L. Rosenthal: Ein Chronist in der Weimarer Republik

Cover
Titel
Ein Chronist in der Weimarer Republik. Fotografien 1926–1933


Autor(en)
Rosenthal, Leo
Erschienen
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kurt Schilde, Stiftung Topographie des Terrors, Berlin

Zum 40. Todestag des Gerichtsjournalisten Leo Rosenthal (1884–1969) zeigte das Landesarchiv Berlin 2009 in seinen Räumen am Eichborndamm in Reinickendorf die Ausstellung „Leo Rosenthal. Ein Chronist der Weimarer Republik“. Die Präsentation des frühen fotografischen Werkes des „vergessenen“, weil in der Zeit des Nationalsozialismus aus Deutschland vertriebenen Juden stellte die erste Würdigung seines Schaffens in Deutschland überhaupt dar.

Der seit 1942 in New York lebende Rosenthal hat 1968 der Landesbildstelle Berlin – sie wurde nach der „Wende“ in das Landesarchiv integriert – 1.500 Glasplatten, Negative und Abzüge verkauft. Die Hebung dieses lange ungehobenen historischen Bildschatzes ist der Archivarin Bianca Welzing-Bräutigam zu verdanken. Sie hat die Bilder wieder entdeckt, gesichtet und für die Ausstellung mit Bildern aus Berliner Gerichtssälen aufbereitet. Sie ist inzwischen in unterschiedlichen Versionen an verschiedenen Orten in Berlin zu sehen gewesen. Der vorliegende und im renommierten Verlag Schirmer/Mosel veröffentlichte Bildband geht über das Thema der ursprünglichen Ausstellung hinaus, wenngleich die Gerichtsfotografie immer noch den Schwerpunkt bildet.

Leopold Rosenthal wurde in Riga geboren und ist dort aufgewachsen. Er studierte Medizin und später Jura, arbeitete ab 1911 als Rechtsanwalt in Moskau und wirkte 1917 in der Regierung des Sozialrevolutionärs Aleksandr Kerenskij mit. Nachdem er 1918–1919 als Pflichtverteidiger an Volksgerichten in Moskau agierte, leitete er dort ein Gefängnis, bevor er 1920 nach Berlin ging. In der deutschen Hauptstadt betätigte er sich bis 1933 als Gerichtsberichterstatter der sozialdemokratischen Zeitung „Vorwärts“. Seine Gerichtsfotografien wurden in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt. Aufgrund der „lückenhaften Quellenlage“ – so die editorische Notiz – ließ sich leider nicht immer ein exaktes Datum ermitteln.

Die Bilder zeigen „Menschen vor Gericht“, so zum Beispiel ein kleines Mädchen auf einem Tisch sitzend als Zeugin vor einem Gericht oder einen Beinamputierten, der ein Auto gestohlen hatte. Ausführlich dargestellt werden die politischen Prozesse in der Zeit der Weimarer Republik: Die heute unbekannte Eva Altmann – Redakteurin der kommunistischen „Roten Fahne“ – stand 1929 (vermutlich) wegen Beleidigung des Berliner Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel vor Gericht. Es sind auch viele Prominente zu sehen, darunter der 1930 wegen angeblicher sittenwidriger Schilderungen in der Erzählung „Menschen im Käfig“ angeklagte Pazifist Ernst Friedrich mit dem Schriftsteller Erich Mühsam als Sachverständigen und seinem Verteidiger Hans Litten. Dieser Rechtsanwalt hatte in einem anderen Prozess wegen politisch motivierter Gewalttätigkeiten 1931 Adolf Hitler als Zeugen vorladen lassen. Nach der Aussage ist gegen Hitler wegen Meineides ermittelt worden. Dieser Umstand sollte nach 1933 das Todesurteil für Litten bedeuten.

Rosenthal hat auch „Skandale und Sensationen“ dokumentiert, ob es nun um einen Lokaltermin in einen Strafprozess gegen die damals berühmten Bankräuber Erich und Franz Sass geht oder ein 1931 abgeschlossenes Verfahren gegen die Brüder Leo und Willi Sklarek, die öffentlich Bedienstete bestochen hatten. Dies hatte unter anderem die Entlassung des Oberbürgermeisters Gustaf Böß zur Folge. Es geht um „normale“ Strafverfahren wegen Geldfälschung, nachgemachte Kunstwerke, Raubüberfall und Mord. Zu sehen sind zudem "prominente Zeugen und Zuschauer" – darunter der Physiker Albert Einstein und der Schriftsteller Kurt Hiller als Zeugen, der Maler Fidus (das ist Hugo Höppener) und der Schriftsteller Robert Musil als Zuschauer oder der Sexualreformer Magnus Hirschfeld als Gutachter. Diese Abbildungen ermöglichen ein lebendiges Bild der Gerichtssäle in der Zeit der Weimarer Republik. Bildlich greifbar wird auch die Geschichte der Sozialdemokratie mit zahlreichen Demonstrationen, Wahlkundgebungen usw.

Die Gerichtsbilder ergänzend hat Welzing-Bräutigam unter der Überschrift „Berliner Szenen“ unter anderem Abbildungen von Zaungästen eines Fußballspiels zwischen Hertha BSC und Tennis Borussia, Boxkämpfer auf einem Rummelplatz, Lastenträger während einer Frühstückspause, aber auch antisemitische Parolen auf einer Mauer ausgesucht. Abschließend werden Szenen aus dem Jugendwandererheim der Stadt Berlin von 1931 zur Betreuung obdach- und erwerbsloser Jugendlicher und die Fotoserie von 1932 für einen Artikel zur Zeltstadt „Indianerwäldchen“ gezeigt.

Der im März 1933 verhaftete Fotojournalist kehrte zwangsweise nach Riga zurück und emigrierte 1934 nach Paris, wo er als Korrespondent für belgische und skandinavische Zeitungen und Zeitschriften arbeitete. 1940 flüchtete er vor der deutschen Wehrmacht in den unbesetzten Teil Frankreichs und fuhr 1942 über Casablanca mit einem Flüchtlingsschiff nach New York. Ab 1945 arbeitete er dort als freiberuflicher Journalist für die United Nations und war seit 1947 US-Staatsbürger. In den 1950er-Jahren reiste er mehrmals nach Europa und 1957 auch noch einmal nach Berlin. Er fing mit der Sichtung und Ordnung seines Fotoarchivs an und verkaufte 1968 die Fotografien aus seiner Berliner Zeit. Aus gesundheitlichen Gründen fotografierte er nur noch bei besonderen Anlässen, bis er 1969 in New York verstarb.

Die biografische Skizze der Kuratorin Welzing-Bräutigam wird durch einen Essay von Janos Frecot, der Rosenthal mit Erich Salomon vergleicht, sowie eine Abhandlung von Bernd Weise über die Gerichtsfotoreportage ergänzt. Entstanden ist so ein herausragender informativer Bildband mit einem Panorama Berlins der 1920er- und 1930er-Jahre. Er weckt die Neugier auf die noch unveröffentlichten Bilder, die offenbar reichliches Material für viele weitere Ausstellungen und Publikationen bieten.

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