R. Hoffmann u.a. (Hrsg.): Ein Museum zwischen Innovation und Ideologie

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Titel
Ein Museum zwischen Innovation und Ideologie. Das Salzburger Haus der Natur in der Ära von Eduard Paul Tratz, 1913–1976


Herausgeber
Hoffmann, Robert; Lindner, Robert
Erschienen
Innsbruck 2021: Studienverlag
Anzahl Seiten
839 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Laura Langeder, Junior Sammlungskuratorin, Haus der Geschichte Österreich

Wer heute im Haus der Natur Salzburg die Tibet-Dioramen besichtigt, wird vor Ort auch über die Provenienz der Ausstellungsobjekte informiert. Gesammelt wurden diese im Zuge einer Expedition 1938/39, finanziert von der nationalsozialistischen Forschungseinrichtung SS-Ahnenerbe. Auch das Haus der Natur Salzburg (HdN) wurde ab 1939 als Abteilung des SS-Ahnenerbes geführt. Initiiert wurde diese Eingliederung durch den Gründer und damaligen Direktor des Hauses Eduard Paul Tratz.

Schon in den 1990er-Jahren begannen Forscher:innen die Rolle des beliebten Museums während der NS-Zeit zu hinterfragen. Der vorliegende Sammelband ist laut den Herausgebern Robert Hoffmann und Robert Lindner nun das Ergebnis einer 10-jährigen, intensiven Forschungsarbeit. Behandelt wird die Gründung und Entwicklung des 1924 eröffneten Hauses unter der Direktion des Gründers Eduard Paul Tratz. Der Prozess der Institutionalisierung wird dabei eng mit dessen Biografie verwoben. Tratz gründete als autodidaktischer Zoologe das HdN im Sinne der Museumsreformbewegung als vorrangig vermittlerische Schausammlung. Während die Zeit des Austrofaschismus nicht explizit behandelt wird, legt die Aufarbeitung notwendigerweise besonderes Augenmerk auf die nationalsozialistischen Verstrickungen des Museums. Tratz machte in diesen sieben Jahren auch außerhalb seiner Funktion als Museumsdirektor Karriere als SS-Obersturmbannführer, Gaujägermeister und Gaubeauftragter für Naturschutz.

Die Beiträge des im StudienVerlag erschienenen Sammelbands sind thematisch sortiert und in sich chronologisch aufgebaut. Zu Beginn gibt Susanne Köstering einen Überblick über die konzeptuellen und inhaltlichen Ansätze der Schausammlung von deren Gründung bis zum Ende der Direktion Tratz im Jahr 1976. Dabei wird deutlich, dass sich das HdN bei aller politischer und ideologischer Flexibilität stets innovativer und moderner Methoden der Wissensvermittlung bedient hat. Die Ansprüche, die Tratz an sein HdN stellte, sind zum Großteil bis heute angestrebte Standards und als fortschrittlich verstandene Herangehensweisen an die Museumsarbeit. Durch die thematische Breite, die niederschwellige Vermittlung von Inhalten und den Gegenwartsbezug seiner Ausstellungen war das Haus auch außerhalb des Bildungsbürgertums zugänglich und beliebt. Womöglich machte aber gerade diese Fortschrittlichkeit in der kuratorischen Praxis das Haus als Abteilung des SS-Ahnenerbes zu einem besonders effektiven Multiplikator der nationalsozialistischen Rassenideologie.

In weiteren Beiträgen folgen Robert Lindner, Robert Hoffmann und Alexander Pinwinkler den Fußspuren von Eduard Paul Tratz und erzählen dabei gleichzeitig dessen berufliche Biografie und die Institutionsgeschichte des Museums und seiner Vorgängerprojekte. In dieser detailreichen Darstellung charakterisieren die Autoren Tratz als talentierten Netzwerker, Selbstdarsteller und Kommunikator, dessen Karriere sich zurückführen lässt auf Ambition, Selbstsicherheit und erfolgreiches Lobbying – Strategien, durch die er nicht nur seine berufliche Karriere bestritten hat, sondern dank derer ihm auch ohne Studium ein Doktortitel verliehen und somit eine akademische Karriere ermöglicht wurde. Obwohl Tratz und das HdN vor und nach 1938 von Akteur:innen verschiedenster politischer Richtungen unterstützt worden waren, macht Hoffmanns Beitrag evident, dass sich Tratz nach dem „Anschluss“ proaktiv um eine Eingliederung seines Museums in die nationalsozialistischen Strukturen bemühte. Das Museum und sein Direktor stellten sich damit nicht nur in den Dienst verbrecherischer Scheinwissenschaften, sondern bereicherten die Museumsbestände durch geraubte Sammlungen von als jüdisch verfolgten Familien, Bestände enteigneter Kircheneinrichtungen und Sammelgut chauvinistischer Forschungsexpeditionen. Tratz beteiligte sich persönlich an Kulturgutraub aus dem heutigen Polen und der Ukraine – Raubgut, das zum Teil ebenfalls in die Sammlung des HdN eingegliedert wurde.

Beschrieben werden diese Vorgänge durch die biografische Erzählung in einem eingängigen und spannungsvollen Stil, der sich nicht in technische oder bürokratische Details verirrt. Eindrücklich dargestellt wird auch die Demontage des Interim-Direktors Maximilian Piperek, der zwischen 1945 und 1949 das Museum leitete. In gemeinsamer Anstrengung von Tratz, lokalen Politiker:innen und den Museumsangestellten wurde die Neueinstufung des ehemaligen SS-Sturmbannführers als minderbelastet und seine anschließende Wiederbestellung als Direktor vorangetrieben. Der Vorgang war symptomatisch für die nachlässige Entnazifizierung Österreichs, und seine Beschreibung löst Unbehagen aus, gerade weil anzunehmen ist, dass sich diese Vorgänge unzählige Male in ähnlicher Weise abgespielt haben. Wiederholt hinterfragt Hoffmann die Hintergründe der Nähe zwischen Tratz und der SS und stellt die These auf, Tratz hätte die politischen Strukturen für seine Zwecke instrumentalisiert (S. 352). Dabei unterscheidet der Autor zwischen ideologisch motivierten Überzeugungstäter:innen und Opportunist:innen (ab S. 518), zu denen er auch Tratz zählt. Unausgesprochen bleibt die Tatsache, dass auch opportunistisch motivierte Kollaborateur:innen klar als Täter:innen benannt werden müssen. Abgesehen davon kann im Fall Tratz das Verbrechen des Raubs von Kulturgütern aus den besetzten Gebieten wohl nachgewiesen werden.

Im darauffolgenden Kapitel beschreibt Alexander Pinwinkler im Zuge einer Institutionsgeschichte von 1949 bis zum Ende der Direktion Tratz 1976 auch die Würdigungen, die Tratz ab 1945 erfahren hat, und problematisiert dabei die nicht stattgefundene Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit des Direktors. Darauf folgt eine umfassende und transparente Aufschlüsselung der Sammlungen des HdN durch Robert Lindner. In dieser Aufschlüsselung wird nicht nur die Provenienz der Bestände kritisch hinterfragt und aufgearbeitet, sondern auch aktuell laufende Bemühungen um Rückstellung und Strategien für zukünftige Vorgehensweisen werden dargelegt. Höchst interessant kristallisiert sich in diesem Kapitel die Prozesshaftigkeit der Sammlungsarbeit heraus, die im Fall des HdN Salzburg durch die jahrzehntelang unklare Trennung der Museumsbestände von den Privatbeständen des Gründers und langjährigen Direktors Tratz erschwert wird. Den Schluss des Sammelbands gestaltete Sonja Frühwirth mit einer Darstellung persönlicher Aufzeichnungen von Paul Eduard Tratz, in denen sein Aufwachsen und seine privaten Familienverhältnisse in eigenen Worten umrissen werden.

Beim Lesen vermisst habe ich gendergerechte Sprache. Das Brechen nationalsozialistischer (z.B.: S. 79, S. 356, S. 364) und kolonialer (z.B.: S. 428) Terminologie könnte noch konsequenter sein, wobei der Umgang mit entsprechenden Konzepten gebührend reflektiert ist. Interessant wäre ein gezielter Blick auf andere Akteur:innen im Umfeld des Salzburger HdN. Die Museumsangestellten werden zwar wiederholt erwähnt, eine genauere Betrachtung ihrer Handlungsspielräume und ihres Einflusses auf den im Mittelpunkt stehenden Direktor findet aber nicht statt. Tratz’ Selbstinszenierung als „alleiniger Ideengeber, Sammler, Gestalter und Umsetzer“ (S. 328) wird sowohl kritisiert als auch reproduziert. Die umfangreiche Analyse der „Ära Tratz“ würde durch einen kritischen Blick auf die Grenzen seiner Schaffenskraft und Handlungsmöglichkeiten gewinnen. Offene Fragen bleiben zum Beispiel im Besonderen zu den weiblichen Akteur:innen, deren Rolle in dieser Publikation zwar erwähnt, aber nicht erörtert wird. Welchen Einfluss hatte die Baumeisterin des Museums auf dessen Gestaltung? Welche Rolle spielte Albertine Tratz, die wiederholt bei der Politik für ihren Ehemann intervenierte? Während verschiedene wissenschaftliche Mitarbeiter, Präparatoren und Maler von Dioramen vorgestellt werden, berichtet die Publikation kaum über die weiblichen Angestellten, ihre Verantwortlichkeiten und ggf. ideologisch-politischen Verstrickungen.

Dieser umfassende Sammelband führt mit einem kritischen Blick die Biografie von Tratz mit der museologischen Ausrichtung des HdN zusammen und kreiert so eine umfassende Analyse der Institutionsgeschichte bis 1976. Besonders fruchtbar ist deren Einbettung in einen internationalen Kontext und der Bezug zur Museumsreformbewegung, welche diese Publikation nicht auf die Darstellung eines einzelnen Fallbeispiels begrenzt. Durch die Jahrzehnte werden die Rahmenbedingungen des Museums reflektiert, von Wirtschaftskrisen, politischen Umbrüchen bis hin zur Stadtplanung Salzburgs, wodurch auch ein Stimmungsbild der österreichischen Kultur- und Wissenschaftsszene der ersten und zweiten Republik geschaffen wird. Über die wissenschaftliche Aufarbeitung der Museumsgeschichte hinaus geben die Beiträge auch Einblick in Themen der Museologie sowie in die Geschichte der Umweltbewegung und des Umweltschutzes in Österreich, in welcher Tratz ebenfalls eine Rolle spielte. Nicht zuletzt wird mit dieser Publikation ein Beitrag geleistet zur Aufarbeitung personeller und ideologischer Kontinuitäten des Nationalsozialismus in der österreichischen Museumslandschaft. In einer gelungenen Art und Weise kommunizieren die Beiträge komplexe Inhalte einfach und verständlich und machen das umfangreiche Werk zur kurzweiligen Lektüre.

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