Cover
Titel
Si vis pacem, para bellum. The Italian Response to International Insecurity 1830–1848


Autor(en)
Šedivý, Miroslav
Reihe
Internationale Geschichte (7)
Anzahl Seiten
346 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele B. Clemens, Lehrstuhel für Neuere Geschichte, Universität des Saarlandes

Der Autor liefert mit seinem Buch eine weitere Antwort auf die Frage, warum die Italiener 1861 für die Bildung eines Nationalstaats kämpften. Dabei möchte er den europäischen Kommunikationsraum einbeziehen und grenzt sich deutlich von kulturgeschichtlichen Interpretationen ab, die in den letzten 20 Jahren die italienische Forschung zum Risorgimento dominierten. Letztere gehen davon aus, dass es einen „Kanon“ von Leitbildern und Themen gegeben habe, der ein wirkmächtiges Nationalgefühl erzeugte. Als Quelle für solche Forschungen dienen gut rezipierte Literatur, Geschichtswerke und politischen Schriften der wichtigsten italienischen Intellektuellen, private Korrespondenzen, Memoiren, Bilder und Lieder. Šedivý reicht das nicht aus und er behauptet, dass seit 150 Jahren keiner wirklich erklären konnte, warum die Italiener den Nationalstaat wollten (S. 11). Seine Antwort lautet, weil die Italiener dem auf dem Wiener Kongress geschaffenen nachnapoleonischen Staatensystems nicht mehr trauten und den europäischen Großmächten außenpolitischen Machtmissbrauch vorwarfen, sei es die logische Konsequenz gewesen, ein geeintes und stärkeres Italien zu schaffen. Allein ein Nationalstaat sei in der Lage, die Italiener wirksam zu schützen. Belegen möchte er diese These aus einer europäischen Perspektive mit politik- und sozialgeschichtlichen Ansätzen. Wichtig ist es für ihn auch, die „popular response“ auf internationale Krisen zu analysieren. Methodisch beruft er sich dabei auf James M. Brophys Arbeiten zur Populärkultur im Rheinland, der in seiner grundlegenden Studie das Leseverhalten, Lieder, den öffentlichen Raum, den Karneval, Aufstände und religiöse Diskussionen einer breiten Öffentlichkeit untersucht.1 Den gewählten chronologischen Rahmen begründet der Autor damit, dass es vor 1830 keine Kritik an der internationalen Politik gegeben habe (S. 15), was schon sehr erstaunt, da die Revolten und Revolutionen in Neapel, Turin und Madrid 1820–1823 mit Hilfe österreichischer und französischer Truppen niedergeschlagen wurden. Die als historische Meilensteine eingestuften Ereignisse wie die 1848er-Revolution, der Krimkrieg und die Nationalstaatseinigungen in Italien und Deutschland seien „more artificial than real and they are often presented in a way that contributes to the lingering dichotomous evalutation of the history of international relations from 1815 to 1914“ (S. 18). Und genau das möchte er mit seinem Buch widerlegen. Als Quellen benutzt er vor allem die diplomatische Korrespondenz, Publizistik sowie Egodokumente des Adels und der Bourgeoisie. Eine Wirkung dieses Schriftguts auf breitere Volksschichten kann man wahrscheinlich machen, aber sie ist mit diesem Material nicht zu belegen. Nach der mit 40 Seiten überdimensionierten Einleitung bietet er zunächst ein Überblickskapitel zur internationalen Staatenwelt (1830–1849). Es folgen Kapitel zu Diskursen der Regierungseliten und öffentlichen Diskussionen zu europäischen Krisen. Allen voran die französische Besetzung Anconas (1832–1838), die geostrategische Machtpolitik Großbritanniens im sogenannten Schwefelkrieg auf Sizilien, in dem die Briten ihr Monopol des Schwefelausfuhrs gegenüber den König in Neapel und der französischen Konkurrenz durchsetzten, die Rheinkrise 1840, die Besetzung Krakaus durch Österreich sowie der Handelskrieg zwischen Turin und Wien wegen Wein- und Salz-Exporten 1846 hätten dazu beigetragen, dass sich die Italiener bedroht gefühlt hätten und glaubten, dass nur ein geeintes Italien in der Lage sei, den Wohlstand und die Sicherheit der Italiener zu garantieren.

Die Menge des herangezogenen Materials ist wirklich beeindruckend, aber partiell auch verwirrend. Wenn mit zeitgenössischer Korrespondenz breit belegt wird, dass die Regierungen in Rom und Turin befürchten, dass die Franzosen für immer in Ancona bleiben würden, werden rund zwanzig Briefbelege aus europäischen Archiven angegeben. Politisch oder gesellschaftlich einordnen lassen sich die Zitierten aber nicht (etwa: Barante zu Périer, Latour-Maubourg zu Sébastiani, Gizzi zu Bernetti usw., S. 83). Es wird sich um Diplomaten handeln. Im Index werden diese Personen nicht aufgeführt. Und derartige Fußnoten finden sich immer wieder, sie bezeugen einen enormen Forscherfleiß, lassen den Leser aber etwas ratlos zurück. Oder wenn seitenweise aus einem Artikel von Giacomo Sega in der Rivista europea zitiert wird (S. 110–111) und man über diesen Autor mit den üblichen Hilfsmitteln nur findet, dass er Professor war, dann fragt man sich: Wo steht dieser Gewährsmann im politischen Feld? Bei den ausführlicher zitierten Autoren hätte man gerne mehr gewusst, um ihre Schriften besser zuordnen zu können. Klar ist die politische Standortbestimmung der im dritten Kapitel angeführten Moderaten, die in erster Linie die Interessen des Königreichs Sardinien-Piemont vertreten. Analysiert werden hier abermals jene Klassiker von Spitzenpolitikern und Militärs, die schon hunderte Male interpretiert wurden: Vincenzo Giobertis Del primato morale e civile degli Italiani (1843), Cesare Balbos, Delle Speranze d’Italia (1844), Giacomo Durandos Della nationalità italiana (1846) und Massimo d’Azeglios Reisebericht Degli ultimi casi di Romagna (1846) sowie dessen Memoiren, in denen sich der Graf aber weder zum Schwefelkrieg noch zur Rheinkrise äußert. Auch dieses Schriftgut wird nach Äußerungen durchforstet, die Hinweise auf internationale Bedrohungsszenarien und Rufen nach nationaler Stärke geben.

In seinem Fazit fasst Šedivý seine Ergebnisse konzise zusammen. Er konstatiert für die Italiener nach 1830 ein abnehmendes Vertrauen in die Gerechtigkeit der internationalen Politik. Zunächst ließe sich dies für die regierende Klasse, allen voran die Konservativen, dann aber auch für jene nachweisen, die mit dem Liberalismus sympathisierten. Nach 1840 könne man dieses Misstrauen auch bei dem breiteren Publikum beobachten, wobei es hier bei Mutmaßungen bleibt, mit den benutzen Quellen ist es nicht zu belegen. Den großen Mächten wird Arroganz und Tyrannei vorgeworfen und ein sich selbst bedienendes und Recht brechendes Verhalten. Wenn es nach 1815 die Hoffnung auf eine gerechtere und friedliche Welt gegeben habe, so schwand diese Hoffnung nach 1830 und erst recht nach 1840. Die Italiener sorgten sich um ihre Sicherheit und deshalb sei der Wunsch nach Einheit umso stärker gewesen. Die Idee der nationalen Selbständigkeit als eine Art Sicherungsmaßnahme sei gewiss nicht neu gewesen, seit die Deutschen dieses Konzept während der napoleonischen Kriege benutzt hätten, um den König und sein Volk gegen einen gemeinsamen Feind zu einen. Hier wird also der mittlerweile entzauberte Mythos vom Befreiungskrieg abermals beschworen.2 Der Autor hat eine gründliche, gut lesbare politikgeschichtliche Interpretation der Sicht der Eliten auf die außenpolitischen Prozesse in Europa 1830–1848 vorgelegt, aber als die Antwort auf die Frage nach den Gründen für den italienischen Nationsbildungsprozess überzeugt dies nicht. Seine Monographie bietet jedoch einen weiteren soliden Baustein zur Beantwortung dieser Frage.

Anmerkungen:
1 James M. Brophy, Popular Culture and the Public Sphere in the Rhineland 1800–1850, Cambridge 2007.
2 Hierzu grundlegend: Ute Planert, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag – Wahrnehmung – Deutung 1791–1820, Paderborn 2007.

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