Selten bietet das bloße Inhaltsverzeichnis ein so vollständiges Bild des Gegenstandes, der Methodik und der Sicht eines Buches wie in Stefan Heids Altar und Kirche. Es ist ein Kompliment für den durchgearbeiteten Aufbau und die aussagekräftigen Kapiteltitel und Zwischenüberschriften, die diese Arbeit schon auf den ersten Blick kennzeichnen. Wer im Prolog die Überschriften „Kultloses Urchristentum“ und „Esstisch beim Liegemahl“ sieht, erhält eine klare Vorstellung der bevorstehenden Thematisierung der Materie „Altar und Kirche“ und bekommt gleichzeitig einen Vorgeschmack der Ironie, mit der der Autor die bisherige Behandlung seines Themas manchmal kritisiert. Wenn im Epilog dann noch der „Rundtisch als Mahlsurrogat“ und der „Volksaltar mit Frontalzelebration“ zur Sprache gebracht werden, besteht auch kein Zweifel mehr an der aktuellen Perspektive dieser Arbeit für die (katholische) Liturgie von heute. Der Anspruch wird im Vorwort klar ausgesprochen: es geht um von Anfang an grundlegende Prinzipien des christlichen Gottesdienstes, die im Kirchenraum zum Ausdruck kamen, mit dem Altar als Achse. Es ist notwendig – so versteht man den Autor – diese Prinzipien, die im Laufe der Zeit teilweise falsch verstanden wurden, neu aufzudecken. Dazu müssen zahlreiche Text- und Bildquellen herangezogen werden, auch diejenige, „die man all zu leicht verstanden zu haben glaubt“. Stefan Heid, Rektor des Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana in Rom und Professor für Liturgiegeschichte und Hagiographie an diesem renommierten Institut sowie Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft am Campo Santo Teutonico, bewegt sich ebenso gewandt in den schriftlichen Quellen wie in den archäologischen und ikonografischen Befunden des Frühen Christentums, und er verfasst von dieser vielseitigen Sachkenntnis aus eine – es sei vorweg gesagt – beeindruckende Untersuchung.
Vier Kapitel machen die Substanz des ambitionierten Buches aus. Nachdem er bereits im Prolog den Begriff „Sakraltisch“ einführt (in antiken Kulten benutzte man Tische, die sich klar vom Schlacht- / Opferaltar, aber auch von den alltäglichen Hausmöbeln unterschieden), vertieft Heid im zweiten Kapitel („Ursprung“) seine Idee vom heidnischen Sakraltisch und jüdischen Schaubrottisch als der Grundlage des christlichen Altares. In chronologischer Folge werden zahlreiche biblische und patristische Texte über den eucharistischen Tisch behandelt. Diese Stellen vor ihrem kulturhistorischen Hintergrund interpretierend, kommt der Autor zum Ergebnis, dass der „Tisch des Herrn“ zugleich Tisch und Altar und durchaus ein sakrales Kultmöbel war. Wie im antiken Opferkult existierte im Herrenmahl der christlichen Gemeinde kein Gegensatz zwischen Mahl und Opfer. Doch ist nicht der Schlachtopferaltar, sondern der „Sakraltisch für Speisegaben“ des Jerusalemer Tempels der ideale Prototyp des christlichen Altars.
Das Motto „Einheit“ des dritten Kapitels fasst die eindeutige Antwort des Autors auf die sogenannte „Hauskirchen-Theorie“ zusammen. Die Vorstellung, das Christentum habe sich in privaten Wohnhäusern mit Eucharistiefeiern im kleinen Kreis entwickelt und ausgebreitet, nennt er kurzweg das „Phantom der Hauskirchen“. Nach dem vorangehenden Kapitel erahnt man schon, dass die Sakralität des Altars eine Konsequenz hat, nämlich die Unmöglichkeit privater Räume für die Gemeindeliturgie. Auch hier führt die nuancierte Interpretation des relevanten Textcorpus zu einem klar formulierten Ergebnis: es gab nur „eine Kirche pro Stadt“, wo der Bischof mit seiner Gemeinde die Liturgie feierte. Die topographischen Verhältnisse zweier Metropolen, Alexandria und vor allem Rom, werden herangezogen, um die Kraft der These zu erhöhen und in dem Sinne zu differenzieren, dass in Großstädten durchaus „dezentrale Treffpunkte“ der Kirche in Funktion waren, die jedoch eher pastorale oder diakonale Aufgaben hatten und keine autonome eucharistische Liturgie kannten (S. 133f.). Das einzig erhaltene vorkonstantinische Denkmal (in Dura Europos) war keine Hauskirche, sondern eine Kirche in einem ehemaligen Privathaus, wie der Hauptausgräber es bereits formulierte: „house of the church“ (S. 74, 85, 104f.). Heid legt großen Wert darauf, die Konzepte von dezentralen Versammlungsräumen, Titelkirchen und privaten Hauskapellen, die sich alle im 3. und 4. Jahrhundert mehr oder wenig belegen lassen, von der seines Erachtens irrigen Idee des in kleinen Kultgruppen fragmentierten „Hauskirchenchristentum“ zu trennen (S. 158f.). Mit der Feststellung, dass die römischen Tituli – die als solche nur im 5. Jahrhundert greifbar werden – „genauso wenig mit Hauskirchen wie mit Pfarrkirchen zu tun haben“, korrigiert er auch seinen Vorgänger im Pontificio Istituto, Johann Peter Kirsch.
Im umfangreichen vierten Kapitel („Kult“) werden die liturgischen Aspekte des Altars und die Sakralität des Kirchenraumes unter dem Leitspruch „Das Volk vor Gottes Angesicht“ im Detail diskutiert. Es geht darum, wie die Opferidee im christlichen Gottesdienst zur Gestaltung kam, wie die Gebetshaltung und Gebetsrichtung der Heiligkeit des Opfers, des Altars und des Raumes entsprachen. In dieser Untersuchung spielt der archäologische und ikonografische Befund eine beträchtliche Rolle. Die formale Typologie der frühchristlichen Altäre (das Hauptthema der noch immer nicht überholten Arbeit von Joseph Braun, 1924) kommt jedoch nur nebenbei zur Sprache in der Darstellung der Opferliturgie, wobei die Dominanz der Tischform die Deutung als sakralen Gabentisch bestätigt. Nach der argumentierten Feststellung, dass die Gebetshaltung am Altar immer zum Himmel und zum Angesicht Gottes gerichtet ist, geht Heid im mit mehr als hundert Seiten ausführlichsten Abschnitt seines Buches vertiefend auf die „Ostrichtung des Gebets“ ein. Der Autor möchte die Ostung der Kirchenbauten und die Ostrichtung des Priesters in der Liturgie, an sich keineswegs Neuentdeckungen, als äußerst bedeutende „Prinzipien christlicher Liturgie“ hervorheben. Dabei kommt es zu einer kritischen Gesamtrevision der einflussreichen Arbeit des Bonner Liturgiehistorikers Otto Nussbaum über den „Standort des Liturgen am christlichen Altar“ (1965). Heid bespricht die zum Thema gehörenden Denkmäler, systematisch gegliedert nach den Regionen des römischen Reiches, um in Anschluss an frühere Nussbaum-Kritiker zu dem Schluss zu kommen, dass Nussbaum den Standort des Liturgen versus populum überall dort postuliert hat, wo es ihm räumlich möglich erschien, ohne den zahlreichen Hinweisen zur konsequenten Ostrichtung der Liturgie – in geosteten ebenso wie in gewesteten Kirchen – gerecht zu werden. Umso mehr überrascht es, dass Heid sich in seinen anschließenden Ausführungen über die römischen Hauptkirchen selber für einige erstaunliche Abweichungen von diesem Grundsatz entscheidet.
Das vorletzte Kapitel „Bild“ handelt vom „Sehen beim Beten“. Bilder in einem Kirchenraum gehören nach der zutreffenden Ansicht Heids zum dreidimensionalen, dynamischen Raumgeschehen der Liturgie und sind deshalb als liturgiebezogene Kunst zu betrachten (S. 353). Die Integration der Bildkunst in die Gesamtschau Altar – Kirche – Liturgie, die dieses Buch bietet, erweist sich als wesentlich, auch wenn die Darstellung verhältnismäßig knapp und – wie der Autor vorwarnt – idealtypisch bleibt. Die „wirkmächtige Präsenz des Gott-Logos“ im Apsisbild (S. 377) versteht Heid als „Gebetsvorlage und Orientierungsbild“ (S. 378), womit er die Verbindung des Bildprogramms der Kirchen mit den Hauptthemen der vorangehenden Kapitel herstellt. Profitierend von rezenten Studien (z.B. von Jean-Michel Spieser, Beat Brenk und Armin Bergmeier) kommt Heid zu anregenden Beobachtungen, welche die liturgische Bedeutung der Apsisbilder betonen und begründen (teilweise dann wieder gegen Brenk).
Der ausführliche Epilog liest sich wie ein Essay, in dem die Erkenntnisse der Untersuchung noch mal in eine historiografische Perspektive gestellt und auf das aktuelle liturgische Thema „Volksaltar“ konzentriert werden. Dass Heid am Ende seines Buches die Idee des frühchristlichen Altars als Mitte einer eucharistischen Mahlgemeinschaft im Kreis einer „sich gegenseitig anschauenden Gemeinde“ (S. 464) als „Produkt einer historischen Fehlinformation bzw. eines ahistorischen Archäologismus“ bezeichnet, kann nach der Lektüre des Werkes keine Überraschung mehr sein. Als gewissermaßen Hauptschuldige stehen hier erneut die glücklosen Priester Franz Wieland, der gegen 1900 am Campo Santo Teutonico arbeite, und Otto Nussbaum vor Gericht.
Ich gehöre zu den Lesern, die sich durch die Hauptargumente und -Ergebnisse dieser Arbeit gerne überzeugen lassen. Erstens, weil die wissenschaftliche Qualität der Darstellung mit der Heranziehung einer beeindruckenden Fülle an Quellen und Literatur hoch ist; Zweitens, weil die wichtigsten Thesen fruchtbar auf Ansichten und Erkenntnissen der jüngeren Forschung aufbauen. Obwohl Heid selber sich fortwährend gegen die „bisherige Forschung“ wehrt, stellt sich heraus, dass er durchaus Tendenzen der letzten Jahre aufnimmt und ausarbeitet. So wurde die Oikos-Ekklesiologie des „Hauskirchenphantoms“ bereits von den von Heid zitierten Georg Schöllgen, Edward Adams und Michel-Yves Perrin stark in Frage gestellt. Heid hat zweifellos recht, dass die „wissenschaftlichen Fiktionen“, die er bekämpft (die Abwesenheit des sakralen Altares in den frühen christlichen Gemeinden, die Idee der Eucharistie als Gemeinschaftsmahl und die Parzellierung der Christenheit einer Stadt in Hausgemeinden) in der Forschung ein zähes Weiterleben haben, doch ist das wirklich Neue seiner Arbeit das Gesamtkonzept, mit dem er Altar, Kirchenraum, Kult und Bilder miteinander verbindet. Die Debatten über Altar, Hauskirchen, Sakralität werden hier nicht mehr separat geführt, sondern in einem kulturhistorischen Zusammenhang miteinander verknüpft, um so tiefere und differenziertere Einblicke zu gewinnen.
Man wird über zahlreiche Textexegesen weitere Diskussionen führen können und müssen. Der Autor neigt dazu, eventuelle chronologische Entwicklungsstufen und regionale Unterschiede nur spärlich zu berücksichtigen. So signalisiert er in der sakralen Bedeutung des Altars kaum wesentliche Differenzen in den drei Jahrhunderten zwischen Paulus und Optatus von Mileve. Anderswo liest man immerhin, dass der Ort der Christenversammlung fast selbstverständlich zum Sakralraum wird in einem bruchlosen Prozess, „dessen Anfänge sicher schon im zweiten Jahrhundert liegen“ (S. 184). Seinem scharfen Auge für den „Sitz im Leben“ zum Trotz scheint er eine Auffassung der Christenheit als Einheit in Ort und Zeit vorauszusetzen. So sieht er die retrospektiv als deviant betrachteten Bewegungen nach wie vor als schismatisch und häretisch an (z.B. S. 91).
Im methodischen Sinne verwirrend sind die Ausführungen über die Hauptkirchen Roms im Kapitel über die Ostrichtung des Gebets. Der Autor warnt, dass „das Hypothetische vieler Überlegungen… nicht verschwiegen werden [soll]“ (S. 285). Tatsächlich überraschen hier die spekulativen Sprünge. Dass seit Damasus die Presbyter am (transportablen) konstantinischen Prunkaltar in St. Peter zelebriert hätten und der Papst in der relativ engen – wie sehr Heid sie auch zu verbreiten versucht - Nische der Apostelmemorie nach Westen hin die Eucharistie feierte, leuchtet nicht ein. Für St. Paul bringt der Autor einige berechtigte Korrekturen an der rezenten Rekonstruktion der Altaranlage von Brandenburg und wiederholt seine schon in einem Aufsatz vorgeschlagene These, dass Ordo Romanus I – das erste vollständige liturgische Regiebuch der Papstmesse (um 700) – die apsisgeostete St. Paulsbasilika als Ausgangspunkt hat.1 Auch dies kann nicht überzeugen. Abgesehen davon, dass St. Paul als päpstliche Stationskirche nur eine Rolle in der zweiten Reihe hatte, ist Heids Interpretation des Ausdrucks ante altare fragwürdig. Wie in allen behandelten Quellen sieht er auch im römischen Ordo die Ortsbestimmung „vor dem Altar“ grundsätzlich als vom Schiff der Kirche aus gesehen an (z.B. S. 276 und 336). Doch bezeugen die liturgischen Rubriken, dass es sich auch um eine Lokalisierung vom Zelebranten aus handeln konnte und ante in gewesteten Kirchen auf die Westseite des Altares Bezug haben konnte, das heißt die Rückseite vom Schiff aus gesehen. Rituell stehen die Priester immer „vor Gottes Altar“ (S. 279). Um eine Frage im Stil des Autors zu stellen: wäre es denkbar, dass der Priester die heiligste Handlung „hinter Gottes Altar“ vollzog? Für die päpstliche Bischofskirche des Lateran nimmt Heid sogar für das 6./ 7. Jahrhundert eine „Umkehrung der Zelebrationsrichtung“ nach Westen an (S. 342), damit der Papst am Altar das legendäre Brustbild Christi im Apsismosaik sehen konnte. „Im Barock“ – wie er sagt – hätte sich die Zelebrationsrichtung dann wieder zurückgedreht (S. 349). Selbst wenn man der traditionshegenden römischen Kirche eine derartige desperate Sonderlösung zumuten möchte (auf S. 382 übrigens als Faktum angenommen), darf man nicht übersehen, dass ihr von den hochmittelalterlichen Quellen zur Liturgie der Lateranbasilika klipp und klar widersprochen wird. Vielleicht findet man den Hintergrund dieser – für die Arbeit ungewöhnlich abenteuerlichen – Mutmaßungen im nächsten Kapitel über das Bild. Dort wird geschildert, dass idealiter nicht nur die Gläubigen, sondern auch die Zelebranten während der Liturgie zur Theophanie in die Apsiskalotte aufsehen sollten. Die Gottespräsenz im Apsisbild sei der Orientierungspunkt für alle am Gottesdienst Beteiligten. Der Priester „blickt selbst im Kirchenraum ‚zum Himmel‘ auf, der sich imaginär über dem Altar öffnet“ (S. 350). Dafür eigneten sich die eingangsgeosteten Kirchen Roms wie St. Peter und die Lateranbasilika schlecht. Ist das der Grund, dass die apsisgeostete Messe in St. Paul von Heid als die Norm in Rom erhoben wird? Wie wichtig und wirkungsvoll die Bildkunst im Kultraum auch gewesen sein mag, man kann ihre Bedeutung auch überschätzen.
Es ist klar, dass hier eine höchst reizvolle Lektüre vorliegt. Die stattliche Arbeit ist in einem klaren, lebendigen – öfters auch polemischen – Stil geschrieben. Das inzwischen als „Bestseller“ vermarktete Buch ist attraktiv gestaltet und mit zahlreichen passenden Abbildungen ausgestattet. Die Quellenregister erweisen sich als besonders nützlich im Studium der zahlreichen Textzeugnisse, die in den jeweiligen Kapiteln zur Sprache kommen und belegen den Quellenreichtum der Arbeit. Wieland und Nussbaum bleiben mit ihren liberal-katholischen beziehungsweise konziliären Idealen als prominenteste Opfer dieser kritischen wissenschaftlichen De- und Rekonstruktion zurück. Heids Sicht auf das Urchristentum untergräbt die immer wieder auftauchende Idealisierung einer lupenrein demokratischen, kulturfremden Erweckungsbewegung und betont dagegen die kulturelle Umwelt der paganen und jüdischen Antike als Nährboden für die christliche Gottesverehrung und ihre rituelle und materielle Gestaltung. Man darf das einen pragmatischen, kulturhistorischen Ansatz nennen, doch ist dabei eine andere Idealisierung unverkennbar: die der christlichen Kirche als hierarchische Organisation, die Lehre und Gottesdienst schon seit Paulus in ein ekklesiologisches Gerüst einzubetten imstande gewesen ist. Doch stellt sich heraus, dass ein Ideal die wissenschaftliche Leistung einer Arbeit keineswegs zu schmälern braucht.
Anmerkung:
1 Stefan Heid, Die päpstliche Liturgie in Sankt Paul vor den Mauern bis zu Gregor dem Großen, in: Römische Quartalschrift 112 (2017), S. 143–159.