Was überlegen sich Forschende eigentlich, wenn sie über eine experimentelle Methode reflektieren? Welche Faktoren bestimmen diese Reflexionen, was gilt jeweils als gute Methode? Und wie werden diese Überlegungen kommuniziert? Mit „About Method“ legt Jutta Schickore, associate professor am Department of History and Philosophy of Science der Indiana University Bloomington, eine historische Studie vor, in der sie anhand der wissenschaftlichen Erforschung von Schlangengift untersucht, was für die Forschenden als gute experimentelle Praxis galt. Dieser Fokus auf normative Diskurse über Experimente scheint angesichts der Beschäftigung mit experimentellen Praktiken, Instrumenten und Materialien in der Wissenschaftsgeschichte und -philosophie seit den 1980er-Jahren zunächst als gewagt, quasi als eine Rückkehr in die früheren Jahrzehnte einer konzept- und ideenlastigen Wissenschaftsgeschichte. Schickore macht aber schnell klar, dass es ihr um etwas anderes geht: Historisch soll untersucht werden, was jeweils als angemessene und gute Experimentierpraxis angesehen und wie darüber geschrieben wurde. Die historische und philosophische Untersuchung der Reflexion experimentellen Handelns ist nämlich kein Rückschritt in eine wissenschaftshistorische Ideengeschichte, sondern vielmehr die radikale Umsetzung eines praxisorientierten Vorgehens in der Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte. Methodendiskurse, wie Schickore diese Reflexionen nennt, seien als Praktiken ebenso Teil eines experimentellen Zusammenhangs wie Techniken, Instrumente und Forschungsobjekte.
Schickore wählt für die Exemplifizierung ihres Ansatzes die Geschichte der Erforschung von Schlangengift. Sie beginnt ihre Darstellung mit dem Aufkommen eines akademischen Diskurses über groß angelegte Schlangengiftexperimente ab den 1660er-Jahren und endet mit der Einführung von Analysetechnologien wie der Ultrazentrifuge oder der Elektrophorese in den 1920er- und 1930er-Jahren. Die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes begründet sie damit, dass erstens die Publikationen über Schlangengift ausführliche und detailreiche Berichte über die jeweiligen experimentellen Praktiken aufweisen. Zweitens seien die mehr als zweihundertfünfzig Jahre umspannenden wissenschaftlichen Debatten über Schlangengift bis ins frühe 20. Jahrhundert von einem starken Traditions- und Kohäsionsbewusstsein geprägt gewesen. Drittens berührten diese oft interdisziplinären Experimente während des gesamten Untersuchungszeitraums viele verschiedene lebenswissenschaftliche Forschungsbereiche und erlauben darum eine Perspektive auf die Geschichte der Lebenswissenschaften als solche. Viertens sei die Forschergemeinschaft bis ins späte 19. Jahrhundert noch relativ überschaubar gewesen.
Die Kapitel folgen chronologisch den namhaftesten „Forscher-Autoren“ (es sind nur Männer), wie Schickore ihre Akteure nennt. Im ersten Kapitel wird anhand dreier wichtiger Wissenschaftsgemeinschaften des 18. Jahrhunderts – die Florentinische Accademia del Cimento, die Royal Society of London, und die Pariser Académie des Sciences – ausgeführt, aus welchen Elementen die Methodendiskurse bestehen: Formen der Aufzeichnung („protocols“), Kriterien für die erfolgreiche Durchführung eines Experiments und rhetorische Bekenntnisse zum Experimentalismus. Diese dienen Schickore der Analyse von einzelnen Methodendiskursen über drei Jahrhunderte hinweg.
Im zweiten und dritten Kapitel wird dann die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die letale Wirkung von Schlangengift zwischen dem Italiener Francesco Redi und dem Franzosen Moyse Charas im 17. Jahrhundert untersucht. Zwar bekannten sich beide explizit zum Experimentalismus, doch ihre Methoden und die Erklärungen des Wirkprinzips von Schlangengift differierten grundsätzlich. Das vierte Kapitel behandelt den Engländer Richard Mead, der sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss Newtons an einer mechanistischen Erklärung der Wirkung von Schlangengiften versuchte. Im fünften und sechsten Kapitel wird die Reaktion des Italieners Felice Fontana auf Redi, Charas und Mead in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts untersucht. Redi und Charas bemühten sich, den kontingenten Einflussfaktoren, die während des Experimentierens auftraten, durch unzählige Wiederholungen der Versuche beizukommen. Im Gegensatz dazu versuchte Fontana gezielt, unvorhergesehene Ereignisse systematisch durch weitere Untersuchungen unter Kontrolle zu bringen. Kapitel sieben und acht untersuchen den Engländer Silas Weir Mitchell im 19. Jahrhundert und diskutieren die Einflüsse wichtiger wissenschaftstheoretischer Arbeiten von John Stuart Mill, Claude Bernard und Auguste Comte auf die experimentelle Praxis. Kapitel neun und zehn behandeln schließlich Methodendiskurse über Experimente mit Schlangengift im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert im Rahmen einer zunehmenden Internationalisierung und Spezialisierung der Forschung.
Schickore distanziert sich mit dieser Studie von einer Interpretation der Methodendiskurse in der Wissenschaftssoziologie, in der historische methodologische Aussagen hauptsächlich auf soziale Faktoren (auf „persuasion and positioning“, S. 6) zurückgeführt werden.1 Zwar spielen soziale, kulturelle und politische Faktoren auch in Methodendiskursen eine wichtige Rolle, mindestens ebenso ergiebig ist aber gemäß Schickore die Stimme der Forschenden selbst. Schickore mahnt, Methodendiskurse nicht vorschnell zu vernachlässigen, und führt vor, was mit dieser Kategorie analytisch geleistet werden kann. Auf diese Weise fügt sich „About Method“ in eine vielgestaltige und umfangreiche Forschungsliteratur ein, die sich mit den epistemologischen Kriterien und Strategien experimentellen Handelns und Kommunizierens beschäftigt. Diese ergänzend stellt Schickore die persönlichen methodologischen Reflexionen der Forschenden in den Fokus und zeigt, dass sich so unausgesprochene Vorannahmen und Strategien in verschiedenen Disziplinen aufdecken lassen; im Fall der Schlangengift-Experimente etwa größere lebenswissenschaftliche Diskurse über das Leben, über Körper und Körperfunktionen. Methodendiskurse individueller Forschender weisen außerdem verschiedene Zeitschichten auf, wobei sie oft eine längere Lebensdauer aufweisen als die tatsächlichen Methoden, Instrumente und Techniken. Zudem können ähnliche Bekenntnisse zum Experimentalismus und ähnliche methodische Überzeugungen durchaus verschiedene experimentelle Systeme und Interpretationen hervorbringen. Als Beispiel für die Ergiebigkeit dieser analytischen Perspektive auf das Experimentieren dienen sogenannte wissenschaftliche Revolutionen (die ‘wissenschaftliche’, die ‘Labor-‘ und die ‘bakteriologische Revolution’) oder experimentelle Neuerungen, die aufgrund der methodologischen Langzeitperspektive plötzlich gar nicht mehr so revolutionär erscheinen. Das Beispiel der Schlangengiftforschung ist somit Ausgangspunkt und Einladung, längerfristige Konjunkturen von wissenschaftlichen Methodendiskursen über den konkreten Gegenstand des Schlangengiftes hinaus zu reflektieren.
Auf einer metadiskursiven Ebene kommentiert Schickore mit „About Method“ den „tug-of-war“ zwischen Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte. Sie schlägt vor, in Methodendiskursen eine Mittlerfunktion zwischen philosophischer Theorie und Praxis, zwischen idealen und realen historischen Experimentalsituationen zu sehen. Im achten Kapitel wird dementsprechend am Beispiel der Kontrolle experimenteller Bedingungen vorgeführt, inwiefern John Stuart Mill’s Konzeption einer idealen experimentellen Situation mit tatsächlichen Kontrollpraktiken zusammengebracht wurde. Gerade die Untersuchung dieses Beispiels zeigt das wechselhafte Verhältnis zwischen methodischen Reflexionen von Forschenden einerseits und der Wissenschaftsphilosophie andererseits, die im 19. Jahrhundert auseinanderzudriften begannen.
Ganz am Ende des Buches löst Schickore die durch den Titel „About Method“ geweckte Erwartung ein und erklärt, was es mit der offensichtlichen Referenz auf Paul Feyerabends Buch „Against Method“ auf sich hat. Sie zitiert die berühmte Passage aus dem Vorwort zur zweiten Auflage, in der Feyerabend schreibt: „‘[A]nything goes’ is not a ‘principle’ I hold – I do not think that ‘principles’ can be used and fruitfully discussed outside the concrete research situation they are supposed to affect – but the terrified exclamation of a rationalist who takes a closer look at history“.2 Feyerabend schrieb gegen methodische Prinzipien im Sinne universaler Regelwerke an, weil sie nicht außerhalb konkreter historischer Situationen funktionieren können. Schickore schreibt dagegen eine „long-term history of methods discourse“ (S. 7) und argumentiert, dass Reflexionen über die Techniken des Experimentierens konkrete Forschungssituationen durchaus zu transzendieren vermögen. Methodendiskurse sind bei Schickore zwar im Sinne Feyerabends nicht völlig losgelöst von den tatsächlichen Experimenten zu denken, aber sie weisen in ihrer Mehrschichtigkeit und als zuweilen mehrere Generationen übergreifende Phänomene eine faszinierende und in ihrer Eigenständigkeit oft vernachlässigte Qualität auf.
Es ist dem für den großen zeitlichen Rahmen äußerst knappen Umfang des Buches geschuldet, dass zentrale soziale, politische, kulturelle oder ökonomische Faktoren, die über die experimentellen Praktiken und Methodendiskurse hinausgehen, eher nebenbei erwähnt werden. Diese Faktoren fallen dem Projekt einer „long-term history of scientists‘ methodologies“ zum Opfer, die aus dieser vermeintlich engen Perspektive eine übergreifende Darstellung des wissenschaftlichen Experimentierens seit dem 17. Jahrhundert entwickeln soll. So faszinierend Schickores Untersuchung auch ist, die Bezüge zur Wissenschafts- und Medizingeschichte, aber auch zur Kultur- oder Sozialgeschichte bleiben bei ihr unterbeleuchtet. Insofern ist das Buch eine Anregung, an der Geschichte von Methodendiskursen weiterzudenken und deren Zirkulation und Übersetzung in andere Diskurse an konkreten Beispielen zu testen.
Zu guter Letzt sei erwähnt, dass es die überaus angenehme LeserInnenführung mit vielen reflexiven Pausen und vergleichenden Rückbezügen trotz des voraussetzungsreichen und komplexen Gegenstandes leicht macht, der Argumentation zu folgen. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige wissenschaftshistorische und -philosophische Forschungsprojekte nicht nur Schickores Hinweis auf die Historizität von Methodendiskursen ernst nehmen, sondern sich auch ein Beispiel an ihrer klaren und gut strukturierten Prosa nehmen.
Anmerkungen:
1 Schickore zitiert zum Beispiel Bruno Latour / Steve Woolgar, Laboratory Life:.The Social Construction of Scientific Facts, 2. Ausg., Beverly Hills 1986; Steven Shapin / Simon Schaffer, Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle, and the Experimental Life, Princeton 1985; Karin Knorr-Cetina, The Manufacture of Knowledge, Oxford 1981.
2 Paul Feyerabend, Against Method. Outline of an Anarchistic Theory of Knowedge, 3. Ausg., London 1993, p. vii.