Cover
Titel
Im Gefolge Dianas. Frauen und höfische Jagd im Mittelalter (1200-1500)


Autor(en)
Fietze, Katharina
Reihe
Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 59
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
179 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Giese, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Angesichts der hohen gesellschaftlichen Bedeutung, welche der Jagd bis weit in die Neuzeit hinein zukam, ist der nach wie vor geringe Grad ihrer geschichtlichen Erforschung erstaunlich. In den letzten Jahren scheint sich indes eine Wende zum Positiven abzuzeichnen, denn mehrere gewichtige historische Monografien belegen ein verstärktes Interesse an diesem bislang vernachlässigten Forschungsfeld.1 In den Kontext dieser Entwicklung ist thematisch zwar auch die Arbeit von Katharina Fietze einzuordnen, doch besteht ein entscheidender Unterschied darin, dass es sich hierbei um eine fachfremde Studie handelt. Fietze ist mit dieser Arbeit (2002?) im Fach Sportwissenschaft an der Universität Hamburg habilitiert worden. Die historische Zunft hätte das Werk möglicherweise kaum weiter beachtet, wenn es nicht (gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft) Aufnahme in eine renommierte Reihe des nicht minder renommierten Böhlau Verlages gefunden und damit ein fachwissenschaftliches Gütesiegel empfangen hätte. Diese Auszeichnung hat der Band nicht verdient.

Bereits die Eingrenzung des Themas in der Einleitung (S. 1-21) beruht auf einer völligen Fehleinschätzung der Quellen- und Literaturgrundlage. So behauptet Fietze, Frauen seien in den „jagdgeschichtlich relevanten Quellen“ derart schlecht dokumentiert, dass „das Material nicht ausreichend Informationen für eine flächendeckende Studie oder gar eine Mikrostudie her[gebe]“ (S. 1f., ähnlich S. 15f.), ferner seien in der Geschichtsschreibung „die Jagdaktivitäten von Frauen des niederen Adels oder von Bürgerinnen unerwähnt“ geblieben (S. 98), und formuliert, „Ziel der Arbeit ist es, die Beteiligung von Aristokratinnen an verschiedenen Jagdformen des Mittelalters zu dokumentieren und sie sport- und kulturgeschichtlich zu deuten“ (S. 2). Zweifellos mangelt es an zeitlich, geografisch und sozial differenzierenden Analysen der Jagdbeteiligung von Frauen im Mittelalter, will man diese Lücke jedoch methodisch fundiert und mit repräsentativen Befunden schließen, so müssen die für dieses Thema aussagekräftigen erzählenden und dokumentarischen Quellen ausgewertet werden. Sie hat Fietze jedoch ignoriert und sich stattdessen dem didaktischen Jagdschrifttum zugewandt. Diese Quellengattung ist für ihre Fragestellungen aber erstens nur wenig ergiebig, wird zweitens nicht umfassend untersucht, denn von den weit über 100 lehrhaften Jagdtraktaten des Mittelalters sind, ohne Auswahlkriterien darzulegen, überhaupt nur neun Werke berücksichtigt, darunter nicht das Paradebeispiel für eine Adressatin.2 Als zweite Materialgrundlage dienen Fietze „bewegungskulturell besonders ergiebig[e]“ (S. 18) mittelalterliche Kunstwerke, vorrangig drei Beispiele des 14. Jahrhunderts: Der nach seiner späteren Besitzerin Mary Stuart benannte Queen Mary’s Psalter (London, Brit. Lib., Royal Ms. 2. B. VII), die Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse; Heidelberg, Universitätsbibl., Cod. Pal. germ. 848) sowie das Taymouth Hours genannte Stundenbuch (London, Brit. Lib., Yates Thompson Ms. 13). Die Bemerkungen zur Literatur- und Forschungslage erweisen (ebenso wie das „Literaturverzeichnis“ S. 146-156 mit Literatur und Quellen) zudem, dass Fietze den (aktuellen) Forschungsstand zu ihrem Thema nur ansatzweise überblickt.

Der Einleitung folgt ein Großkapitel über die „Gesellschaftlichen Rahmenbedingungen“ (S. 23-36) mit Abschnitten zur „Ständegesellschaft“, zur „Kleiderordnung“ und zu „Anstandsregeln“, in welchem gewürzt durch Generalisierungen mediävistisches Allgemeinwissen ausgebreitet wird und ein Bezug zur Jagd nur sporadisch (S. 27, 36) aufscheint. Das 3. Großkapitel gilt den „Praktischen Voraussetzungen“ (S. 37-51), konkret der „Fortbewegung zu Pferd“, dem „Reitstil“ und dem „Umgang mit Waffen“. Bei den ausnahmslos ohne Quellenbelege vorgeführten Beispielen (S. 48f.) von angeblich mit Waffengewalt „Besitz und Herrschaftsbefugnisse“ verteidigenden Frauen, handelt es sich durchweg nicht um den selbständigen Einsatz von Waffen durch Frauen. Anhand von neun Werken (De arte bersandi; De arte venandi cum avibus; die Ältere deutsche Habichtslehre sowie die Beiträge von Henri de Ferrières, Gace de la Buigne, Gaston Phébus, William Twiti, Herzog Edward II. von York und Juliana Berners) wendet sich Fietze viertens „Der Jagdliteratur des Mittelalters“ (S. 53-68) zu. Einer oberflächlichen Einführung folgen mit dürrem Ertrag „Frauen in der Jagdliteratur, [...] als Adressatinnen, [...] als Jagende, [...] als Personifikationen“ und „Jagdliteratur aus der Feder einer Frau“, eine Überschrift, die mit einem Fragezeichen hätte enden müssen, denn für das Juliana Berners zugewiesene „Boke of St. Albans“ werden sich Geschlecht und Name der schreibenden Person wohl nie verlässlich klären lassen. Erst mit Kapitel 5 über die Beizjagd (S. 69-94) und Kapitel 6 über die Hetzjagd (S. 95-134) stößt Fietze zu ihrem eigentlichen Themenschwerpunkt vor. Die aus historischer Sicht wichtigsten Abschnitte über „Beizjagende Aristokratinnen“ (S. 69f.) und „Hetzjagende Aristokratinnen“ (S. 95ff.) kommen fast ganz ohne Quellenbelege aus und wiederholen die aus der Literatur bereits bekannten Beispiele. Im Vordergrund der Kapitel 5-6 stehen vor allem die weder geschlechts- noch epochenspezifischen Jagdtechniken (S. 70-74, 99-121) sowie darauf aufbauend die Jagd auf einzelne Wildarten (S. 74-85, 122-134). Die Ausführungen basieren auf dem Bildmaterial im Queen Mary’s Psalter sowie in den Taymouth Hours und sind vor allem eine detaillierte Beschreibung der beigegebenen Abbildungen aus diesen Handschriften. Mit diesen Deskriptionen geht Fietze nach Umfang und Genauigkeit weiter als die bisherige Literatur. Für die Partien „Beizjagd und Minne“ (S. 85-89) und „Beizjagd und Standesrepräsentation (S. 91) greift sie auf die Manessische Liederhandschrift und auf die Très riches heures des Duc de Berry zurück, zieht für die Frage nach den „Beizvögel[n] der Damen“ (S. 91-94) wieder die beizjagdliche Anleitungsliteratur heran. Abschließend stellt Fietze die Ergebnisse ihrer Arbeit vor (S. 135-144). Neben der aktiven Rolle der Aristokratinnen bei Beiz- und Hetzjagden werden die Vielfalt der Jagdarten, der sportliche wie der Vergnügungseffekt, die Aspekte der Standesrepräsentation und Selbstinszenierung sowie die gesellschaftliche und die gesellige bis hin zur erotischen Dimension des Themas betont.

Für das Bildmaterial (14 farbige Tafeln und 17 schwarz-weiß Abbildung[sseri]en; dazugehörige Abbildungsverzeichnisse S. 157-159) ist die Beschriftung nicht immer vollständig und korrekt.3 Der Band wird erschlossen durch ein Personen- und Ortsregister (S. 161-164) sowie ein Sachregister (S. 165-176), das wegen konkurrierender Lemmata (z.B. „Geistliche“ und „Klerus“ oder „Handschrift“ und „Manuskript“) wenig benutzerfreundlich ist.

Von einigen der Bildbeschreibungen abgesehen bietet Katharina Fietze inhaltlich vor allem aus zweiter Hand zusammengetragenes Material. Einzelne Abschnitte sind kaum mehr als die Nacherzählung ausgewählter Einzelpublikationen anderer (z.B. S. 31-36, 71ff., 95ff.). Die als Hauptergebnis reklamierte aktive Teilnahme von Frauen an der mittelalterlichen Beiz- wie Hetzjagd widerlegt weder eine ernstzunehmende existierende Forschungsmeinung noch ist sie inhaltlich neu, wiederholt vielmehr bestätigend längst Bekanntes auf kaum veränderter, viel zu schmaler Quellenbasis. Neben störenden Redundanzen, Wortauslassungen und etlichen Tippfehlern (z.B. „kopierte“, statt kupierte Hundeschwänze, S. 104 Anm. 399) häufen sich überdies sachliche Fehler und Ungenauigkeiten 4 in erschreckender Anzahl. Dazu zählt auch die Beliebigkeit bei der Ansetzung von Eigennamen sowie die durchgängige Verwendung von Grund-, statt Ordnungszahlen bei Personennamen. Unzulänglichkeiten, die auch auf das Lektorat des Böhlau Verlages zurückfallen, der im Bereich Geschichte einen guten Ruf zu verlieren hat.

Anmerkungen:
1 Almond, Richard, Medieval hunting, Stroud 2003; Dasler, Clemens, Forst und Wildbann im frühen deutschen Reich. Die königlichen Privilegien für die Reichskirche vom 9. bis zum 12. Jahrhundert, Köln 2001; Knoll, Martin, Umwelt - Herrschaft - Gesellschaft. Die landesherrliche Jagd Kurbayerns im 18. Jahrhundert, St. Katharinen 2004; Oggins, Robin S., The Kings and Their Hawks. Falconry in Medieval England, New Haven 2004; Rösener, Werner, Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf 2004; Schindler, Norbert, Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte, München 2001.
2 Pichon, Jérôme (Hg.), Le Ménagier de Paris, Paris 1982, „distinction“ III, Artikel 2, S. 279-326.
3 Z.B. ist der Vers auf Farbabb. 12 (vgl. auch die anders lautende, aber ebenfalls falsche Auflösung S. 121) korrekt zu transkribieren: „Ich iag nach truwen, find ich die, kein lieber zit gelebt ich nie.“ Vgl. auch die unvollständige Transkription zu Farbtafel 13 mit der fehlerhaften im Text S. 121; auch diejenige zu Farbtafel 3 ist nicht korrekt. Der Abbildungsverweis S. 132 auf Abb. 16a geht ins Leere.
4 So wird z.B. ohne Titel-, Autor- oder Editionsangabe auf einen „Ritterspiegel“ (S. 48) und auf „eine lateinische Lehrpredigt“ über die Hirschjagd (S. 103f.) verwiesen. Gemeint sind: Neumann, Hans (Hg.), Johannes Rothe, Ritterspiegel, Halle an der Saale 1936, V. 2631, 2693 und 3441ff., sowie Nephtalym cervus emissus, vgl. Lindner, Kurt (Hg.), De arte bersandi. Ein Traktat des 13. Jahrhunderts über die Jagd auf Rotwild, und Neptalym cervus emissus, eine Jagdpredigt des 14. Jahrhunderts, Berlin 1966.

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