T. Tönsmeyer: Das Dritte Reich und die Slowakei 1939-1945

Cover
Titel
Das Dritte Reich und die Slowakei 1939-1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn


Autor(en)
Tönsmeyer, Tatjana
Reihe
Sammlung Schöningh zu Geschichte und Gegenwart
Erschienen
Paderborn 2003: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
387 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Catherine Horel, CNRS/IRICE, Universität Paris I Email:

Tatjana Tönsmeyer wurde 2002 mit dieser Arbeit am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Ihr Buch liefert eine sehr verdienstvolle Studie zu einem bis jetzt vernachlässigten Thema. Nach der Wende und der Trennung der beiden Teile der Tschechoslowakei rückte die slowakische Vergangenheit verstärkt ans Tageslicht. Obgleich eine Debatte über die Verantwortung der slowakischen Eliten tobte, wurden nur sehr wenige wissenschaftliche Ergebnisse vorgelegt. Die Autorin weist mit Recht auf die analoge Situation Kroatiens hin (S. 13). Die Kernfrage lautet: Wie weit hat sich der 1939 geborene slowakische Staat mit Deutschland kompromittiert und wie groß war der Spielraum der Regierung und der führenden Kreise? Zudem gibt Tönsmeyer interessante Hinweise auf die außenpolitische Bedeutung der Slowakei für das Dritte Reich, ein Fragenkomplex gleichwohl, der dann im Laufe des Buches etwas verloren geht.

Um die Natur der Beziehungen der Slowakei mit der Schutzmacht Deutschland zu erforschen, hat die Verfasserin eine Prosopografie der deutschen Berater erarbeitet. Diese Methode erlaubte es ihr, die alltäglichen Beziehungen zu beschreiben. Die Kapitel 4 bis 7 sind jenen Menschen gewidmet, die die deutsche Macht bei den verschiedenen Hauptministerien und Institutionen (Innen- Wirtschafts- und Verteidigungsministerium, Massenorganisationen) verkörperten. Der Alltag der Slowaken ist indes weniger betrachtet, als es Tönsmeyer in der Einleitung ankündigt. Vielmehr schreibt sie über die gegenseitige Wahrnehmung und das Selbstbild des jungen Staates, die für ein Erfassen der slowakischen Identität von großer Bedeutung sind. Rückblickend auf deutsche Mitteleuropa-Pläne und -Ideen, stellt sie die Verfasserin eine völlige Abwesenheit der Slowakei fest und erklärt daraus die Gewährung der Eigenstaatlichkeit. Diese Nicht-Wahrnehmung war auch dadurch gekennzeichnet, dass sie keine negative Stereotypen produzierte, wie es in Bezug auf andere Völker der Fall war. Man fragt sich, ob es richtig ist, die deutsche Minderheit in der Slowakei als „kaum nennenswert“(S. 57) zu bezeichnen, wenn ein Drittel der Einwohner von Pressburg sich zu dieser bekannten und viele Kleinstädte der Mittel- und Ostslowakei auch noch Ende der 1930er-Jahre eine deutsche Prägung besaßen.

Mit der Periodisierung des Buches werden zwei Phasen deutlich herausgearbeitet: vor und nach dem Juli 1940, als die Slowakei im Zuge der Berliner Siegeseuphorie in der deutschen Einflusssphäre höher eingebunden und für den « Schutzstaat » größere Mittel für neue Berater bereitgestellt wurden. Das 3. Kapitel setzt sich dann mit der sensiblen Frage auseinander, welche Mit- und Gegenspieler der Deutschen im Feld aktiv waren. In mehreren Umfragen war seit der Wende die Frage nach der Verantwortung und nach der Bewertung des Präsidenten Mgr. Tiso gestellt worden: die Mehrheit der Slowaken äußerte im Allgemeinen eine positive Meinung über dessen Person und Tätigkeit. 1 Tönsmeyer reiht den slowakischen Staatspräsidenten, seine Mitarbeiter und auch die von Hlinka geführte Volkspartei (HSLS) unter die Gegenspieler ein. Den Ministerpräsidenten Tuka hingegen zählt sie zu den Hauptmitspielern, die die Entsendung von deutschen Beratern befürworteten. Gleichzeitig aber weist die Verfasserin darauf hin, und dies ist eigentlich eine ihrer Hauptthesen, dass sich auf beiden Seiten eine Fehlwahrnehmung entwickelte: Erstens kannten die deutschen Berater die Slowakei nicht, was zu Fehleinschätzungen und letztlich zu Erfolglosigkeit führte, zweitens behaupteten die Slowaken, dass sie von dieser Lage profitieren, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen.

Profil und Spektrum der Berater sind sehr gründlich untersucht. Sie lassen sich ziemlich genau in Reichs- und Volksdeutsche aufteilen. Unter den insgesamt 29 Beratern waren auch vier Österreicher, mit denen je ein verschiedener Umgangston gepflegt wurde. Im Anhang findet sich zu jedem der Berater eine Kurzbiografie. Tönsmeyer fragt nach deren Erfolgen und schildert diese überall als eher mäßig. Erfolgreich könnte nur der Berater für die »Judenfrage« genannt werden, da auf diesem Feld bedingungslose Kooperation vorherrschte. Dennoch entsprach die Arisierung und Enteignung nicht ganz den Erwartungen - weder der Deutschen noch der Slowaken. Die Autorin übergeht die spezifischen Schwierigkeit der Arisierung in der Slowakei: die Behörden bemühten sich zwar eifrig, konnten aber nicht genug slowakische Unternehmer, Ingenieure, Techniker und sogar Bauern finden, die das jüdische Eigentum übernehmen hätten können. Mit Verdruss mussten sie einsehen, dass es die Deutschen waren, die davon profitierten.2 Da alle politischen Berater, z.B. die, die die Slowakei in das „neue Europa“ integrieren wollten, als gescheitert gelten können, scheint die Wirtschaft also das einzige Gebiet gewesen zu sein, wo die Berater einen gewissen Erfolg erzielten. Es handelte sich tatsächlich um einen weniger politisierten Gegenstand und die Slowaken waren offenbar sehr daran interessiert, ihr Land mit deutscher Hilfe und Kompetenztransfer zu industrialisieren. Obgleich den wirtschaftlichen Beratern auch Gegenwehr und Schlamperei begegnete, sicherten sie trotzdem ihre Interessen. Die Slowakei lieferte Agrarprodukte, Nahrungsmittel, Rohstoffe und Halbfabrikate. Das geschah im Rahmen von Verträgen mit den Slowaken, die schließlich enttäuscht waren und nicht verstehen wollten, dass sie von den Deutschen bloß als Zulieferland betrachtet wurden.

Die Permanenz der Fehleinschätzungen auf beiden Seiten ist bemerkenswert, zumal sie in allen Bereichen verbreitet war. Als umstritten kann die Frage nach einer Bewertung der deutschen Kontrolle gelten. Abgesehen vom Verteidigungsministerium, wo sie zur »Besatzung« führte, misslang die politische Kontrolle. Die Volkspartei und die anderen politischen Organisationen lehnten den von ideologisch verblendeten Beratern vorgeführten Nazismus entschieden ab. Auch im Umgang mit der deutschen Minderheit blieb der deutsche Einfluss viel schwächer als z. B. in Ungarn, wo die Propaganda eindeutig früher und stärker einsetzte. Dies lässt sich ebenfalls damit erklären, dass die Slowakei vor 1939 keine Rolle in den deutschen Plänen gespielt hatte, eine Konstellation, die auch auf Kroatien nicht aber auf Slowenien zutraf. In der Slowakei waren es der Nationalismus und der Klerikalismus von Hlinka, die die Gesellschaft sehr prägten und dazu führten, dass die Bevölkerung vor allem die unerwartete Eigenstaatlichkeit über alles schätzte.

Am Ende des Buches deuten sich bei Tönsmeyer sehr vorsichtig komparatistische Perspektiven an: Sie hat mehrmals Ungarn und Kroatien in ihrer Arbeit erwähnt, diese jedoch nie wirklich mit der Slowakei verglichen. Ein Vergleich mit dem besetzten Slowenien wird gar nicht in Betracht gezogen, was man nur bedauern kann. Die erste Schlussbemerkung der Verfasserin gilt den Beratern, die sie als informelles Instrument (S. 325) ohne konkrete Ziele betrachtet und auf deren Tätigkeit die Slowaken daher mit Widerstand reagierten. Da die Berater niemals Direktiven aussprachen (außer in der »Judenfrage« und Fragen der militärischen Verteidigung), konnten sich die Slowaken - so Tönsmeyers Befund - einen ziemlich großen Handlungsspielraum bewahren und vermeiden, reine Befehlsempfänger zu werden. Im Grunde genommen haben beide Seiten ihre Interessen realisiert, einerseits Rüstungslieferung und Kriegsbeteiligung zugunsten Deutschlands, andererseits die Eigenstaatlichkeit der Slowakei. Dass es deutsch-slowakische Übereinstimmungen tatsächlich gab, beweist die Deportation der slowakischen Juden.

Tatjana Tönsmeyer hat eine sehr gründliche, auf breiter Quellengrundlage basierende Arbeit vorgelegt, die einen weniger bekannten Aspekt der deutschen Macht in Ostmitteleuropa beleuchtet. Es ist nur etwas schade, dass sie sich ständig wiederholt, sogar in ihren Zusammenfassungen werden dieselben Argumente oft mehrmals ausgedrückt. Man hätte sich stattdessen mehr vergleichende Betrachtungen gewünscht. Zweifellos wird dieses Buch Anlass zu neuen Forschungen geben, hoffentlich zuerst in der Slowakei, aber auch in Kroatien und in den Geschichtsschreibungen Westeuropas.

Anmerkungen:
1 Horel, Catherine, La restitution des biens juifs et le renouveau juif en Europe centrale (Hongrie, Slovaquie, République Tchèque) (Wiener Osteuropa Studien 13), Bern 2002 , S. 90.
2 Ebd., S. 54-56.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension