S. Freund u.a. (Hrsg.): 919 - Plötzlich König

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Titel
919 - Plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg


Herausgeber
Freund, Stephan; Köster, Gabriele
Reihe
Schriftenreihe des Zentrums für Mittelalterausstellungen Magdeburg 5
Erschienen
Regensburg 2019: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carolin Ann Triebler, Historisches Institut, RWTH Aachen

Die Erhebung Heinrichs I. zum König des Ostfrankenreiches im Jahre 919 kennzeichnet den Beginn eines territorialen Wandlungsprozesses und gilt in vielerlei Hinsicht als Wendepunkt für die deutsche Geschichte. Für viele ist der Sachse aus der Familie der Liudolfinger-Ottonen, der die Nachricht über seine Königserhebung der Legende zufolge während seiner Vogeljagd am Quedlinburger Finkenherd erhalten haben soll, auch unter dem Namen Heinrich der Vogler bekannt; er gilt als Burgenbauer, Städtegründer und wird vielfach auch als Gründer des Deutschen Reiches gefeiert. Neben den zahlreichen sagenhaften Erzählungen über die Königserhebung Heinrichs I. führten die vielen kontrovers diskutierten Forschungsmeinungen zu einem heterogenen Geschichtsbild des sächsischen Herrschers. 1100 Jahre nach der Königserhebung Heinrichs I. stellt die Veröffentlichung des Tagungsbandes 919 – Plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg den Versuch dar, das umstrittene Geschichtsbild des Sachsen aufzuarbeiten und Vorurteile bezüglich seiner Herrschaft zu beseitigen.

Der Tagungsband ist das Ergebnis der gleichnamigen interdisziplinären Tagung, die vom 22. bis zum 24. März 2018 in Quedlinburg abgehalten wurde. Obgleich die im Titel suggerierte These über den Charakter der Königserhebung Heinrich I. von der geschichtswissenschaftlichen Forschung bereits ausgiebig diskutiert wurde, zeigt sie doch, dass die Vorstellung einer plötzlichen Königserhebung des Sachsen immer noch im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit verankert ist. Die Herausgeber Stephan Freund und Gabriele Köster nahmen das Jubiläum daher zum Anlass, vermeintlich gesichertes Wissen über die Königserhebung Heinrichs I. und seine Herrschaft zu untersuchen und bestehende Forschungsthesen kritisch zu hinterfragen. Dabei beschäftigen sich Vertreterinnen und Vertreter der Archäologie, der Geschichtswissenschaft, der Germanistik und der Kunstgeschichte mit der Untersuchung der Umstände der Erhebung Heinrichs I. und der Bedeutung Quedlinburgs für seine Königsherrschaft.

Das Vorwort Stephan Freunds und Gabriele Kösters fasst den Ablauf der Tagung zusammen, bietet eine inhaltliche Zusammenfassung der Tagungsbeiträge und hebt den Hintergrund für die historische Beschäftigung mit der Königserhebung Heinrichs I. sowie ihren Wert für die Forschung hervor. Der Aufbau des Tagungsbandes ist chronologisch ausgerichtet und gleicht der dreigeteilten Struktur der Tagungssektionen. Die Beiträge werden den drei Themenblöcken „Vor Heinrich“ (S. 23–71), „Mit Heinrich“ (S. 72–177) und „Nach Heinrich“ (S. 178–319) untergeordnet.

Der erste Themenblock „Vor Heinrich“ (S. 23–71) beschäftigt sich zunächst mit der Untersuchung der geographischen Voraussetzungen Quedlinburgs im Frühmittelalter (siehe die Analyse des Naturraumes und der Verkehrslage in und um Quedlinburg bei Pierre Fütterer, S. 23–33) und den archäologischen Funden und Befunden rund um den Ort (Babette Ludowici, S. 35–43). Nach der Untersuchung der Rolle Quedlinburgs im Frühmittelalter und der Bedeutung der Lage für Heinrich I. beschäftigt sich Roman Deutinger in seinem Beitrag mit den politischen Verhältnissen des Ostfrankenreiches im späten 9. und frühen 10. Jahrhundert, die – unter anderem auch aus Mangel an Alternativen – schließlich zur Königserhebung des Sachsen führten (S. 45–53). Daran anknüpfend beschäftigt sich Matthias Becher mit dem Geschlecht der Liudolfinger, ihrem Aufstieg im Ostfrankenreich und der Frage, inwiefern Heinrich I. als König einer Wendezeit beschrieben werden kann (S. 55–71). Nach einer Untersuchung zu den Voraussetzungen der Erhebung Heinrichs I. und der Charakteristika seiner Königsherrschaft kommt Becher zu dem vorsichtig formulierten Ergebnis, dass der Liudolfinger mit seiner klugen und beharrlichen Politik tatsächlich eine Wende geschaffen habe: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Konrad I. habe Heinrich I. eine politische Einigung unter seinen Kontrahenten erreicht, indem er ihnen Zugeständnisse machte, auf wichtige Positionen des Königtums verzichtete und im Gegenzug dafür seine Anerkennung als König erreichte (vgl. S. 68). Heinrich I. habe damit nicht nur dafür gesorgt, dass das innerlich zerrissene ostfränkische Reich nach dem Tod Konrads I. nicht auseinanderfiel, sondern dem Reich gleichzeitig eine neue Ordnung gegeben, indem er die Herrschaft seiner Kontrahenten als intermediäre Gewalten im Reich duldete: „Die Herzöge fungierten künftig als Zwischengewalten zwischen dem König und dem Hochadel – zum Vorteil beider“ (S. 69).

Anschließend setzt sich der zweite Themenblock „Mit Heinrich“ (S. 72–177) nun näher mit dem Charakter des Königtums Heinrichs I. auseinander. Im Vordergrund dieses Themenblockes steht die kritische Hinterfragung der teils überholten, aber dennoch den Forschungsstand dominierenden Thesen zur besagten Königsherrschaft. Im Fokus dieser Untersuchung steht die Beseitigung von Vorurteilen und vermeintlich gesicherten Thesen wie die mit der Königserhebung Heinrichs I. einhergehende Gründung des Deutschen Reiches (Simon Groth, S. 75–83), seine Feindlichkeit gegenüber der Kirche (Hedwig Röckelein, S. 87–103), das Burgenbauprogramm Heinrichs I. (Tobias Gärtner, S. 105–115) sowie die Untersuchung der Heiligen Lanze (Franz Kirchweger, S.145–161; Caspar Ehlers, S. 163–177). Besondere Aufmerksamkeit verdient der Beitrag von Christian Warnke (S. 117–142), der die von Karl Schmid formulierte These der Erlassung einer Hausordnung durch Heinrich I. im Jahre 929 und die damit zusammenhängende Designation seines Sohnes Otto I. als unhaltbar zurückweist, indem er die These aufstellt, dass zentrale Punkte der Argumentation Schmids auf der Grundlage gefälschten Urkundenmaterials beruhen (vgl. S. 139–140). Die zahlreichen Abbildungen zu den äußeren Merkmalen der untersuchten Urkunden unterstützen die von Warnke formulierten Thesen und erleichtern einer breiten und interessierten Leserschaft das Verständnis der Methoden der Urkundenforschung.

Der letzte Themenblock „Nach Heinrich“ (S. 178–319) beschäftigt sich mit dem Nachleben Heinrichs I. nach seinem Tod im Jahre 936. Zentrale Themen dieser Themeneinheit sind die Gründungsproblematik des Stiftes Quedlinburg (Katrinette Bodarwé, S. 181–193), die Ehen Heinrichs I. mit Hatheburg und Mathilde (Claudia Moddelmog, S. 195–207) und die Heinrichsmemoria in Quedlinburg (Oliver Schliephacke, S. 209–223; Philipp Jahn, S. 225–241). Die Einheit schließt mit einer kritischen Neubetrachtung der literarischen Verarbeitung der Heinrichs-Thematik (Thorsten Unger, S. 255–274) und einem wirkungs- und rezeptionsgeschichtlichen Überblick anhand der unterschiedlichen Facetten und Bilder Heinrichs I. (Stephan Freund, S. 243–253; Gabriele Köster, S. 277–299). Rezeptionsgeschichtlich schließt der Abschnitt mit der ausführlichen Schilderung der Instrumentalisierung der Figur Heinrichs I. im Nationalsozialismus in dem Beitrag Uta Halles (S. 301–319).

Der Tagungsband endet mit einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 323–357), den Profilen der Autorinnen und Autoren (S. 359–362), einem Register (S. 363–372) sowie den Bildnachweisen (S. 373–374).

Alles in allem gelingt es den Autorinnen und Autoren in ihren Beiträgen, vermeintlich gesicherte Wissensbestände kritisch zu hinterfragen, umstrittene Aussagen zu revidieren und den Forschungsstand mit ihren unterschiedlichen Ansätzen zu bereichern. Die quellennahe Aufarbeitung der teils überholten Forschungsthesen regt zur Neuinterpretation an und trägt damit zu einer Revision des Forschungsstandes bei. Der Tagungsband profitiert besonders von der interdisziplinären Ausrichtung der Forschungsbeiträge. Der Mehrwert für die Forschung entsteht dabei nicht durch die Suche nach neuen Quellen, sondern durch die Untersuchung der vorhandenen Quellen mithilfe neuer Methoden und interdisziplinärer Forschungsansätze. So entstehen neue Perspektiven, neue Kontroversen und neue Ergebnisse, die dazu beitragen, ein Forschungsfeld zu bereichern, das lange Zeit als ausgeschöpft galt.

Trotz der Komplexität in den Forschungsansätzen der unterschiedlichen Disziplinen gelingt es den Autorinnen und Autoren, ihre Beiträge in einer allgemeinen Verständlichkeit zu präsentieren. Dabei schaffen sie es, den Leserinnen und Lesern neben inhaltlichem Wissen auch methodisches Fachwissen zu vermitteln. In dieser Hinsicht überzeugt der Tagungsband auch durch seine vielen farbig gedruckten Abbildungen, Grafiken und Karten, die zu einem unterstützenden Verständnis der behandelten Inhalte beitragen. Damit wird der Tagungsband dem einleitend formulierten Anspruch, neben einem fachwissenschaftlichen Publikum auch eine breite und interessierte Öffentlichkeit anzusprechen, mehr als gerecht.

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