V. Leppin u.a. (Hrsg.): Konfessionskultur in Siebenbürgen

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Titel
Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit.


Herausgeber
Leppin, Volker; Wien, Ulrich A.
Reihe
Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 66
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
236 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Töpfer, Historisches Seminar, Universiät Leipzig

Die Beschäftigung mit der politischen und konfessionellen Geschichte Ungarns und des ungarischen Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit hat seit mehreren Jahren Konjunktur. Mit dem profunden Überblick zur ungarischen Reformations- und Konfessionsgeschichte von Márta Fata 1 liegt mittlerweile ein verlässliche Handbuchdarstellung vor, die sich durch mehrere Sammelbände – das Ergebnis zahlreicher wissenschaftlicher Tagungen – ergänzen lässt.2 Neben der allgemeinen Bedeutung des großen magyarischen Königreiches zu Beginn der Neuzeit übt dessen Zerfall und die Entstehung dreier heterogener Herrschaftsbereiche in Folge des osmanischen Sieges in der Schlacht von Mohács (1526) eine große Anziehungskraft aus. Dass zeitlich parallel zu diesen politischen Ereignissen auch das Eindringen der Reformation in Ungarn anzusiedeln ist, macht dies noch zusätzlich plausibel. Die konfessionelle Entwicklung der beiden nichtosmanischen Teile Ungarns, des habsburgischen Königreichs und insbesondere des autonomen Fürstentums Siebenbürgen, wurde nach der 1541 erreichten politischen Neuordnung und Stabilisierung der Region durch eine erstaunliche Pluralität geprägt, die mit der ethnischen Vielgestaltigkeit gerade Siebenbürgens eng zusammenhing.

Hier setzt der vorzustellende Sammelband an. Die Beiträge gehen zurück auf eine bereits im Jahr 2000 in Wittenberg abgehaltene Konferenz zur Konfessionsbildung und Konfessionalisierung in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit. Gegenüber dem Tagungsthema wurde bei der Wahl des Titels des Sammelbandes auf den Begriff der Konfessionalisierung bewusst verzichtet.3 Statt dessen wurde, wie der Jenaer Kirchenhistoriker Volker Leppin als Mitherausgeber in seinem einleitenden Beitrag erläutert, in den Titel des Sammelbandes "Konfessionskultur" aufgenommen, da von einer siebenbürgischen Konfessionalisierung nicht gesprochen werden könne. Die seit 1571 als gleichberechtigt anerkannten lutherischen, katholischen, calvinistischen und unitarischen Bekenntnisse "hätten ohne direkte staatliche Steuerung konfessionelle Identitäten" (S. 13) herausgebildet, die zudem ethnisch fundiert gewesen seien. Es könne deshalb in Anlehnung an Thomas Kaufmanns bekannte Konzeption von "Konfessionskulturen" gesprochen werden.4 Diese programmatische Schwerpunktsetzung ist durchaus plausibel. Die Beiträge des Bandes leisten naturgemäß jedoch keine geschlossene Darstellung der Genese und der inneren Profilierung der unterschiedlichen Konfessionskulturen und bringen dieses Konzept leider auch nicht durchgängig zur Anwendung.

Zunächst führen Beiträge mit allgemeinerem Charakter in die politische und konfessionelle Geschichte Siebenbürgens ein. Ernst D. Petritsch erläutert die Stellung Siebenbürgens als tributpflichtiges Fürstentum in der Nachbarschaft des Osmanischen Reiches. Er zeigt dabei, daß die außenpolitische Abhängigkeit von der Pforte mit einer weitgehenden innenpolitischen Selbständigkeit des Staates korrespondierte. Die militärische Stärke der Osmanen habe gewissermaßen einen beständigen Druck ausgeübt, der das ethnisch vielgestaltige Siebenbürgen unter der Führung eines gewählten Fürsten politisch stabilisierte. Wie sehr dieser nicht-expansive, vom Sicherheitsstreben geprägte Charakter Siebenbürgens eine wichtige Voraussetzung bildete für die weitgehend friedliche Durchsetzung verschiedener Bekenntnisse bei den Siebenbürger Sachsen im Süden, in den Komitaten des ungarischen Adels und bei den Szeklern im Osten, betont Harm Klueting in seinem generalisierendem Beitrag. Er ordnet das vor allem bei den Ungarn dominante calvinistische Bekenntnis in die generelle Entwicklung der reformierten Konfessionalisierung in West- und Ostmitteleuropa ein. Klueting stellt dabei, in methodischer Anlehnung an eine von Krista Zach geprägte Terminologie 5, der westeuropäischen "Staatskonfessionalisierung" eine spezifische "Gruppenkonfessionalisierung" entlang von Sprachgrenzen gegenüber, allerdings ohne diese Vorgänge bei den "vier rezipierten Religionen" Siebenbürgens genauer zu thematisieren. Leider greift auch Krista Zach diesen Terminus in ihrem Beitrag "Politische Ursachen und Motive der Konfessionalisierung in Siebenbürgen" nicht auf, sondern umreißt, wie zuvor bereits Leppin und Klueting, den politikgeschichtlichen Kontext für die konfessionshistorische Sonderentwicklung Siebenbürgens. Ausgangspunkt ist dabei ein verfassungsgeschichtliches Schlüsseldokument des 17. Jahrhunderts, die so genannten "Approbaten", eine 1653 durch den Landtag kodifizierte Rechtssammlung, in der auch die Konfessionsbestimmungen des 16. Jahrhunderts Aufnahme fanden. Zach verwendet dabei entgegen der von Leppin einleitend vorgenommenen Orientierung auf den Begriff der Konfessionskultur unklare Begriffe wie "Konfessionalisierungsabläufe", "Konfessionalisierungsvorgänge" oder "Mehrfachkonfessionsbildung", die eher den Eindruck erwecken, das Vorhandensein von Konfessionen sei gleichsam bereits Konfessionalisierung.

Das reformationsgeschichtliche Geschehen in Siebenbürgen im engeren Sinne behandeln die Beiträge im Mittelteil des Bandes. Besondere Beachtung finden zwei Aspekte: einerseits die für die Genese der vielfältigen Konfessionslandschaft bedeutenden kulturellen Außenbeziehungen Siebenbürgens (vor allem ins Reich), zum anderen die enge Verbindung von sprachlich-ethnischer und konfessioneller Vielfalt bei den Volksgruppen des Landes. So stellt Urich A. Wien am Beispiel des von den Siebenbürger Sachsen dominierten Kronstadt den Typus einer stark vom Bildungshumanismus Wittenberger Provenienz beeinflussten "konservativen Stadtreformation" vor. 6 Wittenberg wurde seit den späten 1520er-Jahren zum entscheidenden Orientierungspunkt und zur bedeutendsten Ausbildungsstätte für das Siebenbürgische Luthertum und löste damit, wie Ernst Hofhansl in seinem Beitrag zeigt, Wien als wichtigsten geistigen Bezugspunkt der vorreformatorischen Zeit ab. Miklós Czenthe unterstreicht diesen Befund in seiner vergleichenden Studie zur Reformation in Oberungarn und bei den lutherischen Sachsen in der Zips, die sich ebenfalls auf Wittenberg orientiert haben. Gedeon Borsa untersucht das klassische Verhältnis von Buchdruck und Reformation für die Städte Hermannstadt, Kronstadt und Klausenburg. Bekenntnisvielfalt und die häufigen Bekenntniswechsel (auch von Druckern) erklären neben der großen Entfernung Siebenbürgens von den mitteleuropäischen Druckzentren die erstaunliche hohe Zahl von eigenständigen Druckwerken im 16. Jahrhundert.

Einen komplexen Verlauf nahm die Reformation im paritätisch-zweisprachig geprägten Klausenburg, wie Edit Szegedi zeigt. Nach einer lutherisch geprägten Frühphase wandte sich der ungarische Bevölkerungsteil mit dem lutherischen Stadtpfarrer Franz Davidis an der Spitze 1564 dem reformierten Bekenntnis zu. Später trat der Antitrinitarismus als weitere, zeitweilig – bis zur Herstellung einer geistlich-konfessionellen Parität durch den Rat – besonders geförderte Bekenntnisvariation hinzu. Szegedi steht der engen Zuordnung von Ethnie und Konfession kritisch gegenüber. So habe es, wie die häufigen Konfessionswechsel zeigen, eine „genetische“ Prädestination der Ungarn für den Calvinismus nicht gegeben (S. 83). Nicht selten zerfiel selbst die „konfessionelle Homogenität“ einer adeligen Familie, wie Ildikó Horn in seinem Beitrag zum Adel als Träger der Reformation zeigt. Im Gegenzug belegt dieser Beitrag allerdings auch, wie der Wiederaufstieg des Katholizismus unter den Báthory-Fürsten eine „protestantische Solidarität“ im Adel über konfessionelle Grenzen hinweg zustande brachte. Den Kernbereich der einleitend skizzierten Fragestellungen des Bandes – das Verhältnis von ethnischer und konfessioneller Identität – treffen die Beiträge von Mihály Balázs und Konrad Gündisch. Balázs verneint die Existenz einer unitarischen Konfessionalisierung in Siebenbürgen, da sich klare kirchliche Hierarchien, vereinheitlichende Bekenntnisschriften und Autoritäten nicht ausbilden konnten. Hingegen zeigt Gündisch, welche Bedeutung das lutherische Bekenntnis für die "Stärkung des Gemeinschaftsgefühls" unter allen freien und unfreien Siebenbürger Sachsen zukam, wie dadurch eine ältere, vorreformatorische politische und kulturelle Autonomie noch verstärkt und eine neue Gemeinschaft im Zeichen einer verbindlichen Kirchenordnung hergestellt wurden. In seinem zweiten Beitrag geht Mihály Balázs auf die besondere Bedeutung Basels und des Basler Humanismus (hier vor allem Sebastian Castellios) für die geistige Profilierung des Siebenbürger Antitrinitarismus ein.

Orthodoxe Christen und Juden standen außerhalb des Kreises der vier anerkannten Konfessionen. Ihnen sind am Ende des Bandes zwei Beiträge gewidmet. Radu Mârza stellt den lediglich "geduldeten" Status der Orthodoxen dar und behandelt deren kaum vorhandene kirchliche Hierarchien und Strukturen ebenso wie die im Reformationsjahrhundert besonders von calvinistischer Seite unternommenen Eindringungsversuche gegenüber diesem Bevölkerungsteil. Die im Verlauf der Frühen Neuzeit allmählich zunehmende Integration der Juden in das Wirtschafts- und Sozialleben Siebenbürgens umreißt der Beitrag von Ladislaus Gyémánt. Der Band wird schließlich durch zwei biografische Studien zu bedeutenden Literaten und Künstlern Siebenbürgens im 16. Jahrhundert beschlossen. Peter Király widmet sich Valentin Bakfark, der es – aus Kronstadt stammend – als Musiker zu bedeutenden Positionen an den Höfen in Ungarn, Polen und Italien brachte. Lore Poelchau stellt den humanistischen Poeten Christian Schesaeus aus Kronstadt vor, dessen Lebensweg eng mit der lutherischen Reformation in seiner Heimatstadt, dem dortigen Schulwesen und der Ausbildung in Wittenberg verbunden war. Die Biografie widerspiegelt exemplarisch die komplexe, von vielfältigen Außenbeziehungen nach Mittel- und Westeuropa geprägte Konfessionsgeschichte Siebenbürgens im 16. Jahrhundert.

Die Beiträge des Bandes steuern auf unterschiedliche Weise Aspekte zur Beantwortung der Frage bei, wie im Zeichen ethnisch fundierter und politisch anerkannter Religionsvielfalt konfessionelle Identitäten entstehen konnten. Eine genauere terminologische Stringenz im Hinblick auf die sehr unterschiedlich verwendeten Begriffe "Konfessionalisierung", "Konfessionskultur" und "Konfessionsbildung" wäre allerdings wünschenswert gewesen. Vergleichende Studien unter Einbeziehung anderer Teile des späteren habsburgischen Herrschaftsverbandes sollten nicht zuletzt auch zur Klärung dieser methodischen Frage nach der Anwendbarkeit übergreifender Konzepte vorangetrieben werden.7 Der vorgestellte Band leistet hierzu gleichwohl einen wichtigen Beitrag.

Anmerkungen:
1 Fata, Márta, Ungarn – das Reich der Stephanskrone im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500-1700, hrsg. von Franz Brendle und Anton Schindling, Münster 2000.
2 Vgl. insbesondere: Kühlmann, Wilhelm; Schindling, Anton (Hrsg.), Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance, Stuttgart 2004; Wien, Ulrich A.; Zach, Krista (Hrsg.), Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert, Köln 2004; Zach, Krista, Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte, hrsg. von Joachim Bahlcke und Konrad Gündisch, Münster 2004.
3 Einen anderen Zugang wählt hingegen der Band von: Bahlcke, Joachim; Strohmeyer, Arno (Hrsg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur, Stuttgart 1999.
4 Kaufmann, Thomas, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998.
5 Zach, Krista, Stände, Grundherrschaft und Konfessionalisierung in Siebenbürgen. Überlegungen zur Sozialdisziplinierung (1550-1650), in: Bahlcke; Strohmeyer (wie Anm. 3), S. 367-391, hier 390.
6 Eine annähernd identische Fassung dieses Beitrages erschien bereits 2004: Wien, Ulrich A., "Sis bonus atque humilis, sic te virtusque Deusque / Tollet in excelsum, constituetque locum". Die humanistische Reformation im siebenbürgischen Kronstadt: Johannes Honterus und Valentin Wagner, in: Kühlmann; Schindling (wie Anm. 2), S. 151-183.
7 Hierzu jetzt: Winkelbauer, Thomas, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, 2 Bde., Wien 2004.

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