Cover
Titel
Absprung über Feindesland. Agentinnen im Zweiten Weltkrieg


Autor(en)
Siedentopf, Monika
Erschienen
Anzahl Seiten
199 S.
Preis
€ 14,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, Bergische Universität Wuppertal

„Doch was zu finden ist, liest sich abschnittsweise wie ein Roman, wie ein James-Bond-Thriller“ (S. 11) – mit diesen Worten im ersten Kapitel des Buches von Monika Siedentopf über Agentinnen im Zweiten Weltkrieg meint der Leser nach der Lektüre, dass hier bereits die Rezension mitgeliefert worden ist. Der Blick ins Inhaltsverzeichnis lässt schon erahnen, dass eine szenenhafte Montierung und wenige Schlaglichter die Textgestaltung dominieren werden. Mit jeder Seite stellt sich freilich heraus, dass viele Facetten noch kein rundes Bild eines Themas abgeben, das auf jeden Fall einer genaueren Aufarbeitung in der Forschung bedarf. Wenngleich Siedentopf sich auch auf freigegebene Akten aus dem Londoner Public Record Office bezieht, ist doch die Reflektion von Ego-Literatur die – quellenkritisch leider wenig hinterfragte – Hauptstütze der Betrachtungen. Deutschsprachige Primärquellen finden gar keinen Niederschlag, obwohl die Kapitel 15 und 16 sich fast ausschließlich auf die Aktionen der deutschen Abwehr und des Sicherheitsdienstes in Frankreich beziehen.

Schon im ersten Kapitel ist der Sprung ins Romanhafte allgegenwärtig. Das erste bis vierte Kapitel dient der thematischen Einführung und der Vorstellung der 39 Agentinnen der Sektion „F“, die ab den Jahren 1940/41 Frankreich für die Special Operations Executive (SOE) Dienst taten. Die Kapitel fünf bis dreizehn beschreiben Lebensbilder und Einsatzgebiete der Mitarbeiterinnen. Nach dem Epilog werden schließlich in einem zweiteiligen Anhang nochmals die Biographien der Frauen und die Struktur der Agentenringe, in denen sie arbeiteten, skizziert. Beide Teile sind gut brauchbar und laden zur Weiterbeschäftigung mit dem Thema ein. Was lässt sich nun über den Inhalt sagen?

Nach der groben Darstellung gesellschafts- wie auch militärhistorischer Elemente der Jahre 1939 bis 1942 beginnt im zweiten Kapitel die Beschreibung der Ausbildung und der Tätigkeiten der SOE-Agentinnen in der Entstehungsphase und im sich entwickelnden Konkurrenzkampf zum Auslandsgeheimdienst MI 6. Die erste Phase des Zweiten Weltkrieges droht hier jedoch bereits im Anekdotenhaften zu versinken. Es werden die Lebensbilder derjenigen 39 Frauen dargelegt, die im SOE aus unterschiedlichsten Motiven heraus für England in den Krieg zogen. Im sechsten Kapitel sind Facetten zur Geschichte des SOE in Frankreich zu finden, die fachlich brauchbar wären, wenn die Autorin sie nur besser belegt hätte. Über die Sicherheits- und Geheimdienste wird nicht unbedingt en détail informiert. Im ständigen Wechsel zwischen den Biographien der Akteure und den sachhistorischen Zusammenhängen drohen interessante Fakten immer wieder zu verschwinden. Die deutsche Sicht auf die Geheimdiensttätigkeit in Paris wird im achten Kapitel recht stringent, aber mit geringem Neuigkeitswert skizziert – eine der wenigen „roten Linien“, die sich bis ins letzte Kapitel durchziehen.

Erst nach der Hälfte des Werkes gelingt es Siedentopf, eine Agentin vom Anfang bis zum Ende des Einsatzes narrativ zu begleiten. Das neunte Kapitel widmet sich nun fast ausschließlich einer Quelleninterpretation, doch schon im elften Kapitel dominieren wieder die allgemeinen Klischees und Wortdoppelungen. So fährt die Gestapo stets schwarze Autos und eine Agentin verbesserte in ihrer Jugend ihr Spanisch in Spanien. Auch wäre es für den Leser doch sehr interessant zu erfahren, welcher deutsche Offizier im Juni 1944 (!) am helllichten Tage seine Panzerfahrzeuge aus der Fliegerdeckung nahm, um drei potentielle Résistancekämpfer (unter anderem eine der Agentinnen) während einer Schießerei an einer Straßensperre festnehmen zu lassen. Im daran anschließenden Teil werden nicht weniger als fünf Agentinnen bruchstückhaft beschrieben, was für die sorgsame Aufarbeitung der Thematik schlicht zu viele sind. Sechs Kapitel vor Schluss setzt die Autorin eines der wenigen Highlights. Mit Pearl Witherington wird die einzige Leiterin eines Agentenringes mit ihren Aktivitäten vorgestellt. Damit immerhin ist kurz vor dem Ende ein guter Substanzgewinn für das Buch zu verzeichnen.

Es sei an dieser Stelle ein Zwischenfazit erlaubt: Siedentopf macht aus ihrer Bindung an das Fernsehen keinen Hehl, was sich schon in der szenischen Montierung und den abrupten Schnitten von Kapitel zu Kapitel zeigt. So muss der Leser nach Dreiviertel der Lektüre den Eindruck bekommen, dass die zurückliegenden 199 Seiten besser auf dem Mainzer Lerchenberg aufgehoben wären als in einer Fachbibliothek. Ansonsten gelingt es Siedentopf bravourös, den Kern ihrer Aussagen, ganz im Sinne der Protagonistinnen, zu verschlüsseln, um sie solcherart an den Leser weiterzugeben.

Die ab dem 16. Kapitel immer wieder angesprochenen Querelen zwischen MI 6 und SOE wären sicherlich am Anfang besser platziert gewesen. Denn erst ihre Kenntnis erlaubt ein tieferes Verständnis für die englische Unterscheidung der Geheimdienste in SOE, MI 6 und MI 5. Mit dem 17. Kapitel beginnt schließlich die Zusammenführung aller vorher beschriebenen Agentenschicksale, wobei manch unerwartetes Detail aus den vorangegangenen Textteilen nachgeliefert wird. Die letzten drei Kapitel sind ganz und gar dem „Weg in den Tod“ einiger Agentinnen gewidmet. Die Ermordung einiger der SOE-Agentinnen im KZ Natzweiler kurz vor Kriegsende unterstreicht in lang vermisster Deutlichkeit, dass auch Geheimdienstmitarbeiter vor der Perversität des Grauens nicht verschont wurden. Über den Mord an Agentinnen im KZ Ravensbrück wird abschließend ein kurzer Blick in den nach 1945 stattfindenden Natzweiler-Prozess geworfen. Keiner der Angehörigen von SS und/oder Gestapo wurde für die Ermordung der SOE-Mitarbeiterinnen jemals rechtlich belangt – eine Feststellung, die im Gesamtkontext der Geschichte des Holocaust fast zynisch erscheint. Zudem beschränkt sich fast die gesamte Darstellung auf die bekannte Berufung der meisten Deutschen auf den Befehlsnotstand. Im angefügten Epilog kommt noch eine historische Bewertung der SOE-Tätigkeit hinzu. Sie mündet in einer Zusammenführung von Ergebnissen, die schon in anderer Form bekannt waren.

Wer ein fachwissenschaftliches Interesse an der Geschichte der alliierten Geheimdienste in Frankreich hat, sollte sich an ein – wenn auch älteres – Werk wie das von Gerhard Schulz herausgegebene Buch „Geheimdienste und Widerstandsbewegungen im Zweiten Weltkrieg“ halten.1 Des weiteren dürften die einschlägigen Aufsätze in dem von Hans Umbreit herausgegeben Band zur Landung in der Normandie 1944 eine durchaus gewinnbringende Ergänzung sein.2 Welches Fazit ist also zu ziehen? Manchmal ist weniger oft mehr. Die Konzentration auf einige wenige Fallbeispiele hätte einen deutlich besseren Rahmen für die Reflektion des Themas geschaffen. Ansonsten wird das Buch sicherlich dennoch einen großen Interessentenkreis finden, da es sich als wunderbares „Lese“-Buch für ein langes Wochenende eignet. Ken Follets „Leopardin“, die bezeichnender Weise im Literaturverzeichnis aufgeführt ist, steht als Romanheldin in enger Konkurrenz zu „Absprung über Feindesland“.

Anmerkungen:
1 Schulz, Gerhard (Hrsg.), Geheimdienste und Widerstandsbewegungen im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 1982.
2 Umbreit, Hans (Hrsg.), Invasion 1944, Hamburg 1998.

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