S. Schnurbein: Völkische Religion

Cover
Titel
Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe "arteigener" Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende


Herausgeber
von Schnurbein, Stefanie; Ulbricht, Justus H.
Erschienen
Anzahl Seiten
447 S.
Preis
€ 51,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Freie Universität Berlin Fachbereich Geschichte Koserstr. 20

Interdisziplinäre Forschung kann aufregende Ergebnisse erzielen und einem Thema viele neue Perspektiven verschaffen. Als ein gelungenes Beispiel hierfür kann der vorliegende Sammelband von Stefanie von Schnurbein und Justus H. Ulbricht angesehen werden, die sich durch eine langjährige intensive Beschäftigung mit dem im Titel des Buches genannten Themenspektrum ausweisen können. Gelungen ist der siebzehn Aufsätze umfassende Band auch deshalb, da sich nicht nur die Herausgeberschaft, sondern auch die im Band vertretenen Autoren durch jahrelange Zusammenarbeit auf Tagungen und in einem „Arbeitskreis zur Geschichte neuer Religiosität im 20. Jahrhundert“ untereinander und vor allem mit dem Stoff vertraut gemacht haben. So finden sich unter den Beiträgern des Bandes nicht nur Historiker, sondern auch Vertreter verschiedenster Fächer wie der Religionswissenschaften und Theologie, Germanistik, Philosophie, Soziologie, Skandinavistik, Volkskunde, Sportwissenschaft und eine Kunsthistorikerin. Das Ergebnis ist dennoch, oder besser wegen der Vielschichtigkeit seiner Mitarbeiter ein wegweisendes Projekt für weiteren Forschungen auf diesem Gebiet, gelingt es doch mancher Fragestellung nicht nur neue Impulse zu verleihen, sondern auch neue Forschungsfelder zu eröffnen.

Am Beginn des Bandes eröffnet Justus H. Ulbricht mit einem geschliffenen Aufsatz eine Bilanz der bisherigen Forschungen, in dem er einen geschichtlichen aber auch kultur- und sozialhistorischen Abriss zur „Problemgeschichte „Arteigener“ Religion“ erstellt. Besonders diese Einführung dürfte Lesern, die mit dem Thema noch nicht allzu vertraut sind, einen umfassenden Einstieg vermitteln und ein besseres Verständnis für die folgende Beiträge ermöglichen. Nach dieser gründlichen Einführung folgen Studien, die sich entsprechend eingehender mit verschiedenartigen Teilaspekten beschäftigen. Allen voran stehen zwei grundlegende Überlegungen von Frank Usarski und Peter Berghoff. Während Usarski sich, in einer nicht immer einfach zu folgenden Erörterung mit der bisher wenig beachteten „Frage nach der eigenen Parteilichkeit beim Erforschen völkischer und oftmals rassistischer Religionskonzepte“ beschäftigt, unterzieht Berghoff das Theorem „Kollektive Identität“ vor der Folie der identitätsstiftenden Begriffe „Volk“ und „Nation“ einer genauen Analyse unter Berücksichtigung ihrer anthropologischen, politischen und religiösen Ebenen.

Von ähnlich grundlegender Bedeutung sind Rainer Herings Bemerkungen zu den vielfältigen Ursachen der fortschreitenden Entkirchlichung um die letzte Jahrhundertwende, welche eine maßgebliche Vorraussetzung für die Entstehungsgeschichte völkischer aber auch anderer alternativer Religionsentwürfe darstellte. Hering dokumentiert dabei das Thema bis in die jüngste Zeitgeschichte, wobei auch die Bemühungen der Kirchen um eine Rechristianisierung entsprechende Beachtung finden. Ulrich Nanko versucht sich hingegen an einer dichten Überblicksdarstellung über das vielgestaltige Spektrum völkisch-religiöser Organisationen vom Kaiserreich bis in die Zeit des Nationalsozialismus, wobei er dankenswerter Weise nicht nur die Gruppen benennt, sondern auch ihre Ursprünge aufzeigt und sich der in diesem Kontext bislang noch zu wenig beachteten völkischen Frauenbewegung widmet. Ebenso lobenswert ist das deutliche Herausstellen der sich in der Forschung manifestierten Fehler auf diesem Gebiet, die auf Grund der Undurchsichtigkeit und Komplexität völkisch-religiöser Organisationen immer wieder aufgetreten sind und beständige Rezeption finden.

Mit dem völkisch-nationalen Frauenbild beschäftigt sich auch Karin Bruns, die das Geschlechterverhältnis vor allem anhand von Literatur und Film untersucht und ihm bis in unsere heutige Zeit nachgeht. Marina Schuster richtet dagegen ihr Augenmerk auf die Entwicklung und die ideologiegeschichtliche Aufladung völkischer Bilderwelten, wobei sie vor allem die religiöse Erbauungskunst der Maler Hermann Hendrich, Ludwig Fahrenkrog, Hugo Höppner, alias Fidus und Franz Stassen als Vorlage nutzt. Mit der emphatischen Begeisterung für Skandinavien am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzt sich Julia Zernack auseinander, die sie sich dem Thema über die Entdeckungs- und Rezeptionsgeschichte der eddischen Dichtungen und der Íslendingasögur („Isländersagas“) annähert. Dabei unterzieht sie nicht nur die ‚Germanenschwärmer‘ einer genaueren Betrachtung, sondern bindet auch die Vertreter einer bemüht wissenschaftlichen Germanistik dieser Zeit mit ein und veranschaulicht damit eindrucksvoll das Spannungsfeld, über das sich beide Fraktionen miteinander verbunden sahen.

Wie eng völkische Religionsentwürfe an den Begriff der Rasse gebunden waren (und noch sind) zeigen die Beträge von Hildegard Châtellier, Ulrich Linse, Helmut Zander und Rainer Lächle auf. Während Hildegard Châtellier das facettenreiche Verhältnis von Rasse und Religion bei Housten Steward Chamberlain untersucht und dabei auch kurz auf die Rezeptionsgeschichte desselben eingeht, stellt Ulrich Linse die okkulte Rassereligion Mazdaznan vor. Hierbei führt er nicht nur in ihre Entwicklungsgeschichte ein, sondern vergleicht sie zudem eingehend mit konkurrierenden Anschauungen, der Theosophie, der Anthroposophie und der Ariospohie. Gleich im Anschluss daran eröffnet Helmut Zander das weite und spannende Feld der anthroposophischen Rassentheorie Rudolf Steiners. Zander arbeitet Steiners Rassentheorie in einer übersichtlichen Chronologie opulent und detailliert ab, veranschaulicht deren weittragende Rezeption und zeichnet den Entwicklungsweg nach 1945 bis in unsere Tage nach, wobei auch die aktuellen Debatten um rassistische Elemente in Waldorfschulen Erwähnung finden.

Rainer Lächle wiederum verweist in drei kurzen biographischen Skizzen von Arthur Bonus, Max Bewer und Julius Bode auf völkische Bemühungen um eine Germanisierung des Christentum, wobei hier vor allem das Bild eines heroischen Christus im Vordergrund stand. Völkische Religionsapologien sahen sich aber auch vielfältigen anderen Bewegungen gegenüber. So seziert Richard Faber das Denken religiöser und neureligiöser „(Anti-) Intellektueller“ und Matthias Pilger-Strohl verdeutlicht in seiner Studie über die freireligiöse Bewegung auch die Unterschiede und deutlichen Abgrenzungen zwischen dieser und der völkischen Bewegung.

Etwas aus der Reihe fallen die beiden vorletzten Arbeiten von Bernd Wedemeyer und Esther Gajek. Wedemeyer konzentriert sich einem bislang sträflich vernachlässigten Teilaspekt völkischer Körperkultur, der, auf den ersten Blick mehr als obskur erscheinenden „Runengymnastik“, die jedoch als vehementer Ausdruck einer nicht nur geistig-religiösen, sondern auch pragmatisch-gesundheitlichen Nutzung von Runen verstanden werden muss und noch als solche bis in die heutigen Tage enthusiastisch vertreten wird. Esther Gajek hingegen stellt die Entwicklungsgeschichte nationalsozialistischer Feiergestaltung unter dem „Amt Rosenberg“ vor. Das Ende beschließt Stefanie von Schnurbein mit einer Bestandsaufnahme zur Entwicklung völkischer Religionssysteme nach 1945, einem Gebiet, dem sie dankenswerter Weise bereits seit einigen Jahren erhöhte Aufmerksamkeit schenkt. Hier nun erstellt sie nicht nur einen umfangreichen Überblick über die entsprechenden Organisationen und Zusammenschlüsse, sondern wendet sich auch Fragen nach den aktuellen Verhältnissen von christlichen Kirchen, Wissenschaft und völkischer Religion zu. Unter Einbeziehung breit wirksamer kultureller Öffentlichkeitsmedien, wie etwa der Fantasyliteratur, ermittelt die Autorin ein von ‚neugermanisch heidnischen‘ Gruppierungen für die heutige Welt nutzbar gemachtes Menschen- und Gesellschaftsbild, das zum Teil einen „direkt heidnisch religiösen Anspruch“ erhebt und dabei ungeahnte Erfolge in unserer heutigen Gesellschaft verzeichnet.

Alles in allem stellt sich der in dem Band offerierte Querschnitt als sehr gelungen dar, wobei man jedoch voll des Bedauerns ist, wenn man an das Ende eine Aufsatzes gelangt, beweisen doch die vielen, bei der Lektüre aufkommenden Fragen, dass in dem Thema noch viel zu Klärendes schlummert. Ein wenig Trost spenden jedoch die zumeist umfangreichen Anmerkungsapparate, die als Grundstock für eine Weiterbeschäftigung mit den vielfältigen Gegenständen kaum Wünsche übrig lassen. Als ausgesprochen angenehm stellen sich auch die in den Aufsätzen enthaltenen Verweise und Bezüge auf die anderen im Sammelband befindlichen Beiträge heraus, da sich so die auf den ersten Blick nicht immer kohärenten Themen ergänzen und ein geschlosseneres Bild vermitteln. Auch die äußere Erscheinung des (blauen) Bandes ist sehr ansprechend und ein kleiner Wermutstropfen mag lediglich im Fehlen eines Sach- bzw. Personenregisters bestehen.

Kommentare

Von Ziegeldorf, Vera05.02.2002

Liebe Listenmitglieder,

bei der Rezension der Publikation von Stefanie von Schnurbein; Justus H. Ulbricht(Hgg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne ist dem Rezensenten leider ein Fehler unterlaufen. Die Kritik hinsichtlich des Fehlens eines eines Sach- bzw. Personenregisters ist falsch.

Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.


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