T. Höpel: Von der Kunst- zur Kulturpolitik

Cover
Titel
Von der Kunst- zur Kulturpolitik. Städtische Kulturpolitik in Deutschland und Frankreich 1918-1939


Autor(en)
Höpel, Thomas
Reihe
Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung 7
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
516 S.
Preis
€ 82,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorothea Trebesius, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig

Thomas Höpel untersucht in seiner Leipziger Habilitationsschrift Bedeutungen und Funktionen städtischer Kulturpolitik in Frankreich und Deutschland in der Zwischenkriegszeit. Das Ziel ist es, städtische Kulturpolitik auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zu untersuchen und dabei sowohl nach Besonderheiten als nach transnationalen Gemeinsamkeiten und internationalen Beziehungen im Bereich der Kulturpolitik zu fragen (S. 24). Höpel definiert dabei Kulturpolitik als „politikförmige Maßnahmen, welche die Produktion, Vermittlung, Nutzung und Rezeption von ‚Kultur’ sowie die ‚Kultivierung’ oder ‚Zivilisierung’ des Bürgers und der sozialen Beziehungen bestimmen und ermöglichen.“ (S. 14) und vergleicht die Kulturpolitik in zwei französischen Städten (Lyon und Saint-Etienne) und in zwei deutschen Städten (Chemnitz und Leipzig) anhand der jeweiligen Akteure, deren Intentionen und anhand des Wandels der kulturpolitischen Felder. Dabei verbindet der Verfasser sozial-, kultur- und politikwissenschaftliche Perspektiven und Fragestellungen, stärkt aber vor allem eine kulturhistorische Herangehensweise, indem er danach fragt, welche Bereiche überhaupt als „Kultur“ begriffen und damit als Teil der Kulturpolitik anerkannt und gefördert wurden (S. 43).

Höpel konstatiert eine neue Quantität und Qualität der Kulturpolitik aller untersuchten vier Städte in der Zwischenkriegszeit. Dies führt er auf den sinkenden Stellenwert privater Kulturförderung, eine verstärkte Forderung von Arbeiter- und Angestelltenorganisationen nach einem Engagement der Städte und Länder und auf die Herausforderungen der expandierenden kommerziellen Populärkultur zurück. Daraus ergaben sich in allen Städten ähnliche „Grundziele“ der Kulturpolitik, nämlich die „Demokratisierung“ des Zugangs zur Kultur und die Repräsentation der Stadt im interkommunalen und internationalen Wettbewerb (Kulturpolitik als Standortpolitik). Die Grundziele gewichteten dann die Städte jeweils verschieden und verbanden sie mit sekundären kulturpolitischen Zielen wie der „Veredlung“ des Publikums, einer pluralistischen Kulturproduktion oder der Modernisierung von Kultureinrichtungen. Höpel führt die Unterschiede zum einen auf lokale Gegebenheiten und Traditionen zurück. Darüber hinaus macht er einen Grundgegensatz aus zwischen einem eher liberalen (französischen) Modell, das sich zu systematischen und umfassenden Eingriffen in den Kulturbereich erst einmal vorsichtig verhielt, und einem stärker aktivierenden (deutschen) Kulturpolitikmodell, das schon früher und grundsätzlicher in den Kulturbereich intervenierte. Mit Leipzig, Lyon, Chemnitz und Saint-Etienne hat der Autor eine überzeugende Auswahl von Städten getroffen, die er schließlich hinsichtlich des politischen Umgangs mit Kultur typisiert. Die Lyoner Kulturpolitik war vor allem Standortpolitik, während sich Saint-Etienne stärker auf die Integrationsleistung von Kulturpolitik konzentrierte. Leipzig und Chemnitz waren demgegenüber Mischtypen, die beide Ziele verfolgten, wobei in Leipzig die Standortpolitik vergleichsweise stärker ausgeprägt war.

In den Kapiteln 1 und 2 analysiert Thomas Höpel die Akteure und Institutionen städtischer Kulturpolitik, die kulturpolitischen Programme und Ziele der politischen Parteien sowie die Verwaltungsstruktur. Im Hauptteil der Arbeit (Kapitel 3-8) beschreibt und analysiert der Verfasser sechs Felder städtischer Kulturpolitik: Theaterpolitik, Bibliothekspolitik, Musikpolitik, Museumspolitik, Kunstausbildung und städtische Volksbildungspolitik. Einen gewichtigen Teil nimmt die Darstellung der Theaterpolitik ein, da Theater und Musiktheater in der Hierarchie (gemessen an den finanziellen Aufwendungen) der Kulturpolitikfelder aller Kommunen die Priorität einnahm. Die damit verbundenen unterschiedlichen Ziele der Städte verweisen auf deren Orientierung an dem liberalen, bzw. dem aktivierenden Kulturpolitikmodell: wurden die Theater in Deutschland relativ früh (in den 1920er-Jahren) in städtische Regie genommen, überließ man in Frankreich dieses Feld noch stärker dem Markt und der Zivilgesellschaft, nachdem die Kommunen allerdings schon vorher (erstes Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts) kurzzeitig eine städtische Regie geprobt hatten. Die Städte in Deutschland engagierten sich vergleichsweise stärker, da sie sich eine „Demokratisierung“ und „Kultivierung“ des Publikums durch das Theater erhofften. In Frankreich dagegen, und in besonderem Maße in Lyon, sollte das Theater die Stadt repräsentieren. Nach der Theaterpolitik nahm die Kunstausbildung in den französischen Städten Lyon und Saint-Etienne einen hohen Rang ein, da die liberale französische Kulturpolitik vor allem die Bereiche unterstützte, die sich durch eine rein private Finanzierung nicht hätten erhalten können. Leipzig und Chemnitz konzentrierten sich eher auf die Museen und die Volksbildung. Dies reiht sich in die kulturpolitischen Ziele der Demokratisierung und Kultivierung und lässt sich auch durch die zunehmende Professionalisierung der Volksbildung erklären, die in Deutschland, besonders in Leipzig, weiter fortgeschritten war als in Frankreich. So entstand in Leipzig etwa ein Seminar, das Erwachsenenpädagogen ausbildete und neue Formen der Arbeiterbildung erprobte. Das „Leipziger Modell“ diente dann, vermittelt über internationale Konferenzen und Organisationen, den französischen Städten als Vorbild.

Diese internationalen Transfers und Verflechtungen untersucht Thomas Höpel in seinem 10. Kapitel und zeigt nicht nur an dieser Stelle, dass städtische Kulturpolitik immer in ihrer Wechselwirkung mit der lokalen, nationalen und internationalen Ebene zu betrachten ist. Den Bezug zur nationalen Kulturpolitik bzw. zur Kulturpolitik der Länder verdeutlicht der Autor an den Diskussionen um das Leipziger Konservatorium oder die Lyoner Museumspolitik, wo der Bezug auf verschiedene räumliche Ebenen den Akteuren ein Feld bot, das sie für ihre Ziele nutzen konnten. So gelang es den Direktoren des Leipziger Konservatoriums und des Lyoner Kunstmuseums, mit dem Verweis auf interurbane und nationale Konkurrenz und die Bedeutung internationaler Standards, die städtische Aufmerksamkeit auf ihre Institutionen zu erhöhen. Dies führte im Fall von Lyon zu einer zunehmenden Autonomie des Direktors und in Leipzig zu erhöhten finanziellen Zuwendungen für das Konservatorium.
Die Frage des interurbanen Austauschs und der Europäisierung beantwortet Höpel in den Kapiteln 9 und 10, die in systematischer und vergleichender Absicht einen Überblick über die zentralen Ergebnisse der Arbeit liefern. Hier nimmt der Verfasser dann auch die räumlichen Bezüge der kulturpolitischen Akteure in den Blick, die als Erklärungen für kulturpolitisches Handeln in den Kapiteln selber leider kaum herangezogen werden. Bei einer stärkeren Betrachtung dieser Bezüge müssten dann auch nicht, wie es der Autor vorwiegend tut, kulturpolitische Entscheidungen primär auf die politische Orientierung der jeweiligen Akteure zurückgeführt werden.

Insgesamt liegt hier eine interessante und innovative Arbeit vor, von der zwei Befunde noch einmal herausgestrichen werden sollten: Thomas Höpel betont die Vorbildfunktion der städtischen Kulturpolitik, die schon in der Zwischenkriegszeit mit einem „weiten“ Kulturbegriff operiert habe und eine Infrastruktur bereit stellte, an die nationale Kulturpolitiken anknüpfen konnten. Die demokratische Kulturpolitik, von der gern behauptet wird, dass sie in den 1960er-Jahren „erfunden“ wurde, hatten, so der Verfasser, schon die Städte in der Zwischenkriegszeit im lokalen Rahmen entwickelt und erprobt. Mit seiner Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden und nach Verflechtungen und Transfers zwischen verschiedenen Kulturpolitikmodellen verweist der Autor zudem auf die transnationale Dimension dieses Phänomens und macht zugleich die deutsche Forschung zur Kulturpolitik international anschlussfähig. Es gehört zu den besonderen Verdiensten dieser Studie zu zeigen, dass städtische Kulturpolitik nicht nur im lokalen und nationalen, sondern vor allem im europäischen und transnationalen Rahmen zu begreifen ist.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch