J. Martschukat u.a. (Hrsg.): Väter, Soldaten, Liebhaber

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Titel
Väter, Soldaten, Liebhaber. Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas


Herausgeber
Martschukat, Jürgen; Stieglitz, Olaf
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 32,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Harzig, Department of History, Arizona State University

Auf den ersten Blick scheinen die Männerstudien in den USA wie in Deutschland noch eher selten zu sein. Ein zweiter Blick in die Bibliographie des vorliegenden Readers belehrt uns eines Besseren. In den USA ist der Forschungsstand bereits so weit entwickelt, dass Tendenzen, unterschiedliche Ansätze und Paradigmenwechsel zu erkennen sind. Der international und interdisziplinär ausgerichtete Band leistet darum zweierlei: Im ersten Teil werden in drei Beiträgen die Entwicklung der Männerstudien, die Einbettung in die Geschlechterstudien und die Bedeutung des Krisendiskurses in der Männerforschung theoretisch und methodisch analysiert. In den weiteren vier, chronologisch angelegten Teilen, werden in 16 Beiträgen neue historische Forschungen vorgestellt.

In ihrer Einleitung gehen Martschukat und Stieglitz davon aus, dass die analytischen Kategorien Weiblichkeit und Männlichkeit unbekannte Zusammenhänge erschließen können. Das hat die Frauenforschung auch von sich behauptet und folgerichtig werden auch für die historische Männerforschung die Schlüsselfiguren der Gender Studies Gerda Lerner, Joan Scott, Ute Frevert und Gisela Bock herangezogen. Sie formulierten das Ziel, die Aushandlungsprozesse der Geschlechter in einem historisch gestaltenden Zusammenhang zu sehen und ein entsprechendes analytisches Instrumentarium dafür zu entwickeln. Diese Zielsetzung wurde, angeregt durch die Schwulen- und Lesben-Forschung, durch bahnbrechende Arbeiten in der Männer- und Geschlechterforschung von Anthony Rotundo und Michael Kimmel ergänzt. Im Weiteren wurde die Analyse nach Rasse und Klasse, sowie nach Formen männlicher Dominanz differenziert. Die Differenzierung eines hegemonialen Konzepts von Männlichkeit sowie die Frage nach der "Krise der Männlichkeit" stellten sich als zentrale Forschungsfragen heraus.

Bruce Dorsey greift bei seinen theoretischen Überlegungen die Frage nach der Konturierung eines Forschungsfeldes auf. Genügt es, "to add men and stir?", so der Titel seines Aufsatzes. Ihm geht es um eine theoretisch und methodisch markierte Männergeschichte, die über die wiederkehrende Krise der Männlichkeit und die Opferperspektive hinausweist. Auch gilt es, den exklusiven Blick auf männliche Subjekte, eine über Jahrhunderte praktizierte Perspektive, in der historischen Forschung und eine Weiterentwicklung der Wahrnehmung von männlicher Norm und weiblicher Ausnahme zu vermeiden. Für Dorsey ergeben sich drei Grundsätze: (1) Männergeschichte kann sinnvoll nur im Kontext der Geschlechterforschung geschrieben werden. (2) Im Zentrum des forschenden Interesses sollte Differenz und Vielfalt stehen. Und (3) sollte historische Männer-Forschung sensibel auf geschlechtliche Kodierungen achten (S. 40).

Sabine Sielke widmet sich den vielen Facetten der Krise der Männlichkeit, wie sie vor allem im postmodernen Diskurs verhandelt werden. Dabei steht sie dem Konzept "in Anbetracht der Tatsache, dass männliche Macht ...mitnichten auf dem Rückzug ist" (S. 43) analytisch skeptisch gegenüber. Sie verdeutlicht die doppelte Funktion des Krisendiskurses, der die weißen Männer der Mittelklasse in ihrer gesellschaftlichen Machtposition in Frage stellt, nur um – daraus abgeleitet – sie wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu ziehen. Dekonstruktion und (Re)-Konstruktion sind dabei interdependente Prozesse (S. 49). Im Zusammenwirken der Geschichts- und Kulturwissenschaften, dargestellt an der Analyse des Krisendiskurses, sieht sie die Möglichkeit, Dichotomien (Weiblichkeit/ Männlichkeit, Kultur/ Natur, Diskurs/ Materie) neu zu markieren, ohne dabei materielle Differenzen zu verwischen.

Die weiteren Beiträge präsentieren originäre historische Forschung. Anne Lombard setzt sich mit "Vatersein und Männlichkeit im kolonialen Amerika" auseinander und entdeckt männliche Emotionalität jenseits der Rollenzuschreibungen von Macht, Status und Aggressivität. Martschukats Beitrag über "Vaterfigur und gesellschaftliche Ordnung" greift die politische Bedeutung der Hausvater-Figur aus dem vorangehenden Beitrag wieder auf. Er verdeutlicht ihre Bedeutung für das Demokratie Verständnis der USA und verweist dabei auf die historische Genese der gegenwärtigen Diskussion um "Family Values". Ann Greenbergs Aufsatz über "Männlichkeiten, territoriale Expansion und Frontier" bringt inhaltlich eher wenig Neues. Die harten, Indianer jagenden Cowboys des Westens sind uns vertraut. Allerdings ist die Gegenüberstellung der aggressiven, nach außen gerichteten martialischen (martial) Männlichkeit und der nach innen, auf den Haushalt gerichteten moralischen Vorbildlichkeit des zurückhaltenden (restained) Mannes historisch analytisch interessant. Hieran schließt sich der Beitrag von Martha Hodes über "Hautfarbe, Geschlecht und die Macht der Kategorien" an. Er ist ein Juwel in diesem Reader. Sie erzählt die Geschichte des afrikanisch-europäischen Seemanns Smiley Connoley und der aus der Arbeiterklasse stammenden weißen Amerikanerin Eunice Richardson, seiner Ehefrau. Beide waren Zeit ihres Lebens mit veränderbaren Zuschreibungen rassischer Kategorien konfrontiert. Die Geschichte belegt auf sehr anschauliche Weise die soziale Konstruktion von "Rasse" und die Implikationen für die Bestimmung von Geschlecht. Anja Becker führt uns einen weiteren Aspekt des Grenzgängertums in den Tagebuchaufzeichnungen und Briefwechseln amerikanischer Studenten an der Universität Leipzig vor. Diese Studenten waren am Ende ihres Aufenthalts weiterhin von der hohen Qualität des deutschen Bildungswesens überzeugt. Gleichzeitig erhielten sie sich ihre eigenen nationalen Wertvorstellungen – in denen die Position der Frauen in den USA komplex konfiguriert wurde – und nahmen sich als der überlegenen Kultur zugehörig wahr.

Die folgenden drei Kapitel kennzeichnen unterschiedlich Erscheinungen der "Transformation der Moderne" um die Jahrhundertwende. Ralph Poole diskutiert Formen von Körperkulten, die Theodor Roosevelt, den Präsidenten der USA ebenso erfassen wie Eugen Sandow, ein äußerst favorisiertes männliches Pin-up. Pelze, ein notwendiges Zubehör des Edwardian Gentlemen, dienen dazu, den männlichen Körper im Gegensatz von Kultur und Natur vorteilhaft zur Geltung zu bringen und die Tragfähigkeit animalisierter Konzepte von Männlichkeit auszutesten. Ähnliches gilt für den Boxsport, den Christoph Ribbat als "Theater der Männlichkeit" (S. 191) analysiert. Ruth Oldenziel zeigt die geschlechtskonnotierten Deutungsprozesse am Beispiel von Technik und Konsum auf.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist in den USA vor allem durch die Depression, den New Deal und den Zweiten Weltkrieg geprägt. Olaf Stieglitz verdeutlicht an Hand von Filmen der 1930er-Jahre, in welchem Maße Männlichkeitsmodelle Vorbildcharakter für Jugendliche haben konnten, eine Diskussion die noch heute nicht abgeschlossen ist. Anschließend stellt Christina Jarvis dar, wie der durch Arbeitslosigkeit und schlechte Ernährung ausgezehrte Männerkörper für den kommenden Krieg bildlich aufbereitet wurde.

James Gilbert befasst sich mit einer Neubewertung von David Riesman, dem führenden Soziologen der frühen Nachkriegszeit und erläutert die ersten theoretischen Auseinandersetzungen mit der "Krise" der Männlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Anke Ortlepp sieht in der wachsenden Industrie- und Konsumbranche der Flugreisen, ähnlich wie Ruth Odenziel, den Zusammenhang von Modernität, Rollenkodierung und Konsum. Die Hautfiguren, Flugkapitän, Geschäftsmann und Tourist werden in der Werbung als Sicherheit vermittelnde Identifikationsfiguren positioniert. Seit Brokeback Mountain wissen wir, dass auch unter harten Cowboys homosexuelles Begehren vorstellbar war und John Howard fügt unserem Wissen noch eine weitere Ebene hinzu: die des vermeintlich rückständigen und sozial konservativen ländlichen Amerikas. In Mississippi hat es weit aus mehr gleichgeschlechtliches Erleben gegeben, als ursprünglich vermutet. Robert Dean zeigt in seinem Beitrag über Politik und Sexualität im Kalten Krieg, vor allem in der Kennedy Ära, dass Liberalität in dieser Zeit leicht mit Verweichlichung gleichgesetzt wurde, tolerantes Verhalten mit Unmännlichkeit. Simon Wendts Beitrag über "Gewalt und Männlichkeit in der Black Power Bewegung" bringt leider kaum etwas Neues. Das Thema hätte besser in der Auseinandersetzung mit den afro-amerikanischen Feministinnen wie bell hooks oder Barbara Christian weiterentwickelt werden sollen. Abschließend setzt sich Eva Bösenberg noch einmal mit dem Krisenphänomen auseinander, dass sie nun in den Kontext der Krise der weißen (männlichen) Mittelschicht stellt. Die finanziellen Erfolgserwartungen ließen sich nicht mehr einlösen. Sie führten zu Identitätskrisen, deuteten aber auch auf die Selbstzentriertheit einer Gruppe und deren "Unwillen, Privilegien von gender und race aufzugeben (S. 388).

Der Band ist interessant und vielfältig, bündelt neuere Forschungsansätze und zeigt theoretische Auseinandersetzungen auf. Er wendet sich keineswegs nur an Amerika-HistorikerInnen, sein überzeugendes Plädoyer für die analytische Kategorie Männlichkeit kann von ForscherInnen aller Regionen und Disziplinen aufgegriffen werden. Wenn auch nicht alle Beträge in der Geschlechterforschung verankert bzw. interdisziplinar ausgerichtet sind, so ist die Mehrheit sorgfältig recherchiert und originell. Gleichzeitig zeigt der Band einige Versäumnisse auf. Race wird häufig noch in der Dichotomie von "weiß" und "schwarz" gedacht. Das ist heute kaum mehr sinnvoll; die "hispanische" und "asiatische" Bevölkerung fordern die Normen der weißen Männlichkeit und der (eingeschränkten?) schwarzen Männlichkeit heraus. Hier gilt es, weitere kulturell konturierte Formen von Männlichkeit historisch zu entdecken. Auch sollte "race/ethnicity" nicht mehr als "zusätzliches" Analysemoment aufgenommen (add race/ethnicity and stir), sondern als konstitutiver Bestandteil der Geschichte betrachtet werden. Die Konturen der weißen Männlichkeit können nicht gezeichnet werden, ohne die "Anti-Norm", die schwarze Männlichkeit als konstitutives Moment wahrzunehmen sowie die Bedeutung der "Zwischenformen" zu erfassen. Abschließend könnte noch gefragt werden, ob es deutsche versus amerikanische Formen der Männlichkeitsentwürfe und der Männlichkeitsforschung gibt. Diese Fragen könnten die Herausgeber in einem weiteren Band beantworten.