W. Kansteiner: In Pursuit of German Memory

Cover
Titel
In Pursuit of German Memory. History, Television, and Politics after Auschwitz


Autor(en)
Kansteiner, Wulf
Erschienen
Anzahl Seiten
438 S.
Preis
£49.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian P. Gudehus, Center For Interdisciplinary Memory Research (CMR) Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI)

Das Buch, eher eine mit wenigen Verweisen verbundene Aufsatzsammlung als eine Monografie, widmet sich einem bereits reich bestellten Feld: Der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen in der Geschichtswissenschaft, dem Fernsehen und der Politik Deutschlands. Obwohl es gleich eine ganze Reihe kluger Einsichten bereithält, ist der eigentliche Clou an Wulf Kansteiners Jagd nach dem deutschen Gedächtnis die Weise, wie er Geschichte analysiert und schreibt. Kansteiner theoretisiert nicht über Geschichtsschreibung, sondern zieht in der Praxis seines Denkens und Schreibens die Konsequenzen aus den Debatten der letzten Jahrzehnte und dabei insbesondere aus den Beiträgen der so genannten postmodernen Theoretiker/innen.

Für alle drei von ihm untersuchten Felder weist Kansteiner von 1945 bis in die späten 1990er-Jahre allmähliche Verschiebungen in der Dramatisierung (emplotment) der verbrecherischen Vergangenheit nach. Das betrifft deren Akteur/innen ebenso wie ihre Motivationen und die jeweiligen thematischen Fokussierungen der Autoren/innen. Das an sich ist wenig originell. Anregend werden seine Analysen durch die Verknüpfung dieser konsequent konstruktivistischen Perspektive mit einer präzisen und vor allem materialreich unterlegten Untersuchung der gesellschaftlichen, also historischen Kontexte, in denen die jeweiligen Erzählweisen hervorgebracht und schließlich dominant wurden. Hier wendet der Autor einen weiteren Kunstgriff an. Er verwebt die Beschreibung und Analyse des zeitgeschichtlichen Geschehens mit jener der jeweils virulenten Konstruktionen von Geschichte. So wird unmittelbar einsichtig wie und warum sich welche Erzählweisen durchsetzen und andere marginal bleiben. Entscheidend hierbei ist, dass streng funktionalistisch argumentiert wird. Kriterium für die Etablierung und Adaption spezifischer Erzählweisen ist demnach ihr Nutzen für die handelnden Personen beziehungsweise Gruppen und im Falle der politischen Sphäre ihrer Institutionen. Insbesondere politisches Handeln ist für Kansteiner opportunistisch, also auf Machterhalt angelegt. Folglich deutet er etwa das mangelnde Eintreten konservativer Politiker/innen für Denk- und Mahnmale in den 1980er-Jahren als politische Fehlkalkulation: „Conservative politicians realized only belatedly that properly displayed guilt could be a source of cultural as well as economic capital” (S. 251).

Auf den politischen Kern der Erinnerungskultur weist Kansteiner immer wieder hin, so im Kontext der in den 1960er-Jahren aufkommenden kritischen Geschichtsdeutungen: „The rise of Germany’s historical culture since the 1960’ is better understood as a truly political phenomenon – as the result of a specific constellation of ideological convictions, political generations, and strategic options.“ (S. 6) Die hier noch als Faktor angeführten ideologischen Überzeugungen treten im Buch hinter der angesprochenen konstruktivistischen und funktionalistischen Perspektive zurück. Eine zentrale Rolle spielt jedoch der gerade in der Erinnerungsforschung virulente Generationsbegriff. Insbesondere in seinen Analysen zur deutschen NS-Geschichtsschreibung macht Kansteiner Generationszugehörigkeit zur zentralen Determinante der Konstruktion von Geschichtsdeutungen. So zeichnet er den Aufstieg und Fall des tendenziell metaphorischen Schreibens – vor allem bezüglich der Singularität des Holocausts – im geschichtswissenschaftlichen Diskurs nach. Der Verfasser stellt enge Verbindungslinien her zwischen Themenwahl, Methoden, Schreibweisen und schließlich als bestimmendes Moment der Generation der Historiker/innen, die hier als historische Akteure/innen auftreten. Diesen Verlauf begreift er als Prozess einer schlussendlichen rhetorischen und methodischen Normalisierung der Forschung (S. 32). Gemeint ist, dass der Holocaust letztlich wie jeder andere historische Gegenstand untersucht und über ihn in herkömmlicher Weise geschrieben werden kann. Diese Normalisierung konstatiert er auch für die Politik und für das Fernsehen, dem er sich verdienstvollerweise ebenfalls in drei Kapiteln zuwendet.

Zu Recht argumentiert Kansteiner, dass Fernsehsendungen als Quelle dessen, was er kollektives Gedächtnis nennt, bisher wenig untersucht worden sind. Wie schon für die Abschnitte zur Geschichtsschreibung und Politik arbeitet er gleich eine Reihe von Phasen unterschiedlicher Thematisierung der Vergangenheit heraus. Erfreulich und für Historiker/innen ungewöhnlich ist seine Beschäftigung mit formalen Aspekten des Films, den er nicht auf seine Textbasis reduziert. Ganz im Gegenteil macht er an den Inszenierungen Guido Knopps, dem er sich bemerkenswert vorurteilsfrei und daher gewinnbringend nähert, deutlich, wie insbesondere die Komposition eine von den Kommentaren abweichende Geschichtsdeutung hervorbringt. Spannend ist hierbei, wie er Knopp und sein schließlich patentreifes und überaus erfolgreiches Verfahren des Geschichtsfernsehens selbst historisiert, also als Ergebnis einer bereits in den späten 1970er-Jahren beginnenden persönlichen und medienästhetischen Entwicklung betrachtet. Den unbestreitbaren kommerziellen Erfolg des knoppschen Formats erklärt Kansteiner damit, dass den Zuschauer/innen die Möglichkeit gegeben werde, völlig unbedenklich für kurze Zeit „Nazi zu werden“ (S. 176).

Spätestens nach solchen Passagen stellt sich zwangsläufig die Frage ob und wenn wie die herauspräparierten Deutungs- und Identifikationsgebote denn angenommen werden. Leider liefert das Buch diesbezüglich nur begrenzt Aufschluss. Zwar lässt sich anhand der Zuschauerzahlen von zum Teil über sechs Millionen Menschen die große Reichweite der Sendungen bestimmen, die Frage der Be- und Verarbeitung, des Einflusses auf individuelle oder kollektive Deutungen bleibt unklar. Weiteren Quellen, Protokolle von Zuschaueranrufen und entsprechende Zuschriften lassen erahnen, wie einige Hundert Personen das Gesehene verstanden haben mögen. Dennoch bleibt trotz des im Ganzen sehr informativen Zugangs eine bedauerliche Lücke zu konstatieren, die übrigens die Beschäftigung mit Filmen zu zeithistorischen Themen insgesamt betrifft: Es herrscht beileibe kein Mangel an Einschätzungen zu mit Filmen erzeugten und möglicherweise auch intendierten Geschichtsdeutungen, allein fehlt es eklatant an Studien, die sich ihren Rezipienten/innen mit den Methoden der empirischen Sozialforschung – etwa durch Interviewstudien – nähern.

Bekannt ist immerhin, und das deckt sich mit Kansteiners Thesen, dass Filme reichlich Material für private Geschichten vom Krieg liefern und zwar vor allem auf der Ebene des Emplotments und der gerade medial stetig reproduzierten Charaktere, wie zum Beispiel jenem des Nazi. Exakt mit solchen Effekten ist auch die Verankerung des Nationalsozialismus im kollektiven Gedächtnis übrigens nicht nur Deutschlands beschrieben. Anders als Kansteiner voraussetzt, zeichnet sich ein solches Gedächtnis auf der Ebene einer Gesellschaft keinesfalls durch übereinstimmende Erzählungen aus. So ist das von ihm konstatierte Paradoxon, dass je größer die Reichweite eines Mediums ist, desto geringer die Gemeinsamkeit der Erinnerung unter den Rezipienten/innen sei, keines (S. 23f.). Gerade das Potenzial verschiedenste Deutungen und individuelle Anknüpfungsmöglichkeiten an ein und dasselbe historische Geschehen zu knüpfen und nach den eigenen Bedürfnissen psychologisch oder politisch zu instrumentalisieren ist maßgeblich für die erfolgreiche Verankerung eines solchen in ein kollektives Gedächtnis.

An dieser unscharfen Konzeption eines kollektiven Gedächtnisses hat auch die Kritik am Buch anzusetzen. Was Kansteiner beschreibt, sind intendierte und organisierte vergegenständlichte Bezugnahmen auf eine Vergangenheit (kulturelles Gedächtnis). Diese sind von solchen, die sich kommunikativ, nichtintendiert, gewissermaßen als Nebenprodukt alltäglichen Sprechens konstituieren (kommunikatives Gedächtnis) zu unterscheiden. Beides jedoch ist kollektives Gedächtnis. Entsprechend sind Einschätzungen wie jene, nicht zur Prime-Time gesendeten TV-Beiträge erreichten dieses Gedächtnis nicht, ungenau (S. 141). Wie zuletzt Astrid Erll festgestellt hat, ist die Beschaffenheit des Mediums zentral für Inhalt und Konstruktion des Vergangenheitsbezugs. 1 Kansteiner selbst berücksichtigt dies auch in seiner Analyse von Fernsehsendungen. Er verliert diese Einsicht jedoch genau dort etwas aus den Augen, wo es um die Schnittstellen von kultureller zu kommunikativer Erinnerung geht. Er untersucht Verobjektivierungen des Gedächtnisses (Bücher, Filme, Reden, Gesetzte) aus denen sich Geschichtsdeutungen ableiten lassen, die aber bei Personen so nicht vorliegen, sondern vielmehr kommunikativ erst hergestellt werden.

Entsprechend war Kansteiners Jagd im Hinblick auf die annoncierte Beute – Fernsehen, Geschichtswissenschaft und Politik – erfolgreich. Um den Interferenzen eines „deutschen Gedächtnisses“ weiter auf die Spur zu kommen, bedarf es allerdings weniger neuer Studien als vielmehr einer Re-Analyse des von verschiedenen Disziplinen bereits reichlich angehäuften Materials. Die interessantere Frage scheint mir ohnedies jene nach den auf verschiedenen Kanälen erfolgenden Weitergabeprozessen, der Tradierung also, zu sein.

Jede Kritik, die mangelnde Vollständigkeit konstatiert oder Definitionen hinterfragt ist ohnehin schon ein implizites Lob, gibt es doch an den Thesen, der Methodik und der Darstellung selbst wenig auszusetzen. Um das deutlich zu machen, schließe ich mit einem ausdrücklichen Lob: Wulf Kansteiner ist ein überaus anregendes, schlaues, gut geschriebenes und konstruiertes Buch gelungen, dessen Kapitel man, je nach Interesse, problemlos auch Einzeln lesen kann.

1 Erll, Astrid, Medium des kollektiven Gedächtnisses – ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff, in: Dies.; Nünning, Ansgar (Hgg.), Medien des Kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität. Berlin, 2004.

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