F. Bauer: Vorstellungen von „Deutschtum“ in Ungarn in Reiseberichten des 19. Jahrhunderts

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Titel
Vorstellungen von „Deutschtum“ in Ungarn in Reiseberichten des 19. Jahrhunderts. Auf der Suche nach dem Eigenen in der Fremde


Autor(en)
Bauer, Frank
Reihe
Kulturgeschichte des Politischen 2
Erschienen
Anzahl Seiten
362 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Jürgen Hermanik, Universität Graz

Bei dieser Monographie handelt es sich um die im Jahr 2016 an der Universität Tübingen approbierte Dissertationsschrift des Autors. Die mehrdimensionalen, aber dennoch sehr gut nachvollziehbaren Inhalte und Fragestellungen, der Detailreichtum sowie die Auswahl der Reiseliteratur fügt sich den Werken zur Kulturgeschichte der Deutschen im Land der ungarischen Krone, die im langen 19. Jahrhundert einigen Wandlungen unterworfen war, bestens hinzu. Gerade auf die Gattung der Reiseliteratur greifen viele zurück: Germanisten, Historiker, Volkskundler, Soziologen, Geographen und mitunter auch Theologen oder Naturwissenschaftler. Frank Bauer nimmt vorwiegend eine historisch-kulturwissenschaftliche und mitunter auch raumgeographische Perspektive ein. Es geht ihm somit weniger um die Immer-wieder-Neuverhandlung von opaken Gattungsgrenzen der Reiseliteratur oder um die Oszillationen zwischen einem der Wahrheit verpflichteten „So-ist-es-dort-gewesen“-Bericht und einem für den zeitgenössischen Buchverkauf frisierten story telling.

Bauer handelt die aus seiner Sicht auftauchenden Tücken der Reiseliteratur im Kapitel „Quellenkritik“ gleich nach der Einleitung ab. Darin befindet sich vor allem auch die Vorstellung der von Bauer exemplarisch herangezogenen vier Reiseschriftsteller, die „zwischen 1842 und 1888“ (S. 31) mehrere Reiseberichte über Ungarn publizierten: Johann Georg Kohl (1808–1878), Ernst Anton Quitzmann (1809–1879), Bernhard Wilhelm Schwarz (1844–1901) und Rudolf Bergner (1860–1899). Ergänzt wird sein Quellenkorpus durch Artikel mit Ungarnbezug aus den beiden zeitgenössischen Zeitschriften „Das Ausland“ sowie „Globus“. Der Zusammenhang von „Bürgerlichkeit und Reise“ (S. 50) wird dazu recht plausibel hervorgestrichen. Allerdings sollte man trotz dieser Fokussierung auf das Bürgertum, sowohl bei den Akteuren der Reiseschriftstellerei als auch bei deren Rezipienten, nicht aus dem Auge verlieren, dass die Mehrzahl der Ungarndeutschen im 19. Jahrhundert dem Bauerstand angehörte. Ereignis- und Forschungsgeschichte werden in einem Teil zusammengefasst und stehen unter dem Motto „Deutsch sein in Ungarn“. Es werden hier überblickshaft die zentralen historischen Eckpunkte von der deutschen Ostsiedlung bis zur Assimilierung der Deutschen nach dem Ausgleich von 1867 in Erinnerung gerufen und mit den in der Wissenschaftsgeschichte unterschiedlichen Zugängen und Meinungen zur „deutschen Identität“ der Ungarndeutschen oder etwa der Siebenbürger Sachsen angereichert. Daran knüpft sich auch die Frage nach den Deutschen als „Kulturbringer“ (S. 84 ff.), die von Bauer sehr subtil abgehandelt wird. Es ist schließlich eine der hartnäckigsten Stereotype in der Historio- sowie Ethnographie der deutschen Ostsiedlung, denn gerade im 19. Jahrhundert haben die Mehrzahl der Historiker, Volkskundler oder Feuilletonisten die Deutschen stets mit einer „kulturellen Überlegenheit“ gegenüber den Slawen, Ungarn, Rumänen und allen weiteren ethnischen und nationalen Gruppen, die in der Osthälfte Europas lebten, ausgestattet.

Auf welche Art und Weise dazu auch die oben genannten Reiseschriftsteller ihren Beitrag geleistet haben, analysiert Bauer in den nachstehenden Kapiteln. Dabei macht er auch die Unterschiede deutlich, die die vor allem zuversichtlichen Berichte über die Errungenschaften deutscher Kolonisierung von Kohl und Quitzmann von den späteren von Schwarz und Bergner abhoben, da in diesen auch bereits Antworten auf die Assimilierung der Deutschen durch die Magyarisierungspolitik gefunden werden mussten. Um davon vermehrt abzulenken, bediente man sich der Besinnung auf heroische Ereignisse aus der Vergangenheit der deutschen Besiedelungsgeschichte Ostmitteleuropas, denen der Autor deshalb einen eigenen Exkurs widmet (S. 120 ff.). Die Zugänge zu den „Deutschen Tugenden“ wie etwa Wissen, Fleiß, Gemütlichkeit, Reinlichkeit, Ordnung, usw. werden in separierten Einzelkapiteln abgehandelt. Diese Überhöhungen belegen ein in der Reiseliteratur gepflogenes Überstülpen einer bürgerlich-liberalen – „das demokratische Volk“ (S. 141) – Gesinnung über die Gesamtheit der Ungarndeutschen und damit auch über den Bauernstand, dem oben genannte Attribute in gleicher Weise zugesprochen wurden. Damit sich allerdings nicht der Eindruck verfestigt, dass die Deutschen im Königreich Ungarn allein als Projektionsfläche für „ein idealisiertes deutsches Gemeinwesen“ (S. 145) gedient hätten, konterkariert dies Bauer vor allem mit kritischen Textpassagen von Bergner und setzt diese in den jeweiligen zeitgenössischen Kontext.

Den dritten Teil der Monographie dominieren Blickwinkel des spatial turns, i.e. imaginierte Raumkonzepte sowie mental maps die Betrachtungen der ungarndeutschen Geschichte. Da Kulturräume eingegrenzt werden müssen, setzt sich Bauer auch mit unterschiedlichen Abgrenzungsnarrativen auseinander, die den „ungarischen Raum“ betreffen, kommt aber vor allem zum Schluss, dass es sich dabei um einen Übergangsraum handelt. Auch der Begriff der „Landschaft“ (S. 200 ff.) wird gestreift, da dieses Topos doch ein immanentes Stilmittel der Reiseschriftstellerei darstellte. Es sollte den geneigten Leser in ein Spannungsverhältnis zwischen Wildnis und kultivierten Gegenden versetzen. Bauer vergleicht die darin enthaltenen Bilder mit den zeitgenössischen bürgerlichen Vorstellungen einer „(schönen) ungarischen Landschaft“ und der damit verbundenen Exotisierung für das deutsche Lesepublikum. Der Raum als Projektionsfläche für soziokulturelle Begebenheiten schließt die im 19. Jahrhundert zunehmende Nationalisierung des Raumes mit ein und er wird sukzessive mit identitätsstiftenden ethnisch-nationalen Symbolen aufgeladen. Das Attribut „deutsch“ wird zunehmend als Wir-Gruppen-Definierung von Räumen eingesetzt: Vom deutschen Dorf über die deutsche Stadt bis hin zur deutschen Landschaft, so wie das Bauer etwa für Siebenbürgen oder das Banat diskutiert. (S. 228 ff.)

Im vierten Teil wird die Darstellung der jeweils „anderen“ ethnischen und nationalen Gruppen aufgrund methodischer Ansätze aus der historischen Stereotypenforschung erörtert. Nach einer begrifflichen Verortung von „Stereotyp“ und „Vorurteil“ werden innerhalb dieses Rahmens zuerst die Ungarn näher beleuchtet und Bauer stellt hier Konnotationen mit dem positiv besetzten Bild des „(national)stolzen Magyaren“, des „wilden Pusztalebens“, aber auch mit den Folgen der politischen Magyarisierung, die sich letztlich negativ auf das Ungarnbild ausgewirkt haben, her. Im Grunde vermitteln die Reiseschriftsteller jene stereotypenhafte Vorstellungen über die Ungarn, die dann vor allem auch in die Operette eingeflossen sind. Die Rumänen wurden hingegen vielfach unzivilisiert dargestellt und galten lange Zeit als für die Deutschen weniger einflussreich oder gar gefährlich im Sinne einer Assimilierung. Diese Schilderungen, vor allem auch die exotische Schönheitsdarstellung rumänischer Frauen, lehnen sich stark an zeitgenössische Vorstellungen des Orients an. Die Darstellung der Slowaken stand bereits unter dem Einfluss propagandistischer antislawischer Charakterdarstellungen, wie etwa jene des starken Alkoholkonsums oder der Lethargie, die sich vom deutschen Fleiß deutlich abhob.

In seinen Schlussbetrachtungen, die eher kurz ausfallen, da Bauer nach jedem größeren Kapitel ein Zwischenfazit gezogen hat, geht der Autor nochmals explizit auf das „Deutsch sein“ der im 19. Jahrhundert im Königreich Ungarn lebenden Deutschen in den Reiseberichten ein, um daraus historische Befunde für die Veränderungen der kulturellen und nationalen Identität der Ungarndeutschen, Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, et al. abzuleiten. Zudem setzt er diese in Bezug zu den Reaktionen, die es im damaligen Deutschen Reich auf diese Phänomene gegeben hat und er gibt auch einen kleinen Ausblick auf das 20. Jahrhundert, in dem das Kulturmodell der „deutschen Landschaft“ in der Zwischenkriegszeit durchaus wieder aktualisiert wurde. Bauer ist es dabei auf weite Strecken sehr gut gelungen, die „Projektionsfläche Ungarndeutsche“ nicht nur mit ausgesuchten Beispielen aus der Reiseliteratur oder expliziten Zeitschriftenbeiträgen zu bespielen, sondern vor allem auch aus unterschiedlichen historischen und kulturwissenschaftlichen Blickwinkeln zu erhellen und zu analysieren. Daher ist das Werk für Studierende unterschiedlicher Disziplinen und Jahrgänge sowie für das Fachpublikum äußerst nützlich, aber es richtet sich aufgrund seiner Verständlichkeit durchaus an alle Personen, die an der Kulturgeschichte der Deutschen interessiert sind.

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