Versprechen und Ernüchterung sind nicht nur wiederkehrende Momente in Bildungs- und Schulreformen. Sie hinterlassen auch infrastrukturelle bzw. materielle Spuren, wie ein kleiner Hinweis aus der Lebenswelt des Rezensenten zeigen kann. Ich wuchs in der Stadt Buenos Aires auf, 150 Meter von der ca. 20-spurigen Autobahn entfernt, die die Stadt von der gleichnamigen Provinz trennt. Dort nahm ich täglich den Bus in Richtung meiner Sekundarschule an einer Ecke, an der eine alte Fabrik stand. Diese verkörperte die guten Zeiten der Importsubstitution der argentinischen Wirtschaft und wurde in den frühen 1990er-Jahren inmitten neoliberaler Reformen geschlossen. Umso überraschter war ich, als ich im Jahr 2010 hörte, die Präsidentin des Landes selbst eröffne die alte Fabrik wieder. Nun wurde dort die Elektronik für das neue Programm Conectar igualdad (wörtlich: Gleichberechtigung verbinden)1, eine lokale Variation des seit 2005 global agierenden Programms One Laptop per Child (OLPC), produziert und repariert. Heute steht dieses Gebäude wieder leer, das Programm, auch nach einigen kritischen Bilanzen, wurde 2018 abgewickelt, um nun im Jahr 2020 wieder aufgelegt zu werden. Das Versprechen, durch die Demokratisierung von Technologien in der Schulbildung die Entwicklung vieler Länder entscheidend voranzubringen, lebt in stark abgemilderter Form zwar weiter2, aber Ernüchterung über die Wirkungen des Programms hat die Oberhand gewonnen, nicht nur unter Bildungsforscher/innen.3
Morgan G. Ames, Professorin an der School of Information in Berkeley/Kalifornien, legt ein durchaus interessantes Buch vor, in dem Versprechen, Ernüchterung, die dunklen Seiten von Utopien sowie Fragen von Kulturimperialismus und -entwicklung ihren Platz finden. Das Buch historisiert und untersucht empirisch das Verhältnis zwischen technologischen Leitbildern, die in den preiswerten und auf das aktive Lernen von Kindern fokussierten Laptops geradezu materialisiert wurden, sowie ihre Effekte auf unterschiedlichen Ebenen, von den lokal-interaktiven bis auf die weltgesellschaftlich relevanten. Dies klingt zwar überambitioniert, aber es wird in nüchterner Analyse weitgehend eingelöst.
Hauptgesichtspunkt der Untersuchung bildet die Idee, dass die OLPC-Laptops, die von „Technologie-Gurus“ mit besten politischen und wirtschaftlichen Verbindungen erfolgreich propagiert wurden, bereits in ihrem Objekt- und Projektdesign alles andere als neutrale Vermittler zwischen neugierigen Kindern und aktivem Lernen bzw. zwischen einer ungerechten und einer verbesserten Welt darstellen. Vielmehr sind diese Laptops mit Annahmen eng verbunden, die äußerst milieu- und kulturspezifisch und keineswegs förderlich für das ambitionierte Ziel des Programms waren, mit der Universalisierung dieser Laptops eine Revolution des Schullernens voranzubringen. Im Zentrum der Untersuchung steht der Begriff des Charismas, den Ames überraschenderweise von seinem herkömmlichen Einsatz im Bereich des Personalen und Politischen nun auf die Entwicklungen überträgt, die von diesen preiswerten Laptops angeschoben wurden. Klar inspiriert von der Akteur-Netzwerk-Theorie soll der Begriff des Charismas die Wirkmächtigkeit des Gegenstands selbst sichtbar machen. Charismatische Technologien funktionieren demnach „through the possibility or promise of action“ und adressieren die Imagination durch „charismatic promises“ (S. 9). Diese charismatische Funktion erkläre teilweise, warum das Versprechen trotz vielfacher Rückschläge fortleben könne. Außerdem soll der die Laptops begleitende Diskurs eines „technological solutionism“ – so die Erwartung – ein funktionales Äquivalent zu Webers „exceptionalism“ in Bezug auf charismatische Führer darstellen (S. 10).
Das Buch geht in den ersten beiden Kapiteln auf die historische Rekonstruktion dieses Versprechens, dessen Stichwortgeber und institutionelle und kulturelle Einbettung ein. Ausgearbeitet wurde die Idee, anhand neuer Medien wie Computer/Laptops und den somit verbesserten Möglichkeiten eines eigenständigen und kreativen Lernens geradezu eine Bildungsrevolution auszulösen, in einem sehr konkreten Setting: dem Media Lab am Massachusetts Institute of Technology und der mit ihm verbundenen Hacker-Kultur seit den 1970er-Jahren. Sehr eindrücklich zeigt Ames, wie die Lerntheorie des Konstruktivismus nach Seymour Papert eine Art gegenständliche Entsprechung in der sich entwickelnden Welt der Computertechnologien fand. Dort entwickelten „nerdige“ – meistens männliche – Programmierer, die sehr oft über ihre eigenen negativen Erfahrungen in der Schule berichteten und sich somit als Outsiders stilisierten, die Idee, mit der Hilfe von Computern das Lernen zu revolutionieren, ja sogar zu entschulen, und knüpften damit an das ewige und leere Versprechen an, „das Lernen zu lernen“ bzw. „to unlock the keys to understanding one’s own learning processes” (S. 33). In einer Mischung aus Antiautoritarismus, libertärem Impuls und Missionseifer entstand ein Programm der Kindesrettung vor der Eintönigkeit des schulischen Lernens und indirekt auch der Weltrettung durch die agency selbstbewusster und lösungsorientierter Lerner/innen. Im zweiten Kapitel wird die Vergegenständlichung dieses Versprechens in den OLPC-Laptops genauer analysiert. Mit dem Leitkonzept eines „nostalgic design“ (S. 47) bezeichnet Ames die Leithypothese, die OLPC-Laptops stellten so etwas wie Verarbeitungen und Sehnsüchte dieser technologieaffinen Gruppe dar. Das Versprechen von Freiheit, Selbstbestimmung im Lernen und Konnektivität wurde überhöht und zu einem Programm ausgearbeitet, in dem eine Universalisierung der OLPC-Laptops erlösende Wirkung entfalten könnte.
Die folgenden Kapitel nehmen stärker einen konkreten Umsetzungsversuch dieses Bildungsreformprogramms in den Blick und präsentieren somit das Ergebnis der Feldforschung. Ames konzentriert sich auf einen Fall, der in der Diskussion nicht die Aufmerksamkeit nach sich gezogen hat, wie der – gerade in Corona-Zeiten – ermutigende Fall Uruguays. Mit der Auswahl Paraguays und, genauer, Caacupé außerhalb der Hauptstadt Asunción entscheidet sich die Autorin für einen Kontext, in dem das neue Versprechen des aktiven Lernens und der erweiterten Konnektivität in Kontrast mit dem provinziellen und traditionellen Setting steht. Enttäuschung ist der Grundtenor der Analyse im dritten und vierten Kapitel. Die Versprechen werden sehr klar nicht eingehalten. Zuerst zeigt sich dies auf materieller Ebene und in Bezug auf die vorhandenen Infrastrukturen. Die Maschinen mögen charismatisch sein, aber sie sind auch zerbrechlich, obwohl das Design robuster Maschinen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Laptops spielte. Alltagsprobleme wie die Verfügbarkeit von Steckern werden in den Schulen zu großen Hindernissen. Über diese material bedingten Schwierigkeiten hinaus zeigt sich auch, wie die mit dem Laptop verbundenen milieu- und kulturspezifischen Annahmen dysfunktional wirken. Die Leitvorstellung, dass Kinder sich spielerisch des Gerätes bemächtigen und dabei die Logik des Programmierens und des Codierens nebenbei lernen, liegt weit von den Feldbeobachtungen entfernt: Unterhaltung und Videos, ja einzeln sogar auch Pornographie und einfach ein Internetzugang, nicht Codes und Programmieren, stehen hoch im Kurs. Schließlich gibt es bei der Integration der Laptops in den Alltag der Schulen Probleme bei der Vermittlung selbst: Lehrkräfte können nur bedingt auf die neuen Möglichkeiten reagieren, und das trotz Unterstützung in technischen und pädagogischen Fragen durch eine Nichtregierungsorganisation. Insgesamt zeigt sich, dass das imaginierte Kind, das im „nostalgic design“ der OLPC-Laptops integriert war, äußerst wenig mit den real existierenden Kindern zu tun hat.
Während diese ernüchternden und durchaus substantiellen Kapitel ein Narrativ des Scheiterns präsentieren, machte es sich die Autorin nicht zu einfach und suchte auch nach erfolgreichen Beispielen von Schulkindern, die den Erwartungen der MIT-Designer in der Schule oder in ihrer Freizeit entsprachen. Es werden interessante Fälle unterschiedlicher und eigentätiger Nutzung dokumentiert, die jedoch eines gemeinsam haben: Es handelt sich um Kinder, bei denen der familiäre Hintergrund eindeutig fördernd war. In einem Fall zeigt sich auch, dass bei einer Änderung dieses fördernden Hintergrunds die Effekte des Programms verpufften. In jedem Fall zeigen diese Analysen, dass der radikale Individualismus dieses Reformprogramms, das der eher libertären Ideologie der MIT-Designer eigen war, die Erfolgsbedingungen des Programms unterwanderte. Auch die Rekonstruktion eines Programmierwettbewerbs mit den teilnehmenden Kindern hinterlässt einen bitteren Geschmack. Dort herrsche ein „cruel optimism“ (S. 137), weil diese Wettbewerbe eher die besser gestellten, des Englischen fähigen Kreise des Landes de facto begünstigen und alle Rückschläge der Unterprivilegierten letztendlich in einer Logik der Responsabilisierung dem Individuum zugerechnet würden. Während die ersten Kapitel den Umgang mit den Laptops vor Ort in den Schulen rekonstruieren, fährt Ames fort und beleuchtet sowohl die Ebene des Gesamtprogramms als auch die Ebene der ungleichen Beziehungen zwischen den global agierenden Akteuren hinter OLPC und der lokalen Nichtregierungsorganisation. Auf Grundlagen ihrer eigenen Beobachtungen in Paraguay und anderen dokumentierten Situationen in weiteren Ländern präsentiert sie das Bild eines Programms, das wiederholt „Potemkin villages“ (S. 179) auf der Grundlage von charismatischen Aufführungen baut. Das Projekt der charismatischen Maschine lebt offensichtlich davon, Erwartungen am Leben zu erhalten.
Es sind durchaus deprimierende Befunde, die Ames, gleichzeitig nüchtern und engagiert, aufzeichnet. Die kritischen Argumente eskalieren am Ende des Buches und gipfeln in dem durchaus berechtigten Vorwurf, eine neue, radikal individualisierende, auf „disruption“ setzende Version von technologischem Imperialismus sei hier am Werk. Gleichzeitig bewundert die Autorin den unbedingten Optimismus und den Glauben der meisten Akteure, die das OLPC-Programm propagieren. Insgesamt, so Ames, sei ihr Buch eine Untersuchung der Frage der Macht von Imagination bei dem Versuch, sozialen Wandel zu forcieren (S. 195).
Das kurzweilig geschriebene Buch besticht durch seine Kombination historisch und ethnographisch gewonnener Argumente. Der Verdacht, die kritische Sicht der Autorin sei etwas zu sehr zugespitzt, kommt wiederholt auf, um diese dann in den nächsten Seiten überzeugend zu begründen. Für ein Buch, das sich vorgenommen hat, Prozesse im Bereich der Imagination zu untersuchen, ist das Modell des Charismas eventuell etwas zu kurz gegriffen. Eine Differenzierung zwischen dem Charisma beteiligter Akteure und der auratischen Wirkung der Maschine wäre beispielsweise ein gangbarer Weg gewesen, unterschiedliche Wirkmechanismen näher zu beschreiben und der Vielfalt der Netzwerke von Akteuren und Aktanten gerecht zu werden. Trotz dieser gewissen Oberflächlichkeit des theoretischen Apparats bleibt dieses Buch eine überzeugende Untersuchung über die Macht des Versprechens und die Unvermeidlichkeit der Enttäuschungen.
Anmerkungen:
1 Der Name enthält geradezu ein kleines Wortspiel mit weiteren Assoziationen, darunter „Chancen verbinden“ und „an den Gedanken der Gleichheit anknüpfen“, etc.
2 Walter Bender u.a., Learning to Change the World. The Social Impact of One Laptop Per Child, New York 2012.
3 Julián P. Cristia u.a., Tecnología y Desarrollo en la niñez. Evidencia del programa Una Laptop por Niño, Washington D.C. 2012.