U. Falk: Consilia. Studien zur Praxis der Rechtsgutachten

Cover
Titel
Consilia. Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit


Autor(en)
Falk, Ulrich
Erschienen
Frankfurt a.M. 2006: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
482 S.
Preis
€ 94,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hendrikje Carius, Historisches Institut, Universität Jena

Als Leitmotiv seiner rechtshistorischen Studie zur frühneuzeitlichen Praxis der Rechtsgutachten im Alten Reich bedient sich Ulrich Falk eines Zitats aus dem dritten Buch der aristotelischen Rhetorik: Wie der griechische Dichter Simonides gegen gutes Honorar mit rhetorischer Finesse Maultiere in "windfüßige" Pferde verwandelte – so die naheliegende Assoziation –, betrieben gelehrte Gutachter im Zeitalter des Usus modernus Rechtsexegese im Sinne zahlungskräftiger privater Auftraggeber. Rechtsgutachten fungierten scheinbar weniger als Mittel der Rechtswahrung, denn als ökonomischen Kriterien unterworfene juristische Serviceleistung.

Ähnlich wie Falks Frankfurter Habilitationsschrift hat diesen Zusammenhang schon die zeitgenössische, allerdings mehr oder weniger in Vergessenheit geratene Kritik an der Gutachtenpraxis formuliert. Tatsächlich diskreditierten prominente Juristen wie Benedict Carpzov parteinehmende Konsiliarjuristen polemisch als gewinnsüchtige, rabulistische "Rechtsverderber" (S. 271). Dem Autor geht es freilich um ein "differenziertes Gesamtbild" (S. 56) der Gutachtenpraxis, ihrer Prämissen, Mechanismen und Begründungsmuster. Nun ist Falk nicht der erste, der beansprucht, die These von der absoluten Unparteilichkeit der Spruchkollegien in den Bereich der Fiktion zu verweisen. Gleichwohl originell ist seine eingängige conclusio, die er im Vorwort als leitendes Deutungsmuster präsentiert (S. XIX): Die deutsche Konsiliarpraxis der Frühen Neuzeit sei als "Markt zu verstehen, auf dem professionelle juristische Dienstleistungen in großer Zahl angeboten und nachgefragt wurden". (ebd., vgl. auch S. 59f., 406 )

Für diese Erkenntnis hat sich Ulrich Falks Interesse nicht auf die mittlerweile umfangreich erforschte universitäre Spruchpraxis, sondern die bislang weniger beachteten Parteigutachten gerichtet. Im Unterschied zu Gerichtsgutachten im Rahmen der Aktenversendung wurden jene Konsilien im Laufe eines Rechtsstreits von privaten Parteien bei Schöppenstühlen oder Juristenfakultäten in Auftrag gegeben. Grundlage für die Untersuchung der Parteigutachten sind die gedruckten und zahlreich überlieferten Konsiliensammlungen – ein ambitioniertes Projekt, denn Falk verzichtet auf Auswahl und Bestimmung eines genau abgesteckten Referenzkataloges. Zwar liegt der Fokus insgesamt auf Quellenbeständen der Spruchkollegien des sächsischen Rechtskreises (vor allem Jena sowie Halle, Leipzig, Wittenberg etc.), geht aber – reichsweit – auch darüber hinaus. Der Schwerpunkt ist nachvollziehbar, schließlich nahm die sächsische Rechtspraxis im Alten Reich des 16. und 17. Jahrhunderts eine zentrale Bedeutung ein. Den Verzicht auf eine Konsultation von Archivmaterial kompensiert Falk durch die Berücksichtigung entsprechender Sekundärliteratur. Hinsichtlich der Authentizität der gedruckten Sammlungen bleibt er allerdings skeptisch genug, zumal der Umfang herausgeberischer Redaktionsarbeiten kaum bestimmbar ist.

Ulrich Falks Studie gliedert sich in fünf Teile: Neben Ausgangspunkten (Teil I) werden zunächst die Funktionen von Parteigutachten (Teil II) sowie die zeitgenössische Kritik der Gutachtenpraxis (Teil III) untersucht. Auf die Analyse eines Parteigutachtens (Schöffenstuhl Jena 1668) (IV) folgen umfangreichere Schlusspunkte (Teil V), abgerundet von einem Personen- und Sachregister. Die jeweiligen Teile sind durch einen so genannten Ausgangsfall miteinander verbunden, an dessen juristischer Expertise pars pro toto Voraussetzungen, Bedingungen und Qualität der rechtsgutachtlichen Praxis analysiert werden. Als Ausgangsfall hat Falk ein 1668 vom Jenaer Schöppenstuhl angefertigtes erbrechtliches Gutachten zu den Erfolgsaussichten einer Testamentsanfechtung gewählt. Die Expertise ist der vom Jenaer Rechtsgelehrten Christoph Richter 1647 herausgegebenen Entscheidungssammlung Decisiones Juris Variae entnommen. Falk stellt sie an den Anfang seiner Studie, gefolgt von einem allgemeinen Überblick über die Entscheidungsliteratur des Usus modernus. Neben den institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen des Konsilienwesens misst Falk dem finanziellen Hintergrund der parteinehmenden Gutachtertätigkeit eine hohe Bedeutung zu: Die an die Gutachter der Spruchkollegien nach einem bestimmten Schlüssel verteilten Honorare schufen eine goutierte Einnahmequelle. Gutachterhonorare fungierten gewissermaßen als Besoldungsersatz (S. 38f.). Daraus resultierte ein interner wie externer Konkurrenzdruck unter Kollegen und Kollegien – Falk spricht von "finanziellen Verteilungskämpfen" (S. 395). Nicht zuletzt dieser Zusammenhang (S. 44) fundierte die anspruchstützende Jurisprudenz und verhinderte zugleich – neben anderen Faktoren – eine mögliche Delegitimierung der Gutachtenpraxis.

Desweiteren nimmt Falk die Fallgeschichten interessegeleiteter Gutachten in den Blick, die sich durch erfolgversprechende, suggestive Sachverhaltskonstruktionen auszeichneten. Dabei gab es für die Parteilichkeit, die über eine rhetorische und rechtsdogmatische Verzerrung der Rechtslage hergestellt werden konnte, gewisse Korrektive: Eigeninteresse der Partei, Standesethik, Sicherung von Reputation und materiellem Vorteil von Begutachter bzw. Spruchkörper. Allerdings, wie Falk treffend konzediert, gab es eben auch keine ‚objektive‘ Rechtslage. Die Frage muss daher sein, wie die in jedem Rechtsfall vorhandenen normativen Freiräume und Entscheidungsalternativen im Einzelfall genutzt wurden.

Im zentralen Teil der Arbeit bestimmt Falk die komplexen Funktionen von Konsilien (S. 93-239). Grundbedingung der privaten Begutachtung war das Votum zugunsten des auftraggeberischen Rechtsstandpunktes. Insgesamt wenig ausschlaggebend erscheint dem Autor die Einholung von Konsilien zur informativen Klärung von Rechtslage und Erfolgsaussichten einer Klage. Als wichtiger bewertet er hingegen die Einflussnahme der Gutachten auf die richterliche Entscheidungsfindung: So untermauerten die Expertisen renommierter Juristenfakultäten die Rechtsposition des Auftraggebers gegenüber dem Gericht. Eine gehäufte Vorlage von Konsilien verstärkte diesen autoritativen Effekt. Parteigutachten konnten jedoch die Entscheidungsfindung auch aufgrund ihres formal-strukturellen Aufbaus beeinflussen: Den unter Zeitdruck und Arbeitsüberlastung agierenden Richtern lieferten die leicht zugänglichen Rechtsausführungen der Konsilien Material für ihre gerichtsinternen Relationen. Ein herausragender Stellenwert kam den rechtsgelehrten Gutachten hinsichtlich ihres Prozesskosteneffekts zu, da diese das Prozesskostenrisiko des Bestellers minimieren konnten: Durch die Vorlage von Konsilien, die den Erfolg einer Klage prognostizierten, war der Auftraggeber im Falle des Scheiterns von der Erstattung der Prozesskosten an den Gegner entbunden. Auf der Basis von Konsilien konnten Gegner aber auch schneller zu einem Vergleich bewegt werden, Verfahren ließen sich beschleunigen. Zu den anwaltlichen Strategien gehörte darüber hinaus das Ordern von Gutachten bei den vom jeweiligen Gericht präferierten Fakultäten. Damit sollte die Beurteilung eines Falles bei einer etwaigen Aktenversendung ausgelotet werden. Spruchkollegien, die im Vorfeld ungünstige Parteigutachten geliefert hatten, konnten dabei von den Parteien auf der Basis des ius eximendi aus der Urteilsfindung exkludiert werden. Inwiefern diese Zusammenhänge allerdings kompatibel mit der oben genannten Grundbedingung einer generellen Begutachtung im Parteiinteresse sind, lässt Ulrich Falk offen.

Im Hinblick auf die zeitgenössische Kritik des Konsilienwesens geht Falk insbesondere den "Selbstwidersprüche(n) der Konsiliatoren" (S. 245) nach. Dafür, dass identische Rechtsfragen von einem Konsiliator unterschiedlich begutachtet werden konnten, gab es nach Falk eine Vielzahl von Faktoren (u.a. Rechtsquellenvielfalt, individueller Überzeugungswandel, Sachverhaltsdifferenzen, Lehre von der communis opinio doctorum etc.). Hauptpunkt der Kritik war jedoch die Erstellung von Gutachten, die trotz schwerwiegender Gegenargumente dem Interesse des Auftraggebers folgten.

Insgesamt wäre der Arbeit ein wenig mehr Transparenz hinsichtlich Konzeption, Methodik und Quellenauswahl zu wünschen gewesen. So lässt sich die Struktur der in ihrer Material- und Detailfülle nicht ganz stringent komponierten Studie kaum auf den ersten Blick erschließen. Das zehnseitige Inhaltsverzeichnis spiegelt dabei den Versuch wider, illustrative Exkurse und Episoden mit thesengeleiteten Texten zu verbinden. "Impressionen" prophezeiende Kapitelüberschriften (Teil III, Kapitel 1.7, 2.6) verdeutlichen das Problem, das mit der fehlenden Definition eines der Arbeit zugrundeliegenden, klar umrissenen Quellenkanons beginnt.
Dessen ungeachtet bietet Ulrich Falk eine geradezu spannende Lektüre auf hohem erzählerischem Niveau. Plausibel analysiert er wirtschaftliche, rechtspolitische sowie strukturelle Interessenlagen und zeigt sich auch geschlechtergeschichtlich informiert. Die alten Topik-Debatten umschifft Falk elegant (S. 62). Die Frage nach der Kompatibilität mit Konzepten wie der Verrechtlichung oder Justiznutzung stellt sich der Autor leider nicht. Dagegen gibt er methodisch innovative Anregungen, etwa die Einbindung von Erklärungsmustern der psychologischen Ankerforschung zur Analyse juristischer Entscheidungsfindung und -begründung. (S. 398) Reizvoll ist Falks weitgespannte rechtsvergleichende Perspektive, die Phänomene des frühneuzeitlichen Gutachtenwesens assoziativ mal im nordamerikanischen, mal im deutschen Rechtssystem des 19. und 20. Jahrhunderts auszumachen weiß. Die Analyse der Prämissen und Begründungsmuster der Expertise des Ausgangsfalls (S. 279-359) verbindet Falk mit grundlegen materiellrechtlichen Ausführungen etwa zum Komplex der querela inofficiosi testamenti, der römischen Rechtsfigur der infamia facti oder dem Rechtsstatus nichtehelicher Kinder. Neue Erkenntnisse bietet Falk aber auch hinsichtlich der Bedeutung des juristischen Humanismus’ für die Konsiliarjurisprudenz im Alten Reich, die mehr von den Methoden des mos gallicus beeinflusst wurde, als bislang bekannt war (S. 412ff.).
Im Übrigen bewertet Falk die Funktion der Rechtsgutachten für das Recht dann doch nicht ganz so skeptisch, wie die von ihm ins Feld geführte Markt- und Kampfmetaphorik suggerieren mag. Vielmehr leistete die Konsilienliteratur mit ihrem "immensen Überschuß an Argumentationsmustern" einen "erstrangigen Beitrag zur Evolution des Rechts" (S. 419, vgl. S. 60, 408).
Insgesamt kann Ulrich Falks Buch als ein Plädoyer für den (kultur-, wirtschafts- und sozialgeschichtlich aufgeschlossenen) rechtswissenschaftlichen Blick auf die frühneuzeitliche Rechtspraxis gelesen werden. Es setzt Akzente gegen eine normenzentrierte, mit Vorstellungen von rechtswissenschaftlicher Objektivität operierenden, mithin "idealistische(n)" (S. 56) Rechtsgeschichte. Dabei entwirft die Studie ein vielschichtiges Bild der frühneuzeitlichen Konsiliarpraxis, das der Geschichte der Rechtskultur im Alten Reich in überzeugender Weise ein weiteres Deutungsmuster hinzufügt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension