K. Bednar: Der Papierkrieg zwischen Washington und Wien 1917/18

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Titel
Der Papierkrieg zwischen Washington und Wien 1917/18.


Autor(en)
Bednar, Kurt
Erschienen
Innsbruck 2017: StudienVerlag
Anzahl Seiten
505 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Höbelt, Institut für Geschichte, Universität Wien

Bednars „Papierkrieg“, das „Zweitlingswerk“ eines spät berufenen Historikers, ist ein kurioses Buch mit einem irreführenden, und doch wiederum sehr passenden Titel. Irreführend, weil es sich mitnichten um eine Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Wien handelt oder auch um den Stellenwert, den beide Mächte im Kalkül der jeweils anderen einnahmen, sondern im Kern der Arbeit um eine Bestandsaufnahme der Studien, welche die amerikanische Regierung von Experten oder vermeintlichen Experten ab Herbst 1917 („Inquiry“) über Österreich-Ungarn anlegen ließ bzw. – im vermutlich interessantesten Teil der Arbeit – der Berichte, welche die Experten („Field Observers“) Anfang 1919 „vor Ort“ über die Zustände auf dem Gebiet der zerfallenen Monarchie lieferten (die berühmte „Coolidge-Mission“). Treffend aber wiederum, weil das Motto „Papierkrieg“ den Stil Bednars blendend charakterisiert, der mit einer durchaus gewandten Feder einen seltsam pedantischen Zugang verbindet, seine Ausführungen nicht thematisch zu gliedern, sondern nacheinander eines nach dem anderen der ausgewerteten Dokumente vorzustellen, zusammen mit Details (Kapiteleinteilung, Seitenlänge, bis hin zu beckmesserisch notierten Rechtschreibfehlern), die man vielleicht besser weggelassen oder in die Fußnoten verbannt hätte.

Archivquellen wurden eher sporadisch herangezogen, für ausgedehnte Studien in den Papieren des State Department mangelte es an Zeit und Geld. Verdienstvoll ist zweifelsohne, dass Bednar auch eine ganze Reihe in Europa nur selten rezipierter Dissertationen amerikanischer Universitäten vor den Vorhang holt, allerdings auch hier in einer Art und Weise, die nicht immer klar werden lässt, ob Bednar sich jetzt mit deren referierten Ansichten identifiziert oder nicht. Das Buch erweckt damit insgesamt eher den Eindruck einer Art gewaltiger „bibliographie raisonnée“ – der allerdings gerade eine vollständige Bibliographie abgeht! –, aufgelockert durch Apercus, Randbemerkungen und zuweilen recht sprunghaft eingeflochtene Exkurse Bednars. Diese Marginalien Bednars sind oft anregend, z.B. sein Vergleich der Behandlung Österreichs in St. Germain 1919 und der Tschechoslowakei in München 1938 „als konsequente Fortsetzung der Pariser Erfahrungen?“ (S. 397).

Freilich, hinter vielen der Kommentare Bednars verbirgt sich ein hartnäckiges Missverständnis. Bednar – mit einer Amerikanerin verheiratet – verweist nicht zu Unrecht auf einen „latenten Antiamerikanismus“ unter seinen Landsleuten, gibt ihnen aber in einem für seine Untersuchung zentralen Punkt recht: „Wenn Unverständnis, sogar etwas Ablehnung unsere Haltung bestimmen sollte: Nach dem Ersten Weltkrieg war sie berechtigt“ (S. 440). Warum? Weil Bednar erstaunlich unreflektiert daran festhält, dass es Wilsons „Giftpille ‚Self-Determination’“ (S. 285) war, die in erster Linie für den Zerfall der Habsburgermonarchie verantwortlich zeichnet. „Das Reich schon für zerfallen anzusehen, bevor die Konferenz ihren Anfang nahm“ (S. 404), also im Frühjahr 1919 (!), wird als perfide Strategie einseitiger Berater betrachtet, verbunden mit dem Lamento über die „vergebenen Chancen“, wenn Wilson „doch nicht auf den Abenteurer Masaryk gehört hätte“ oder über die „Fahrlässigkeit, mit der die USA ans Werk ging, als man die Nationalitäten zündeln ließ.“ (S. 450) Bloß mit ungläubiger Verwunderung nimmt Bednar die nüchterne Schlussfolgerung einer slowakischen Historikerin1 zur Kenntnis: „Wilson’s role in creating an independent Czechoslovakia was close to none.“ (S. 441)

Natürlich: Der Kriegseintritt der USA entschied über die Niederlage der Mittelmächte, diese Niederlage wiederum über den Zerfall der Monarchie. Aber die interne amerikanische Kriegszieldiskussion hatte mit diesem Resultat tatsächlich wenig zu tun. Es war auch nicht erst Benes, der im Herbst 1918 die „Inlandstschechen“ drei Tage lang bearbeiten musste, bis sie die Bindung an Österreich aufgaben (S. 358). Die klassische Frage, wann sich „die Völker“ denn von der Monarchie abwandten, ist falsch gestellt: Bednar zitiert zwar Svehlas Formel von den „zwei Eisen im Feuer“, weiß sie aber offenbar nicht zu würdigen. (Für ihn verfolgte die Agrarpartei „keine nationalen Tendenzen“ (S. 345) !) Die Vorstellung von der Gründung eines eigenen Nationalstaates übte immer schon ihre Faszination aus; worauf es ankam, war die Frage, ob diese Option realistisch erschien oder nicht. Sobald sich die endgültige Niederlage der Mittelmächte aber einmal abzeichnete, hätten die USA diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten vermocht, selbst wenn sie gewollt hätten. In diesem Sinne konnte und wollte Wilson umgekehrt im Januar 1918 auch keine „Bestandsgarantie“ für die Monarchie abgeben, wie Bednar meint (S. 401).

Wir erfahren in Bednars Buch wenig über die Leute, die in den USA Politik machten (z.B. über Lansing als Secretary of State), mehr über die Leute, die vielleicht gerne Politik gemacht hätten oder diese Politik zu beeinflussen versuchten (wie Masaryks Freunde und Mitarbeiter in den USA). Bednar geht sehr kritisch mit all den absichtlichen oder unabsichtlichen Fehlinformationen ins Gericht, die auf dem Tisch der Entscheidungsträger landeten. Als ein roter Faden taucht in deren Memoranden das Problem der drei Millionen Deutschen in den böhmischen Ländern eben nicht auf, oder nur sehr am Rande. Aber wäre die Annahme nicht allzu naiv, die Entscheidung für Grenzen im Sinne des „böhmischen Staatsrechts“ sei bloß auf unzureichende Informationen zurückzuführen? „Grob fahrlässig handelte, wer […] mehr hätte wissen können“, formuliert Bednar (S. 450) und verwechselt doch selbst immer wieder die Begriffe Föderalisierung (im Sinne der Kronländer) und nationale Autonomie (denn darum ging es im Völkermanifest vom 16. Oktober 1918).

Auch wenn man Bednars Sicht der Dynamik, die hinter der Auflösung Österreich-Ungarns stand, nicht wird folgen können, so offeriert das Potpourri seiner Lesefrüchte doch viele interessante, zuweilen sogar amüsante Einzelheiten und Streiflichter, von der geplanten Einladung Kaiser Franz Josephs zur Eröffnung des Panama-Kanals (S. 58), Dumbas Vergleich zwischen Colonel House und Père Joseph (S. 64), über den Amtsdiener Kovanda im österreichischen Innenministerium, der für die tschechische Emigration arbeitete (S. 453), und die Idee, Preßburg/Pozsony nicht in Bratislava, sondern in „Wilsonovo mesto“ umzutaufen (S. 441), bis zum Zitat Robert Kerners, eines der „Field Observers“, über das österreichische Bürgertum angesichts der Umsturzgefahr im Frühjahr 1919: „They have no fight in them.“ (S. 391)

Anmerkung:
1 Stepanka Korytova-Magstadt, Diaspora and its Ties to the Homeland. The Case of Czech-Americans in the United States During World War I, Prag 2006.

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