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Titel
Al-Andalus. Geschichte des islamischen Spanien


Autor(en)
Catlos, Brian A.
Erschienen
München 2019: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
491 S.
Preis
29,95 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Gahbler, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Brian A. Catlos’ Anspruch beruht auf nicht weniger als darauf, eine „‚neue Geschichte‘ des islamischen Spanien“ (S. 18), ja „ein neues Narrativ“ (S. 19) zu schreiben: In seinem rund 500 Seiten starken Buch über die knapp 1000-jährige Geschichte von al-Andalus oder vom Islam in Spanien vertritt Catlos die Kernthese, dass „al-Andalus […] besser als ein Land der conveniencia betrachtet werden [sollte], der ‚Zusammenkunft‘ und Zusammenarbeit von Angehörigen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gemeinschaft […] aus Zweckmäßigkeit und aus praktischem Nutzen“, und postuliert damit die Abkehr von der vielfach vertretenen Vorstellung einer convivencia, also Koexistenz (S. 443). Um die Leser:innen zu diesem Perspektivwechsel hinzuführen, räumt Catlos daher zunächst mit einigen stereotypen und „falschen“ Vorstellung über al-Andalus und seine Bewohner auf: Am wichtigsten dürfte wohl die Feststellung sein, dass es „nicht die Geschichte einer Inbesitznahme von außen“ (Epilog, S. 441) gewesen sei und die sog. Mauren, die Muslime in Spanien, ebenso wenig als ethnische „Fremde“ betrachtet werden dürften, sondern sie mehrheitlich als „Indigene“ zum Islam konvertiert seien.

Dem Religionswissenschaftler Brian A. Catlos geht es in seiner erstmals 2018 unter dem Originaltitel „Kingdoms of Faith. A New History of Islamic Spain“ publizierten Studie, dessen deutsche Übersetzung von Rita Seuß hier angezeigt wird, also um einen neuen Blick auf die wechselhafte, von vielfältigen Konflikten, Veränderungen und Begegnungen geprägte Geschichte auf der iberischen Halbinsel zwischen der späten Antike und der Vertreibung der kastilischen Moriscos 1614. Das Buch ist in sechs Teilen weitestgehend chronologisch unterteilt, auch die Kapitelüberschriften sind aus dem Englischen übertragen und muten teils recht poetisch an. Eine „Vorbemerkung zu Namen, Orten und Datierungen“, eine Einleitung, ein Präludium zu den Anfängen des Islam und ein Epilog begleiten Catlos’ Geschichte. Der Band wird durch Herrscherlisten der umayyadischen Emire und Kalifen von Córdoba sowie der nasridischen Sultane und Notabeln, Anmerkungen, ein Glossar, eine Bibliographie zitierter Werke und Bilder sowie ein Personen- und Ortsregister vervollständigt und somit gut erschließbar.

Nach den Anfängen der islamischen Herrschaft in Spanien widmet Catlos den Bemühungen der Umayyaden um einen Einheitsstaat im 9. Jahrhundert breiten Raum. Er zeichnet den Aufbau der Herrschaftsstrukturen mit einem zentralisierten Verwaltungswesen, Steuern, militärischen und wirtschaftlichen Ressourcen, einem ausgeprägten Gelehrten- und Kunstkultur und damit der Machtbasis der ersten Kalifen von Córdoba nach und zeigt zugleich dessen Begrenztheit auf: Gerade zu Beginn der Herrschaft mussten Rebellionen und Aufstände bekämpft werden, die Catlos insbesondere auf die unorganisiert verlaufenen Eroberungen und damit einhergehende Autonomie von lokalen arabischen und berberischen Eliten, auf den Widerstand einheimischer Herrscher weiter im Norden sowie deren beider Verbündung zurückführt.

Den Anbruch der folgenden Blütezeit, nach innen und außen durch die Ausrufung des Kalifats von Córdoba (926) markiert, lässt er mit der neuen Palastanlage und dem regen Treiben am kosmopolitischen Hof der neuen Herrscher vor dem inneren Auge der Leser:innen wiederauferstehen. Besonders unter al-Hakam II. sei diese „‚Saat‘ der Hochkultur“ aufgegangen (S. 175), ihr Einfluss habe sich im gesamten Land ausgebreitet, europäische Verbindungen seien geknüpft worden. Bereits Ende des 10. Jahrhunderts jedoch sei die Macht der Kalifen nur noch als „Fiktion“ (S. 205) zu bezeichnen, der Untergang der Umayyaden eingeleitet worden, und in Folge der Unterminierung und irreparablen Zerstörung von herrschaftlichen Strukturen kam es zum Bürgerkrieg (S. 219), aus dem rund 30 unabhängige Taifa-Reiche hervorgingen. Die politische Landschaft war nun durch eher schwache lokale Herrschaften geprägt – eine Entwicklung, die Catlos im Kontext des Zerfalls aller drei Kalifate betrachtet und in der er eine neue Ära als „Epoche dynamischer Instabilität oder kreativer Zerstörung“, wirtschaftlichen Wohlstands, aber „politische[n] Niedergang[s]“ erkennt (S. 220).

Nach der christlichen Eroberung Toledos 1085, dem Aufkommen der Almoraviden-Herrschaft und der damit einhergehenden Zerstörung der Taifa-Reiche im frühen 12. Jahrhundert (S. 265f.), geht Catlos der Prägung durch die aus Nordafrika kommenden Almoraviden nach, deren Kontrolle über die Gebiete zwar recht schwach ausgeprägt war, die al-Andalus aber dennoch neu ordneten und zu einem streng islamisch-religiösen Gelehrtenzentrum machten (S. 271ff.). Die als Dschihad bezeichnete, gewaltsame Eroberung durch die Almohaden in der Mitte des 12. Jahrhunderts führte zu zahlreichen Konflikten: Abhängig von christlichen Söldnern kämpften sie nicht nur gegen die christlichen Herrscher im Norden, sondern führten auch in al-Andalus ihre revolutionären Glaubensüberzeugungen ein (S. 293).

Catlos führt die Leser:innen über den Zerfall der almohadischen Herrschaft, die „traumatische“, christliche Eroberung Sevillas 1248 im Zuge der Kämpfe um die Vorherrschaft im südlichen al-Andalus (S. 325ff.) und einer damit einhergehenden, „notwendig[en]“ rechtlichen und verwaltungstechnischen Segregation (S. 331), die mit weitreichenden Einschränkungen für die muslimische Bevölkerung, mudéjares, verbunden war, weiter bis zu Eroberung Granadas 1491/1492 durch die Katholischen Könige, Ferdinand und Isabella. Wie stark die europäischen Dimensionen dieses Konfliktes waren, hebt Catlos anhand der Reaktion des Sultans von Kairo hervor, der nach der Eroberung Granadas damit drohte, die Grabeskirche Jesu anzugreifen. In der Folge entbrannte ein „Kulturkampf“ (S. 407) zwischen Verfolgung, Widerstand und Akkulturation, der 1502/1526 in einem Konversionszwang für Muslime mündete, der wiederum als Alternative nur das Exil bot. Die darauffolgenden Konfrontationen erreichten in den Deportationen der Moriscos (ab 1609, bis 1614 abgeschlossen) ihren Höhepunkt.

In der wechselvollen Geschichte Spaniens standen Kriege, Intrigen und Aufstände trotz interkultureller Gemeinsamkeiten, kultureller Annäherungen, Bündnissen und dem Zusammenleben verschiedener (religiöser) Parteien häufig genug auf der Tagesordnung. So ist auch Catlos’ Buch über viele Seiten diesen Auseinandersetzungen gewidmet. Seine Akteure zeichnet Catlos sowohl als intrigante, kaltblütige, manipulative, pragmatische, dekadente, … Männer als auch als Initiatoren von Friedensverträgen, Gelehrten-Netzwerken und (Geistes-)Kultur. Nicht immer wird den Leser:innen dabei klar, aus welcher Perspektive – einer christlichen, muslimischen, jüdischen, einer offiziösen oder oppositionellen, einer zeitgenössischen oder retrospektiven Perspektive – die konsultierten Quellen berichten. Die vielfache Einbettung von Legenden illustrieren die Erzählungen, machen sie anschaulich und die Lektüre kurzweilig. Manch anachronistischer Vergleich (etwa „Fake News“, S. 186, oder „narco-corridas“, S. 248) und die mitunter wertende Sprache erscheinen teils deplatziert – auch mit ihnen ist die Übersetzung dem Original treu geblieben.

Die gegenseitige kulturelle Beeinflussung betont Catlos in seinem Buch durchgehend: Sprache, Literatur, Architektur, Wissenschaften und Tradition, darunter Kleidungssitten und Kulinarisches – im Transfer materieller Güter sowie von Wissen aus der islamischen Kultur ins christliche Europa sieht er die „Grundlage für Renaissance, die Aufklärung, ja die ‚Moderne‘“ (S. 309).

So ist es ein wertvolles Verdienst Catlos’ anhand zahlreicher Beispiele aufzuzeigen, dass die Konfrontationslinie nicht gerade zwischen den Religionen Islam, Christentum und Judentum verliefen, sondern häufig genug innerreligiöse bzw. konfessionelle sowie politische Konflikte Anlass sowohl für gewalttätige Auseinandersetzungen als auch für Bündnisse waren. Das zeigt Catlos bereits an der islamischen Eroberung der iberischen Halbinsel auf, die vor allem gelungen sei, weil die von Süden her kommenden Kämpfer – selbst eine stark heterogene Gruppe – in von Herrschaftskonflikte belastete Region drangen und hier lokale Unterstützer fanden, wie bereits die zeitgenössische Geschichtsschreibung deutlich macht. Auch in späterer Zeit zeigten sich die Herrscher immer wieder als Pragmatiker, die durch friedliche Regelungen zwischen dem christlichen Norden und dem muslimischen Süden regionalen Aufständen zuvorkommen wollten. Im 9. Jahrhundert konnte dieser innere Friede etwa auch durch die Instrumentalisierung eines äußeren Feindes, der Wikinger, erreicht werden.

Es bleibt wichtig, das von Américo Castro formulierte und stark diskutierte Narrativ einer convivencia – von Spanisch con-vivire, d.h. eher einem (friedlichen) Zusammenleben als einer Koexistenz – in al-Andalus und der damit verbundenen Vorstellung einer toleranten Gesellschaft kritisch zu hinterfragen und weiter zu diskutieren, wie es Catlos’ Absicht mit dem Gegenentwurf einer conveniencia ist. Zum einen stellt sich aber die Frage, ob für den hier behandelten Zeitraum von 1000 Jahren überhaupt eine einstimmige Zuschreibung überzeugen kann oder nicht ein neuer Mythos entworfen wird. Zum zweiten überwiegen auch in Catlos’ Erzählung die gewalttätigen Konflikte. Sieht so „praktische[r] Nutzen“ und pragmatische Zusammenarbeit (S. 443f.) aus und wird es den Menschen außerdem gerecht, ihnen reine Zweckmäßigkeit zu unterstellen? Ein Stück weit wird diese Aussage schließlich doch relativiert, indem Catlos feststellt, dass die Menschen in al-Andalus in der Religion den wichtigsten sozialen Identitätsfaktor fanden (S. 442). Sein abschließender Appell an eine kultur- und religionsübergreifende Akzeptanz und Zusammenarbeit ist begrüßenswert.