I. Eschebach u.a. (Hrsg.): Krieg und Geschlecht

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Titel
Krieg und Geschlecht. Sexuelle Gewalt im Krieg und Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern


Herausgeber
Eschebach, Insa; Mühlhäuser, Regina
Erschienen
Berlin 2008: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
299 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Schneider, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin

Seit spätestens Mitte der 1990er-Jahre ist in der – immer schon interdisziplinär geprägten – Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus der Streit um Frauen als Opfer oder Täterinnen differenzierteren Analyseschwerpunkten gewichen. Weniger die politisch aufgeladenen Streitigkeiten als vielmehr die Arbeiten zu konkreten Politikfeldern haben gezeigt, wie ertragreich ein analytischer Blick auf das Geschlechterverhältnis in Nationalsozialismus und Krieg ist, der die Auswirkung von Geschlechtszugehörigkeit und nationaler bzw. ethnischer Zugehörigkeit ebenso wie die Zugehörigkeit zu sozialen Schichten zu erfassen vermag. Der von Insa Eschebach und Regina Mühlhäuser herausgegebene Sammelband dokumentiert Beiträge der Sommeruniversität der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück im Jahr 2007 zum Thema „Zwangsprostitution in Kriegs- und Krisengebieten im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert“ und stellt damit eine spezifische Form von Opferschaft in den Mittelpunkt.

Ausgehend vom historischen Ort des KZ Ravensbrück, aus dem viele Frauen für den „Arbeitseinsatz in Bordellen“ rekrutiert wurden, wollten die Initiatorinnen der Sommeruniversität zum einen eine bisher weniger untersuchte Häftlingsgruppe in den Vordergrund stellen, zum anderen der Skandalisierung des Themas Zwangsprostitution in den Medien eine wissenschaftliche Analyse und Diskussion entgegenstellen. Die historische Thematik ist der Ausgangspunkt für die Analyse zeitgenössischer Kriege und die Behandlung übergreifender theoretischer Fragestellungen.

Die wissenschaftliche Behandlung der Bandbreite des Themas sexuelle Gewalt im Krieg über geographische und zeitliche Grenzen hinweg beinhaltet einige Fußangeln, die mit den Fragen der Vergleichbarkeit und Gleichsetzung von nationalsozialistischem Unrecht, Verbrechen der japanischen Armee an den „Comfort Women“ und heutiger Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien oder Ruanda gleichsam aufgespannt werden. Die Herausgeberinnen weichen dieser komplexen Analyselage und der politischen Aufladung der Themenkonstellation nicht aus, sondern formulieren in ihrer Einleitung differenzierte Fragestellungen und begründete Begrifflichkeiten. So schlagen sie nach einer Zusammenfassung des Forschungsstandes zu den japanischen „Comfort Stations“, zur Rolle sexueller Gewalt bei der nationalsozialistischen Wehrmacht und zu den KZ-Bordellen vor, für die einzelnen Forschungsfelder genau die jeweiligen Geschlechterbilder, die Vorstellungen von Rasse und Ethnizität, die verschiedenen Formen der Gewaltanwendung und schließlich die verschiedenen Kriegstypen in den Blick zu nehmen.

Die Beiträge im ersten Teil des Bandes stellen die analytischen Konzepte von Geschlecht und Ethnizität in den Mittelpunkt, da sie – und die verschiedenen Dimensionen ihrer Verknüpfung in historisch und kulturell unterschiedlichen Situationen – als entscheidend für die Erklärung sexueller Gewalt im Krieg gelten. Die britische Politologin Miranda Alison stellt – in Abgrenzung zu feministischen Erklärungen – die Verbindung von Ethnizität und Männlichkeit in den Mittelpunkt ihres theoretischen Untersuchungsrasters über die Ursachen und Funktionen sexueller Gewalt im Krieg. Als Beispiele zieht sie die Balkankriege der 1990er-Jahre und den Völkermord in Ruanda heran. Dadurch, so Alison, dass die Heteronormativität zum Bestandteil hegemonialer Männlichkeit geworden sei, befördere die homosoziale Natur von Armeen gewalttätige männliche Sexualität als eine Art der Selbstvergewisserung. Alison greift in ihrem Beitrag auch die Thematik männlicher Opfer sexueller Gewalt im Krieg auf. Die Vergewaltigung von Männern im Krieg bedeute die Demütigung und Feminisierung des Opfers und einen „sozialen Tod“, der dem der weiblichen Opfer nicht nachstehe, aber von einem besonderen Tabu belegt scheint. Denn obwohl es Hinweise auf diese Praxis gibt, etwa in den Balkankriegen und im Bürgerkrieg im Kongo, ist das Thema eher durch Beschweigen gekennzeichnet. Bezüglich der internationalen Normen hinsichtlich sexueller Gewalt im Krieg, wie sie seit 2002 in den Statuten des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) festgelegt sind, weist Alison auf die Paradoxien dieser eigentlich positiven Entwicklung hin. Hier zeigt sich eine sehr hohe Erwartung der Autorin an die Wirkungsmächtigkeit des internationalen Rechts, so könne die Rechtsprechung unter anderem keinen Erfolg in der Prävention sexueller Gewalt verzeichnen.

Feministische Interpretationen der Vergewaltigungen in Berlin 1945 und in den Balkankriegen der Jahre 1992-93 stellt Pascale R. Bos in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Auch sie stellt einen „Sexismus-Ansatz“ und einen „Genozid-Ansatz“ gegenüber. Für die Vergewaltigungen der Roten Armee 1945 wird ausschließlich der Film „BeFreier und BeFreite“ von Helke Sander untersucht. Dies ist zwar exemplarisch interessant, überzeugt aber nicht als Grundlage einer Analyse der feministischen Positionen zu diesem Thema. Für die Situation im Jugoslawienkrieg wird eine breitere Literatur ausgewertet. Bos stellt feministischen Deutungen, dass es sich bei Vergewaltigungen um die schlimmstmögliche Form der Verletzung handele, die Aussagen von Opfern aus beiden historischen Situationen gegenüber, die dieser Einschätzung widersprechen. Damit wirft sie feministischen Positionen vor, sie würden die Opferrolle von Frauen festschreiben und so „einem komplexeren Verständnis von weiblicher Handlungsfähigkeit im Krieg“ (S. 123) den Blick verstellen.

Elisabeth Jean Wood differenziert sehr systematisch verschiedene Erscheinungsformen sexueller Gewalt im Krieg. Erklärungsbedürftig erscheint ihr insbesondere, dass es durchaus bewaffnete Konflikte ohne das Ausüben sexueller Gewalt gibt. Sie zieht daher neben den Vergewaltigungen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg die Kriege in Bosnien und Sierra Leone als Beispiele für Kriege heran, in denen sexuelle Gewalt in verschiedenen Graden von Intensität und Systematik eingesetzt wurde. Dem stellt sie die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästinensern, in Sri Lanka und El Salvador gegenüber, in denen sexuelle Gewalt selten vorkam bzw. -kommt. Anhand dieser Beispiele entwickelt Wood Erklärungsansätze, die von den Gelegenheiten zu sexueller Gewalt im Krieg aufgrund der Auflösung sozialer Ordnung bis zur Instrumentalisierung durch die militärische Führung reichen und auch eine konsequente Sanktionierung sexueller Gewalt aufführen. Gaby Zipfel plädiert schließlich in einem übergreifenden analytischen Zugriff auf das Phänomen der sexuellen Gewalt im Krieg für eine dichte Beschreibung sexueller Gewalt, um deren politische und gesellschaftliche Funktionen über die Kriegszeiten hinaus berücksichtigen zu können. Wie lässt sich die Auswirkung sexueller Gewalt in den Nachkriegsgesellschaften fassen?

Der zweite Teil des Bandes ist historischen Untersuchungen zu Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg gewidmet. Brigitte Halbmayr präsentiert den aktuellen Forschungsstand zur „Sex-Zwangsarbeit“ in Konzentrationslagern. 1942 wurde das erste von insgesamt zehn Lagerbordellen im KZ-Mauthausen eingerichtet. Die Häftlingsbordelle sollten für männliche Häftlinge als „Leistungsanreiz“ bei der Zwangsarbeit eingesetzt werden. Insbesondere unter den politischen Häftlingen galten sie als ein Versuch der SS, die Häftlinge zu hierarchisieren und deren Solidarität zu untergraben. Halbmayr schildert die Rekrutierung der Frauen und den Ablauf von Bordellbesuchen sowie die Tabuisierung des Themas nach Kriegsende und die fortgesetzte Stigmatisierung der in den Bordellen eingesetzten Frauen. Nach Einschätzung der Autorin zeigen die Lagerbordelle eine weitere Facette eines traditionellen Geschlechterverhältnisses, in dem Gewalt gegen Frauen akzeptiert sei. Der Kulturwissenschaftler Robert Sommer greift in seinem Beitrag den Umgang der männlichen Häftlinge mit dem Bordell-Angebot auf. Sommer macht das Spannungsfeld deutlich, in dem sich die männlichen Häftlinge als Opfer der NS-Herrschaft und gleichzeitig als Nutznießer in einem gewaltsamen Geschlechterverhältnis befunden haben. Auch dies habe zu einem Beschweigen der KZ-Bordelle nach 1945 geführt.

Regina Mühlhäuser präsentiert die Ergebnisse ihrer Forschungen zu sexueller Gewalt durch die Wehrmacht und die SS in der besetzten Sowjetunion. Methodisch reflektiert wertet sie Erinnerungsberichte über sexuelle Gewalttaten aus und macht auf der Grundlage von NS-Dokumenten die „sexuelle Überschreitung ‚rassischer’ Grenzen“ (S. 183) – etwa die Vergewaltigung jüdischer Frauen und Mädchen durch Angehörige von Wehrmacht und SS deutlich. Mühlhäuser plädiert für eine differenzierte Deutung sexueller Gewalt, die nicht „das immer gleiche Verbrechen“ (S. 185) sei. Die Zeitzeugenschaft koreanischer Frauen, die von der japanischen Armee in der Zeit von 1935 bis 1945 sexuell versklavt wurden, ist das Thema der Anthropologin Myung-Hye Kim.

Der letzte Teil des Bandes ist dem Umgang mit sexueller Gewalt auf der Ebene des Rechts sowie als Teil wissenschaftlicher Aufarbeitung und politischer Bildung gewidmet. Die Politikwissenschaftlerin und Juristin Sonja Buckel bilanziert die Erfolge des feministischen Engagements, die Strafbarkeit sexueller Gewalt im Krieg juristisch zu kodifizieren. Am Beispiel der internationalen politischen Thematisierung des Schicksals der „Comfort Women“ und der gerichtlichen Verfolgung der Täter durch japanische Gerichte und internationale Institutionen zeichnet Buckel den schwierigen Weg zu einer „transnationalen Rechtsordnung“ nach.

Ausstellungsprojekte zum Thema sexuelle Gewalt, die auf ganz unterschiedlichen Konzeptionen beruhen, werden in zwei Beiträgen aufgegriffen. Insa Eschebach und Katharina Jedermann erläutern die Art und Weise, wie das Thema Sex-Zwangarbeit in Konzentrationslagern in einer Ausstellung in Ravensbrück präsentiert wurde. Hier stellten vor allem Widersprüche in den Erinnerungen eine Herausforderung dar. Auf Bildmaterial wurde bewusst verzichtet, um nicht den Blick der Täter zu reproduzieren. Dem gegenüber steht die auf Fotos und Fallgeschichten basierende Ausstellung des „Women’s Active Museum on War and Peace“ in Tokio, Mina Watanabe, Geschäftsführerin des Museums, betont die geschichtspolitische Aufgabe dieser Ausstellung, da Entschädigungszahlungen an die Opfer oder eine Bestrafung der Täter noch immer ausstünden. Abgerundet wird der letzte Teil des Bandes durch ein Interview mit der Mitbegründerin des Vereins „medica mondiale“, Gabriele Mischkowski, die als Menschenrechtsaktivistin auf die Entwicklungen des internationalen Strafrechts zu sexueller Gewalt zurückblickt.

Die „Konstruktionen des Obszönen“ in Kunst, Film und Fotografie des Nationalsozialismus sind Thema des Beitrags von Silke Wenk, sie untersucht deren „Nachwirkung im aktuellen Bildergedächtnis“ (S. 70). Gerade die Monstrosität in der Darstellung von Täterinnen, etwa von KZ-Aufseherinnen, erhalte ihre Sensation durch die hier dokumentierte Überschreitung von Geschlechtergrenzen. Die Abwehr, die dies bei den Betrachter/innen hervorrufe, führe wiederum zu einer Stabilisierung symbolischer (Geschlechter-)Ordnungen.

Die besondere Qualität des von Eschebach und Mühlhäuser verantworteten Bandes liegt darin, dass hier überzeugend und auf einen Themenkomplex konzentriert aufgezeigt wird, wie sehr die Theorieentwicklung und das Bestreben, universale Antworten auf die Frage nach dem Aufkommen und der Funktion sexueller Gewalt in kriegerischen Auseinandersetzungen zu formulieren, von einer differenzierten Begriffswahl, von der multidimensionalen Untersuchung empirischer Fälle und ganz entscheidend von der Einbeziehung einer historischen Perspektive profitieren. Nicht zuletzt weist der Band auf die Impulse hin, die von einer wissenschaftlichen Debatte in den Gedenkstätten und deren politischer Bildungsarbeit ausgehen können.

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