Titel
The Great Naval Game. Britain and Germany in the Age of Empire


Autor(en)
Rüger, Jan
Erschienen
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
£53.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Epkenhans, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh

Über den deutschen Flottenbau in der Ära Wilhelms II. wie auch über das deutsch-englische Wettrüsten liegen zahlreiche ältere wie auch einige neuere Arbeiten vor. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive hat sich bisher jedoch noch niemand damit beschäftigt. Diese Lücke füllt nun die Dissertation von Jan Rüger. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern fragt er nicht nach den politischen oder militärischen Zielen des Flottenbaus in Deutschland und England. Ihm geht es vielmehr um die Analyse des „theatre of power and identity that unfolded“ (S. 1). Auf den ersten Blick mag dies merkwürdig klingen, doch wer sich auf die Darstellung einlässt, kann nur fasziniert darüber staunen, was es jenseits der traditionellen Themen alles noch zu „entdecken“ gibt: In insgesamt fünf Kapiteln beschreibt der Verfasser die Wirkungsmächtigkeit von Symbolen und Zeremonien – angefangen bei den immer aufwändiger inszenierten Stapelläufen und deren Bedeutung bis hin zu den Flottenparaden. Wer von uns Historikern hat sich jemals klar gemacht, was es bedeutete, dass Tausende auf beiden Seiten der Nordsee daran teilnahmen und was sich diejenigen, die diese Schauspiele inszenierten, dabei gedacht haben, als sie – wie Kaiser Wilhelm II – in einer Allerhöchsten Kabinettsordre die Einzelheiten bis ins letzte Detail regelten. Gleichermaßen wussten wir bisher zwar viel über Marinepropaganda, haben nach den Mechanismen ausgeklügelter Manipulationsstrategien gefragt, ohne dabei zu berücksichtigen, dass dies ein Wechselwirkungsprozess war.

Überzeugend weist der Autor in seinem Kapitel „The Anglo-German theatre“ auf ein Dilemma hin, aus dem es am Ende keinen Ausweg gab: Je größer die durch dieses „Theater“ geweckten Erwartungen wurden, umso schwieriger wurde es, einen Ausweg aus der selbst gestellten Falle zu finden. Im Gegenteil: Paraden und Stapelläufe dienten dazu, bewusst falsche Erwartungen zu wecken und gleichzeitig Feindbilder zu kultivieren: So entsprach der große Naval Review von 1897, der aus Anlass des Diamond Jubilee von Königin Victoria veranstaltet wurde, den immer größeren Paraden auf deutscher Seite, die schließlich sogar den Rechnungshof zur Intervention veranlassten. Doch die Symbolik machte das Zurückrudern insbesondere auf deutscher Seite nahezu unmöglich, obwohl gar kein Zweifel daran bestehen konnte, dass dahinter – im Gegensatz zu Großbritannien, das geschickt sein Empire und seine Flotte inszenierte – keine Macht stand (S. 245). „Strategic concerns may initially have been decisive in giving rise to antagonism; however, the estrangement of the two countries was imagined, experienced and interpreted in a cultural sense, as a rising opposition in ideas and assumptions“, so die zutreffende Schlussfolgerung.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges war dann auch das Ende dieses “theatre”, auch wenn manche Formen auch in späterer Zeit noch zu finden sind. Es sollte freilich noch Jahrzehnte dauern, bis auch der letzte Verantwortliche begriff, dass moderne Gesellschaften auf derartige Formen der Zurschaustellung von Macht nicht angewiesen sind, um sich der Zustimmung der Wähler zu versichern.

Jan Rüger hat den Weg dorthin glänzend nachgezeichnet und mit viel Akribie und anhand beeindruckender Beispiele gezeigt, wie viel auch eine moderne Politik- und Militärgeschichte durch eine kulturgeschichtliche Betrachtungsweise gewinnen kann.