S. Petersen: Prämonstratensische Wege nach Rom

Titel
Prämonstratensische Wege nach Rom. Die Papsturkunden der fränkischen und schwäbischen Stifte bis 1378


Autor(en)
Petersen, Stefan
Reihe
Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 10
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VI, 704 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sandra Groß, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig

Der Prämonstratenserorden, der im Kontext der Kirchen- und Kanonikerreform im 12. Jahrhundert um die charismatische Person Norberts von Xanten entstand, zählt zu den großen, von der Forschung aber bisweilen etwas stiefmütterlich behandelten, religiösen Gemeinschaften des Mittelalters. Leben und Wirken Norberts, Ordensentstehung und -entwicklung inklusive Herausbildung der Statuten zählen zu den mittlerweile recht gut erforschten Teilen der Ordensgeschichte. Forschungsdesiderate, die Stefan Petersen in der Einleitung des vorliegenden Bandes benennt und die auch im weiteren Gang der Untersuchung vielfach berührt werden, sind etwa die Ausbreitung des Ordens und deren Träger im 12. und 13. Jahrhundert sowie die Entstehung einzelner Stifte. Auf diese Themenkomplexe wird an zahlreichen Stellen eingegangen, wenngleich die Arbeit durch den Fokus auf eine ganz bestimmte Quellengattung – die Papsturkunden – eine andere inhaltliche Ausrichtung hat. Vorwegzunehmen sei an dieser Stelle aber gleich, dass Petersen auch Urkunden anderer Herrschaftsträger, etwa der Bischöfe, nicht außer Acht lässt.

Petersens Buch ist aus der Überarbeitung seiner Würzburger Habilitationsschrift „Die süddeutschen Prämonstratenser. Anfänge – Regionale Vernetzung – Kurienkontakte“ (2008) hervorgegangen, die um einen mit knapp 300 Seiten sehr umfangreichen Anhang erweitert wurde. Gegenstand der Untersuchung sind sämtliche bis zum Beginn des Großen Abendländischen Schismas 1378 überlieferte oder zu erschließende Papsturkunden für die fränkischen und schwäbischen Prämonstratenserstifte. Die Bedeutung dieser Urkundengruppe wurde von der Forschung bisher weitgehend unterschätzt, was laut Petersen vor allem der seit dem 13. Jahrhundert starken Formelhaftigkeit der Papsturkunden geschuldet sei. Aus diesem Grund betont er auch die Bedeutung der „Einordnung der Urkunden in den empfängerspezifischen Kontext“ (S. 11), die in seiner Untersuchung erfolgt. Das Quellenkorpus wird von ihm danach eingehend untersucht, welche Motive und konkreten Anlässe zum Bemühen um Papsturkunden führten und welchen Inhalt und welche Wirkung diese Urkunden hatten. Durch die Wahl zweier unterschiedlicher Regionen mit „differierenden strukturellen Spezifika“ (S. 11) sollen Ergebnisse von nicht nur regionaler, sondern auch allgemeiner Bedeutung erzielt werden. Zur besseren Einordnung der Resultate erfolgt im Anschluss an die Fallstudien eine systematische Analyse unter Einbeziehung von Papsturkunden bayrischer Prämonstratenserstifte. Wesentliche Fragen, denen Petersen dabei nachgeht, sind vor allem jene nach Phasen „signifikanter Nähe oder Ferne zur päpstlichen Kurie“ (S. 12), der Bedeutung der Rechtsstellung der jeweiligen Stifte für deren Verhältnis zum Papsttum sowie nach der Rolle ordensinterner Netzwerke beim Zugang zur Kurie.

In den beiden Hauptteilen gibt Petersen zunächst einen kurzen Einblick in die jeweiligen Spezifika der beiden Regionen (für Franken beispielsweise die große Anzahl von Frauenstiften). Daran anschließend erfolgt die Darstellung und Analyse der überlieferten Papsturkunden sortiert nach Stiftsfamilien, also durch Filiation verbundenen Stiften oder voneinander separierten ehemaligen Doppelstiften (Franken), und staufischen, welfischen und adeligen Stiften (Schwaben). Sie werden jeweils kurz mit besonderem Fokus auf Entstehungsgeschichte und Rechtsstellung vorgestellt. Die Papsturkunden werden hinsichtlich ihres Inhaltes, ihres Entstehungszusammenhanges sowie ihrer Bedeutung eingehend analysiert, wobei sowohl lokale als auch reichsweite und ordensinterne Kontexte berücksichtigt werden. Dem konkreten Entstehungsprozess der Urkunden mit beteiligten Personen und Vorurkunden wird nachgegangen, soweit er aus der Überlieferung rekonstruierbar ist.

Ein besonderes Verdienst der Arbeit ist die fundierte vergleichende Analyse der Ergebnisse für Franken, Schwaben und Bayern, da sie mit insgesamt 139 Urkunden eine tragfähige Quellenbasis aufweist und ein umfangreiches Gebiet abdeckt. Petersen gelingt es, aus Einzelfällen, deren jeweiligen Kontext er genau beleuchtet, allgemeine Aussagen zu Grundstrukturen des Verhältnisses von Prämonstratenserstiften und Kurie abzuleiten. So unterteilt er beispielsweise die verschiedenen Motive, sich an der Kurie um eine Papsturkunde zu bemühen, in drei Phasen, die so möglicherweise auch in anderen Regionen zu beobachten sein werden. In der ersten Phase (bis 1159) war der Anlass, sich an die Kurie zu wenden, „durchweg die Sorge um die Rechtssicherung in Zeiten der Ordensbildung“ (S. 327) und stand somit in einem überregionalen Kontext. In diesem Zusammenhang weist Petersen nach, dass auch die bisher häufig von der Forschung vernachlässigten frühen Papsturkunden für einzelne Stifte eine wichtige Quelle für die Entwicklung und Verfestigung des gesamten Ordens sind. Einen Beleg dafür findet er etwa im Fehlen eines einheitlichen päpstlichen Urkundenformulars für Prämonstratenserstifte und der erst ab Mitte des 12. Jahrhunderts einsetzenden Herausbildung eines privilegium commune ordinis Premonstratensis, die gleichzeitig mit einer grundlegenden Überarbeitung der Ordensstatuten einsetzt. Nach der weitgehenden Konsolidierung des Ordens folgte eine zweiten Phase, in der die zentrale Motivation „in der detaillierten Zusammenstellung der stiftischen Besitztitel“ (S. 335) lag, und schließlich eine dritte Phase (ab Ende 12./Anfang 13. Jahrhundert), in der sich die Stifte vornehmlich „zur Besitz- und Rechtswahrung in konkreten Problemsituationen“ (S. 337) an die Kurie wandten.

Ein weiterer wichtiger Befund ist das nahezu gänzliche Fehlen von Kurienkontakten seitens der süddeutschen Prämonstratenserstifte während des alexandrinischen Schismas (1159–1177). Die danach ausgestellten Papsturkunden weisen sowohl hinsichtlich des Formulars als auch der Motivation zur Ausstellung große Unterschiede zur Zeit vor dem Schisma auf. Eine Einordnung der Ergebnisse erfolgt aber nicht nur in Zusammenhänge, die den Orden betreffen, sondern auch in (reichs-)politische, etwa die Auseinandersetzungen zwischen Staufern und Welfen oder den Konflikt zwischen Friedrich II. und Innozenz IV. An mehreren Beispielen weist Petersen einen Zusammenhang zwischen der Intensität der Kurienkontakte und den politischen Verhältnissen nach, etwa für die Zeit nach dem Ende der staufischen Herrschaft. In diesem Zusammenhang liefert Petersen eine fundierte und schlüssige Erklärung für die seit Mitte des 13. Jahrhunderts einsetzende weitgehende Papstferne der süddeutschen Stifte.

Wichtige Ergebnisse bietet die Studie auch hinsichtlich der Ausstellung von Papsturkunden für Prämonstratenserinnenstifte, bei denen signifikante Unterschiede zwischen selbstständigen Frauenstiften und jenen mit doppelstiftischen Wurzeln zu erkennen sind. Damit leistet die Arbeit auch einen Beitrag auf dem Gebiet der noch immer unzureichenden Erforschung weiblicher Kommunitäten des Ordens. Die von Petersen aufgestellte These, „dass Frauenstifte, die Papsturkunden erhielten, stets reine Frauenstifte ohne doppelstiftische Wurzeln waren“ (S. 352), erscheint allerdings überprüfenswert; zumal Petersen mit Frauenbreitungen selbst ein Beispiel liefert, das dieser Aussage entgegensteht, da auch das „anfänglich als Doppelstift konstituierte Frauenbreitungen Papsturkunden erwirkte“ (S. 127).

Darüber hinaus analysiert Petersen den, – wie sich herausstellt, nicht vorhandenen – Einfluss ordensinterner Netzwerke auf die Zugänge zur Kurie und geht in diesem Zusammenhang auch auf die am Beurkundungsprozess beteiligten Prokuratoren ein, zu denen im Anhang ausführliche Informationen geboten werden. Eine intensivere Auswertung im Analyseteil wäre hier aber wünschenswert gewesen. So betont Petersen zwar, dass die Prämonstratenser im Gegensatz zu anderen Orden anscheinend nicht über eigene Ordensprokuratoren in Rom verfügten, stellt aber weder Vermutungen zu den Gründen dafür an, noch geht er näher darauf ein, nach welchen Kriterien die Prokuratoren ausgewählt wurden.

Der Anhang schließlich besteht aus fünf verschiedenen Teilen. Der erste enthält Regesten der 91 Papst- und Legatenurkunden, die für die fränkischen und schwäbischen Prämonstratenserstifte überliefert sind (S. 359–522). Die darin enthaltenen Fälschungen, Deperdita sowie interpolierte Passagen sind mit den gängigen Symbolen gekennzeichnet. Den teils sehr ausführlichen Regesten folgen Angaben zur Überlieferung und den maßgeblichen Editionen und Regesten. Kanzlei- und Dorsualvermerke werden, sofern vorhanden, angegeben. Zu einigen Urkunden gibt es außerdem erläuternde Abschnitte sowie wörtliche Wiedergaben wichtiger Textteile. Bei den übrigen Teilen des Anhangs handelt es sich um drei alphabetische Personenkataloge: 1.) der 134 subskribierenden Kardinäle und (Vize-)Kanzler mit Angaben zu deren Biographien und Wirken an der Kurie (S. 523–596), 2.) der 56 Personen des kurialen Kanzleipersonals (Skriptoren und Taxatoren; S. 597–619) und 3.) der 34 von Prämonstratenserstiften mit dem Erwerb von Papsturkunden beauftragten Prokuratoren (S. 620–637). Alle Personenkataloge enthalten entsprechende Verweise zum Textteil des Bandes sowie zu weiterführender Literatur. Das darüber hinaus beigegebene Personen- und Ortsnamenregister (S. 687–704) erhöht die Benutzbarkeit des Bandes deutlich.

Wenn auch über einzelne Interpretationen Petersens gestritten werden kann 1, leistet die vorliegende Studie insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Prämonstratenserforschung mit Erkenntnissen, die über die untersuchten Regionen weit hinausgehen. Da eine derartige Untersuchung bisher allerdings singulär ist, müssen weitere Forschungen zeigen, inwieweit die Ergebnisse tatsächlich für den gesamten Orden repräsentativ sind. Neben dem Schließen von Forschungslücken zu den bisher in sehr unterschiedlicher Qualität bearbeiteten Stiften liefert der Band vor allem durch seinen Anhang ein wertvolles Nachschlagewerk für künftige Forschungen. Darüber hinaus ist die Arbeit in einer gut lesbaren, flüssigen Sprache verfasst und zudem sehr gut lektoriert worden.

Anmerkung:
1 Siehe etwa die Aussage zu Papsturkunden für Prämonstratenserinnenstifte sowie die Kritik bei: Wilfried Schöntag, Das reichsunmittelbare Prämonstratenserstift Marchtal, Berlin/ Boston 2012, bes. S. 198 Anm. 42 u. S. 252f. mit Anm. 7. Schöntag bietet eine alternative Interpretation von Quellenbefunden zur Frühzeit des Stiftes Marchtal, nach der es dort nicht wie von Petersen angenommen ein Nebeneinander von Prämonstratensern und weltlichen Kanonikern aus der Marchtaler Vorgängerinstitution gegeben habe und äußert darüber hinaus einen Fälschungsverdacht Urkunden betreffend, deren Echtheit Petersen nicht infrage stellt.