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Titel
Agenturen der Politik. Deutsche Verlage im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Petzinna, Berthold
Reihe
Leipziger Arbeiten zur Verlagsgeschichte
Erschienen
Stuttgart 2022: Hauswedell Verlag
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konstantin Götschel, München

Die Buchhandelshistoriographie ist ein etabliertes, wenngleich kleines Feld der Geschichtsschreibung. Insbesondere Verlage und die sie prägenden Figuren standen und stehen in ihrem Fokus. Denn wegen der doppelten Rolle von Verlagen als Intermediären und Mediatoren zwischen Öffentlichkeit und Intellektuellen spiegeln sich im verlegerischen Wirken einerseits gesellschaftliche Rahmenbedingungen, andererseits dienen Verlage als Forum für Aushandlungsprozesse über diese Bedingungen. Verlage sind also immer auch politische Akteure, mindestens insoweit, als sie politisch, ökonomisch, rechtlich definierten Vorgaben unterliegen und sich diesen gegenüber verhalten müssen; gerade im Deutschland des 20. Jahrhunderts aber zudem als Institutionen mit eigener politischer Agency. Das macht Verlage zu einem lohnenden Untersuchungsfeld für gesellschaftliche Umbruchsituationen und Entwicklungslinien der Zeitgeschichte, und sie waren deshalb in den letzten Jahren Gegenstand wegweisender Beiträge zur Intellectual History Deutschlands im 20. Jahrhundert.1 In den Werte- und Orientierungsdebatten der deutschen Nachkriegsgesellschaften nahmen Buchverlage als Institutionen der Artikulation politischer Theoreme und Weltsichten eine wichtige Rolle ein.

Berthold Petzinna legt mit „Agenturen der Politik. Deutsche Verlage im 20. Jahrhundert“ einen Band vor, der sich in das breite Panorama von Studien zu einzelnen Verlagen und deren Bezogenheiten auf gesellschaftliche Subsysteme fügt. Hier versammelt Petzinna, der sich vor allem mit Arbeiten zur deutschen Mediengeschichte profiliert hat und emeritierter Professor im Fachbereich Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien der Hochschule Magdeburg-Stendal ist, zwölf Aufsätze über Verlage, Publikationen und Medienpolitiken in Deutschland. Die Beiträge widmen sich Unternehmen sehr verschiedener Couleur und einem Zeitraum, der vom Nationalsozialismus über die unmittelbare Nachkriegszeit und „1968“ bis in die 1980er-Jahre reicht. Der kürzeste Text umfasst gerade einmal 7 Seiten, der längste über 120 (zu Georg von Holtzbrincks Bedeutung für die Zeitung „Christ und Welt“). Lediglich bei zwei Aufsätzen handelt es sich um Originalbeiträge, zehn wurden zwischen 2010 und 2021 bereits andernorts veröffentlicht. Nur auf die ersteren soll im Folgenden näher eingegangen werden; an ihnen lassen sich bestimmte Stärken und Schwächen des ganzen Buches exemplarisch zeigen. Petzinna hat diese beiden Texte und noch drei weitere im Band gemeinsam mit Thomas Gepp verfasst, der allerdings auf dem Umschlag und auch in Petzinnas Vorwort nicht genannt ist.

Unter dem Titel „Rechte Verlage in der frühen Bundesrepublik. Subkulturelle Netzwerkbildung nach der ,Stunde Null‘ und versuchte Neujustierung im Schatten von ,68‘“ nehmen sich Gepp und Petzinna mehrerer Verlage an, die sich nach 1945 um die Verbreitung revisionistischer Thesen bemühten. Die Autoren konstatieren, man könne vom Kriegsende als einer „Stunde Null“ des Verlagswesens sprechen (S. 127), wodurch die zahlreichen personellen, programmatischen, politischen und institutionellen Kontinuitäten erst verdunkelt werden, nur um sie sogleich am Beispiel Jürgen Thorwalds und seiner in „Christ und Welt“ publizierten Serie über den Zweiten Weltkrieg selbst zu benennen. Als die Zensurpraxis zunächst gelockert und schließlich ganz aufgehoben wurde, weitete sich der Raum für nationalistische Strömungen, die an verbreitete Ressentiments der Bevölkerung gegenüber Entnazifizierung und Parteiendemokratie anknüpfen konnten. So wurden nach Auslaufen des Lizenzzwangs etliche rechtsextreme Verlage gegründet, von denen die Autoren auf vier genauer eingehen: Druffel, Plesse, Klosterhaus und Grabert. Gemeinsam waren diesen Verlagen unter anderem Programme, die sich besonders gegen die Delegitimierung nationalsozialistischer Eliten stemmten: der politischen Akteure bei Druffel, der ehemaligen SS-Angehörigen bei Plesse oder der Hochschullehrer bei Grabert. In den 1960er- und 1970er-Jahren wich diese primär vergangenheitspolitische Orientierung dem Kampf gegen die Liberalisierung der westlichen Gesellschaften.

Bestechend ist die These, dass diese Programmatik über eine bloß politische Absicht hinausreichte: Das Aufbäumen gegen die „soziale Deklassierung“ (S. 133), gegen erfahrene Statusverluste nach 1945 begreifen Gepp und Petzinna als wesentlichen Aspekt und gemeinsames Charakteristikum der Arbeit revisionistischer Verlage beziehungsweise Verleger und ihrer Autoren. Gerade anhand der Programme der frühen Nachkriegsjahre wird zudem deutlich, dass die politische Agency der Verlage nicht losgelöst von ihren wirtschaftlichen Zielen betrachtet werden kann. Die Autoren betonen mit Recht, dass die sich organisierenden Kriegsheimkehrer, ehemaligen Wehrmachtssoldaten und früheren Waffen-SS-Angehörigen „buchhändlerisch auch als Zielgruppe anzusehen“ gewesen seien (S. 131). Unklar bleibt allerdings, warum Statusanliegen und ökonomische Ziele zum einen als mehr oder minder deckungsgleich bezeichnet, zum anderen als die Arbeit der Verlage nur „mitunter“ beeinflussende Faktoren dargestellt werden (vgl. S. 132f.). Schließlich darf man annehmen, dass ökonomische Überlegungen in aller Regel zentral waren – auch Tendenzverlage waren und sind nicht bloße „Agenturen der Politik“, sondern in erster Linie Wirtschaftsunternehmen, sofern sie kein mäzenatisches Fundament haben.

Im Vorwort des Bandes heißt es: „Die betriebswirtschaftliche Seite des Verlagsgeschäfts wird […] nur soweit berücksichtigt, wie sie für die inhaltliche Entwicklung der Unternehmen von Belang war.“ (S. 8) Interne Perspektiven auf ökonomische und politische Ziele und Zielkonflikte bleiben somit leider im Dunkeln, ebenso die Frage nach der Rezeption und Resonanz revisionistischer Theoreme jenseits einer radikalen Rechten, deren Randständigkeit nach der Zerschlagung des Naumann-Kreises, dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) oder den Messeverboten für Druffel und Plesse bald deutlich wurde. Interessanter als Schlaglichter auf Programme solcher marginalisierten Verlage wäre es beispielsweise, der Frage nachzugehen, warum etwa Hans Grimm, Grandseigneur des Klosterhaus-Verlags, auch in Mainstream-Verlagen ein noch längere Zeit wohlgelittener Autor war, der beispielsweise von Bertelsmann hofiert wurde.2 Dass derlei Dimensionen nicht recht greifbar werden, liegt vor allem daran, dass Petzinna und Gepp die umfangreichen Archivquellen zu den untersuchten Verlagen leider ebenso wenig zur Kenntnis nehmen wie die jüngere Literatur zum Thema.3

Der zweite Originalbeitrag wendet sich einem weltanschaulich ganz anders ausgerichteten Haus zu: „Der Syndikat-Verlag. Ein Rettungsboot der 68er-Linken in der Krise?“. Auch dieser Aufsatz kommt gänzlich ohne Archivquellen aus. Gepp und Petzinna untersuchen hier, inwieweit die Syndikat-Gründung durch die beiden ehemaligen Suhrkamp-Lektoren Karl Markus Michel und Axel Rütters (1976) als Versuch gesehen werden kann, die programmatischen und organisationellen Ansätze der „68er“ über das Abflauen der Konjunktur ihrer theoretischen Betrachtungen und institutionellen Ausformungen in den 1970er- und 1980er-Jahren sowie über die Entpolitisierung von Verlagen wie Luchterhand oder eben Suhrkamp hinaus zu bewahren und neue Themenfelder für eine linke Bücherproduktion und -rezeption zu erschließen.

Am Beispiel des Syndikat-Verlags machen Gepp und Petzinna deutlich, wie sich der Fokus der bundesrepublikanischen Linken in den Dekaden nach 1968 verschoben und geweitet hat. Bei Syndikat schlug sich dies in einer prominenten Rolle von kunstwissenschaftlichen und ethnologischen Programmsegmenten nieder, die im antikolonialen und antirassistischen Diskurs nicht nur eine kritische Perspektive auf die Politik des Westens einnahmen und der „Dritte-Welt“-Bewegung Anknüpfungspunkte boten, sondern über ethnopoetologische und ethnopsychoanalytische Zugänge auch die Brücke zu Antirationalismus und Esoterik schlugen. Gepp und Petzinna fassen die Stoßrichtung dieser unterschiedlichen Programmkomponenten unter dem Rubrum einer grundsätzlichen Wissenschaftskritik zusammen, die mit einer weiteren Perspektive auf den Primat der Kritischen Theorie folgte. Sie verknüpfen diese Auseinandersetzung über das „europäische Wissenschaftsmodell“ mit aktuellen Diskussionen, wenn sie den Beitrag mit der Frage beschließen, ob die derzeitige radikale Kritik am Eurozentrismus und die aus ihr gespeiste Identitätspolitik der Linken Möglichkeitsräume öffnen könne oder aber zu ihrer Selbstauflösung führen werde.

Insofern bietet der Aufsatz einen klugen Überblick zu einigen Themen und Theoremen einer heterogenen bundesrepublikanischen Linken vor dem Hintergrund des Krisenbewusstseins der 1970er- und 1980er-Jahre. Eine Annäherung an die Agency der Verlagsakteure erfolgt allerdings wiederum nur über die publizierten Titel beziehungsweise über die öffentlichen Verlautbarungen der Verleger. Auch die Rezeption und der Einfluss des Programms bleiben weitgehend im Dunklen, abgesehen vom knappen Hinweis, dass der „guten, weil profilierten und sichtbaren Position des Verlags in den intellektuellen Debatten der Nach-68er-Intellektuellen […] keine ähnlich gesicherte ökonomische Stellung“ entsprach (S. 420).

Derartige Kritikpunkte gelten für den Großteil der Beiträge des Bandes: Im Vordergrund steht häufig der verlegerische Output vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen, illustriert an einzelnen Titeln und ihren zentralen Thesen, der Selbstdarstellung und der Fremdwahrnehmung etwa durch die zeitgenössischen Medien. Die Rezeption und Relevanz der Titel über das jeweilige Milieu hinaus werden zu wenig deutlich. Die internen, nichtöffentlichen Aushandlungs- und Abwägungsprozesse, die für ein plastisches Bild der Bedingungen, Wirkungsabsichten und Wirkungsmöglichkeiten (politischen) verlegerischen Handelns gerade wichtig wären, werden meist gar nicht untersucht. Obwohl einige Topoi über die verschiedenen Beiträge hinweg immer wieder auftauchen – so betont Petzinna mehrfach die Sozialisation von prägenden Köpfen der Verlagsszene nach 1945 in der Jugendbewegung der Weimarer Jahre –, fehlt ein analytischer Rahmen, der über die einzelnen Untersuchungen hinaus fruchtbar sein könnte.

Gleichwohl wirft der Band zahlreiche erhellende Schlaglichter auf das Publikationswesen in West- und Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere die deutsch-deutschen Aspekte des Themas bieten Anknüpfungspunkte auch jenseits der Verlagsgeschichtsschreibung. Dies macht das Buch zu einer gewinnbringenden Lektüre, selbst wenn der Neuigkeitswert und die analytische Schärfe insgesamt überschaubar bleiben.

Anmerkungen:
1 Etwa Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried, Göttingen 2020; Alexander Gallus / Sebastian Liebold / Frank Schale (Hrsg.), Vermessungen einer Intellectual History der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2020; Stephan Füssel (Hrsg.), Die Politisierung des Buchmarkts. 1968 als Branchenereignis, Wiesbaden 2007; Anke Jaspers, Suhrkamp und DDR. Literaturhistorische, praxeologische und werktheoretische Perspektiven auf ein Verlagsarchiv, Berlin 2022, https://doi.org/10.1515/9783110742756 (25.02.2023).
2 Vgl. Saul Friedländer u.a., Bertelsmann im Dritten Reich, München 2002, S. 522ff.
3 Hier seien wiederum die „Medien-Intellektuellen“ Axel Schildts genannt; des weiteren Olaf Blaschke, Verleger machen Geschichte. Buchhandel und Historiker seit 1945 im deutsch-britischen Vergleich, Göttingen 2010; sowie, horribile dictu, ein Buch des Rezensenten: Konstantin Götschel, Katalysatoren der Kulturkritik? Konservative Verlage im Westdeutschland der Nachkriegszeit. Die DVA als Beispiel, Berlin 2021. Eine umfassende Überlieferung zu Hans und Holle Grimm sowie zum Klosterhaus-Verlag findet sich etwa im Deutschen Literaturarchiv Marbach; Akten zum Plesse-Verlag gibt es im Bundesarchiv Koblenz.