trier

Dieser Band versammelt die Beiträge einer im Oktober 2016 in Meran abgehaltenen Konferenz. Vor dem Hintergrund, dass der Begriff „Magie“ in der Forschung zum Teil sehr kontrovers diskutiert wurde und daraus resultierend als eigenständige Analysekategorie zum Teil ganz ablehnt wird, vertreten die Beiträgerinnen und Beiträger die Anschauung, dass der vorbelastete Magie-Begriff durchaus als heuristisches Werkzeug tauge, was auch die Ergebnisse der sehr produktiven Forschung zu magischen Sachverhalten in der jüngeren Vergangenheit nahelegen. Die Herausgebenden propagieren unter der Prämisse eines entproblematisierten Magie-Begriffs die Entwicklung und Anwendung gegenstandsangepasster Methoden sowie ein Experimentieren mit Kategorien, um in der Erforschung magischer Sachverhalte neue Einsichten zu gewinnen. Verfolgt werden mit dem Band überdies recht hoch gesteckte Ambitionen: So möchte man einerseits mit diskurstheoretischen Beiträgen sowie über Fallstudien zu magisch kontextualisierten Quellenzeugnissen möglichst die zentralen Forschungslinien abbilden. Andererseits ist man bestrebt, die Entwicklung des Magieverständnisses durch die verschiedenen historischen Epochen vom Alten Orient bis ins Mittelalter nachverfolgbar zu machen. Diesen Leitlinien Rechnung tragend, ist die Auswahl an Beiträgen mit altertumswissenschaftlichen Aufsätzen verschiedener historischer, archäologischer und philologischer Disziplinen überaus breit aufgestellt. Entsprechend der hohen Relevanz für die Erforschung antiker Magie sind bei den Fallstudien neben einschlägig magisch konnotierten Objekten wie Gemmen, defixiones, etc. vor allem Dokumente aus dem PGM-Corpus (Papyri Graecae Magicae) sehr prominent vertreten. Auch Deponierungskontexte magischer Gegenstände sind in einigen der Aufsätze von zentralstehender Bedeutung. Paper, die sich mit magischen Bezügen innerhalb der antiken Literatur befassen, decken ein Spektrum von antiker Dichtung über naturkundliche Schriften bis hin zu astrologischen Texten ab. Der Band ist in drei thematische Sektionen untergliedert. Die erste Sektion umfasst Beiträge, die sich grundlegend in diskursiver Weise mit dem Magiebegriff befassen und eine argumentative Basis für einen gegenüber anderen Forschungsmeinungen entproblematisierten Gebrauch desselben bieten sollen. In der zweiten, überwiegend Fall- und Objektstudien versammelnden Sektion beschäftigten sich die Beiträge mit magisch-assoziierten Gegenständen und Substanzen, aber auch mit abstrakteren Phänomenen und Prinzipien. Die dritte Sektion beinhaltet Aufsätze, in denen es um die Weitergabe sowie Rezeption von mit Magie assoziierten antiken Vorstellungen und Konzeptionen und ihrem Nachleben geht.

Die versammelten Studien geben in ihrer Gesamtheit einen Eindruck von dem sicherlich nicht unbeträchtlichen Potenzial, das die Anwendung des Magie-Begriffs für viele Bereiche historischer Forschung – nicht zuletzt für sozialgeschichtliche Fragestellungen – bietet. Insbesondere in Hinsicht auf die Beschäftigung mit Handlungs- und Überlebensstrategien sozial benachteiligter Schichten und Kreise dürfte die Beachtung magischen Denkens von keineswegs gering einzuschätzender Relevanz sein, und auch magisch assoziierte Zuschreibungen für Wahrnehmungsaspekte in Bezug auf Teile unterprivilegierter Gruppen sind in Betracht zu ziehen. Letzteres macht etwa der Aufsatz von Alvar Nuño und Alvar Ezquerra klar: Sie zeigen auf, dass das aus der ethnographischen Forschung als „reine Magie“ bekannte Phänomen, welches in Form des „Bösen Blicks“ vor allem in römischen Kontexten als Manifestation von Neid zum Tragen kommt, als psychische Negativeigenschaft von Armen und Devianten verstanden wurde. Deutlich wird ferner, dass magische Praktiken von Unterprivilegierten als gangbare Alternative zu regulären Mechanismen und Funktionsbereichen, zu denen solche Menschen keinen oder nur erschwerten Zugang hatten, angewendet wurden. Dies führt Francisco Marco Símón in seiner Fallstudie zu einer defixio aus dem römischen Britannien vor Augen. Der Text dieser Plakette weist eine auffällige juristische Terminologie auf, womit es sich um ein Zeugnis für die Konsultation göttlicher Gerechtigkeit durch Unterprivilegierte in einer als „underpoliced“ charakterisierten Lebenswelt des provinziellen Hinterlands zu handeln scheint. Er folgert, dass in der ländlichen Peripherie lebende Schwache nicht in ausreichendem Maße auf das Römische Recht bauen konnten, weshalb solche Personen auf eine magische, aber analog verstandene Alternative zum profanen Rechtssystem mit adaptierter Terminologie zurückzugreifen schienen. Eine weitere Handlungsstrategie Unterprivilegierter mit magischem Bezug konstatiert Suárez de la Torre in seinem Beitrag. Er argumentiert, dass Frauen Liebesmagie primär zur Erhaltung und Festigung ihrer sozialen Stellung anwendeten, was er auf gesellschaftlich vorgegebene Abhängigkeiten von männlicher Zuneigung zurückführt; in diesen Motiven hätten sie sich signifikant von männlichen Anwendern solcher Zauber unterschieden.

Der Band zeigt ferner in diversen Beiträgen die prominente Rolle auf, die Annahmen magischer Funktionszusammenhänge in der antiken Wissenschaftlichkeit und Empirik zukommt. Dabei wird deutlich, dass das Festhalten an magischen Erklärungsmustern sich offenbar nicht übermäßig hinderlich auf Erkenntnisfortschritte ausgewirkt zu haben scheint, wie sowohl Cordovana als auch Salin übereinstimmend konstatieren. Die hohe zeitgenössische Forschungsneugier unter Voraussetzung magischer Annahmen wird insbesondere am Beitrag von Laura Mecella zum Werk des Iulius Africanus ersichtlich. Trotz des Umstandes, dass es sich bei dessen Schrift um ein Amalgam aus naturkundlicher Empirik und okkulten, voralchemistischen Annahmen handelt, lässt diese sehr ostentativ die Ambition erkennen, vermeintlich „magische“ Mechanismen in der Natur zu verstehen und diese – etwa für Kriegszwecke – nutzbar zu machen. Zur Persistenz und auch Resilienz „magischer“ Vorstellungen bei antiken Gelehrten führen Cordovana und Pedrucci in ihren Aufsätzen an, dass man erst in der Moderne erkannte Wirkmechanismen und Anomalien – etwa Antibiose oder den Placebo-Effekt – augenscheinlich mit magischen Zusammenhängen in Verbindung brachte. Diese Resilienz führt auf einem ähnlichen Feld sehr eindrücklich der Beitrag von Franco Ferrari vor Augen, wonach man im späten 3. Jahrhundert n. Chr. in neoplatonischen Kreisen keine Berührungsängste hatte, die charakteristischerweise rein intellektuell fundierte Lehre Platons mit letztendlich irrationalen Ritualen magischer Natur anzureichern, um durch deren Anwendung Zugang zu Erkenntnisbereichen, die dem reinen Verstand im Normalzustand verborgen seien, zu erlangen. Eine hohe Akzeptanz magischer Vorstellungen in gelehrten Zirkeln demonstriert auch die Studie von Raquel Martín Hernández: Sie kommt über Indizien in ihrer papyrologisch-kodikologischen Analyse dreier hochkaiserzeitlich bis spätantik datierender Kopien homeromanteisch verwendeter Texte zu dem Schluss, dass sowohl professionelle Wahrsagende, die ihre Dienste über auf homerische Versen basierende Losorakel anboten, als auch ihre Kundinnen und Kunden offenbar höchst bildungsaffinen Kreisen zu entstammen scheinen. Ein Gutteil der Beiträge befasst sich mit der Ergründung und Einordnung von Ritualen, Ritualgegenständen sowie Ritualelementen. Insbesondere in diesen zeigt sich, dass das von den Herausgebenden in der Einleitung des Bandes propagierte Experimentieren mit Kategorien für die Erforschung magischer Kontexte durchaus gewinnbringend zu sein verspricht. Pérez-Jiménez gibt mit seiner Betrachtung zum komplexen Links-Rechts-Verhältnis, welches insbesondere in der antiken Astrologie, im antiken Körper- und Geschlechterverständnis zutage tritt, einen Einblick, wie man auf solche Vorstellungsinhalte fußende Aspekte nicht nur im magischen, sondern auch im religiösen Ritual besser verstehen kann. Diosono und Faraone zeigen in ihren Untersuchungen zu Ritualanleitungen, dass magische Rituale kultübergreifende Gemeinsamkeiten aufweisen. Faraone regt als erkenntnisfördernd dazu an, sich bei der Erforschung von Ritualen nicht allzu starr an Charakteristiken einzelner Gottheiten und Kulte zu orientieren, zumal Kultaspekte offenbar, wie er nachweist, relativ frei kombiniert werden konnten. Ähnliches beobachten Carbó García und Dasen in ihren Beiträgen zur ägyptisch beeinflussten Bildsprache auf magischen Gemmen. Die genannten Beobachtungen legen nahe, dass magische Aspekte eine wohl nicht zu unterschätzende Rolle bei vordergründig religiösen Synkretismusphänomenen gespielt zu haben scheinen. In diese Richtung weisen auch die Ergebnisse der Aufsätze von Miriam Blanco Cesteros sowie Isabel Canzobre Martínez. Blanco Cesteros konstatiert für die von ihr untersuchten magischen Hymnen innerhalb des PGM-Corpus, dass die Adaption dieser ursprünglich rein religiösen Lyrikgattung eine Anpassung an ein entsprechendes rituelles Umfeld repräsentiere. Canzobre Martínez erkennt im Phänomen einer auffälligen Austauschbarkeit beziehungsweise Verwechslung eigentlich originär sehr heterogener Mittler-Wesenheiten wie Dämonen, Geistern oder Engeln synkretische Symptome dafür, dass sich in der magisch-numinosen Sphäre eine Auflösung von Hierarchieebenen sowie eine Angleichung der Vorstellungen über solche Wesenheiten vollzogen habe.

Wenngleich es so gut wie unmöglich ist, die oben geschilderten Ansprüche in einem einzigen Sammelband umzusetzen, so bietet diese Publikation doch ausgesprochen wegweisende und innovative Impulse nicht nur für die weitere Erforschung antiker Magie, sondern auch für angrenzende Forschungsfelder. Und nicht zuletzt wird ein sehr brauchbarer Überblick zu einem sehr komplexen und wenig zugänglichen Gegenstand gegeben. Demgegenüber ist es mehr als verschmerzbar, dass der Band etwas mit der heißen Nadel gestrickt zu sein scheint, was sich etwa an teilweise fehlerhaften Seitenangaben im Inhaltsverzeichnis offenbart. Auch vermisst der Rezensent hilfreiche Standards wie ein Stichwort- und Quellenregister. Vor allem ein Gesamtresümee wäre einem Band wie diesem überaus zuträglich gewesen.

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