Titel
'Race' and Sport. Critical Race Theory


Autor(en)
Hylton, Kevin
Erschienen
London 2009: Routledge
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 27,98
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Orban, Universität Erfurt

Eine der bekanntesten Fotografien der Geschichte des internationalen Fußballs ziert den Buchdeckel von Kevin Hyltons programmatischer Publikation ‘Race’ and Sport: Critical Race Theory. Sie zeigt den englischen Abwehrspieler Bobby Moore und seinen Kontrahenten, den brasilianischen Vorzeigestürmer Pelé, die sich nach dem Schlusspfiff des Weltmeisterschaftsvorrundenspiels 1970 in Mexiko in die Arme schlossen. Beide Akteure trugen ihre Oberkörper anlässlich des rituellen, freundschaftlich-respektvollen Trikottausches entblößt; sie lächelten und signalisierten ihre wechselseitige Anerkennung. Kontrastierend wirken hingegen ihre Körper, ihre äußere Erscheinung: Blondhaarig und mit sehr blassem Teint, war Moore etwas größer, hager und erscheint weniger athletisch als sein muskulär-kompakter afrobrasilianischer Gegenüber – als der aus der sportiven Begegnung siegreich hervorgegangene Edson Arantes do Nascimento. 1

Hylton, ein afrokaribisch-britischer, sozial engagierter Sport-Spezialist, hat jenes ambigue Bild gewiss mit Bedacht ausgewählt. Denn es lässt divergente Lesarten zu, die er in seiner schmalen, aber gleichwohl theoretisch wie empirisch gehaltvollen Studie kritisch diskutiert und herausfordert. Etwa handelt es sich um ein binäres Bild: Schwarz und/gegen Weiß, das insofern mitunter die benannten wie altbekannten, dichotomen und statischen Kategorien zu Ungunsten diverser, dynamischer Identitäten reproduziert und implizit damit verkoppelte Stereotype bestärkt. Daran anschließend kann es zugleich dazu dienen, die Rassismen, mit denen sich sowohl Pelé während seiner langen Profikarriere, als auch generell die multiethnische „Selecao“ und fernerhin als Schwarz designierte AthletInnen faktisch konfrontiert sahen, zu bemänteln und/oder zu negieren. Im Umkehrschluss darf das Titelfoto ebenso als erinnerungspolitischer, warnender Fingerzeig gedeutet werden, eben dies nicht zu vergessen, sondern vielmehr im Sport und darüber hinaus nach wie vor florierende, rassifizierte Diskurse und Praktiken offen zu legen, zu problematisieren und sie möglichst zu transformieren. Überdies vermag diese Szene, entgegen inflationär gebrauchter, populistischer Bekundungen, die nicht zu vernachlässigende positive soziale Kraft der Sportarena episodisch aufzuwerfen.

Wie die skizzierten (Be-)Deutungen bereits nahe legen, bietet Sport eine öffentlich präsente Arena, die als umkämpftes Terrain gedacht werden sollte, wo Rassismus und Antirassismus auf facettenreiche und komplexe Weisen operieren. ‘Race’ and Sport, das sich als Einführungswerk sowohl an Sport-NovizInnen richtet, als auch hilfreiche Anregungen für Sport-SpezialistInnen zu geben vermag, ist demnach erfreulicherweise vor allem ein dezidiert politisches Buch. Nicht zuletzt vergegenwärtigt Hylton dies im Untertitel seiner Studie, die insbesondere an die jüngere sozial- und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Forschung anknüpft. Denn die getitelte Critical Race Theory, ein zunehmend transnationales, transdisziplinäres Analysewerkzeug, um rassifizierten Ungleichheiten in Gesellschaften nachzuspüren, sie widerständig aufzubrechen und progressiv umzugestalten, versteht sich folgerichtig als ein eminent wichtiges gesellschaftspolitisches Großprojekt. Somit zielt Hyltons kritischer Beitrag darauf ab, jenen vielschichtigen theoretischen Entwurf als Brennglas nutzbar zu machen, um im Hinblick auf den Sport, polymorphe, mit anderen Formen der Unterdrückung und Subordination verkoppelte rassifizierte Dynamiken problem- und lösungsorientiert aufzuzeigen. Im Zuge dessen ruht ein Hauptaugenmerk eigens auf sozialen Missständen und institutionalisierten Vorurteilen innerhalb und auch außerhalb des hier privilegierten, aber keineswegs isoliert betrachteten gesellschaftlichen Teilbereichs. Dabei werden unter anderem die Rollen von Institutionen, die Erfahrungen der Betroffenen, die marginalisierten Stimmen sowie die Identitäten der Forschenden in die vielschichtige Untersuchung einbezogen.

Gegliedert ist die Betrachtung in sechs jeweils annähernd zwanzig Seiten umfassende Kapitel. Prinzipiell bestechen sie durch ihre Eigenständigkeit; jedoch sind sie allesamt der Agenda der „Critical Race Theory“ verpflichtet und bedienen sich ihr konsequenterweise als Analyseinstrument. Ausgehend von einem grundlegenden, reflektierten und auf den Sport-Kontext zugeschnittenen Überblick über zentrale Konzepte, wie „Race“, Rassifizierung und Ethnizität, sowie über die damit einhergehenden konzeptuellen Debatten präsentiert Hylton sodann den Entwurf der „Critical Race Theory“, den er detailliert auffächert und der für die nachfolgenden vier Kapitel als analytisches Leitmotiv fungiert. In jenen Abschnitten diskutiert er ausgewählte Themenfelder: die Forschungspraxis im Spannungsfeld von „Race“ und Sport; die Verzahnung von „Whiteness“ und Sport; die Beziehung von „Race“, Sport und Medien; und abschließend die Kompatibilität von antirassistischem Kampf und Sport. Unter dem Rubrum ‘Race’ and Sport bringen diese Teilaspekte durchaus ein multidimensionales Gesamtbild hervor, das zugleich gut lesbar die Zweckdienlichkeit der „Critical Race Theory“ verdeutlicht und nachhaltig die Dringlichkeit der handlungsleitenden Theoretisierung von Sport und sozialer Ungleichheit herausstellt.

Neben gewichtigen, stets empirisch untermauerten Ausführungen, die beispielsweise zur Erhellung der zumeist ausgeblendeten institutionalisierten „Whiteness“ beitragen und dabei die Rolle rassifizierender Mediendiskurse kritisch in den Blick nehmen, scheint besonders das „Researching ‘Race’ and Sport“ betitelte Kapitel einen erweiterten positiven Kommentar zu gebieten. Denn in Ergänzung zu den benannten, für Sport-Spezialisten (alt-)bekannten Problematiken, offeriert dieser Abschnitt einen anregenden Praxisbezug, der zudem durch seine an Cornel Wests und bell hooks’ Breaking Bread (1991) orientierte dialogische Form zu gefallen weiß. So „konversiert“ Hylton mit drei erfahrenen ForscherInnen, die sich mit einer angeeigneten „critical ‘race’ consciousness“ (S. 42) eingehend mit „Race“ und Rassismus im Sport auseinandergesetzt haben, um auf diese Weise mit der „research community“ (S. 42) virtuell in Kontakt zu treten und dynamisch Ideen auszutauschen. Allgemein gesprochen werden hierbei politische, theoretische, konzeptuelle und praktische Erwägungen und Zwänge erörtert, die sich in der alltäglichen Forschungspraxis für ForscherInnen, zumal mit verschiedenen Biografien und Subjektpositionen, ergeben können. In diesem Kontext sind speziell die Impulse gebenden (Selbst-)Reflexionen zur Einbeziehung und Positionierung der multiplen Identitäten der forschenden AkteurInnen – als zu problematisierende, effektvolle Komponenten und Werkzeuge im Forschungsprozess – bejahend hervorzuheben. Überdies darf der damit verwobenen Diskussion der Praktiken der Benennung und Bewertung beziehungsweise des „(Counter-)Storytelling“ als potenziellem sozialem Aktivismus ein vergleichsweise progressiver Charakter attestiert werden. Kurz gesagt, vermittels der gewählten Dialogstruktur generiert Hylton, gerade für Forschungsneulinge, einen hilfreichen Einblick in die vielförmigen, auf einem umkämpften Feld ausgetragenen Politiken des Erforschens von „Race“ und Sport.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Hyltons Studie, ungeachtet ihres augenscheinlich geringen Seitenumfangs, viele Aspekte nicht nur anzureißen und einen guten ersten Überblick zu gewähren vermag, sondern gleichermaßen auch als eine vertiefende Einführung in verschiedene Forschungsperspektiven und -debatten gelesen werden kann. Abgesehen davon bietet diese Arbeit aufgrund der breit gefächerten Analyse ihres Untersuchungsgegenstandes vielfältige Anknüpfungspunkte an Themenkomplexe, die nicht zwangsweise etwas mit Sport zu tun haben müssen. Daher ist ‘Race’ and Sport für ein breites Publikum, das sich zeitgemäßer (de-)konstruktivistischer Theorie und Praxis gegenüber aufgeschlossen zeigt, von Interesse. Im Besonderen sollten sich deutschsprachige (Sport-)Geschichtsschreibende, die den Nexus „Race“ und Sport bisher zumeist nur am Rande zum Thema gemacht haben, von diesem Buch angesprochen fühlen, das die nicht zu vernachlässigenden Relationen zwischen Gesellschafsformationen und dem wirkmächtigen Sportterrain pointiert. Daneben liegt eine weitere Stärke von Hyltons überzeugender Betrachtung vor allem aber darin begründet, dass sie Forschung nicht als „‘just research’“ (S. 52) begreift, sondern als eine politisch bedeutsame Form sozialer Praxis, in welche die Forschenden auf mannigfaltige Art und Weise eingebunden sind. Wie im Falle der besprochenen, guten und empfehlenswerten Lektüre, kann dies zumindest dazu beitragen, zu veranschaulichen, „that ‘race’ and sport matters“.

Anmerkung:
1 Die „Selecao“, die überragende Mannschaft des Turniers, gewann die richtungweisende Partie gegen den amtierenden Weltmeister mit 1:0 Toren. Im überlegen geführten Endspiel bezwang die Elf um Pelé dann die italienische Fußballnationalmannschaft mit 4:1 Toren und sicherte dadurch, nach 1958 und 1962, den dritten Titelgewinn für Brasilien.

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